Schule der Zukunft: Ideen für eine moderne Bildungspolitik

Bei all dem guten Willen mag sich der kritische Betrachter fragen, inwiefern heute tatsächlich brauchbare Pläne für die „Schule von morgen“ geschmiedet werden. Denn eines ist selbst dem Laien klar – in unserer modernen Gesellschaft nimmt das Thema „Lernen“ einen primären Stellenwert ein, wenn wir die Aufgaben der Zukunft erfolgreich meistern wollen. Für mich war es Grund genug selbst einige Thesen zum Thema „Schule von morgen“ zu entwerfen.

Damit lade ich Sie herzlich ein, sich diese Thesen aufmerksam anzusehen und kritisch zu begutachten. Vielleicht kommt so ein konstruktiver Diskurs zustande, der das Bildungswesen von der Basis aus reformieren wird.

Thesen für eine Schule (Bildung) von Morgen …

schule von morgen moderne bildungspolitik 1. Die Schule des 21. Jahrhunderts ist keine Erziehungs- oder Bildungsanstalt mehr, sondern ein kundenfreundliches Dienstleistungsunternehmen für eine Region, eine Regionalschule.

2. Sie bietet den Menschen einer Region, im Zusammenwirken mit anderen Schulen der Region, entsprechend ihren räumlichen und personellen Ressourcen eine Vielfalt von Dienstleistungen an.

3. Sie umfasst den Bildungsweg des Menschen vom Kindergarten bis zum Schulabschluss und darüber hinaus. Wir leben in einer Zeit, in der lebenslanges Lernen zu einer gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Herausforderung geworden ist. Die Schule ist daher auch ein Zentrum in der Region, ein Haus der Begegnung, des Austausches von Wissen, Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten.

4. Die Schule des 21. Jahrhunderts soll daher eine Bildungsstätte für alle und ein von allen Beteiligten mitgestalteter Lebensraum sein. Sie soll auch ein Ort des produktiven Umgangs mit kultureller Vielfalt sein – zur individuellen Förderung aller und zur Teilhabe an der Gesellschaft.

5. Die Schule soll offen sein für eine Zusammenarbeit mit Vereinen und Organisationen (auch NGOs), Unternehmen, kulturellen Einrichtungen und Persönlichkeiten, die sich sozialen, ökologischen und ethischen Grundsätzen verpflichtet fühlen.

6. In ihrer Kernaufgabe ist sie aber festgelegten Altersgruppen gewidmet, die jeweils vier bis fünf Schulstufen beherbergt. Das Lernen erfolgt in Klassenverbänden, in Stammklassen. Allerdings gibt es auch zahlreiche Gelegenheiten zum klassen- und jahrgangsübergreifenden Lernen. Dabei wird fallweise den Schülern höherer Klassen Gelegenheit gegeben, sich als Tutoren für Schüler niederer Klassen zur Verfügung zu stellen und somit auch das eigene Wissen zu festigen.

7. Im Unterricht soll fächerübergreifendes, problem- und lösungsorientiertes Lernen und Arbeiten im Mittelpunkt stehen.

8. Unterrichtsziele sind Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, handlungsorientierte und kooperative Lernformen. Erfahrungs- und erlebnisorientiertes Lernen können die Lebenswelt und die Situation von Schülern aufgreifen und zum Ausgangspunkt des Lernens für eine nachhaltige Entwicklung machen. Dazu werden auch außerschulische Lernorte einbezogen.

9. Die Schule sucht und pflegt den Kontakt mit Bildungsstätten auch im Ausland.

10. Die Unterrichtsinhalte sollen sich oft im Spannungsfeld lokaler Betroffenheit und Wahrnehmungsfähigkeit bewegen. Fragen, die die Menschen vor Ort und in der Region bewegen, sollen in einer klaren, altersgemäßen und übersichtlichen Weise besprochen werden.

11. Die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist Teil einer gelebten Schulkultur.

12. Die Schule des 21. Jahrhunderts steht im Zentrum unserer Gesellschaft, der Menschen in der Region. Nur entsprechende Ausbildung ermöglicht es den Menschen, am beruflichen und kulturellen Leben Anteil zu nehmen und sich zu entfalten.

