Konflikte in der Schule lösen: Schulproblem Mobbing

Das Mobbing ist für viele zu einem neuen Modewort verkommen, welches man häufig im schulischen oder beruflichen Kontext zu hören bekommt. Oft hört man schon bei kleinen Streitigkeiten den Satz „ich werde gemobbt!“ Aber damit ist Mobbing nicht aus der Welt und regelmäßige soziale Konflikte bleiben für die Betroffenen ein Problem.

Außerdem sind unsoziale Verhaltensweisen wie Mobbing kein Naturgesetz, sondern können durch gezielte Interventionen abgebaut werden. Hierzu müssen die Verantwortlichen und Betroffenen aber die Anzeichen erkennen und selbst aktiv dagegen vorgehen.

Mobbing in der SchuleIm folgenden Interview zwischen Peter Schipek und Mustafa Jannan geht es darum, genauer hinter die Kulissen dieses Phänomens zu schauen. Mustafa Jannan ist Gymnasiallehrer und hält Vorträge und Workshops zu den Themen "Gewaltprävention und -intervention". Er praktiziert "Jungenarbeit" und schult Fachkräfte zum Thema "Gesprächsführung in Beratungs- und Konfliktsituationen".

Hier wird er zu seinem neuen Buch „Das Anti-Mobbing-Buch: Gewalt an der Schule – vorbeugen, erkennen, handeln“ interviewt.

Besonders interessant dürften für Schüler und Lehrer seine Thesen sein, was Mobbing überhaupt ist, woran man es erkennt und wie man solche Konflikte konstruktiv bewältigen kann. Damit bekommen Sie konkrete Ansätze, was Sie tun können, wenn Sie selbst oder Ihr Kind davon betroffen sind.

Viel Spaß mit diesem Interview!

Peter Schipek Herr Jannan – Sie sind selbst Lehrer und haben das Buch geschrieben, das Sie gebraucht hätten, als Sie zum ersten Mal mit Mobbing an Ihrer Schule konfrontiert waren. Inzwischen haben Sie die verschiedenen Ansätze zur Bekämpfung von Mobbing gesichtet und zu einem Konzept kombiniert, das Sie erfolgreich in Lehrerfortbildungen vermitteln.

Im Vorwort Ihres Buches schreiben Sie, dass meist nur die Fälle bekannt werden, bei denen offene Gewalt im Spiel ist. Es gibt doch viel mehr Fälle, in denen solche äußeren Anzeichen fehlen. Kinder werden beschimpft und lächerlich gemacht. Lügen und Gerüchte werden über sie in Umlauf gesetzt.

Darüber spricht man – wenn überhaupt – erst, wenn jemand über einen längeren Zeitraum systematisch schikaniert wird. Was können Lehrer und Eltern im Kampf gegen diesen täglichen Terror tun?

Mustafa Jannan Für die Schulen gilt: Das Problem ernst nehmen und wirkungsvolle Strategien in der Prävention und Intervention entwickeln. Wer gegen Mobbing vorgeht, vermindert damit gleichzeitig alle anderen Gewaltformen. Das sollte also ein genügend hoher Anreiz sein, um tätig zu werden!

Für Eltern gilt: Ihre Kinder stark machen, ihnen Möglichkeiten geben, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, ihnen im täglichen Zusammenleben etwas zutrauen. Für selbstbewusste Kinder besteht ein geringeres Mobbing-Risiko.

Peter Schipek Dem Mobbing liegen doch Konflikte zugrunde. Was können die Ursachen des Schulmobbings sein?
Mustafa Jannan Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Mobbing hat in der Regel keinen Konflikt als Ursache. Viele Täter suchen sich Mitschüler aus, die ihnen unterlegen sind und die sie über einen langen Zeitraum immer und immer wieder schikanieren können. Auslöser für das Mobbing ist also oft das Bedürfnis des Mobbers, andere unter Druck zu setzen. Leider gibt es nicht die Ursache für Mobbing – dann wäre es ja sehr einfach, etwas dagegen zu unternehmen.

