Einführung: Immanuel Kants Philosophie im Überblick

Immanuel Kant gehört zu den bedeutendsten Vertretern der abendländischen Philosophie. Werke wie „Kritik der reinen Vernunft“ zählen zu den Wendepunkten der Philosophiegeschichte und bezeichnen den Beginn der modernen Philosophie. In diesem Artikel können Sie sich einen Überblick über die Philosophie von Kant verschaffen.

Einführung

Für Karl R. Popper war Immanuel Kant (1724-1804) „der größte aller Philosophen“ (Alles Leben ist Problemlösen, S. 326). Dabei hatte er wahrhaftig genug Gründe, ihn wie Platon (wegen dessen Totalitarismus in der Politeia), Hegel (wegen dessen Wirklichkeitsverfälschung mit Hilfe dialektischer Trickserei) oder Marx (wegen dessen Geschichtsphilosophie) zu verdammen: Kant war nicht frei von Rassismus (vgl. IX 159f), trug Ideen sogar in die Naturgeschichte hinein (IX 167f) und hätte das Verstecken der Anne Frank vor den Nationalsozialisten wegen der erforderlichen Lügen abgelehnt (VIII 639).

Immanuel Kant Philosophie

Karl Jaspers widmete Kant in seiner Philosophiegeschichte das längste Kapitel (S. 397-616). Carl Friedrich von Weizsäcker, ursprünglich Physiker, studierte zwölf Jahre lang „zuerst Kant und dann Platon“, um „die moderne Naturwissenschaft philosophisch zu interpretieren und klassische Philosophie zu lehren“ (S. 3). Alfred North Whitehead rechnete Kant zusammen mit der „philosophischen Tradition Europas“ zu „einer Reihe von Fußnoten zu Platon“ (S. 91).

Kant selbst stand Platon kritisch gegenüber: Dieser habe „die Sinnenwelt […] auf den Flügeln der Ideen“ verlassen und sich „in den leeren Raum des reinen Verstandes“ gewagt. „Er bemerkte nicht, daß er durch seine Bemühungen keinen Weg gewönne, denn er hatte keinen Widerhalt, gleichsam zur Unterlage, worauf er sich steifen, und woran er seine Kräfte anwenden konnte, um den Verstand von der Stelle zu bringen“ (III 51). Ein solches Fundament („Widerhalt“, „Unterlage“) zu legen, setzte sich Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ zum Ziel, aus der die zitierte Stelle entnommen ist.

Im folgenden gebe ich einen kurzen Überblick über die in der Werkausgabe enthaltenen Schriften, die Wilhelm Weischedel herausgegeben hat (die Titel habe ich zum Teil gekürzt).

Die Einteilung habe ich etwas geändert. Die Überschriften „Vorkritische Schriften bis 1768“ (1.), „Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik“ (2.), „Schriften zur Metaphysik und Logik“ (3.) sowie „Schriften zur Naturphilosophie“ (4.) sind von Weischedel, die Überschrift „Schriften zur Ethik“ (5.) ist von mir. Die „Kritik der Urteilskraft“ (6.) und Kants einzige Schrift über Religion (7.) haben eigene Kapitel bekommen. Innerhalb der Kapitel sind die Schriften chronologisch angeordnet. Die Rechtschreibung und Zeichensetzung der Briefe habe ich behutsam modernisiert.

Kants Werke sind insgesamt sehr schwer zu lesen. Das liegt zum einen an seiner Neigung zu langen Satzkonstruktionen und an seinem Vokabular (man muß erst allmählich lernen, was er mit welchem Wort meint), zum andern an der Trockenheit des Inhalts (das gilt v. a. für Logik, Erkenntnistheorie und Metaphysik). Doch es gibt auch Vergnügliches und Erhebendes (neben Peinlichem bis Abstoßendem!).

Arseni Gulyga (1990) empfiehlt, die Kant-Lektüre mit der Anthropologie (XII 395-690) zu beginnen und mit der „Kritik der reinen Vernunft“ (III/IV) zu schließen: In der Anthropologie „wird gleichsam die Summe aller seiner Betrachtungen über den Menschen und die Philosophie überhaupt gezogen. Der Weg ist vollendet. […] Der Leser muß den Weg, den Kants Denken genommen hat, in umgekehrter Richtung machen“ (S. 132).

Die Lektüre der drei Kritiken in umgekehrter Reihenfolge ist von daher sinnvoll, als Kant in der „Kritik der Urteilskraft“ (Ästhetik) einen Überblick über sein System gibt. Die „Kritik der praktischen Vernunft“ (Ethik) ist ohne die Kenntnis der „Kritik der reinen Vernunft“ (Erkenntnistheorie) ohne weiteres verständlich, nicht aber ohne vorhergehende Lektüre der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“.

Vorkritische Schriften bis 1768

In der Vorrede zu den Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte (1746) verspricht Kant: „Ich werde in dem Verfolg dieser Abhandlung kein Bedenken tragen, den Satz eines noch so berühmten Mannes freimütig zu verwerfen, wenn er sich meinem Verstande als falsch darstellet. Diese Freiheit wird mir sehr verhaßte Folgen zuziehen“ (I 17). Eine Zusammenfassung gibt er nicht, denn er meint, das Buch sei kurz genug, um ganz gelesen zu werden (I 25). Kant strotzt vor Selbstbewußtsein: „Ich habe mir die Bahn schon vorgezeichnet, die ich halten will. Ich werde meinen Lauf antreten und nichts soll mich hindern, ihn fortzusetzen“ (I 19).

