Stufen der Lockerung / Entspannung beim Meditieren

Regelmäßiges Meditieren wirkt sich nicht nur auf den „Geist“, sondern auch auf unseren physischen Körper aus. Das kontinuierliche Entspannen hilft uns, muskuläre Verspannungen zu lösen und abzubauen. Hier erfahren Sie die verschiedenen Stadien der Lockerung / Entspannung, welche in der Meditation auftreten können.

Entspannung beim Meditieren

Aus meiner Praxis als Tai-Chi-Lehrer weiß ich, dass der größte Teil der Menschen sich ihrer muskulären Verspannungen nicht bewusst sind. Manche bemerken Verspannungen erst dann, wenn sie schmerzhaft werden und die gewohnte Bewegungsfreiheit so weit einschränken, dass alltägliche Verrichtungen nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich sind.

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Die Wahrnehmung des eigenen Körpers und wie man mit ihm umgehen sollte, wird gewöhnlich vernachlässigt und vereinzelnd gelehrt. Dadurch haben viele Menschen keinen Maßstab, was „normal“, „entspannt“ oder „gesund“ ist bzw. welche Empfindungen des Körpers als Warn- oder Alarmsignale gewertet werden sollten.

In der Meditation spielt die Fähigkeit zu entspannen und locker zu lassen eine große Rolle. Die Meditation ist ein Hilfsmittel, sich der Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper bewusst zu werden und zu erleben, dass Körper und Psyche eine Einheit sind, die sich wechselseitig beeinflussen und verändern.

Das bedeutet: Wer etwas für seinen Körper tut, verändert damit auch seine Psyche. Wer seine geistige Einstellung (Psyche) verändert, verändert damit auch seinen Körper.

In der chinesischen Medizin ist schon lange bekannt, dass Muskelverspannungen den Energiefluss im Körper blockieren und damit zu Krankheiten führen, während eine Lockerung des Muskelpanzers eine Voraussetzung dafür ist, Energien frei und natürlich fließen zu lassen. Das bedeutet, gesund zu bleiben.

In der Meditation treten verschiedene Phänomene auf, die sich graduell als unterschiedliche Qualitäten der Lockerung / Entspannung beschreiben lassen. Das folgende, leicht modifizierte Modell von M. D. Eschner aus seinem Buch „Techniken der Bewußtseinserweiterung“ unterscheidet folgende Stufen der Lockerung in der Meditation:

1. Lockerungsstufe „Alltägliche Ruhe / Erholung“

Hier handelt es sich um die Entspannungsstufe eines Menschen, der locker im Sessel sitzt oder im Bett liegt und sich dabei körperlich entspannt. Man nimmt eine „gemütliche“ oder „angenehme“ Position ein und kann wieder freier durchatmen – loslassen – locker lassen. Diese Form der Entspannung kennt eigentlich jeder, auch wenn die Gewohnheiten und Bedürfnisse (was als gemütliche Körperhaltung erlebt wird) individuell etwas unterschiedlich sind.

Meditation Entspannung Lockerung

Die Lockerung der Muskulatur ist in diesem Falle nur oberflächlich und von kurzer Dauer, meist nur genauso lange, wie wir in dieser „Ruhestellung“ verweilen. Sie stellt die erste Stufe der Lockerung dar, mit der jeder Meditierende beginnt.

2. Lockerungstufe: Lockerheit

Auf der zweiten Stufe lernt man Muskeln auch in anderen Positionen (z. B. im Asana) bewusst locker zu lassen: Man entdeckt, wie man über den Atem den Biorhythmus steuert und dadurch noch tiefer entspannen kann. Man beginnt die Fähigkeit der „Körperwahrnehmung“ zu entwickeln, die Stellen der muskulären Anspannung / Verspannung bewusst wahrzunehmen.

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Atem und Herzschlag sind ruhig und verlangsamt. Der Meditierende empfindet seinen Körper als schwer und angenehm warm. Die Aufmerksamkeit richtet sich mehr nach innen, aber die Wahrnehmung der Umwelt ist noch relativ normal.

Im Übergangstadium zur nächsten Stufe treten dabei manchmal Fallgefühle, Schwindelgefühle und Orientierungsverlust auf.

3. Lockerungstufe „Lösung“

Auf dieser Stufe hat sich die Fähigkeit, wie man Muskeln loslassen kann und über den Atem den Biorhythmus steuert, automatisiert. Die Körperwahrnehmung ist so weit ausgeprägt, dass man jederzeit den Muskeltonus im ganzen Körper spüren und loslassen kann.