Oft sind die Täter Jungen – leider aber auch die Opfer. Mobbing ist also wie alle Gewaltformen hauptsächlich ein männliches Problem. Dabei unterscheiden sich Jungen und Mädchen in der Art der Gewalt: Jungen schikanieren eher physisch und offen, Mädchen versteckt und psychisch. Mit zunehmendem Alter nähern sich die beiden Geschlechter aber in ihrem Verhalten an.

In gehäufter Zahl findet man bestimmte Persönlichkeitsmerkmale bei Tätern, einerseits z.B. einen Mangel an Empathie, bedingt durch Familienstrukturen mit ausgeprägt machtbetontem Erziehungsstil oder durch übertolerante Elternhäuser. Täter können aber auch Kinder sein, die unsicher im Umgang mit Gleichaltrigen sind. Andererseits sind die Opfer oft stark empathisch, ja sensibel, und kommen aus Familien mit überbehütendem Erziehungsstil.

Aber so einfach, wie sich dies liest, ist es häufig nicht. Tatsächlich gibt es z.B. ganz wenig gemeinsame äußerliche Merkmale von Opfern. Opfer kann schlussendlich jeder werden, der in seiner Biografie an einem für ihn ungünstigen Zeitpunkt nicht in der Lage gewesen ist, sich den Schikanen eines Mobbers endgültig zu entziehen. Dass z.B. Opfer ein geringes Selbstwertgefühl haben, kann durchaus eine Frage des Blickwinkels sein. Haben sie es schon vorher gehabt oder ist es Folge des Mobbing?

Peter Schipek Wird Mobbing nicht zu oft noch verharmlost? Treten Eltern nicht stark genug für ihre Kinder ein? Schauen Lehrer zu oft weg? Sprechen Schulleiter Lehrerkollegen oft selbst dann nicht an, wenn die Fälle allen bekannt sind?
Mustafa Jannan Zu Ihrer ersten Frage: Mobbing wird leider immer noch an Schulen und in der Öffentlichkeit systematisch unterschätzt. Von diesen Erwachsenen haben einfach zu wenige ein Kind hautnah erlebt, das gemobbt wird. Wie hoch der Leidensdruck bei solch einem Kind ist, kann man an den Reaktionen erkennen, z.B. wenn solch ein Kind sich lieber am Sonntag erbricht, als am Montag in die Schule zu gehen!

Es werden dann oft die körperlichen Symptome behandelt ohne nach den Hintergründen zu forschen. Diese Symptome sind aber nur Hilfeschreie der Psyche des Kindes, das mit dem andauernden Druck in der Schule nicht mehr leben will. Mobbing hat einen ganz großen Einfluss auf die Entwicklung der Erwachsenenpsyche. Das wird viel zu oft vergessen.

Ob Eltern nicht stark genug für ihre Kinder eintreten, vermag ich nicht zu beurteilen. Dies ist sicherlich von Fall zu Fall verschieden. So gibt es beispielsweise Eltern von Tätern, die alle Handlungen ihres Kindes unreflektiert tolerieren und die Schuld grundsätzlich bei anderen suchen. Oder es gibt Eltern, die schon bei kleinsten Auseinandersetzungen in der Klasse, Angst um ihr Kind haben.

Das sind zwei extreme Beispiele, zwischen denen sich die alltägliche Wirklichkeit abspielt. Leider warten Eltern aus meiner Sicht oft sehr lange, ehe sie sich an die Schule wenden. Das liegt aber nicht unbedingt an den Eltern selbst. Die Kinder wünschen häufig kein Eingreifen. Das hat mehrere Gründe: Weil sie sich vor der Klasse bloßgestellt fühlen, weil sie Angst haben, dass das Eingreifen der Erwachsenen zu schwach ist (was leider oft zutrifft), weil sie befürchten, dass die Schikanen dadurch schlimmer werden können oder weil sie sich sogar selbst die Schuld für die Situation geben.