13. Die Schule des 21. Jahrhunderts unterscheidet sich von der Pädagogik des Industrie-Zeitalters, in dem alle Menschen nur arbeiten und funktionieren mussten, aber keine Gefühle haben durften, durch eine wertschätzende Pädagogik. Jedem Lernenden werden Zuversicht und Vertrauen entgegengebracht.

14. Unsere Gesellschaft ist in dieser Zeit in zwei Gruppen geteilt: in diejenigen, die Arbeit haben, und in diejenigen, die Arbeit suchen. Die Gruppe derer, die Arbeit haben, ist wiederum geteilt in diejenigen, die darin Sinn und Erfüllung finden, und in diejenigen, die ihre Lohnarbeit verrichten, aber mit der Art ihrer Beschäftigung oder mit der Entlohnung der Arbeit kaum zufrieden sind. Das System der bisherigen Arbeitsvermittlung geht davon aus, dass Menschen sich den Anforderungen der offenen Stellen anpassen müssen. Keine Gruppe oder keine Generation (wie zum Beispiel „50-plus“) darf aus dem Arbeitsprozess ausgegrenzt werden, solange die Menschen am Arbeitsleben teilnehmen wollen. Trotzdem und gerade deswegen ist es richtig und fair, Altersteilzeit-Modelle zu verwirklichen.

15. Ein Manifest zur Situation der Menschen und der Arbeit muss davon ausgehen, dass jeder Mensch einen, seinen Fähigkeiten entsprechenden, wertvollen Beitrag zum Gelingen unseres Zusammenlebens leisten will und dafür Anspruch auf die Erfüllung seiner wesentlichsten Bedürfnisse hat.

16. Jeder Mensch hat eine Vorstellung davon, was er leisten kann und leisten will.

17. Die Schule des 21. Jahrhunderts hat die Aufgabe daran mitzuwirken, damit diese Vorstellung in Erfüllung gehen kann oder beratend auf einen Weg zu lenken, der dieser Vorstellung recht nahe kommt.

18. Eine Ausbildung, die mit dem Ziel begonnen wird, dass sich daraus eine berufliche Tätigkeit ergeben soll, soll in der Regel auch zum erstrebten Ziel führen.

19. Die Betriebe und Unternehmen, die Mitarbeiter suchen, sollen die Anforderungen an den Beruf genau beschreiben und möglichen Einsteigern in einem frühen Stadium der Ausbildung bereits die Möglichkeit geben, die Praxis in diesem Tätigkeitsbereich umfassend kennenzulernen.

20. Jeder Mensch ist einzigartig. Jeder von uns ist in einer bestimmten Weise vorzüglich. Wir alle sind hochbegabt! – Und irgendwo ist jeder Mensch auch irgendwie behindert und hat Bereiche, wofür er überhaupt kein Talent hat. Es ist unfair und unsinnig, von allen Menschen zu verlangen oder zu erwarten, sich für alle Lebensbereiche und Wissensgebiete in gleicher Weise zu interessieren. Nicht jeder Schauspieler ist für jede Rolle geeignet.

21. Wir bringen dort unsere besten Leistungen, wo wir mit Freude bei der Sache sind und in einer harmonischen Umgebung arbeiten können.

22. In einer guten Schule geht es um ein sich wechselseitiges Aufbauen durch viele Anregungen und Überlegungen, aber nur im geringen Umfang um ein schlichtes Unterrichten und um monologartige Anweisungen.

23. Ein möglichst hoher Grad an Allgemeinbildung ist erstrebenswert. Jeder sollte im Überblick wissen, womit sich andere Menschen beschäftigen und in der Vergangenheit beschäftigt haben, wie unsere Welt so geworden ist, wie wir sie heute vorfinden.

24. Die Schule des 21. Jahrhunderts orientiert sich nicht an der Vergangenheit, sondern bezieht sich auf die Gegenwart und blickt in die Zukunft.

25. Sie lenkt ihre Aufmerksamkeit dorthin, wo wir unseren Lebenssinn erkennen und finden. Sie macht uns Mut, unser Dasein nach unseren Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten und uns zum Besten der Gesamtheit zu verwirklichen.

Dies war eine (noch) nicht gehaltene Rede (oder Redeskizze) von Günter Wittek zur (noch immer) ausstehenden Bildungsreform (nicht nur in Österreich!).

Viel Spaß beim kritischen Reflektieren!

Günter Wittek