Geschichte Buddhismus: Shinran Shônin und die Laienbewegung

Der Laienbuddhismus ist von jeher einer der Fundamente des Buddhismus und essentieller Bestandteil der vierfachen Gemeinschaft, die aus Mönchen, Nonnen, Laienschülern und Laienschülerinnen besteht. Diese vier Personengruppen wurden von Siddhartha Gautama selbst als Garant für die Weitergabe der buddhistischen Lehre beschrieben.

In der Anguttara-Nikaya, der Sammlung der Angliederungen, findet sich in der deutschen Übersetzung, die von Nyanatiloka angefertigt wurde, folgende Worte Buddhas, welche die Laienbewegung explizit erwähnen:

  • Möget, ihr Mönche, der von Zuversicht erfüllte Laienbruder solchen rechten Wunsch hegen: ‚Dass ich doch sein möchte wie Citta, der Hausvater, und Hatthaka aus ālavi!‘, denn Citta, der Hausvater, und Hatthaka aus ālavi sind der Maßstab und die Richtschnur für meine Laienanhänger.
  • Möget, ihr Mönche, die von Zuversicht erfüllte Laienschwester solchen rechten Wunsch hegen: ‚Dass ich doch sein möchte wie die Laienschwester Khujjuttarā und Nandas Mutter aus Velukantaka!‘, denn die Laienschwester Khujjuttarā und Nandas Mutter aus Velukantaka sind der Maßstab und die Richtschnur für meine Laienanhängerinnen.

Als Shinran Shônin im Jahre 1173 in Hino, dem heutigen Stadtteil Fushimi-ku in Kyōto, geboren wurde, hatte sich jedoch der ordinierte Buddhismus als auch Laienbuddhismus bereits weit von den Idealen entfernt, die Siddhartha Gautama propagiert und gelebt hatte.

An die Stelle von umherziehenden Wanderern, die in ständigem Kontakt mit der Bevölkerung standen und die Ideale der buddhistischen Lehre in das Land getragen hatten, waren reiche Klöster getreten, die nur noch ein Schatten dessen waren, was den Buddhismus ausgezeichnet hatte.

Waren die Laien einst dazu angehalten, von Mönchen und Nonnen zu lernen, wurden sie nun nur noch als reine Gabenspender betrachtet, die dem Zweck dienten, den machthungrigen Oberen der Klöster noch mehr Macht und Reichtum zu bescheren.

Der institutionalisierte Buddhismus dieser Zeit hatte jedoch auch sein Gutes und konnte viele Werke von historischer Bedeutung, Gelehrte und wertvolles philosophisches Gedankengut hervorbringen. Dennoch war der einstige Gedanke, die Inspiration, in weite Ferne gerückt.

Shinran Shônin, dessen Geburtsname Matsuwakamaro lautete, wuchs in der behütenden Umgebung seiner adeligen Familie auf, die dem Fujiwara-Clan angehörte. Als seine Eltern im Jahre 1181 starben, wurde er von seinem Onkel aufgenommen, der ihn jedoch kurz darauf in das Shonran-Kloster abschob. Shinran studierte mehr als 20 Jahre im Tempel nahe des Berges Hiei, der zu seiner Zeit eines der religiösen und spirituellen Zentren des japanischen Buddhismus gewesen ist.

Viele Mönche konnten durch die Zugehörigkeit des Tempels ihre soziale Stellung verbessern und machten von dieser Gelegenheit regen Gebrauch. Während es noch immer einige Mönche gab, die ernsthafte Studien betrieben und nach Erleuchtung strebten, schienen diese Ziele immer weiter in den Hintergrund zu rücken und weltlichen Dingen Platz zu machen.

In Briefen, die Shinran an seine spätere Frau Eshinni schickte, die heute im Hongan-ji Tempelkomplex aufbewahrt werden, beklagte er sich über diese Situation. Gleichermaßen ließ er aber auch seiner Frustration freien Lauf und berichtete über die mangelnden Ergebnisse seiner anhaltenden Studien. Trotz aller Bemühungen, die er an den Tag legte, fühlte sich Shinran als Versager und der Erleuchtung keinen Schritt näher gekommen.

Von Selbstzweifeln geplagt, zog sich Shinran in den Rokkakudo Tempel zurück, dem Geburtsort des Ikebana. Dort begann er mit der religiösen Umwanderung eines Amida-Buddhas – ein Ritual – welches als Zirkumambulation bekannt ist. Er umrundete die Statue 95 Tage lang, bis ihm eine Vision von Avalokitesvara erschien, dem Bodhisattva des universellen Mitgefühls.

Avalokitesvara riet ihm einen Mönch der Tendai-shū Schule aufzusuchen, der die gleichen ernüchternden Ergebnisse seiner Mühen empfangen hatte, wie Shinran selbst. Shinran erfuhr, dass es nicht notwendig war in Abgeschiedenheit zu leben, um Erleuchtung zu erlangen.

