Beziehung: Wie funktioniert ein Beziehungskonto?

Bei funktionierenden Beziehungen lässt sich ein ausgeglichenes Verhältnis von Geben und Nehmen aller Beteiligten beobachten. Jeder trägt gleichermaßen dazu bei, dass sich der andere in der Beziehung wohlfühlt.

Nach dem Modell von Thomas Gordon spricht man hier von einem Beziehungskonto, das entweder ausgeglichen oder überzogen werden kann.

Was man unter einem Beziehungskonto versteht und welche Vorteile diese Sichtweise für partnerschaftliche Beziehungen hat, erfahren Sie im folgenden Artikel.

Was ist ein Beziehungskonto?

Jeder hat Erfahrungen mit einem Bankkonto. Zahlt man regelmäßig ein, so schafft man sich die Möglichkeit, materielle Wünsche zu erfüllen. Gerät das Bankkonto ins Minus, werden sich die Rechnungen häufen und negative Konsequenzen drohen.

BeziehungskontoÄhnlich funktioniert auch ein Beziehungskonto. Wir zahlen ein, in Form von Aufmerksamkeiten unserem Partner gegenüber, mit allen Tätigkeiten, die ihm Freude machen, ihn unterstützen und die das Vertrauen untereinander stärken.

Dabei kann es sich durchaus auch um materielle Geschenke handeln, doch den meisten Menschen ist es wichtiger, wenn ihnen zugehört wird, sie ernst genommen werden und sich verstanden fühlen.

Umgekehrt buchen wir vom Beziehungskonto ab, wenn wir insgesamt mehr nehmen als geben, das gegenseitige Vertrauen schädigen oder die Gefühle und Bedürfnisse des Partners verletzen.

Solange das Konto im "Plus" ist, werden solche "Fehler" meist toleriert und eine Entschuldigung oder eine Verhaltensänderung kann ausgleichend wirken. Rutscht es jedoch zu sehr ins Minus sind Konflikte vorprogrammiert.

Das Beziehungskonto ist also als Metapher zu verstehen, wie viel Vertrauen, Zuneigung und Interesse wir einem Menschen entgegenbringen. Es sagt auch etwas über das Gefühl der Verbundenheit aus, das wir einem anderen Menschen gegenüber empfinden.

Letztlich führt jeder – sei es in der Partnerschaft oder Freundschaft – so ein Beziehungskonto. Dies kann bewusst oder unbewusst geschehen. Gerät das Beziehungskonto ins Minus, ist Stress vorprogrammiert und auf längere Sicht die Gefahr, dass die Beziehung in die Brüche geht, sehr groß.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, wie man auf diesem Konto einzahlt bzw. abhebt. „Ich zahle auf dein Konto dann ein, wenn ich etwas tue, das dir Freude macht und das dir wichtig ist“. D.h. der Partner entscheidet, ob man selbst auf sein Konto eingezahlt hat oder nicht. Umgekehrt zahlt mein Partner auf mein Beziehungskonto ein, das ich für ihn angelegt habe. Nun entscheide ich selbst, ob es sich um eine Einzahlung handelt und wie hoch diese ist.

Normalerweise lernen die Beziehungspartner im Laufe ihres Zusammenlebens, welche Verhaltensweisen eine Einzahlung sind und welche nicht. Gut funktionierende Beziehungen weisen immer ein Plus auf beiden Beziehungskonten auf. Die Unterschiede dürfen nicht zu groß werden, ansonsten wird einer der beiden auf Sicht unzufrieden und es kommt zu Auseinandersetzungen.

Welche Beziehungen führen Beziehungskonten?

Das Modell des Beziehungskontos lässt sich nicht nur auf Paar- oder Liebesbeziehungen anwenden, sondern auch auf Freundschaften, Geschäftsbeziehungen, auf alle Beziehungen gesellschaftlicher oder beruflicher Art, aber auch auf familiäre Beziehungen, zur Mutter, zum Vater und zu den eigenen Kindern.

In diesem Artikel werden Beispiele aus der Paarbeziehung gewählt, da sich enge Beziehungen sehr gut eignen, um das Modell anschaulich zu beschreiben. Doch das Prinzip lässt sich problemlos auf andere Beziehungsformen übertragen.

Welche Vor- und Nachteile hat dieser Sichtweise?

Ein Nachteil dürfte auf der Hand liegen. Vor allem Liebesbeziehungen rechnerisch zu betrachten, dürfte schnell Kritiker finden. Immerhin herrscht hier oft das Ideal, dem anderen etwas zu schenken. Schenken bedeutet aber, dass nichts zurückgefordert wird, dass es nicht zu einem Deal kommt: "Schenkst du mir was, so schenk ich auch dir". Hier ist es passender von einem Tauschhandel zu sprechen, als von einem Geschenk.

