Achtsamkeitstraining: Was ist Achtsamkeit?

Wer sich für Meditation interessiert, wird irgendwann mit dem Begriff der „Achtsamkeit“ konfrontiert. Für viele Schulen ist die Achtsamkeit bzw. das Achtsamkeitstraining ein wichtiger Schlüssel für die eigene Entwicklung. Hier erfahren Sie, was Achtsamkeit ist und welche Anregungen es gibt, wie sie erlernt und gesteigert werden kann.

Der Begriff "Achtsamkeit" wird heutzutage – je nach Quelle – recht unterschiedlich verwendet und manchmal sehr ungenau beschrieben. Der folgende Artikel soll die Idee der Achtsamkeit konkretisieren und schärfen, sodass das Prinzip dahinter sichtbar wird.

Wozu Achtsamkeit?

Wenn das Thema "Achtsamkeit" zur Sprache kommt, gehen viele Menschen davon aus, dass die Achtsamkeit ein völlig normaler Wahrnehmungsmodus ist, den ohnehin jeder Mensch beherrscht und alltäglich anwendet. Wozu also achtsam sein oder es gar noch trainieren?

Achtsamkeit Achtsamkeitstraining

Richtig ist, dass wir alle einen gewissen Grad an Achtsamkeit haben, um unsere Besorgungen, Arbeiten, Gespräche etc. verrichten zu können. Allerdings haben wir auch die Neigung Verhaltensgewohnheiten zu bilden und zu automatisieren, d. h. die Komplexität der Umwelt so weit zu reduzieren, dass wir mit einfachen Routinen bestimmte Aufgaben möglichst effizient erledigen können.

Ein Beispiel: Meine Routine, um morgens zur Arbeit zu kommen, ist hochgradig spezialisiert: Ich achte auf die Uhrzeit, damit ich pünktlich abfahren kann, kenne meine Fahrstrecke oder Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel, nehme mein Smartphone / Zeitung zur Überbrückung von Wartezeiten mit usw. Ist die Routine erfolgreich durchgelaufen, folgt das nächste Programm.

Der Vorteil dieser "Automatisierung" besteht darin, dass ich meinen Kopf freihabe, um mich anderen Dingen zu widmen. Der Nachteil ist, dass ich meine Wahrnehmung der Welt so weit reduziert oder funktionalisiert habe, dass ich viele Dinge / andere Menschen gar nicht mehr bemerke.

Ich blende also alle "unwichtige Dinge", die nicht zur Absolvierung meiner Routine gehören, aus und nutze stattdessen die Zeit, um zu tagträumen, über etwas Vergangenes oder Künftiges nachzudenken oder mich einfach nur mit etwas zu beschäftigen, damit keine Langeweile aufkommt.

Meine (Erlebens-) Welt wird damit aber ärmer, da ich immer weniger von dem mitbekomme, was gegenwärtig um mich herum passiert. Alles, was nicht zur Routine passt, ist eine lästige "Störung", die ignoriert, aus dem Weg geschafft oder als Ärgernis abgetan wird.

Timothy Leary hat in diesem Kontext einmal humorvoll angemerkt, dass sich viele Menschen einen "Realitätstunnel" zulegen, indem selbst ein Regenwurm Platzangst bekommt. Ist der Grad an Achtsamkeit so weit gesunken, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man am Ende gelangweilt, demotiviert, matt und müde ist.

Was ist Achtsamkeit / Achtsamkeitstraining?

Achtsamkeit und Achtsamkeitstraining ist ein Modus der gegenwärtigen Wahrnehmung, der im Wesentlichen auf der Frage gründet "Worauf achte ich in meinem (Er-)Leben?" Achtsamkeit ist die Kunst, die Wahrnehmung des Alltags durch neue Perspektiven (Fragen) aufzubrechen, Löcher in den eingefahrenen Realitätstunnel zu schaffen, um etwas neu oder anders erleben zu können.

Achtsamkeit beginnt mit dem Bruch einer Routine oder dem Wechsel einer Perspektive. Denn alles, was wir nicht "automatisiert" haben, sondern bewusst durchführen müssen, führt uns in die Gegenwart. Auch die Aktivierung der Sinne beim Ausführen einer Tätigkeit – aktives und bewusstes Hinsehen, Hören, Schmecken, Tasten, Riechen – hilft in die Gegenwart zu kommen und darin zu verweilen.

Achtsamtkeitstraining Sinne

Insofern ist der erster Tipp für Einsteiger zum Achtsamkeitstraining:

Mach etwas anders! – Do something different!

Achtsamkeitstraining beginnt im Kleinen. Hier ein paar Beispiele als Anregung:

  • Putzen Sie die Zähne mit der linken, statt der rechten Hand.
  • Vertauschen Sie Gabel und Messer beim Essen.
  • Lächeln Sie fremde Menschen an oder blinzeln ihnen zu.
  • Gehen Sie einen Weg rückwärts.
  • Essen Sie etwas, was Sie noch nie gegessen haben.
  • Gehen Sie mit geschlossenen Augen durch die Wohnung.