Zu Ihrer dritten Teilfrage: Die Schulleitung ist ein ganz wichtiger Faktor im Bereich Gewaltprävention und –intervention. Wenn sie schweigt, wird es an der Schule eine Kultur des Wegsehens geben. An solchen Schulen existieren nach außen hin keine Mobbing-Probleme – weil zu wenig Kollegen sie wahrhaben wollen. Sie können sich vorstellen, wie Kinder sich an einer solchen Schule fühlen.

Peter Schipek Ein Kapitel Ihres Buches beantwortet die Frage: „Welche Bedingungen in Schulen begünstigen die Entstehung von Mobbing?“ Mobbingbekämpfung kann ja nicht lediglich ein Kampf einzelner verantwortungsvoller Lehrer sein. Welche Bedingungen sind es, die Mobbing begünstigen und wie sollte eine ideale Klassen- und Schulumgebung aussehen?
Mustafa Jannan Es gibt wenige wissenschaftliche Studien, die die Wirksamkeit bestimmter Faktoren in diesem Bereich untersucht haben. Meiner Kenntnis nach gibt es zwei wichtige Einflussgrößen: die Attraktivität der schulischen Umgebungen und die Dichte der Pausenaufsicht. Je besser beides ist, desto weniger Mobbing und Gewalt gibt es an einer Schule.

Darüber hinaus haben Präventionsprogramme, die als Mehrebenenmodelle im Schulprogramm verankert sind, einen großen positiven Einfluss. Das Eingreifen einzelner Lehrer hingegen ist fast ohne Wirkung. Neben ganz allgemeinen Bedingungen, die Mobbing an Schulen fördern (z.B. die weiter oben erwähnte Haltung der Schulleitung bzw. des gesamten Kollegiums zu diesem Bereich), möchte ich eine nennen, die aus meiner Sicht in der heutigen Schullandschaft eine nicht unbedeutende Rolle spielt.

Eine Studie an der Uni Köln hat ergeben, dass hoher Leistungsdruck Mobbing fördert. Wer denkt da nicht an die dramatischen Veränderungen in vielen Bereichen der deutschen Schullandschaft, die genau dies bewirken. Auch Lehrer leiden unter diesem Einflussfaktor, da das Dogma der Inhalte den Aufbau tragfähiger Lehrer-Schüler-Beziehungen, die für die vertrauensvolle Lösung problematischer Situationen unbedingt erforderlich sind, enorm erschwert.

Ich bin daher davon überzeugt, dass das Mobbing in den nächsten Jahren spürbar zunehmen wird. Und so bleibt es, wie Sie richtig darstellen, dem Engagement des einzelnen Lehrers überlassen, gegen Mobbing vorzugehen. Was dies als zusätzliche Belastung für die einzelne Person bedeutet, zeigen die Ergebnisse der Potsdamer Lehrerstudie: Es ist ein weiterer Schritt Richtung Burnout.

Peter Schipek Die Opfer – trifft es denn nicht immer die Gleichen? Welche Schülerinnen und Schüler sind denn besonders gefährdet?
Mustafa Jannan Hier gilt der Satz, den ich bereits vorher geäußert habe: Opfer kann im Prinzip jeder werden! Einzig starkes Übergewicht konnte jüngst in einer Studie als Risikofaktor für Mobbing identifiziert werden. Alle anderen Merkmale von Kindern wie z.B. Kleidung, Brille, Hautfarbe, Religion, Herkunft, etc. haben nachweislich keinen Einfluss auf das Opferrisiko.

Auch der Standort der Schule (Stadt oder Land), die Größe der Klasse oder die Wohnumgebung haben einen signifikanten Einfluss. Wie schon weiter oben dargestellt, ist das Selbstbewusstsein der Kinder ein wichtiger protektiver Faktor.

