Bardos Zwischenwelten: Der Tod im Buddhismus

Der Tod nimmt im Buddhismus eine zentrale Rolle ein, der das gesamte buddhistische Leben beeinflusst und Gegenstand vieler Meditationen und geistiger Übungen ist. Nur wer auf den Tod gut vorbereitet ist, versteht es auch sinngerechter zu leben und den Tod und seine Durchlaufphasen – den Bardos – als Möglichkeit zur Befreiung zu verstehen.

Bardo heißt Zwischenzustand oder auch Übergang, der sich auftut, wenn wir physisch und psychisch von einem Zustand in den nächsten übergehen. Es gibt im Wesentlichen vier Bardos:

  • Das Bardo des Lebens,
  • das Bardo des Sterbens,
  • das Bardo des Lichtes und
  • der Bardo des Werdens.

Bardo im BuddhismusIm Prinzip durchlaufen wir jedoch fortwährend Bardos. Es sind die Grenzgänge in unserer Biographie, bzw. Krisen, die wir erleben. Man kann sich den Sinn eines Bardos folgendermaßen vorstellen:

Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem tiefen Abgrund und drohen dort hinein zu stürzen. Was jetzt in Ihnen vorgeht, sind ganz tief sitzende, fundamentale Gefühle, die über Sie hereinbrechen. Diese Gefühle sind Ihre Urinstinkte, die Sie mit dem kollektiven Unterbewusstsein verbinden.

Aber neben diesen Gefühlen tut sich in Ihnen auch etwas anderes auf. Das nackte Gewahrwerden über den Tod und alles, was vorher in Ihrem alltäglichen Bewusstsein war, ist mit einmal durchschnitten. Sie sind auf einem Grund angekommen und dieser Grund ist es, in den Sie eingeführt werden können – in die essentielle Natur Ihres Geistes.

Das ist das Ziel des Bardo: Die Befreiung von Ihrem gewöhnlichen Geist, mit all seinen Verblendungen, um Erleuchtung zu erlangen. Diese „krisenreichen“ Momente sind intensiver aufgeladen, als irgendein anderer, weil alles "verbrannt" wird, was zwischen Ihnen und dem grundlegenden Geist liegt. Ein Buddhist durchläuft meditativ die verschiedenen Stadien des Todes, um soweit auf ihn vorbereitet zu sein, dass er im Nachtodzustand Befreiung vom Rad der Wiedergeburten erlangt.

Denn der Nachtodzustand ist stets ein Grenzweg zwischen den eigenen Projektionen und der essentiellen Natur des Geistes. Dieser Geist wird auch "Grund – Lichtheit" genannt, der das Urlicht darstellt, aus dem alles entstanden ist. Viele Menschen haben bereits die Erfahrung mit dem Urlicht gemacht, durch bewusstseinserweiternde Übungen oder eben durch Nahtoderlebnisse.

Es ist das Licht, auf das wir treffen, wenn wir sterben. Nach buddhistischer Auffassung kann der Tote in dieses Urlicht nicht eintreten, wenn er seine wahre Natur nicht erkannt hat und sein gewöhnlicher Geist noch verblendet ist. Deswegen vollziehen Buddhisten eine lebenslange Praxis, um sich auf den Tod gut vorzubereiten und ihren gewöhnlichen Geist zu transformieren.

Es gibt im Wesentlichen drei Verblendungen – die Buddhisten sagen dazu: drei Geistesgifte, die uns hindern, befreit zu werden, um in das Urlicht einzutreten:

  • Begierde,
  • Unwissenheit und
  • Hass, …

aus denen sich heraus alle mögliche Konstellationen unserer negativen Handlungen ergeben. Im Buddhismus gibt es insgesamt zehn solcher negativen Handlungen. Man könnte sie mit den zehn Geboten im Christentum vergleichen.