Versuchen Sie einmal nicht "effizient", sondern einfach nur "anders" zu sein. Ihrer Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Lassen Sie es zu, dass dieses "Andersein" oder "sich stören zu lassen" Spaß machen darf. Jede noch so kleine Irritation verändert unser Denken und Erleben. Manchmal lernen wir dabei sogar etwas Neues oder haben ein unerwartetes Aha-Erlebnis.

Achtsamkeit wird nur dann eine Verhaltensgewohnheit, wenn wir sie schätzen, Spaß an ihr haben und sie lieb gewinnen. Mit diesen Schritt eröffnen wir zunächst ein großes Spielfeld, auf dem wir herumtollen können.

Beim zweiten Schritt geht es darum, ausgewählte Erfahrungen oder Erlebnismöglichkeiten zu vertiefen. Hierzu eignen sich kleine Aufgaben oder Herausforderungen, die sich um ein Thema zentrieren.

Am einfachsten können Achtsamkeitsübungen bei einfachen Tätigkeiten geübt werden. Ein Klassiker, den ich bei den Buddhisten kennengelernt habe, ist das "Präzisionsputzen".

Dabei nimmt man sich ein Übungsobjekt beispielsweise einen dreckigen Herd, den man möglichst makellos säubern will. Makellos meint, ihn soweit auf Hochglanz zu polieren, dass er am Ende "fabrikneu" sauber ist und der kleinste Fett- oder Staubrest verschwunden ist.

Beim Vertiefen ist es wichtig, den Fokus der Aufmerksamkeit nicht ständig zu wechseln, sondern längere Zeit bei einem Thema zu verweilen. Dadurch eröffnen wir uns die Chance, dass wir nicht nur Kleinigkeiten, sondern auch tiefer eingeschliffene Verhaltensgewohnheiten erkennen und modifizieren und Alternativen zu unserem gewohnten Trott entdecken.

Bewusstheitsübungen helfen dabei, Achtsamkeit zu entwickeln und zu vertiefen. Hier zwei Beispiele:

Wem andere Menschen am Herzen liegen, der kann seine Achtsamkeit auf die Kommunikation mit anderen legen und Aufgaben formulieren, wie:

  • die Hobbys aller Kollegen zu erfragen,
  • Eselsbrücken zu erfinden, um jeden Bekannten namentlich ansprechen zu können,
  • einmal "nur" zuhören, statt selbst zu reden,
  • zu paraphrasieren, was man verstanden hat,
  • sich für die Aufmerksamkeit eines Zuhörers zu bedanken,
  • gezielt Kommunikationstechniken zu lernen.

Wer sein Achtsamkeitstraining beständig durchführt, kann davon ausgehen, das dies auch andere Menschen (positiv) bemerken und Feedback geben. Spätestens dann wissen Sie, dass Sie sich bestimmte Änderungen nicht nur einbilden. Ihre „äußere Welt“ wirkt heller und schöner.

Die höchste Form des Achtsamkeitstrainings besteht darin, sich voll und ganz auf eine Tätigkeit zu konzentrieren, sie mit allen Sinnen wahrzunehmen, ohne Abdriften der Gedanken und im Hier-und-Jetzt zu verweilen.

Achtsamkeit Achtsamkeitstraining

Wer einen hohen Grad an Achtsamkeit entwickeln will, kann sich gewinnbringend der Meditation widmen und spezielle Meditationsformen erlernen. Denn die Fähigkeiten, die man für eine erfolgreiche Meditation braucht, wie Konzentration, Gegenwärtigsein, Entspannung etc., sind auch beim Achtsamkeitstraining fördernd.

Wirkungen des Achstsamkeitstrainings

Heutzutage wird viel über die "heilenden" Wirkungen des Achtsamkeitstrainings gesprochen. Sie findet in den unterschiedlichsten Seminaren und Schulungen Anwendung und hilft Menschen dabei, wieder mehr zu sich selbst zu finden.

Da die Achtsamkeit quasi der "Wächter am Tor unserer Wahrnehmungen" ist, fördert sie auch unsere Bewusstheit, welche Themen wir in unser Denken einfließen lassen wollen. Mit gesteigerter Sensibilität wird uns schneller bewusst, welche Wirkungen negative Einflüsse auf uns haben.

Das Achtsamkeitstraining ist eine gute Methode, um aus dem Gefängnis der Routinen auszubrechen und die Welt wieder lebendiger werden zu lassen. Es ist kein Naturgesetz, dass wir im zunehmenden Alter immer gleichförmiger oder gelangweilter werden. Das Abenteuer "Leben" wartet auf jeden, der bereit ist, die Augen aufzumachen und etwas neu zu entdecken.

Vor allem Anfängern gebe ich den Rat, mit Geduld und Muse an die Sache zu gehen. Wer mit dem ersten Schritt beginnt, wird anfangs noch keine spektakulären Änderungen erwarten können. Achtsamkeit entwickelt sich langsam, durch Beharrlichkeit und Regelmäßigkeit.

Viel Spaß beim Achtsamkeitstraining!

Tony Kühn