Peter Schipek Im überwiegenden Teil der Mobbing-Fälle sprechen Kinder und Jugendliche weder mit Lehrern noch mit ihren Eltern über das Problem. Wie können denn Eltern erkennen, dass ihre Kinder gemobbt werden. Was sind Warnzeichen dafür?
Mustafa Jannan Es gibt eine Menge Hinweise, die aber oft erst sehr spät erkannt werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen öffnet sich das Kind den Eltern erst sehr spät (Ursachen dafür habe ich bereits beschrieben). Zum anderen nehmen Eltern die Veränderungen bei ihren Kindern anfangs nicht wahr, da sie sich sozusagen schleichend während des zunehmenden Mobbings zeigen.

Hier einige Beispiele für typische Merkmale gemobbter Kinder:

  • Das Kind kommt bedrückt nach Hause oder wirkt häufig launisch und aggressiv (z.B. gegenüber Geschwistern). Es wirkt unsicher, sein Selbstwertgefühl nimmt immer mehr ab (erkennbar z.B. beim Erledigen von Hausaufgaben, die ihm plötzlich »unlösbar« erscheinen).
  • Das Kind zieht sich immer mehr in sich zurück, trifft sich nicht mehr mit Freunden, hat kein Interesse mehr an seinen Hobbys.
  • Die schulischen Leistungen lassen erkennbar nach.
  • Das Kind zeigt immer häufiger körperliche Beschwerden wie z.B. Bauchweh oder Kopfschmerzen. Diese treten besonders häufig Sonntag Abends auf.
  • Das Kind will nicht mehr in die Schule gehen, vielleicht schwänzt es sogar die Schule.
  • Das Kind will nicht mehr mit dem Bus zur Schule fahren (weil es im Bus schikaniert wird, so genanntes Schulweg-Mobbing).
  • Kleidung oder Schulsachen des Kindes sind oft beschädigt.
Peter Schipek Viele Jugendliche fühlen sich oft von Lehrerinnen oder Lehrern seelisch mehr bedroht als von ihren Mitschülern. Was raten Sie Eltern in solchen Fällen?
Mustafa Jannan Diese Bedrohung durch Lehrer findet ausschließlich in den betreffenden Unterrichtsstunden statt, das Mobbing durch Mitschüler hingegen den ganzen Schultag über. Wie groß nun die qualitativen Unterschiede hinsichtlich des Leidensdrucks sind, vermag ich nicht zu sagen. Fast ausweglos wird die Situation für ein Kind, wenn der Lehrer – bewusst oder unbewusst – sich mit den Mobbern in der Klasse solidarisiert.

Grundsätzlich kann solch eine Situation nur über die Schulleitung geregelt werden. Wenn diese nicht reagiert, bleibt noch der Weg zur Schulaufsicht. Ich habe jedoch leider schon einige Fälle mit echtem Mobbing erlebt, wo selbst hier keinerlei Reaktion erfolgte, z.B. weil die entsprechenden Stellen die Eltern und ihr Kind mit ihrem Problem nicht ernst nehmen. In solch einem Fall bleibt nur noch ein Schulwechsel, so bitter das ist.

Wobei dieser natürlich eine Menge Risiken für das Kind mit sich bringt (z.B. neuer Schulweg, anderer Unterrichtsstoff, neue Klassenmitglieder, neue Lehrer, usw.). Den Eltern wird dann oft kaum eine andere Wahl bleiben, als ihr Kind zusätzlich therapeutisch beraten zu lassen, damit es mit dieser Situation gesund umgehen kann. Solch eine professionelle Hilfe entlastet mittelfristig auch die psychisch stark belasteten Eltern, was insgesamt zu einem entspannteren Familienleben führen kann.

Persönlich finde ich diesen Weg der Problemlösung unerhört, da er den Tätern das falsche Signal gibt. Schließlich haben sie für ihr Verhalten keine Konsequenz erfahren und zusätzlich sogar noch Erfolg gehabt. Eigentlich müssten die Täter die Schule verlassen. Denn dass das Opfer therapeutische Hilfe braucht, ist ja nicht Ursache für das Mobbing, sondern die Folge davon!