Die Wurzel dieser Verblendungen ist das Greifen nach unserem Ich, das nach buddhistischen Glauben Maja – eine Illusion – ist. Das "Ich" ist auch der Grund, warum wir überhaupt Mensch geworden sind. Solange wir an unserem "Ich" hängen, können die Verblendungen nicht gelöst werden. Daher wird das Ich als die Wurzel allen Leidens und als Grund aufgefasst, warum wir am Rad der Wiedergeburt gebunden sind.

Hat der Mensch dies erkannt, kann er mit speziellen Übungen die Natur seines Geistes erfahren, die ihm im Tod offenbart wird. Nur wer sein Wesen vollkommen transformiert hat, kann mit diesem Urlicht verschmelzen. Da wir aber noch karmisch gebunden sind, treibt es uns dazu immer wieder zu inkarnieren, um uns seelisch weiter zu entwickeln, bis wir letztendlich in der Lage sind, unseren gewöhnlichen Geist aus Samsara, aus der Welt der Illusionen, zu befreien.

Dazu muss der Mensch sein Karma vollständig ausschöpfen, damit ihm nichts "Zwingendes" mehr in eine neue Wiedergeburt treibt. Im Tibetischen Totenbuch werden die einzelnen Todesbereiche detailliert beschrieben. Unserem westlichen Denken erscheint dies eher fremd und auch von den Nahtodforschungen unterscheidet sich diese Lehre zum Teil mitunter sehr.

Ich vermute, dass die Erlebnisse im Tod zum Teil davon bestimmt werden, welchen Glauben bzw. Lebensanschauung ein Mensch zu Lebzeiten hatte. Natürlich können sich einzelne Teile auch miteinander vermischen. Jedenfalls haben die Nahtod-Erfahrungen nur eine Dauer von Minuten und die Todeserfahrungen erstrecken sich über einen unbestimmten langen Zeitraum.

Der Buddhismus geht von 49 Tagen im Bardo aus, obgleich er betont, dass dies vielmehr einer Qualität als Quantität entspricht. Die 49 Tage untergliedern sich in 7 Phasen, in der die Erfahrungen des Sterbens stets wiederholt werden. (Dalai Lama – der Weg zur Freiheit).

Ist diese Zeitspanne befindet sich das "Geistselbst" in einer Art Wartezone, bis eine neue Wiedergeburt erfolgt. Dann erscheinen die 42 friedvollen bzw. die 58 zornigen Gottheiten. Erkennt der Betreffende nicht, dass es seine eigenen Projektionen sind, vertut er seine Chance auf Befreiung und wandert weiter.

In den meisten Fällen aber gibt es nach dem Sterben eine Phase der Bewusstlosigkeit. Nach dieser Phase nimmt der Verstorbene einen Geistkörper an. Dieser ist hellsehend, hellwahrnehmend und kann sich mit "Gedankenenergie" fortbewegen. Er befindet sich noch in der irdischen Sphäre, hält sich in seiner alten Umgebung und bei vertrauten Menschen auf.

Oft kann die Seele vom irdischen Leben, ihren alten Gewohnheiten und ihren Hinterbliebenen nicht richtig loslassen. Deshalb bezeichnet man sie als "erdgebundene Seele". Sie macht dann eine Erfahrung der vier Elemente in Form von gewaltigen Stürmen, Feuersbrünsten, Krachen und Donnern, die sie hin und her treiben.

Dabei tun sich drei Abgründe auf, in die wir drohen hinein zu stürzen und die den drei Geistesgiften entsprechen. Jenachdem, welches Karma wir angesammelt haben, erfahren wir die Bardos als glückselig oder von furchtbaren Kreaturen gejagt, die nach uns trachten.

Die nächste Phase wird als "Totengericht" bezeichnet, in dem unser Leben betrachtet und beurteilt wird. Dabei sitzt an unserer Seite ein Lichtwesen (das unsere guten Taten zeigt) und ein Dämon (für unsere schlechten Taten). Dies wird in Form von schwarzen und weißen Kieseln gemessen und der "Herr des Todes" fällt sein Urteil über uns.