Das Modell des Beziehungskontos passt somit eher zu einem Tauschgeschäft, als zum Ideal der Liebe. Doch Erfahrungen zeigen, dass das Modell der Beziehungskonten sehr gut funktioniert. Wenn man jemanden etwas gibt, so gibt auch dieser wieder gerne zurück.

ScheidungUmgekehrt kennt jeder wahrscheinlich auch Beispiele von überzogenen Beziehungskonten, die z.B. in einer Scheidung münden. Beide Seiten werden dann sehr genau erklären können, wie der andere das Konto belastet hat, d.h. welche Abhebungen genau getätigt wurden. Das muss nicht immer etwas "Großes" sein. Viele Kleinigkeiten oder Versäumnisse, Unaufmerksamkeiten, Nervereien können dann auf Sicht zur Trennung führen.

Die Praxis zeigt, dass nicht nur finanziell, sondern auch in Beziehungen gerechnet wird, wenn auch eher im emotionalen Bereich. Nun gibt es Menschen, die aufgrund ihres Glaubens etwas widerstandsfähiger gegen Abhebungen geworden sind und damit scheinbar besser klarkommen. Doch auch bei ihnen funktioniert das Modell des Beziehungskontos sehr gut, wenn auch etwas modifiziert. Sie erwarten sich nach dem Tod eine Belohnung für ihre guten Taten im diesseitigen Leben. Je nach Glauben und Intensität gibt es aber auch bei ihnen gewisse Grenzen, wenn sie auch manchmal höher liegen, als bei anderen Menschen. Vielleicht kommt es nicht zu einer Scheidung oder Trennung, doch das Zusammenleben ist z.B. von Ignoranz und Vertrauensverlust geprägt.

Das Modell des Beziehungskontos kann gut mit Win-Win-Geschäften (Gewinn-Gewinn-Geschäften) parallelisiert werden, wenn Beziehungen gut funktionieren. Dann kommt es nämlich nur dann zur Kooperation, wenn beide (bzw. alle) Seiten davon profitieren. Ist das nicht der Fall, kommt es auch zu keinem Abkommen. Doch das lässt sich in bestehenden Beziehungen, die eine Zeit lang gut funktionierten, nicht mehr so leicht rückgängig machen.

Beziehungskonto – ein "rechnerisches" Beispiel in einer Paarbeziehung

Das folgende Beispiel soll verdeutlichen, wie Beziehungskonten in einer Paarbeziehung funktionieren. Der Anschaulichkeit halber werden wir hier Punkte vergeben, die eine Einzahlung oder Abhebung markieren. Natürlich rechnet in Wirklichkeit keiner mit Punkten, doch jeder wird die Erfahrung gemacht haben, dass es Aufmerksamkeiten des Partners gibt, die uns mehr oder weniger wichtig sind.

Nehmen wir an zwei Menschen begegnen sich und finden sich gegenseitig attraktiv. Er macht ihr Komplimente und leistet damit schon eine Einzahlung (aber nur, wenn sie auch Interesse an ihm entwickelt): "Du siehst heute aber gut aus" (20 Punkte Guthaben auf das Konto, das sie für ihn angelegt hat). Vielleicht erzählt er im Anschluss, was er gerade gemacht hat und sie hört ihm aufmerksam und lächelnd zu (30 Punkte Guthaben auf das Konto, das er für sie angelegt hat). Er lädt sie zum Essen ein (50 Punkte aufs Konto) und sie macht sich besonders schön für ihn, dass seine Kumpels staunen (das ist doch 50 Punkte wert oder?).

Die Verhaltensweisen, die dem anderen Freude machen, schaukeln sich hoch. Beide sind ineinander verliebt. Es passiert wie von selbst – keiner muss sich anstrengen, um den anderen eine Freude zu machen.

Nehmen wir an, er schenkt ihr zum Geburtstag einen Computer, den sie sich schon lange gewünscht hat, sich aber bisher nicht leisten konnte (das ist doch bestimmt um die 500 Punkte wert, immerhin befinden sie sich noch in der Anfangsphase). Im Gegenzug zeigt sie sich an seinen sportlichen Aktivitäten interessiert. Sie ist sogar bereit mit ins Handballstadion zu gehen, um sich mit ihm zusammen ein Spiel anzusehen (so etwas ist ihm bei einer Frau noch nie passiert – sie erhält 300 Punkte). Solange die Verliebtheitsphase anhält, kommen eine Menge Einzahlungen hinzu. Das Guthaben beider Konten steigt gleichermaßen an.

Irgendwann sind die Einzahlungen so hoch (nehmen wir an, um die 3000 Punkte), dass er ihr sagen wird: "Ich liebe dich!" (das ist mit Sicherheit 1000 Punkte wert). Sie ist irgendwann bereit über die Zärtlichkeiten hinaus zu gehen und eine Nacht mit ihm zu verbringen (damit zahlt sie bestimmt 2000 Punkte ein – entsprechendes gilt für ihn).