Bei dem Mönch und Gelehrten, dessen Schüler Shinran schließlich wurde, handelte es sich um Hōnen Shōnin, dem späteren Begründer der Jōdo-shū Schule. Obwohl es sich bei Hōnen um einen äußert intelligenten und angesehenen Gelehrten handelte, lehrte er weder komplizierte Übungen, noch predigte er von oben herab. Es war seine Überzeugung, dass jeder Mann und jede Frau die Buddhaschaft erlangen konnte und es dazu nicht nötig war, Studien in einem Tempel oder Kloster aufzunehmen. Es waren lediglich Wille und große Selbstehrlichkeit notwendig – Eigenschaften, die nur wenige an den Tag legten.

Genau wie Shinran waren auch viele andere Menschen von der Einfachheit der Lehren Hōnens begeistert und die Anhängerschaft des Gelehrten vergrößerte sich zusehends.

Die wachsende Popularität von Hōnen war den Reichen und Mächtigen ein Dorn im Auge. Aufgrund der Lehren Hōnens bestand die Gefahr, dass Klöster an Bedeutung verlieren würden.

Sie diskreditierten Hōnen und sorgten für einen kaiserlichen Erlass, der sowohl Hōnen als auch seine Hauptschüler – unten ihnen Shinran – in die Verbannung entsandte. Jeder einzelne wurde in verschiedene Gebiete Japans geschickt und Shinran sollte seinen Lehrmeister niemals wiedersehen. Hōnen starb 1212, im Alter von 78 Jahren, in Kyōto.

Nachdem das Exil im Jahre 1211 aufgehoben wurde, hatte sich das Leben Shinrans grundlegend geändert. Er war inzwischen mit seiner langjährigen Freundin Eshinni verheiratet und fand sich in der Rolle des Familienvaters wieder, in der er nun nicht mehr nur die Verantwortung für sich selbst zu tragen hatte. Er entschloss sich dazu, nicht nach Kyōto zurückzukehren und verbrachte die nächsten Jahre in Kantō, einer Region nördlich von Tokio.

Shinran, der in seiner neuen Rolle als Laie sehr viel mehr Erfüllung fand, führte die Lehren von Hōnen fort, entfernte sich jedoch mit der Zeit von einigen der Kernaussagen. Schlussendlich mündeten diese neuen Lehren in der Gründung der Wahren Schule des Reinen Landes (Jōdo-Shinshū), welche auch heute noch die zweitgrößte buddhistische Strömung in Japan darstellt.

Das Hauptwerk der Jōdo-Shinshū Schule stellt das Kyōgyōshinshō dar, welches gleichzeitig das Magnum opus und wichtigste Hinterlassenschaft Shinrans ist. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Lehren und Kommentaren, welche die Aussagen der Wahren Schule des Reinen Landes unterstützen sollen. Mit der Schaffung dieses Werkes konnte Shinran nicht nur viele Gelehrte von der Jōdo-Shinshū Schule überzeugen, sondern es war ihm dadurch auch möglich, seinen Einfluss weit über die Grenzen Japans hinaus ausdehnen.

Die Jōdo-Shinshū Schule basiert auf dem Amida-kyō, dem Sutra des Landes der Glückseligkeit und ist dem Amitabha-Buddhismus zugehörig. Der Kern der Schule basiert auf dem Vertrauen in den transzendenten Buddha Amitabha und die Aussicht auf Reinkarnation in Jōdo, dem Reinen Land.

Nach Shinrans Überzeugung, die er durch mappō, dem dritten der drei Zeitalter im Buddhismus bestätigt sah, war eine Erleuchtung durch eigene Kraft nicht mehr möglich.

Es musste die Kraft und
das Mitgefühl von Amitabha genutzt werden, um dies zu erreichen. Im Jōdo-Shinshū hat die buddhistische Praxis nur noch eine sekundäre Bedeutung.

Selbst Nembutsu, das Ausrufen und Verehren des Amida-Buddha, hat keine Bedeutung mehr im Hinblick auf die Befreiung aus dem Kreislauf des Leidens. Es stellt viel mehr nur noch eine Art Danksagung an Amitabha dar.

1234 verließ Shinran Kantō und kehrte, gemeinsam mit seiner Tochter Kakushinnim, nach Kyōto zurück. In den letzten Tagen seines Lebens, im Jahre 1263, bat er seine Anhänger darum, seinen Körper nach seinem Ableben dem Fluss zu übergeben, so dass zumindest die Fische noch Nutzen aus seinem Leichnam ziehen konnten.

Durch die Gründung der Jōdo-Shinshū Schule und seinem eigenen Auftreten war Shinran Shonin nicht nur seiner Zeit voraus, er inspirierte auch seine Mitmenschen und war ein Vorbild für all jene, die den Glauben an die ordinierten Buddhisten verloren hatten. Er machte den Buddhismus für Menschen aller sozialen Schichten attraktiv. Unter seinen Anhängern befanden sich gleichermaßen einfache Leute und Gelehrte.

Er gilt heute als einer der Gründungsväter der modernen Laienbewegung. Sein Name wird in allen buddhistischen Schulen, auch abseits von Japan, mit großer Ehrerbietung ausgesprochen.

Andreas Schnell