Kant unternimmt hier den „Versuch, im Streit um die Berechnung der Kraft (K) zwischen Carthesianern (K = m · v) und Leibnizianern (K = m · v2) zu vermitteln. Die schon 1743 von d’Alembert veröffentlichte richtige Lösung (K = ½ m · v2) bleibt unbeachtet“ (Höffe 1981, S. 9).

Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755). „Kant gibt hier eine Theorie von der Entstehung des Weltgebäudes und der Planetenbewegung“ auf der Basis von Anziehungs- und Abstoßungskräften, die er im Gegensatz zu Newton, der letztere auf Gott zurückführte, alle beide mechanisch erklärt (Störig 267).

Kants „Meteoritenhypothese, nach der sich Sonne und Planeten aus einer Wolke kleiner, frei beweglicher fester Teilchen (Meteoriten) gebildet haben, die sich bei Zusammenstößen allmählich mehr und mehr verdichteten“, darf nicht mit der Nebularhypothese von Pierre Simon Marquis de Laplace (1749-1827) in einen Topf geworfen werden, „nach der sich aus einer langsam rotierenden, ausgedehnten Gasmasse, der Ursonne, während ihrer Kontraktion zunächst nacheinander mehrere Gasringe abgeschnürt haben, aus denen sich dann durch Verdichtung die einzelnen Planeten gebildet haben. Beide Kosmogonien, oft fälschlich als Kant-Laplacesche Theorie zusammengefaßt, können aber nicht die Drehimpulsverteilung im Sonnensystem erklären“ (MEL 14/262).

Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis (1755). Diesmal gibt Kant selbst eine Zusammenfassung unter der Überschrift „PLAN DES VORHABENS“: Er will zunächst den Satz des Widerspruchs und den Satz des zureichenden Grundes prüfen, bevor er „zwei neue Grundsätze“ aufstellt, die für die Metaphysik wichtig seien (I 407). Er nennt sie „Satz der Aufeinanderfolge“ (I 489) und „Satz des Zugleichseins“ (I 497).

In Der Gebrauch der Metaphysik […] in der Naturphilosophie (1756) will Kant folgende Frage beantworten: Wie kann man „die Metaphysik mit der Geometrie zusammenbringen […] ?“ (II 519)

Neuer Lehrbegriff der Bewegung und Ruhe (1758). Kant leistet hier einen Beitrag zu Einsteins Spezieller Relativitätstheorie, die Ernst Mach (1838-1916) zufolge eine jahrhundertelange Vorgeschichte hat (vgl. Wickert 34): „Ich soll niemals sagen: eine Körper ruhet, ohne dazu zu setzen, in Ansehung welcher Dinge er ruhe, und niemals sprechen, er bewege sich, ohne zugleich die Gegenstände zu nennen, in Ansehung deren er seine Beziehung ändert“ (II 571).

Im Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus (1759) begründet Kant seine Überzeugung, daß Gott die Welt so gut wie möglich geschaffen hat.

Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren (1762). „Kant bestreitet, daß die Logik unsere Erkenntnis wirklich erweitern könne“ (Höffe 1981, S. 10).

In Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763) anerkennt Kant seine eigene Version des ontologischen Gottesbeweises (er betrachtet „die innere Möglichkeit aller Dinge als etwas […], was irgend ein Dasein voraussetzt“) sowie den kosmologischen Gottesbeweis, der darin besteht, „Gott aus seinen Werken zu erkennen“ (II 734).

Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral (1764). Kant stellt „zwei Regeln des Guten“ auf: 1. „Tue das Vollkommenste, was durch dich möglich ist“. 2. „Unterlasse das, wodurch die durch dich größtmögliche Vollkommenheit verhindert wird“ (II 771).

Im Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen (1763) stellt Kant zwei Sätze auf: 1. „In allen natürlichen Veränderungen der Welt wird die Summe des Positiven […] weder vermehrt noch vermindert“ (II 808). 2. „Alle Realgründe des Universum […] geben ein Fazit, das dem Zero gleich ist“ (II 811).

Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764). Zusammengefaßt: „Das Erhabene rührt, das Schöne reizt“ (II 827).

Den Versuch über die Krankheiten des Kopfes (1764) schrieb Kant, nachdem er längere Zeit den sog. Ziegenpropheten beobachtet hatte, einen missionierenden, viehhütenden religiösen Schwärmer, der schon zwanzig Visionen von Jesus gehabt haben wollte (Schweizer 30).

In der Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre, von 1765-1766 kündigt Kant an, daß er über Metaphysik, Logik, Ethik und Physische Geographie lesen werde. Damit will er der Erwartung an einen Lehrer gerecht werden, „daß er an seinem Zuhörer erstlich den verständigen, denn den vernünftigen Mann, und endlich den Gelehrten bilde“ (II 907).

Über die Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766) schrieb Kant am 7. Februar 1766 an Moses Mendelssohn, es sei „eine gleichsam abgedrungene Schrift, und enthält mehr einen flüchtigen Entwurf von der Art, wie man über dergleichen Fragen urteilen solle, als die Ausführung selber“ (I 54f).

Mendelssohns Antwort ist nicht erhalten. Jedenfalls war er irritiert, und so meinte Kant in seinem Brief vom 8. April 1766: „Die Befremdung, die Sie über den Ton der kleinen Schrift äußern, ist mir ein Beweis der guten Meinung, die Sie sich von meinem Charakter der Aufrichtigkeit gemacht haben, und selbst der Unwille, denselben hierin nur zweideutig ausgedrückt zu sehen, ist mir schätzbar und angenehm“ (I 55).