Peter Schipek Zu den Tätern: Wer sind die Täter? Welche Überlegungen müssen wir für die Täter anstellen?
Mustafa Jannan In der Forschung werden zur Zeit zwei Tätertypen unterschieden. Vereinfacht dargestellt ist der erste eher kühl kalkulierend und sich seiner Taten durchaus bewusst. Er agiert also in erster Linie, setzt das Mobbing gezielt ein, weil er sich einen Erfolg davon verspricht. Solange dieser Erfolg eintritt, also die Umgebung das Verhalten nicht konsequent sanktioniert, wird der Täter sein Verhalten nicht unterlassen.

Der zweite Tätertyp ist unruhig und eher ängstlich, wobei er viele Vorgänge in seiner Umgebung fast schon egozentrisch auf sich bezieht und entsprechend oft falsch deutet. Dieser Typ reagiert also vergleichbar einem „Angstbeißen“ unangemessen auf seine Umgebung. Es leuchtet ein, dass solche Kinder die Rollen relativ häufig wechseln. Sie können sowohl Täter als auch Opfer sein. Dies trifft z.B. zu 40 % auf Jungen als Täter zu.

Offensichtlich herrschen bei ihnen größere Unsicherheiten in der Sozialisation, was sich ja auch in anderen schulischen Bereichen zeigt. Während man dem aktiven Tätertyp konsequent und reglementierend begegnen sollte, ist beim reaktiven ein eher unterstützendes Eingreifen erforderlich.

Peter Schipek Ich habe eine Frage zum Kapitel Ihres Buches „Soziale Kompetenz fördern“. In vielen Schulen werden schon soziale Kompetenz-Trainings und Konfliktbewältigungstrainings durchgeführt.

Besteht dabei nicht die Gefahr, dass diese Trainings – so wichtig sie auch sind – eine Alibifunktion erfüllen und die Schulen keine weiteren Maßnahmen für notwendig halten? Sollten nicht Lehrer in jeder Unterrichtsstunde sozial akzeptables Verhalten vermitteln?

Mustafa Jannan Ich zitiere die hiesige Landesregierung: Das Kerngeschäft der Lehrer ist der Unterricht. Bitte bilden Sie sich selbst ein Urteil, ob unter einem solchen Dogma Zeit bleibt, um die bereits erwähnten tragfähigen Lehrer-Schüler-Beziehungen aufzubauen. Und diese sind nun einmal unabdingbar, um soziale Kompetenzen zu vermitteln.

Wer einseitig nur auf Leistung schielt, vergisst, dass Schüler in erster Linie Menschen sind und keine Maschinen. Grundsätzlich lernen Kinder wesentlich mehr durch Beobachtung als durch das gesprochene Wort. Ihnen also die alleinige Verantwortung für ihr Verhalten zuzuschieben, ist unsinnig.

Wir Erwachsenen sind die Vorbilder, d.h. dass unser alltägliches Verhalten einen wesentlich größeren Einfluss hat als ein Training. Das Training wirkt sicherlich unterstützend, kann aber nicht gegen die gesamtgesellschaftliche Problematik etwas ausrichten. Ich finde solche Aktionen sehr wichtig, wenn sie nicht als sozialer Lendenschurz dienen, sondern in eine gemeinsame Haltung der gesamten Schule eingebunden sind.

Sie können selbst abschätzen, was mehr Wirkung hat: Ein eintägiges Training oder ein jahrelanges Erfahren gegenseitigen Respektierens und gelebter Zivilcourage. Soziale Kompetenzen zu fördern, sollte an allen Schulen ein Basisprogramm sein.

Peter Schipek Lehrer sind ja nicht nur für die Ausbildung unserer Kinder verantwortlich. Sie tragen auch Erziehungsverantwortung. Wie können Lehrer für Mobbing stärker sensibilisiert werden? Wie können Lehrer auf die erzieherischen Aufgaben besser vorbereitet werden?
Mustafa Jannan Wenn ich mir anschaue, wie stark die Fortbildungsnachfragen im Bereich Mobbing in den vergangenen zwei Jahren zugenommen haben, dann wage ich zu behaupten, dass mittlerweile immer mehr Kollegen erkannt haben, dass Mobbing kein Kinderkram ist. In der Fortbildung der Studienseminare nimmt das Thema meistens leider noch zu wenig Raum ein.