Ist unser Karma "schwerwiegend", gehen wir in eine niedere Wiedergeburt ein und werden vom Dämon hinweg geschleift. Dieser Dämon beinhaltet gewöhnlich unser schlechtes Gewissen.

Auch wenn manche Menschen über keines verfügen, findet es trotzdem Anwendung. Denn alle Taten werden vom Körper und Geistes gespeichert und so festgehalten. Dies betrifft auch Dinge, an die wir uns nicht mehr erinnern.

Hier gibt es Parallelen zum alten Ägypten. Im Totengericht der Ägypter werden die guten und schlechten Taten auf einer Waage gegeneinander gewogen. Das Herz des Toten wird auf die eine Waagschale gelegt und eine Feder – also das Gute – auf die andere Schale. Ist das Herz schwerer als die Feder, wird die Seele von einem krokodilartigen Dämon verschlungen und gelangt in die Unterwelt.

Die Wahl der Wiedergeburt im Buddhismus wird vom Karma bestimmt, das wir zu Lebzeiten angesammelt haben. Und doch haben wir zu einen gewissen Grad Einfluss darauf – durch die Macht unserer Gedanken. Im Tod wirken sie gestalterisch auf uns ein und je nach Gewohnheit, neigen wir zu bestimmten Gedanken.

Zu Lebzeiten bekommen wir die Auswirkungen unsere Gedanken nicht zu spüren. Hier im Tod werden sie unmittelbar zur Wirklichkeit. Dabei betonen die Lehren folgendes: Was auch immer uns erscheint, sind Projektionen unseres eigenen Geistes. Da wir aber zu leicht in unsere alten Gewohnheiten zurück fallen und in die Tendenz individuell zu denken, erkennen wir das Potential unserer Gedanken nicht. Wir halten die "echt wirkenden Erscheinungen" für real.

Wir bekommen Visionen von unserer nächsten Wiedergeburt, für die es im Buddhismus sechs Bereiche gibt: Zu nennen sind die Bereiche der …

  • … Götter,
  • … Halbgötter,
  • … Bereich der Menschen,
  • … Tiere,
  • … Hungergeister und
  • … Hölle.

Diese entsprechen der Art unseres Wesens und sind das Ergebnis unseres Karmas. So inkarniert ein hoch entwickelter spiritueller Mensch, der sein Leben lang praktiziert hat, in den Götterbereich. In den Bereich der Halbgötter gelangen wir, wenn wir zwar schon intellektuell hochbegabt sind, aber trotzdem noch ein Gefühl des Misstrauens und Neides verblieben ist. Daher werden die Halbgötter auch eifersüchtige Götter genannt.

Der Bereich der Menschen ist wichtig, um uns weiter zu entwickeln und unser Verlangen abzulegen. In die Tierwelt gelangen wir, wenn wir nichts dazu gelernt haben und noch sehr unter den Einfluss unsere Instinkte stehen. Der Bereich der Hungergeister ist für diejenigen reserviert, die "gierig nach mehr waren" und trotzdem unerfüllt blieben. Zuletzt ist die Hölle zu nennen, für jene, die sehr böse und überwiegend hasserfüllt waren. Die Hölle untergliedert sich ebenfalls in verschiedene Stufen. Dabei weist der Buddhismus – je nach Schweregrad – auf die vielen heißen und kalten Höllen hin.

Inkarnieren wir als Mensch, haben wir die Visionen von einem sich liebenden Paar, von dem wir angezogen werden. Abschließend treten wir wieder mit der Zeugung in den Mutterschoß ein.

Damit bin ich mit meiner Beschreibung, wie Buddhisten den Tod sehen – bzw. welche "Nachtod-Erfahrungen" unterstellt werden – zuende. Ich hoffe es gab Ihnen einen kleinen Überblick über diese ungewöhnliche Sichtweise. Mehr zu dem Thema können Sie in meinem Buch – unterhalb des Artikels – erfahren.

Viel Spaß beim Forschen!

Jamina Diley