Biologie: Wie Menschen Bedeutung erzeugen / Sprache verstehen

Kommunikationskompetenz ist für uns moderne Menschen eine der wichtigsten Fähigkeiten überhaupt. Sie bestimmt, in welchen Rahmen wir mit anderen interagieren können. Im Beruf entscheidet sie darüber, ob wir für Führungsaufgaben geeignet sind, ob Teams sich effektiv koordinieren oder wir den kognitiven Herausforderungen eines Berufs überhaupt gewachsen sind.

Biologische Grundlagen des Verstehens wie entsteht BedeutungAber auch im privaten Bereich – wie der Familie oder der Freunde – ist unsere Kommunikationskompetenz oft das Zünglein an der Waage, ob Beziehungen gelingen oder kläglich scheitern.

Eines der wichtigsten Elemente der Kommunikation ist der "Verstehensakt", d. h. die Fähigkeit Informationen korrekt aufzunehmen und zu verarbeiten. Doch wie funktioniert "Verstehen" in der Sprache? Wie erzeugen Menschen Bedeutung?

Obwohl diese Fragen für jede Kommunikationstechnik elementar wichtig sind, werden sie entweder einfach ausgeblendet oder durch simple oder falsche Vorstellungen verzerrt.

Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, will ich Ihnen hier die Forschungsergebnisse des Biologen Humberto Maturana vorstellen. Er untersuchte das menschliche Nervensystem und kam dabei auf einige erstaunliche Ergebnisse über die biologischen Voraussetzungen des "Verstehens", die weitreichende Folgen haben.

Diese Ergebnisse werde ich Ihnen im Weiteren vorstellen – vielleicht verändert sich dadurch Ihr Verständnis, was Verstehen eigentlich ist und wie es funktioniert.

Maturana oder die biologischen Voraussetzungen der Wahrnehmung

Vorab sei kurz angemerkt, dass ich im Folgenden nur die Ergebnisse und Schussfolgerungen seiner Erkenntnisse beschreibe.

Wenn Sie sich genauer über seine Theorie informieren wollen, können Sie auch unsere Artikel:

… ansehen.

Ich gebe erst eine kurze Zusammenfassung seiner Ergebnisse und werde sie anschließend mit Beispielen veranschaulichen.

Zunächst stellt Maturana fest, dass es sich beim Nervensystem um ein geschlossenes System handelt, d. h., sämtliche Vorgänge bei Neuronen lassen sich nur durch interne Relationen innerhalb des Nervensystems bestimmen. Man kann selbst im Bereich der Sensoren (unserer Sinne), nicht eindeutig feststellen, dass ihre Erregung vom Milieu (von außen) aus eindeutig bestimmbar ist.

Festzustellen ist lediglich, dass Erregungen im Bereich der Sensoren (unserer Sinne) Zustandsveränderungen im Nervensystem hervorrufen, diese jedoch von den gegenwärtig vorhandenen Relationen abhängig sind und wiederum andere gegebene interne Relationen im Nervensystem beeinflussen.

Wie unser Gehirn Realität konstruiertWie ein Nervensystem nun auf einen bestimmten Reiz unserer Sinne reagiert, ist somit nur abhängig von seiner eigenen momentan vorhandenen Struktur, auf welche es reagiert, und nicht auf ein vom System unabhängiges Agens (der Außenwelt). Solange ein System lediglich auf interne Zustandsveränderungen reagiert, sprechen wir von einem zustandsdeterminierten System.

Bei seinen Untersuchungen konnte Maturana nicht feststellen, dass ein Nervensystem Repräsentationen seiner Umgebung erzeugt, diese schreibt er dem Beobachter zu, welchen er als Epiphänomen des Nervensystems ansieht und abtrennt.

Dies mag zunächst ziemlich kompliziert klingen, deshalb will ich versuchen es in einfacheren Worten zu erklären und dann darstellen, was dies für unser Wahrnehmen und Verstehen bedeutet.

Wie menschliche Sinne funktionieren …

Nehmen wir als Beispiel den Hörsinn und beschreiben in einer Metapher wie "hören" nach Maturana funktionieren könnte:

Stellen Sie sich vor in einem U-Boot zu sitzen, welches völlig von der Außenwelt abgeschirmt ist (geschlossenes System). An der Außenseite sind Mikrofone (Nerven) angebracht, welche durch die Schallschwingungen erregt werden und die Signale (Nervenimpulse) an einen Verstärker mit Boxen (Gehirn) in die Kommandozentrale weiterleiten.

Was Sie dann als U-Boot-Kommandant (Beobachter) "hören", sind nicht etwa die tatsächlichen Außengeräusche, sondern das, was die Mikros, Verstärker, Boxen (also ihr Nervensystem und Gehirn) daraus macht.

Wie funktioniert VerstehenWir hören somit gar nicht wirklich einen Ton, sondern unser Gehirn errechnet aus den internen Klick-Klicks unseres Nervensystems einen "inneren Ton". Subjektiv haben wir den Eindruck er käme von "Außen", was jedoch falsch ist. Wir hören den "Sound aus den Boxen im U-Boot" und nicht die Umweltgeräusche, wie sie tatsächlich sind.

