Lernverhalten: Wie lernen Kinder?

Zur Frage „Wie Kinder lernen“ gibt es zahlreiche Theorien und Untersuchungen und damit ist dieses Thema auch heute noch in der Forschung aktuell. Man untersucht verschiedenen Lernformen, die richtige Aufbereitung bis hin zum empfohlenen Lernmaterial. Daher wollen wir im folgenden Anregungen geben, wie man „Lernen mit Freude“ zusammen mit seinen Kindern fördern kann.

Lernen in der Kindheit

Zum Stand der Forschung sei angemerkt, dass diese sich immer noch in den „Kinderschuhen“ befindet und viele Fragen noch nicht abschließend geklärt sind. Trotz vieler unterschiedlichen Auslegungen der Ergebnisse, ist man sich einig, dass Begeisterung ein wesentlicher Faktor ist, der die Lernbereitschaft und Lernintensität positiv beeinflusst. Die Frage „Wie man Kinder für Themen begeistern kann“ – was hier förderlich und hinderlich wirkt – ist nur in Grundzügen geklärt.

Begeisterung kann nur entstehen, wenn das Kind im Alltag keinen permanenten Sorgen, Problemen oder existentiellen Ängsten ausgesetzt ist. Wenn negative Emotionen dominieren, können positive Emotionen – wie Begeisterung – kaum oder gar nicht entstehen. Insofern sind positive Emotionen, die mit der Berücksichtigung der individuellen Interessen des Kindes verbunden sind, eine gute Basis, um Lernen mit Freunde zu verbinden.

Lernverhalten wie Kinder lernen

Zudem liefert auch die Gehirnforschung einige vielversprechende Ansätze – beispielsweise die Idee, dass das Gehirn Informationen in Netzwerken strukturiert bzw. diese auch nur so verarbeiten kann. Jedes Kind bringt also ein individuelles „Netzwerk“ an Erfahrungen und verknüpften Informationen mit, in die es neue Erfahrungen integrieren kann. Dazu muss das Kind neue Informationen mit seinen bisherigen Erfahrungen verbinden können, sprich deren Sinn und Zweck (im Kontext seiner Erfahrungswelt) verstehen.

Insofern könnte man „Lernen“ mit dem „Bau eines Hauses“ vergleichen. Nur wenn ein Stockwerk bereits vorhanden ist, kann ein weiteres aufgesetzt werden. Fehlt diese Basis, fällt der Informationsaufbau wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Unter dieser Perspektive wird Lernen zu einer sehr individuellen Angelegenheit, die bei jedem Kind entsprechend seiner Erfahrungswelt angepasst werden muss. In der Praxis besteht die Herausforderung darin, dass man ein Kind sehr genau kennen muss, um selbst sinnvolle Anknüpfungspunkte bereitstellen zu können.

Wie man solche Herausforderungen meistert, ist noch nicht abschließend geklärt. Sicher ist aber, dass wir in puncto Erziehung und Bildung umdenken müssen, wenn wir künftig bessere Lernumgebungen für Kinder schaffen wollen. Das alte preußische Paradigma – Schulen als Lernkasernen zu verstehen, in denen mit Druck, Disziplin und Gehorsam gearbeitet wird – sollte dringend reformiert werden.

Bis wir zu einer besseren Lösung kommen, können wir jedoch mit vielversprechenden Ansätzen experimentieren. Daher will ich im Folgenden einige Ideen und Perspektiven vorschlagen, die sich bei der Förderung des Lernens positiv auswirken können.

Wie lernen Kinder?

1. Kinder lernen spielerisch

Am meisten lernen Kinder spielerisch, in ungeplanten Situationen – im sogenannten Freispiel. Das haben psychologische und pädagogische Untersuchungen herausgefunden. Kinder lernen – so scheint es – unsystematisch.

Ein Beispiel mag das verdeutlichen: 3 Kinder zwischen 4 und 6 Jahren spielen mit einem Fußball. Die Rollen wechseln schnell, ebenso die Regeln dieses Spiels. Am Anfang darf der Ball nur mit den Füßen berührt werden. Dann jedoch gibt es Regeländerungen. Der Ball darf eine kurze Zeit mit den Händen gespielt werden, um dann auf Kommando wieder nur mit dem rechten Fuß den Fußball berühren zu dürfen, dann mit dem linken, wieder mit den Händen.

Die Kinder kommunizieren laufend miteinander. Jeder darf Kommandos geben, denen auch Folge geleistet wird. Auch das Tor ändert seine Richtung. Mal ist es zwischen den beiden Bäumen, dann wieder in der entgegengesetzten Richtung.

spielerisches Lernen bei Kindern

Dieses Beispiel zeigt schön, wie Kinder das Lernen selbst organisieren. Was zuerst chaotisch aussieht, hat in ihrer Welt System. Kinder erfinden Regeln, wechseln sie, tauschen ihre Rollen als Kommandogeber und Ausführender. In diesem Spiel geht es aber nicht nur darum, Regeln zu erfinden, sondern vor allem sich an diese auch verbindlich zu halten.