So darf man sich also nicht wundern, wenn dem Großteil der KollegInnen sinnvolle Handlungskonzepte fehlen. Intensive Fortbildungen in diesem Bereich sind also unerlässlich. Ich sage absichtlich „intensiv“:

Um Kollegen in der Anti-Mobbing-Arbeit fit zu machen, reicht nicht eine dreistündige Fortbildung am Nachmittag aus, wie es manche Landesregierung vorschreibt. Dann ist die Konzentration nach sechsstündigem Unterrichten nämlich im Keller. Wenn Bildungspolitik das Thema wirklich ernst nimmt, dann muss sie auch für die Rahmenbedingung sorgen, Kollegen nachhaltig fortzubilden.

Grundsätzlich kann man also sagen, dass Lehrer konsequent und professionell reagieren sollten, um Kindern richtige Reaktionen im Umgang mit Gewalt zu vermitteln. Wenn sie die entsprechenden Kompetenzen nicht haben, müssen sie sie in Fortbildungen erwerben.

Peter Schipek Die Erziehung zu gewaltfreiem Umgang ist und bleibt eine der großen Herausforderungen. Allzu schnell sind viele Eltern bereit dieses Thema der Schule zu überlassen. Erziehungsverantwortung ist jedoch nicht nur ein Thema für Lehrer. Sie liegt ganz wesentlich bei den Eltern.

Was können wir tun, damit Eltern und Lehrer gleichermaßen sensibilisiert werden und ihre Verantwortung wahrnehmen?

Mustafa Jannan Ich will an dieser Stelle nur ein Beispiel nennen, um zu zeigen, wie vielschichtig dieses Problem ist und wie schwierig die Antwort. Christian Pfeiffer hat in einer 2007 veröffentlichten Studie nachgewiesen, dass es zwei ganz entscheidende Einflussfaktoren auf den Schulerfolg eines Kindes gibt.

Den größten negativen Einfluss bewirkt eindeutig der Konsum von Medien mit besonders gewalttätigem Inhalt. Auf der anderen Seite wirkt am stärksten fördernd in diesem Bereich eine aktive Medienerziehung durch die Eltern. Daran kann man bereits erkennen, wie groß der Einfluss des Elternhauses einerseits und der Medien andererseits ist.

Ich stelle die berechtigte Frage, wie groß in Relation dazu der Einfluss von Schulen sein kann. Was führt dazu, dass bestimmte Kinder im Bereich der Medienerziehung offensichtlich gut „versorgt“ sind, andere nicht? Das scheint mir ein gesellschaftliches Problem zu sein, für das ich nicht kompetent bin, eine Lösung zu finden. Problematisch ist für mich auch der Begriff der „Gewaltfreiheit“.

Wenn Kindern im Grundschulalter grundsätzlich körperliche Konflikte „auf Augenhöhe“ untersagt und solche Situationen regelrecht verdammt werden, dann stellt sich für mich die Frage, wie Kinder sonst lernen sollen, wo z.B. körperliche (Schmerz-)Grenzen sind, wo beim Gegenüber Schluss ist, wie groß ihre eigene körperliche Kraft ist.

Die ganze Diskussion im Bereich der Gewalt geht mir persönlich manchmal zu weit und stellt in gewisser Weise ein Hybris dar. Auf der einen Seite sollen Kinder gewaltfrei sein, auf der anderen Seite als Erwachsene die Ellbogen im globalisierten Handel ausfahren. Das passt nicht zusammen.

Gesunde Konflikte sollten zum kindlichen Alltag dazu gehören und das Auge der Erwachsenen wachsam sein – z.B. hinsichtlich des aktiven Tätertyps. Vielleicht hilft manchmal eine Rückbesinnung an die eigene Kinderzeit, um Konflikte (wohlgemerkt also kein Mobbing!) richtig einschätzen zu können.

© Peter Schipek – www.lernwelt.at

Peter Schipek