Kant fuhr fort, er habe das Werk nicht gerne geschrieben, doch da er nun einmal über Emanuel Swedenborgs Visionen Erkundigungen eingezogen habe, wodurch er ins Gerede gekommen sei, hätte er sich auch öffentlich dazu äußern müssen. Um von den Lesern nicht verspottet zu werden, habe er sich über sich selbst lustig gemacht. Tatsächlich sei seine Haltung zu diesen Dingen in sich widersprüchlich. Einerseits fände er diese Dinge interessant, und es sei auch etwas dran. Andererseits werde sein Interesse durch „Ungereimtheiten“, der Wahrheitsgehalt der Visionen durch „Hirngespinste“ und eine unverständliche Terminologie zunichte gemacht.

Die Metaphysik liege insgesamt im Argen. Um hier „Wahn“ und „Irrtümer“ zu beseitigen, sei es notwendig, ihren Inhalten „das dogmatische Kleid abzuziehen und die vorgegebenen Einsichten skeptisch zu behandeln, wovon der Nutze freilich nur negativ ist […], aber zum Positiven vorbereitet“ (I 56f). Hinsichtlich der Seele gebe es keine Erfahrungen, und „so frägt man, ob es an sich möglich sei, durch Vernunfturteile a priori diese Kräfte geistiger Substanzen auszumachen“ (I 58).

Kants Antwort auf diese Frage in der „Kritik der reinen Vernunft“: nein, das geht nicht. Ohne Erfahrung (= Anschauung + Denken) keine Erkenntnis. Die Metaphysik könne nur der Bestimmung der Erkenntnisgrenzen dienen.

Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume (1768). Kant sucht „hier philosophisch den ersten Grund der Möglichkeit desjenigen, wovon er [Leibniz] die Größen mathematisch zu bestimmen vorhabens war“ (II 993).

Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik

Rezension Zu Peter Moscati: Von dem körperlichen wesentlichen Unterschiede zwischen der Struktur der Tiere und Menschen (1771). Kant mokiert sich: Was ein Rousseau nicht geschafft habe, das sei dem italienischen Anatomen Moscati gelungen – den Menschen zu einem Tier zu machen, das wegen seines unnatürlichen aufrechten Ganges zu allerlei Krankheiten neige und natürliche Fähigkeiten wie etwa das Schwimmen verloren habe, so daß sie eigens gelernt werden müßten. Ein wahrlich hoher Preis für den „Keim von Vernunft“, der dem Menschen eigen ist (XII 769)!

Von den verschiedenen Rassen der Menschen (1775). Kant wollte mit dieser Vorlesung mehr unterhalten und spielen als ernsthaft forschen. Er unterscheidet vier Rassen: Weiße, Schwarze, Hunnen und Hindis. Aus ihnen glaubt er „alle übrige erbliche Völkercharaktere ableiten zu können“ (XI 15).

Rezension Zu Johann Heinrich Schulz: Versuch einer Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen, ohne Unterschied der Religionen (1783). Kant gibt zuerst Schulzens Gedankengänge wieder, bevor er sie verurteilt. Nach Schulz lebt alles. Eine Seele gibt es nicht: „der erhabenste Seraph und der Baum sind beide künstliche Maschinen“ (XII 773). Dementsprechend gibt es nach Schulz nur Erkenntnisstufen, keinen absoluten Irrtum. Dasselbe gilt in der Moral: Zwischen Tugenden und Lastern gibt es nur einen graduellen Unterschied, keinen prinzipiellen. Jede Untat wird aus Stimmungen gerechtfertigt. Einen freien Willen gibt es nicht.

Kant kritisiert v. a. den Fatalismus von Schulz, der Menschen zu Marionetten mache. Er betrachtet ihn als „Schwärmerei […], die allen Einfluß der gesunden Vernunft aufhebt“ (XII 777). Ohne die „Freiheit des Willens im Handeln“ gebe es „keine Sitten“ (XII 778). Auch Schulz sei eigentlich dieser Meinung, da er die Freiheit des Denkens und Urteilens (unausgesprochen!) voraussetze.

Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784). Kant interpretiert die Geschichte als zielgerichteten Prozeß zu einer rechtsstaatlichen Gesellschaft hin.

Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784). Aufklärung ist nach Kant selbständiges Denken, das sich von Autoritäten emanzipiert.

Rezension Zu Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1785). Über den Inhalt von Herders vierteiligem, unvollendeten Hauptwerk (1784/85/87/91) kann man durch die Lektüre der Kapitelüberschriften leicht einen Überblick gewinnen. Es ist „um zwei Hauptgedanken zentriert: den der ‚Organisation‘ und den der ‚Humanität'“ (Walter Flemmer/Redaktion KLL, in: KNLL 7/718). Die Französische Revolution und die Auseinandersetzung mit Kant sind die Ursachen dafür, daß Herder das Werk nicht fertigstellte.

Kant paraphrasiert und macht Anmerkungen. Den ersten Teil faßt er folgendermaßen zusammen: „Es soll […] die geistige Natur der menschlichen Seele, ihre Beharrlichkeit und Fortschritte in der Vollkommenheit, aus der Analogie mit den Naturbildungen der Materie, vornehmlich in ihrer Organisation, bewiesen werden“ (XII 790). Kants Kritik: Herder sei zwar mutig, aber er treibe Metaphysik, obwohl er das in Abrede stelle.