Die Situation ist komplex, komplexer als es auf den ersten Blick scheinen mag, denn die Kinder haben nicht nur ihren Körper zu koordinieren, sondern auch den Kommandos zu folgen bzw. selbst Regeländerungen vorzuschlagen. Sie denken sich ein Spiel selbst aus, um sich spielerisch in einer Welt, die aus Regeln besteht, zurechtzufinden.

Wer spielenden Kindern zusieht, wird beobachten, dass sie es mit großem Ernst und Verbindlichkeit tun. Kinder unterscheiden nicht von sich aus, ob sie spielen oder arbeiten. Sie machen noch keinen nennenswerten Unterschied zwischen diesen beiden Tätigkeiten.

Wer das Spiel abwertet, was schon mit einer kleinen Bemerkung geschehen kann, wie „Geh du mal lieber spielen, anstatt mich hier zu nerven…“, handelt unangemessen. Denn das Spiel ist die Methode der Kinder, sich in der Welt zurechtfinden zu lernen und sie zu erobern. Zudem fördert jede Erfahrung mit der Welt, dass diese gewissen Regeln (Naturgesetzen) unterliegt. Diese zu erleben kann die Basis dafür bilden, sie später mit abstrakteren Kontexten (wie Physik, Chemie, Biologie, Mathematik usw.) verknüpfen zu können.

2. Kinder lernen aktiv durch „Begreifen“

Das soll wörtlich verstanden werden. Kinder brauchen sinnliche Erfahrungen, um zu lernen. Sie müssen die Dinge in die Hand nehmen, anfassen, greifen und so viele Sinne wie möglich einsetzen. Je mehr sie ihren Körper aktiv einsetzen, desto besser ihr Lernerfolg. Deshalb ist es auch so wichtig, dass sich Kinder bewegen, denn sie lernen nicht nur mit dem Kopf, sondern ganzheitlich, d.h. Körper und Geist sind am Lernprozess beteiligt.

Formeln, Abstraktionen oder Theorien bauen immer auf konkreten Erfahrungen auf und nicht umgekehrt. Dieser sinnliche Kontakt bildet die Basis, die man später mit reflexiven und abstrakteren Betrachtungen sinnvoll verknüpfen kann.

Insofern wird heutzutage empfohlen, dass sich Kinder täglich mindestens 1 – 1 1/2 Stunden aktiv bewegen. Es gibt immer mehr Kinder, die sich zu wenig bewegen, was sich nachteilig auf ihre Erfahrungen (und ihr Gewicht) auswirkt.

3. Kinder lernen entdeckend

Kinder leben in einer Welt, die für sie voller Wunder ist, ihr Interesse weckt, sie neugierig macht. Sie gehen, wie jeder Mensch, von etwas aus, was ihnen bekannt ist. Damit hantieren und experimentieren sie. Doch dann geschieht etwas, das sie verwundert, was vielleicht nicht in das vertraute Muster passt, was anders ist.

Dies erweckt ihr Interesse, ihre Neugier, ihr Staunen – es entstehen Fragen. Hier gibt es etwas zu entdecken, herauszufinden und zu lernen. Sie bilden Hypothesen, experimentieren, versuchen sich die Welt zu erklären. Sobald sie eine Antwort gefunden haben, wird diese auf viele anderen Situationen übertragen, ausprobiert, gespielt.

4. Kinder lernen durch Kommunikation

Lernen ist ein sozialer Akt. Der Austausch mit anderen Menschen ist Bedingung für Lernerfolge – nicht nur bei Kindern. Doch bei Kindern lässt sich das besonders gut beobachten. Sie brauchen Menschen, denen sie ihre Erfahrungen und Erfolge mitteilen können. Spielkameraden und Freunde sind wichtig, weil das Kind auf „Augenhöhe“ mit ihnen kommunizieren kann. Aber auch Erwachsene sind willkommen, sofern sie sich als Mitspieler und nicht als Spielverderber integrieren können.

Sie brauchen ein soziales Umfeld, indem Fragen gestellt und Antworten gegeben werden. Nicht alles können sich Kinder direkt über ihre Umwelt erschließen, weshalb die Kommunikation über die Welt und damit verbundene Erfahrungen so wichtig ist.

Es gibt viele Bereiche, die eine Vermittlung über Kommunikation erfordern. Insofern kann man jede Frage eines Kindes als ein Angebot sehen, mit dem es sein „Wissensnetz“ erweitern will.

5. Kinder lernen ohne Vorurteile

Kinder gehen sehr offen auf Menschen zu, unabhängig von Hautfarbe oder sonstigen Besonderheiten. Besonders gut lässt sich das im Umgang mit Behinderten beobachten.

Wo Erwachsene oft wegsehen, sehen Kinder hin, denn das Ungewöhnliche weckt ihre Aufmerksamkeit.