Der Konstruktivismus greift diese Tatsache auf und folgert daraus, dass wir nicht die Welt, sondern unsere eigenen Konstruktionen wahrnehmen. Es gelangt also keinerlei Information, Schallwelle, Bild etc. von Außen nach Innen, sondern unser Nervensystem / Gehirn hat die Fähigkeit sensorische Reize in Bilder, Töne, Berührungen usw. zu verwandeln.

Weiterhin spricht Maturana davon, dass unser Nervensystem zustandsdeterminiert ist. Ein einfaches Beispiel könnte die Einnahme von Drogen wie LSD sein, bei denen der Chemismus im Nervensystem verändert wird und es zu Wahrnehmungsverschiebungen und Halluzinationen kommt. Plötzlich erscheint einem dann der "Elf in der Wiese" oder der "Grashalm, der sich mit einem unterhält" genauso real, wie das Auto, das gerade vorbeifährt.

Es ist daher unsinnig von einer "objektiven Beobachtung" zu sprechen oder anzunehmen, man könne die "Realität" (Außenwelt) wahrnehmen. Was wir wahrnehmen, sind Konstruktionen unseres Gehirns von der Welt und diese müssen rein gar nichts mit der Welt zu tun haben.

Wer den Film "Matrix" schon einmal gesehen hat, hat ein weiteres Beispiel für Maturanas Erkenntnis, dass unser Gehirn Realität produziert. Denn prinzipiell wäre es denkbar ein Gehirn in einen Glaskasten zu schließen und es mit Input usw. zu versorgen. Das Gehirn selbst hätte keine Möglichkeit zu prüfen, ob seine Wahrnehmungen aus einer Simulation stammen oder nicht.

Wie entsteht Bedeutung? Was ist Verstehen?

Bedeutung gibt es nur in der Welt der Sprache. Wollen wir beispielsweise einem Kind die Bedeutung des Wortes "Katze" beibringen, müssen wir mit dem Finger auf eine Katze zeigen und dabei das Wort "Katze" aussprechen. Wenn wir dies oft genug tun, wird das Kind bald verstehen, das diese seltsame Lautfolge etwas mit dem behaarten Vierbeiner zu tun hat – ihn repräsentieren soll.

Wie Kinder Sprache Bedeutung lernenBeim Erlernen von Sprache sind wir also noch ganz bewusst mit der internen Konstruktion von Bedeutung beschäftigt. Da noch häufig korrigiert wird – Kind zeigt auf einen Hund und formuliert die Lautfolge "Katze" – lernt es allmählich einige passende Bedeutungen der Begriffe kennen.

Je erfahrener wir jedoch im Umgang mit Sprache werden, desto weniger bewusst gehen wir mit der Konstruktion von Bedeutung um. Wir gehen irgendwann sogar automatisch davon aus, dass unsere Konstruktion unserer Bedeutung "wahr", "richtig" oder "objektiv" ist.

Falls andere Menschen dann Begriffe anders verwenden, machen sie "Fehler", sind "dumm" oder "boshaft", denn es "ist doch klar, was gemeint ist". Solch ein Verhalten geht von der Annahme aus, dass wir die Bedeutung von Begriffen wirklich eindeutig klären, was aber in der Praxis nicht annähernd passiert.

Fragen Sie zwei Menschen, was sie unter "Liebe" verstehen. Wenn Sie Glück haben, werden die Beschreibungen einige Ähnlichkeiten aufweisen, aber es dürften keine zwei Menschen unter dieser Sonne leben, die wirklich exakt dasselbe beschreiben.

Viele Kommunikationsprobleme treten durch das Missverständnis auf, dass wir die Sprache deckungsgleich mit anderen verwenden. Wenn wir die Ergebnisse von Maturana jedoch ernst nehmen, ist es eher ein Wunder, dass wir es überhaupt geschafft haben eine Sprache zu entwickeln, mit Hilfe derer wir uns koordinieren können. Denn wenn jeder die Bedeutung von Begriffen selbst konstruiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es viele Unschärfen, Fehlinterpretationen o. ä. gibt.

Wenn wir andere Menschen verstehen wollen, heißt das "ihre Konstruktion von Bedeutung" nachvollziehen zu lernen. Und das Erforschen und Nachvollziehen, was ein Anderer unter XY versteht, ist letztlich ein Endlosprojekt.

Der Schlüssel zum Verständnis von anderen sind Fragen. Denn nur Fragen können den Konstruktionsprozess – d. h. wie hat der Andere die Bedeutung von XY konstruiert – wieder sichtbar und nachvollziehbar machen.

Vielleicht hilft Ihnen das Bild des U-Bootes ebenso, toleranter und verständigungsorientierter mit anderen umzugehen. Denn jemand anderen zu verstehen bedeutet immer einen Aufwand, aktives Nachfragen, Einfühlungsvermögen etc. , was aber durch ein "wirkliches" Kennenlernen des Gegenübers belohnt wird.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Verstehen von anderen Menschen!

Tony Kühn