Kants Zusammenfassung des zweiten Teils des Werks von Herder „soll einladen, es zu lesen, nicht die Lektüre desselben ersetzen oder unnötig machen“ (XII 799). Er kritisiert auf anderthalb Seiten Herders Vermischung von Dichtung und Philosophie und das Auftreten von Widersprüchlichkeiten, wobei er ständig wiederholt, daß er dieses Kritisieren aus Raumgründen unterlassen wolle. Kant fährt damit fort, daß er Herder die Vorarbeit eines Historikers gewünscht hätte, was Einseitigkeiten in der Darstellung ausgeräumt hätte. Des weiteren hat er an Herder auszusetzen, daß er die „Einteilung der Menschengattung in Rassen“ ablehne, was wohl daran liege, daß „der Begriff einer Rasse ihm noch nicht deutlich bestimmt ist“ (XII 801).

Bevor Kant einzelne Sätze Herders auseinandernimmt, räumt er freimütig ein, daß er nicht alles beurteilen könne und Herder deshalb machen lasse. Doch er selbst habe diese Freiheit selbstverständlich auch: „In einer unbefahrnen Wüste muß einem Denker gleich Reisenden frei stehen, seinen Weg nach Gutdünken zu wählen; man muß abwarten, wie es ihm gelingt und ob er, nachdem er sein Ziel erreicht hat, wohlbehalten wieder zu Hause, d. i. im Sitze der Vernunft zur rechten Zeit eintreffe und sich also auch Nachfolger versprechen könne“ (XII 803).

Gulyga (1990) beurteilt Herders Werk milder und verständnisvoller als Kant: „Da Herder kein Werk über die Weltgeschichte schuf, sondern eine sozialphilosophische Abhandlung, interessierten ihn nicht vorrangig die Fakten, sondern die Lehren der Geschichte. Doch die wollte er aus der Analyse der historischen Ereignisse gewinnen“ (S. 59).

Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse (1785). Hier leistet Kant, was er bei Herder vermißt, nämlich die Definition des Rassebegriffs: „Der Begriff einer Rasse ist also: der Klassenunterschied der Tiere eines und desselben Stammes, so fern er unausbleiblich erblich ist“ (XI 75).

Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786). Kants Kritik an Rousseaus Kulturpessimismus ist „nur selten an historischen Fakten, doch um so mehr an Kants Ethik“ orientiert (Harald Landry, in: KNLL 9/139).

In der Rezension Zu Gottlieb Hufeland: Versuch über den Grundsatz des Naturrechts (1786) beschränkt sich Kant darauf, Hufelands „Grundsatz der Errichtung eines eigenen Systems […] auszuheben und seine Quelle sowohl als die Bestimmung anzuzeigen.“ Der „oberste praktische Grundsatz“ Hufelands besteht darin, sich selbst und andere Lebewesen (Menschen und Tiere) zu vervollkommnen (XII 810).

Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee (1791). Kant kommt zu folgendem Ergebnis: Bisher sei es nicht gelungen, „die moralische Weisheit in der Weltregierung gegen die Zweifel, die dagegen aus dem, was die Erfahrung an dieser Welt zu erkennen gibt, gemacht werden, zu rechtfertigen“ (XI 114). Das Gegenteil könne man freilich aus diesen Zweifeln genausowenig ableiten. Einfacher ausgedrückt: Anhand unserer Erfahrungen ist es nicht möglich, Gott angesichts des Leids auf der Erde zu verteidigen oder anzuklagen.

Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793). Hier befaßt sich Kant „mit den möglichen Einwürfen von Praktikern gegen die Theorie“ (Günther Maluschke, in: LphW 742).

In Das Ende aller Dinge (1794) denkt Kant nach über den Tod, das Endzeitgericht am letzten Tag, Paradies und Hölle, die Bestimmung der Erde (Gasthaus, Gefängnis, Irrenhaus oder Klosett?) usw. Am wichtigsten ist seine Anmerkung, in der er diese Themen als bloße Ideen aus der erkenntnistheoretischen Sphäre in die praktische Sphäre verschiebt: Sie sind wichtig für unsere „moralischen, auf den Endzweck aller Dinge gerichteten, Grundsätze“ (XI 181f).

Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795). Kant entwickelt sein Konzept des Weltfriedens, indem er Hindernisse auszuräumen versucht und Bedingungen benennt. Seine grundlegende Idee ist, daß es keine Politik ohne Moral geben darf.

Aus Sömmering: Über das Organ der Seele (1796). Samuel Thomas von Sömmering war Arzt und Naturwissenschaftler. Am 10. August 1795 schrieb Kant an ihn, er (Sömmering) sei „der erste philosophische Zergliederer des Sichtbaren am Menschen“, während er selbst (Kant) „mit der Zergliederung des Unsichtbaren an demselben beschäftigt“ sei (II 272). In seinen Anmerkungen über Sömmerings Schrift geht Kant der Frage nach dem „Sitz der Seele“ nach (XI 255). Er schreibt, das erkenntnistheoretische Problem bestehe darin, daß „die Seele sich nur durch den inneren Sinn“ wahrnehmen könne. Wolle sie ihren eigenen Ort bestimmen, müßte „sie sich […] zum Gegenstand ihrer eigenen äußeren Anschauung machen und sich außer sich selbst versetzen […]; welches sich widerspricht“ (XI 259).

Der Streit der Fakultäten (1798) handelt von der philosophischen Fakultät als Vorschule für Theologie, Jura und Medizin.