Kinder bilden sich keine vorgefassten Meinungen. Viele Eltern dürfte die Erfahrung gemacht haben, dass sich ihr Kind für Dinge interessiert, vor denen sich ein Elternteil gruselt, z.B. eine Spinne in die Hand zu nehmen oder Mistkäfer mit nach Hause zu bringen, wegen der „schön-schillernden Farben“.

Kinder bieten damit ungewollt ihren Eltern die Chance sich zu beobachten und herauszufinden, wo Vorurteile bestehen. Die Gelegenheit sich als Eltern darüber bewusst zu werden, mag dazu dienen, eigene Vorurteile kritisch zu hinterfragen oder sogar abzubauen.

6. Kinder lernen nach individuellem Interesse

Das hängt in diesem Kontext vor allem mit ihrem momentanen Interesse zusammen, das sehr schnell – zumindest aus den Augen der Erwachsenen – wechseln kann.

Kinder lernen spielerisch

Welche Interessen vorhanden sind, kann man schon bei der Wahl bevorzugter Spielsachen erkennen bzw. diese und die Art des Spielens können Hinweise geben, um welches Interesse es sich konkret handelt.

Aber auch der „normale“ Umgang mit der Welt liefert immer wieder Beispiele: Eltern gehen mit ihrem 5-jährigen Sohn zum Zoo. Sie wollen dem Kleinen die vielen verschiedenen Tiere zeigen. Schon kurz hinter dem Eingang des Zoos weckt ein Tor, das wie von unsichtbarer Hand gesteuert wird, das Interesse des Kindes. Es will wissen, wer dieses große und schwere Tor bewegt. Nach einer 1/2 h Beobachtung und vielen Fragen ist das Kind zufrieden und setzt mit den Eltern zusammen seinen Weg fort.

Viele Eltern dürften mit ähnlichen Situationen genügend Erfahrungen gesammelt haben. Sie bereiten einen Ausflug vor oder sprechen ein Thema an, doch die Aufmerksamkeit und Fragen des Kindes gehen in eine etwas andere Richtung. Doch sie sind nicht unkonzentriert, sondern eben von seinem individuellen Interesse geleitet. Ihr Interesse lässt sich nur nicht genau vorhersagen.

7. Kinder lernen ohne Konkurrenz

Kinder lernen an ihren Vorbildern, also Menschen, die sie bewundern. Doch Konkurrenz im Sinne – „ich lerne, um besser als andere zu sein“ – oder – „ich muss immer Erster sein“ – ist ihnen fremd.

Sie lernen, um sich zu perfektionieren, um etwas selbst – von sich aus – besser zu machen. Kinder beobachten das Verhalten anderer Menschen, nicht aber ihre Defizite. Sicherlich lässt sich beobachten, dass Kinder andere Kinder als „dumm“ bezeichnen. Doch das geschieht nicht im Kontext eines Qualitätsurteils, sondern meist im Kontext einer Streitsituation (z.B. wird „dumm“ als allgemeines Schimpfwort gebraucht).

8. Kinder lernen aus Spaß

Kinder haben noch kein Konzept über Leistung oder Leistungserfolge. Selbst viele Kinder, die schon in der Grundschule sind, v.a. in der ersten Klasse, haben kaum einen Bezug zu Noten.

Kinder lernen mit Begeisterung

Sie lernen, weil es ihnen Spaß macht, weil sie Lust haben etwas herauszufinden und sich eigen zu machen. Sie werden Situationen, in denen sie Unlust und Widerwillen verspüren, vermeiden.

Auch wenn Kinder eine gute Beziehung zur Bezugsperson haben, sind sie bereit viel aufzunehmen und sich intensiv zu engagieren.

Kinder haben noch keine Lernziele im Sinne der Erwachsenen. Sie haben ihre eigenen erfüllbaren Zwecke, die sich von denen der Erwachsenen unterscheiden.

9. Kinder lernen mit der richtigen Lernmethode

Erst in der Schule lernen sie anders zu lernen. Der Wissensdurst von Kindern kommt von der Notwendigkeit, sich in der eigenen Umwelt zurechtfinden zu wollen. Erst später werden sie Spezialgebiete wählen, denen sie sich intensiv und geplant widmen.

Belehrbar sind Kinder nicht, doch sie können Spaß am Lernen entwickeln und den Willen, eigene / neue Erfahrungen zu machen. Wenn wir Kinder darin unterstützen, ihren eigenen Lernweg zu gehen, können wir beobachten, welche persönlichen Strategien sie einsetzen. Wir können beobachten, wie sie mit Fehlern umgehen, welche Antworten sie finden und wo sie uns brauchen. Eltern haben hier eine einzigartige Chance sich selbst über die vielen wunderbaren Dinge in der Welt wieder bewusst zu werden, andere Perspektiven einzunehmen und wieder mehr zu spielen.

Betrachten Sie diese Perspektiven einfach als Anregung, wie Sie zusammen mit ihren Kindern ein Lernumfeld gestalten können, welches beiden Seiten Freude macht.

Viel Spaß beim gemeinsamen Lernen mit Ihren Kindern!

Andrea Munich und Cassandra B.