Der Körper ist ans Asana soweit gewöhnt, dass er sich schon beim Einnehmen der Position entspannt und loslässt. Bereits nach wenigen Minuten der Einstimmung hat man den Eindruck, dass Körperempfindungen sich auflösen – alles wirkt weit weg und sehr gedämpft. Äußere Sinneswahrnehmungen dringen nur noch verschwommen ins Bewusstsein.

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Ein gelegentliches, unwillkürliches Muskelzucken kann auftreten. Manchmal verdrehen sich die Augen ohne bewusstes Zutun nach oben und innen (in Richtung des dritten Auges). Es treten Astralkörper-Phänomene auf, d. h. Körperproportionen werden „verzerrt“ wahrgenommen. Dieser „gefühlte“ Körper kann Positionen, Stellungen und Empfindungen aufweisen, die der physische Körper gar nicht haben kann.

Beispiel: Man spürt den Arm über dem Kopf schweben, obwohl er materiell auf dem Oberschenkel liegt. Man hat den Eindruck, dass Körperteile besonders groß, klein oder verdreht sind. Das entspricht natürlich nicht den physikalischen Tatsachen.

Da solche „Wahrnehmungsverschiebungen“ nicht der gewohnten Realität entsprechen, werden manche Menschen leicht nervös oder ängstlich. Allerdings sind diese Phänomene auf die Meditation beschränkt. Sie verschwinden spätestens dann, wenn man wieder ins Alltagsbewusstsein zurückkehrt.

Wer sich einmal daran gewöhnt, kann die positiven Wirkungen dieser Stufe – tiefe Entspannung, körperliches Wohlbefinden etc. – auch im Alltag genießen und diese tiefe und wohltuende Entspannung als „Lebensqualität“ schätzen lernen.

4. Lockerungsstufe: Starre – Diamantkörper

Auf dieser Stufe nimmt der Meditierende seinen Körper in der Meditation gar nicht mehr wahr. Auch Sinneseindrücke des Körpers dringen nicht mehr ins Bewusstsein. In der hinduistischen Tradition wird dieser Zustand Pratyahara genannt.

Ist diese Lockerungsstufe voll entwickelt, betrifft sie alle Sinne. Man hat den Eindruck, dass man den Körper beim Meditieren „ablegt“ oder „auszieht“ – er scheint ohne bewusstes Zutun ganz allein im Asana zu sitzen und in dieser Stellung „einzufrieren“.

Die Empfindungen der Starre wird von unterschiedlichen Schulen auch als Stein- oder Diamantkörper beschrieben. Die normalen, vertrauten Körperempfindungen hören auf. Normalerweise beginnt der Prozess in den Beinen und setzt sich dann nach oben hin fort.

Im Diamantkörper kann sich Atmung und Herzschlag sehr stark absenken, bis zu einem Punkt, an dem er kaum noch wahrgenommen wird. Aber keine Sorge – es ist noch niemand in dieser Starre zu Schaden gekommen. Man lernt, seinem Körper zu vertrauen, dass er auch ohne bewusstes Steuern wunderbar funktioniert.

Wer dieses Phänomen nicht kennt und zum ersten Mal erlebt, wird mit Sicherheit beunruhigt sein. Manchmal kann es nach dem Beenden der Meditation etwas dauern, bis sich die Starre löst, alles wieder „am rechten Platz ist“ und eine normale Bewegung möglich ist.

5. Lockerungstufe: Lähmung

Auf der letzten Stufe der „Lähmung“ geht die Kontrolle über den Körper vollständig verloren, Bewegungsversuche scheitern. Manche Menschen kennen diesen Zustand beim Aufwachen nach dem Träumen – man hat keinen Zugriff mehr auf den Körper und braucht manchmal mehrere Minuten, bis man wieder die bewusste Kontrolle über den Körper zurückbekommt.

Dabei werden die Bewegungsimpulse oder das „Wollen der Bewegung“ nicht mehr an die Effektoren der Muskeln weiter gegeben. In der Meditation geschieht dies im Zustand der Lähmung bei vollem Bewusstsein.

Die Lähmungserfahrung löst anfänglich fast immer Panik aus. Meditierende versuchen häufig durch panische Bewegungsversuche wieder die Herrschaft über ihre Gliedmaßen zu erlangen. Das gelingt ihnen auch nach einigen Sekunden oder Minuten. Wer über diese Stufe nicht informiert ist, wird extrem beunruhigt sein.

In dieser Phase der Entwicklung sollte immer ein erfahrener Meditationsberater in der Nähe (Rufweite) sein. Der Berater kann beruhigen und Tipps geben, wie man mit der Lähmung umgeht. Es ist wichtig dem Schüler die Panik zu nehmen und im Gespräch, Strategien zu entwickeln, wie man dieses Phänomen annehmen und zulassen kann.

Tony Kühn