Seine Vorlesungen über Anthropologie, die er 1798 unter dem Titel Anthropologie in pragmatischer Hinsicht veröffentlichte, las Kant im Winter 1773 bereits zum zweiten Mal. An Johann Caspar Lavater schrieb er darüber: „Die Absicht, die ich habe, ist, durch dieselbe die Quellen aller Wissenschaften, die der Sitten, der Geschicklichkeit, des Umganges, der Methode Menschen zu bilden u. zu regieren, mithin alles Praktischen zu eröffnen. Da suche ich alsdenn mehr Phänomena u. ihre Gesetze als die ersten Gründe der Möglichkeit der Modifikation der menschlichen Natur überhaupt. Daher die subtile u. in meinen Augen auf ewig vergebliche Untersuchung über die Art, wie die Organe des Körpers mit den Gedanken in Verbindung stehen, ganz wegfällt. Ich bin unablässig so bei der Beobachtung selbst im gemeinen Leben, daß meine Zuhörer vom ersten Anfange bis zu Ende niemals eine trockene, sondern durch den Anlaß, den sie haben, unaufhörlich ihre gewöhnliche Erfahrung mit meinen Bemerkungen zu vergleichen jederzeit eine unterhaltende Beschäftigung haben. Ich arbeite in Zwischenzeiten daran, aus dieser in meinen Augen sehr angenehmen Beobachtungslehre eine Vorübung der Geschicklichkeit, der Klugheit und selbst der Weisheit für die akademische Jugend zu machen, welche nebst der physischen Geographie von aller andern Unterweisung unterschieden ist und die Kenntnis der Welt heißen kann“ (I 116f).

Seine Vorlesungsreihe Über Pädagogik (1803) hat Kant insgesamt viermal abgehalten. Er kritisiert bei „den öffentlichen Schulen […] vor allem, daß sie eine bloß intellektuelle Dressur, aber keine sittliche Bildung vermitteln und Zucht nur durch Strafen üben“ (Hermann Zeltner, in: KNLL 9/143).

Schriften zur Metaphysik und Logik

Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen (1770) ist die deutsche Übersetzung des Titels von Kants lateinischer Doktorarbeit, mit der er seine Professur in Königsberg antrat (Schultz 22f). Die Überschriften zu den fünf Abschnitten zeigen, worum es geht: um den Begriff der Welt, um sinnliche Wahrnehmung und Denken, um Zeit und Raum und um die Methode der Metaphysik (ausführliche Zusammenfassung des Inhalts in Schultz 86ff).

Kritik der reinen Vernunft (11781, 21787). Johann Heinrich Kant, der Bruder des Philosophen, nannte das Werk die „Kritik der gereinigten Vernunft“ (Brief vom 10.9.1782, I 208). Moses Mendelssohn (1729-1786) konnte es nur lesen, wenn es ihm gesundheitlich gut ging: „So oft ich mich schmeichele, an Kräften zugenommen zu haben, wage ich mich an dieses nervensaftverzehrende Werk, und ich bin nicht ganz ohne Hoffnung, es in diesem Leben noch ganz durchdenken zu können“ (Brief vom 10.4.1783, I 213). Christian Garve wußte „kein Buch in der Welt, das zu lesen mir soviel Anstrengung gekostet hätte“ (Brief vom 13.7.1783, I 219).

Kant selbst war froh, als das Buch fertig war und wollte es auf keinen Fall nochmals schreiben müssen. Er rechnete nicht damit, daß die ersten Leser sein Werk günstig aufnehmen würden, hoffte aber auf mehr Verständnis in der Zukunft: „Die erste Betäubung, die eine Menge ganz ungewohnter Begriffe und einer noch ungewöhnlicheren, obzwar dazu notwendig gehörigen neuen Sprache hervorbringen mußte, wird sich verlieren. Es werden sich mit der Zeit einige Punkte aufklären […]. Von diesen Punkten wird ein Licht auf andere Stellen geworfen werden, wozu freilich von Zeit zu Zeit ein erläuternder Beitrag meinerseits erforderlich sein wird, und so wird das Ganze endlich übersehen und eingesehen werden, wenn man nur erstlich Hand ans Werk legt und indem man von der Hauptfrage, auf die alles ankommt, (die ich deutlich genug vorgestellt habe) ausgeht, so nach und nach jedes Stück einzeln prüfen und durch vereinigte Bemühungen bearbeiten will“ (Brief vom 7.8.1783, I 225).

Diese Hauptfrage lautet: „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ (III 59) Übersetzt: Wie ist es möglich, auf der Basis reinen Denkens ohne Erfahrung etwas zu erkennen? Kants Antwort: Das gibt es zwar in der Mathematik und bei Newtons Mechanik, doch ansonsten gehört zu jeder Erkenntnis der Wirklichkeit stets beides: Anschauung und Denken. Natürlich findet zwischen beiden eine Wechselwirkung statt: Unsere Wahrnehmungen über die Sinne werden durch unser bisheriges Denken (Kategorien!) geformt. Umgekehrt werden unsere Gedanken von unseren täglichen Erlebnissen geprägt. Das alles gilt auch für die Gegenstände der Metaphysik, z.B. Gott: Eine Erkenntnis Gottes ist nicht aus Begriffen, sondern nur soweit möglich, als wir Erfahrungen von oder mit ihm machen können. Wer rein aus Begriffen argumentiert, kann sowohl das eine als auch sein Gegenteil beweisen.

Über den Unterschied beim Umgang mit äußeren und inneren Erfahrungen schrieb Kant am 21. Februar 1772 an Markus Herz: Man könne „in Ansehung äußerer Dinge aus der Wirklichkeit der Vorstellungen auf die der Gegenstände nicht schließen […], bei dem inneren Sinne aber ist das Denken oder das Existieren des Gedankens und meiner selbst einerlei. Der Schlüssel zu dieser Schwierigkeit liegt hierin: Es ist kein Zweifel, daß ich nicht meinen eigenen Zustand unter der Form der Zeit gedenken sollte und daß also die Form der inneren Sinnlichkeit mir nicht die Erscheinung von Veränderungen gebe“ (I 107).

Die Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik (1783) sind eine Erläuterung zur „Kritik der reinen Vernunft“.

In Was heißt: sich im Denken orientieren? (1786) unterscheidet Kant strikt zwischen Wissen und Glauben. Die Vernunft ist ihm „der letzte Probierstein der Wahrheit“ (V 282f).

Einige Bemerkungen von Herrn Professor Kant (1786) dienen der „Widerlegung jener Anmaßungen“ der reinen Vernunft, die „Schwärmerei“ zuläßt und über Gott „durch Vernünfteleien“ Aussagen machen will (V 287f).

Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll (1790) ist Kants Antwort auf die Angriffe, die Johann August Eberhard in seinem „Philosophischen Magazin“ (1789-1792) gegen ihn richtete.

In Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie (1796) wendet sich Kant gegen „eine vorgebliche Philosophie, bei der man nicht arbeiten, sondern nur das Orakel in sich selbst anhören und genießen darf, um die ganze Weisheit […] von Grunde aus in seinen Besitz zu bringen“ (VI 378).

Die Ausgleichung eines auf Mißverstand beruhenden mathematischen Streits (1796) bezieht sich auf den Satz des Pythagoras. Kant hatte behauptet, er gelte nur bei den Seitenlängen 3, 4 und 5 eines rechtwinkligen Dreiecks, Reimarus hatte gekontert, es gebe noch andere Zahlen, die diesen Verhältnissen gerecht würden. Um den Streit auszuräumen präzisierte Kant seine Behauptung: Er habe gemeint, 3, 4 und 5 seien die einzigen Zahlen, die direkt auf einander folgen und diesen Verhältnissen gerecht würden.

Die Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie (1796) ist ein vergnügliches Plädoyer für die Ausräumung philosophischer Streitigkeiten durch Kants Kritizismus.

Kants Vorlesung über Logik (1800) auf der Basis des Lehrbuchs „Auszug aus der Vernunftlehre“ (Halle 1752) von George Friedrich Meier hat Gottlob Benjamin Jäsche herausgegeben. Sie enthält Kants „Theorie von den drei wesentlichen Hauptfunktionen des Denkens – den Begriffen, den Urteilen und Schlüssen“ (VI 424).

Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? (1804) ist Kants Beantwortung der Preisfrage, die die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin bereits im Jahr 1791 gestellt hatte. Friedrich Theodor Rink hat sie postum herausgegeben.

Schriften zur Naturphilosophie

Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786). Nachdem Kant entsprechend seinen vier Gruppen von Kategorien den Begriff der Materie unter vier Aspekten behandelt hat, schließt er, „daß (a) die gleichförmige Bewegung nur eine Relativbewegung ist, d. h. nur eine Bewegung relativ zu anderen Körpern, nicht jedoch eine absolute Bewegung zum Raum, daß jedoch (b) die Kreisbewegung (als ein Beispiel einer beschleunigten Bewegung) als eine absolute Bewegung des Körpers zum Raum zu verstehen ist. Er würde also EINSTEINS spezielle Relativitätstheorie billigen, dessen allgemeine Relativitätstheorie hingegen verwerfen“ (Wilhelm K. Essler, in: KNLL 9/138).

Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788). Kant bringt gegen das Unterschieben von Zwecken folgendes vor:

  • Zwecke geben keine Auskünfte über Ursachen.
  • Wir erfahren dadurch mehr über uns als das Forschungsobjekt.
  • Man kann sich mit andern nur schwer darüber einig werden.
  • Man kann nicht vorhersehen, ob man verstanden wird.
  • Man soll in seine Beobachtungen keine Ideen hineintragen (vgl. aber das erste Pro-Argument).
  • Im Gegensatz zur exakten Naturbeschreibung gibt es in der Naturgeschichte „nur Bruchstücke, oder wankende Hypothesen“ (IX 143).
  • Die Rassenvermischung ermöglicht die Anpassung an verschiedene Klimazonen (dieses Argument ist nur von Punkt zwei der Pro-Argumente her zu verstehen)
  • In der Naturwissenschaft muß man alles natürlich erklären.

Für die Teleologie spricht nach Kant folgendes:

  • Bei der Beobachtung muß man sich durch ein Prinzip leiten lassen.
  • Die individuellen Gesichtszüge jedes Menschen legen den Gedanken nahe, daß sie einem Zweck dienen, ebenso die verschiedenen Rassen.
  • Das Inzestverbot scheint Kant nicht nur moralische, gesundheitliche (Mißbildungen!) und fortpflanzungstechnische (Unfruchtbarkeit!) Ursachen zu haben, sondern auch das natürliche Ziel der Mannigfaltigkeit zu verfolgen, also „in der Natur selbst“ zu liegen (IX 149).
  • Je nach Geburtsort entwickeln die Menschen verschiedene Anlagen. Umgekehrt werden sie zur Arbeit untüchtig, wenn sie (etwa als Sklaven) auf einen anderen Kontinent mit anderem Klima versetzt werden.
  • Der Begriff Organismus impliziert „Zweck und Mittel“ (IX 163).
  • Die Annahme von Grundkräften impliziert Zwecke.
  • Die Betrachtung der Welt als Kunstwerk eines intelligenten Wesens legt nahe, daß es einen Zweck verfolgte – wie es menschliche Künstler tun.

Kants Zusammenfassung (IX 167f) enthält seine Entscheidung für die Teleologie.

Schriften zur Ethik

Schon am 9. Mai 1768 schrieb Kant an Herder, er habe sein „Augenmerk vornehmlich darauf gerichtet […], die eigentliche Bestimmung und die Schranken der menschlichen Fähigkeiten und Neigungen zu erkennen“. Hinsichtlich der Sitten sei ihm das „endlich ziemlich gelungen“. Inzwischen arbeite er „an einer Metaphysik der Sitten, wo ich mir einbilde, die augenscheinlichen und fruchtbaren Grundsätze imgleichen die Methode angeben zu können, wonach die zwar sehr gangbaren, aber mehrenteils doch fruchtlosen Bemühungen in dieser Art der Erkenntnis eingerichtet werden müssen, wenn sie einmal Nutzen schaffen sollen. Ich hoffe, in diesem Jahre damit fertig zu werden, wofern meine stets wandelbare Gesundheit mir daran nicht hinderlich ist“ (I 60f).

Erst 29 Jahre später war es soweit. Vorher veröffentlichte Kant zur Vorbereitung noch die „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ und die Kritik der praktischen Vernunft“. Erst 1797 erschien dann „Die Metaphysik der Sitten“.

Johann Benjamin Erhard war von der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) begeistert, nachdem er sich durch die Lektüre der „Kritik der reinen Vernunft“ dafür präpariert hatte: „Ihre Metaphysik der Sitten aber vereinigte mich ganz mit Ihnen, ein Wonnegefühl strömt mir durch alle Glieder, so oft ich mich der Stunden erinnere, da ich sie zum erstenmal las und mich Ihr Kanon d. r. V. so vortrefflich vorbereitet hatte“ (Brief vom 12.5.1786).

Doch es gab auch Unverständnis. So teilte Ludwig Heinrich Jakob Kant mit, es sei eine Broschüre „von einem gewissen TITTEL“ erschienen, „die Ihre Metaphysik zu beurteilen wagt, ohne nur zu verstehen, wohin eigentlich Ihre Untersuchung zielt.“ So verallgemeinerte er: „Über Ihre Metaphysik der Sitten scheint das Mißverständnis doch noch weit größer zu sein als über Ihre Kritik“ (Brief vom 17.7.1786).

Ein weiteres Feedback kam von Daniel Jentsch: „Ihre Grundlage zur Metaphysik der Sitten […] findet ungleich mehr Widerspruch unter den Gelehrten von meiner Bekanntschaft, als Ihre Kritik, und man will sich unmöglich überzeugen lassen, daß die Natur die Moral auf so tiefen Gründen gebaut habe: indessen haben mir einige Göttinger mit Enthusiasmus die höchst neuen und auffallenden Wahrheiten derselben geschrieben: alles sieht nur mit Sehnsucht Ihrer Metaphysik der Sitten entgegen. […] Ich selbst […] bin durch so viele Erinnerungen an Sie und Ihre Philosophie […] aus meinem lethargischen Schlummer […] aufgewacht: denn was konnte ich anders?“ (Brief vom 14.5.1787, I 325)

Seine Begeisterung über die Kritik der praktischen Vernunft (1788) äußerte Johann Erich Biester am 10. Juni 1788, als er schrieb, er habe zwei Exemplare von dem „trefflichen, geiststärkenden und herzerhebenden“ Buch erhalten (I 361).

Die Metaphysik der Sitten (1797) ist in Rechts- und Tugendlehre gegliedert. „Insgesamt handelt es sich um eine Pflichtenlehre“ (Günther Maluschke, in: LphW 446f).

Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen (1797). Da Kant auch die Notlüge ablehnte, wurde über das Thema heiß diskutiert (vgl. den von Geismann/Oberer herausgegebenen Sammelband). Schon am 25. November 1788 schrieb er an Johann Schultz: „Es ist ganz in meiner Denkungsart, in Schriften, die die Berichtigung der menschlichen Kenntnisse und vornehmlich die lautere unverhohlene Darstellung unserer Vermögen betreffen, durch Vertuschen der Fehler, die man in seinem eigenen System gewahr wird, oder durch Parteimachen und Beredungen keine Blendwerke zu machen, sondern sich, hier so wie allerwärts, das: ‚Ehrlich währt am längsten‘ zum Wahlspruche zu nehmen“ (I 369).

Gulyga (1990) faßt Kants Ethik folgendermaßen zusammen: „Bestimme dich selbst, sei durchdrungen vom Bewußtsein der moralischen Pflicht, folge ihr immer und überall, trage selbst die Verantwortung für deine Handlungen – das ist die Quintessenz der Kantischen Ethik: streng und kompromißlos“ (S. 94).

Kritik der Urteilskraft (1790)

Schon in seinem Brief an Carl Leonhard Reinhold vom 28. Dezember 1787 gab Kant einen Überblick über seine drei Kritiken, den er dann auch in der Einleitung zur dritten Kritik gab (X 15): „So beschäftige ich mich jetzt mit der Kritik des Geschmacks, bei welcher Gelegenheit eine andere Art von Prinzipien a priori entdeckt wird als die bisherigen. Denn der Vermögen des Gemüts sind drei: Erkenntnisvermögen, Gefühl der Lust und Unlust, und Begehrungsvermögen. Für das erste habe ich in der Kritik der reinen (theoretischen), für das dritte in der Kritik der praktischen Vernunft Prinzipien a priori gefunden. Ich suchte sie auch für das zweite, und ob ich es zwar sonst für unmöglich hielt, dergleichen zu finden, so brachte das Systematische, das die Zergliederung der vorher betrachteten Vermögen mich im menschlichen Gemüte hatte entdecken lassen, und welches zu bewundern und, womöglich, zu ergründen, mir noch Stoff genug für den Überrest meines Lebens an die Hand geben wird, mich doch auf diesen Weg, so daß ich jetzt drei Teile der Philosophie erkenne, deren jede ihre Prinzipien a priori hat, die man abzählen und den Umfang der auf solche Art möglichen Erkenntnis sicher bestimmen kann – theoretische Philosophie, Teleologie und praktische Philosophie, von denen freilich die mittlere als die ärmste an Bestimmungsgründen a priori befunden wird. Ich hoffe, gegen Ostern mit dieser, unter dem Titel der Kritik des Geschmacks, im Manuskript, obgleich nicht im Drucke fertig zu sein“ (I 345).

Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793)

Kant will hier „nachweisen, daß in der christlichen Religion Elemente einer Vernunftreligion enthalten sind, ja daß gerade die christliche Religion in einer kritisch-philosophischen Auslegung als ein Inbegriff von Grundwahrheiten eines praktischen Vernunftglaubens zu begreifen ist“ (Günther Maluschke, in: LphW 620).

Die Rituale der historischen Religionen lehnte Kant ab, weil sie zum Selbstzweck gemacht wurden, aber „nur Mittel eines rechten Lebenswandels sein“ sollten (Hermann Zeltner, in: KNLL 9/140; ausführliche Würdigung in Schultz 147-159).

© Gunthard Rudolf Heller, 2013

Literaturverzeichnis

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FRANK, Anne: Tagebuch – Fassung von Otto H. Frank und Mirjam Pressler (De Dagboeken van Anne Frank, Amsterdam 1988), aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler, Frankfurt am Main 62004

GEISMANN, Georg/OBERER, Hariolf (Hg.): Kant und das Recht der Lüge, Würzburg 1986

GIES, Miep: Meine Zeit mit Anne Frank (Anne Frank Remembered), aus dem Amerikanischen übersetzt von Liselotte Julius, München 1987

GULYGA, Arseni(j): Immanuel Kant, aus dem Russischen übertragen von Sigrun Bielfeldt, Frankfurt am Main 1985- Die klassische deutsche Philosophie – Ein Abriß, Übersetzung von Wladislaw Hedeler unter Verwendung von Übersetzungen von Günther Arnold, Sigrun Bielfeldt und Waldemar Seidel, Leipzig 1990

HÖFFE, Otfried: Immanuel Kant (1724-1804), in: Klassiker der Philosophie, Zweiter Band: Von Immanuel Kant bis Jean-Paul Sartre, hg. v. Otfried Höffe, München 1981- Immanuel Kant, München 21988

JASPERS, Karl: Die großen Philosophen, München/Zürich 61997

KANT, Immanuel: Werkausgabe, hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 1974-88 (Sperrdruck habe ich durch Kursivdruck wiedergegeben.)

KINDLERS NEUES LITERATUR-LEXIKON, hg. v. Walter Jens, 21 Bände, München 1996 (KNLL)

KORELL, Federico: Kant und die „Fliegenden Teller“ – Eine zeitgemäße Betrachtung (1952), Calw o. J.

LEXIKON DER PHILOSOPHISCHEN WERKE, hg. v. Franco Volpi und Julian Nida-Rümelin, Stuttgart 1988 (LphW)

MEYERS ENZYKLOPÄDISCHES LEXIKON, 25 Bände, Mannheim/Wien/Zürich 91980/81

POPPER, Karl R.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (The open society and its enemies, 1945), 2 Bände, Übersetzung von Paul K. Feyerabend und Klaus Pähler, Tübingen 71992
– Alles Leben ist Problemlösen – Über Erkenntnis, Geschichte und Politik, München/Zürich 2004

SCHNABEL, Ernst: Anne Frank – Spur eines Kindes. Ein Bericht, Frankfurt am Main 1958

SCHULTZ, Uwe: Immanuel Kant mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Reinbek bei Hamburg 1984

SCHWEIZER, Frank: Nur einer hat mich verstanden … – Philosophenanekdoten, Stuttgart 2006

SIMMEL, Georg: Kant. Sechzehn Vorlesungen gehalten an der Berliner Universität, München/Leipzig 61924

WEISCHEDEL, Wilhelm: Kant oder Die Pünktlichkeit des Denkens, in: Die philosophische Hintertreppe – 34 große Philosophen in Alltag und Denken, München 121984, S. 177-187

– Die philosophische Theologie bei Kant, in: Der Gott der Philosophen – Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus, Band 1, S. 191-213

WEIZSÄCKER, Karl Friedrich von: Ein Blick auf Platon – Ideenlehre, Logik und Physik, Stuttgart 1996

WER WAR KANT? – Drei zeitgenössische Biographien von Ludwig Ernst Borowski, Reinhold Bernhard Jachmann und E. A. Ch. Wasianski, Pfullingen 1974

WHITEHEAD, Alfred North: Prozeß und Realität – Entwurf einer Kosmologie, Übersetzung von Hans Günter Holl, Frankfurt am Main 11987

WICKERT, Johannes: Albert Einstein mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Reinbek bei Hamburg 221999

ZEIDLER, Kurt Walter: Grundriß der transzendentalen Logik, Cuxhaven 1992

Gunthard Heller