Im Märchen geht das endlos so weiter (bzw. bis beide sterben), doch in Wirklichkeit findet die Leichtigkeit beiderseitiger Einzahlungen im Alltag ihr Ende. Denn unabhängig, ob beide irgendwann heiraten oder unverheiratet zusammenziehen, wird sich das Gefühl der Sicherheit entwickeln. Ab hier ist es mit der Verliebtheit vorbei, der andere ist einem sicher.

Er denkt: "Ich hab sie rumgekriegt – sie gehört zu mir" und sie "er ist jetzt mein fester Freund, mit dem ich mein Leben teilen will".

Im Alltag werden nun bald die ersten Abhebungen vorkommen. Das ist wichtig, denn das gehört zum Kennenlernen dazu. Man kann nicht immer einzahlen. Abhebungen sind auch wichtig, um zu prüfen, was der andere als Einzahlung wertet und was nicht. Abhebungen können sogar sehr positiv wirken und das Vertrauen stärken, wenn man merkt, dass man Fehler machen darf. Denn eine Beziehung, die keine Fehler zulässt, wird vermutlich nicht lange dauern. Abhebungen vorzunehmen, gibt einem auch die Info, wie sehr das Beziehungskonto belastet ist.

Das Abheben ist in der ersten Phase der Beziehung meist kein großes Problem, denn das Guthaben überwiegt bei Weitem und beide sind meist noch bemüht, den Fehler in Form von neuen Einzahlungen wieder gut zu machen.

Doch auch Abhebungen haben ihre Grenzen. Wenn Abhebungen beispielsweise in Form von Gewalt vorkommen, kann eine einzige Abhebung reichen, damit die Beziehung in die Brüche geht. Kleine Enttäuschungen (er war unfreundlich = -20 Punkte) werden noch locker weggesteckt. Vielleicht entschuldigt sich der Partner, bringt einen Blumenstrauß mit und gleicht damit das Konto wieder aus.

Solange man den anderen von sich überzeugen wollte, wurde auch investiert. Glaubt man sich seines Partners sicher zu sein, hören Investitionen auf, denn man hat ihn schon für sich gewonnen („So, jetzt sind wir endlich verheiratet – sie ist mein und ich bin sein“).

Werden die Investitionen aber erst einmal unterlassen, gehen meist auch die ersten Probleme los. Das Problem sind also nicht Abhebungen, die im Alltag zwangsläufig passieren, sondern dass aufgehört wird zu investieren. Das Guthaben stagniert oder baut sich allmählich ab.

Nehmen wir an, es kommt zu einem großen Streit (-50 Punkte für beide Konten). Das ist noch kein Problem, eine Abhebung wird vorgenommen, das Guthaben bleibt immer noch groß genug. Doch es geht weiter.

Der Partner macht einem selbst immer weniger Komplimente, obwohl man sich extra schick angezogen hat (weitere -30 Punkte für ihn).

Abends kommt er müde nach Hause und hat kein Ohr mehr für das Thema einer noch offenen Rechnung (-40 Punkte für ihn).

In der Früh bin ich schlecht gelaunt und verhalte mich unfreundlich zu ihm (-20 Punkte für mich).

Ich ziehe mich nicht mehr schick an, sondern bleibe in meinen Schlabberhosen (-30 Punkte für mich).

Ich habe ihm versprochen ihn auf der Arbeit anzurufen, bin sauer und lasse das bleiben (-100 Punkte).

Und so geht es weiter, bis einer von beiden vielleicht einen neuen Menschen kennenlernt, der wieder Komplimente macht. Und schon legen wir ein neues Konto an, für die Aufmerksamkeiten der neuen Bekanntschaft. Das neue Konto gerät immer weiter ins Plus und übersteigt irgendwann das Plus der alten Beziehungskonten.

Hinzu kommt, dass durch den Vergleich zur neuen Bekanntschaft, weitere Abhebungen auf dem alten Beziehungskonto stattfinden (z.B. sieht die neue Bekanntschaft besser aus, ist freundlicher, aufmerksamer, hört besser zu …), bis das Guthaben der alten Beziehung aufgebraucht ist. Irgendwann kommt es zur Trennung und das ganze Spiel beginnt von vorne …

Natürlich kann es sein, dass sich beide nicht trennen (es ist vielleicht gerade kein neuer Partner in Sicht), sondern ein eheliches oder eheähnliches Abkommen leben. Dieses bleibt oft unbewusst oder unausgesprochen. Beide schließen einen Handel: "Wenn du mir was Gutes tust, dann tu ich auch was Gutes für dich". "Wenn du mir finanzielle Sicherheit gibst, dann bin ich auch weiterhin bereit mit dir ins Bett zu gehen". "Wenn du den Abwasch machst, dann bügel ich dir deine Hemden."

Hält sich der andere nicht an den Handel, dann gibt es Stress und es kommt zu weiteren Abhebungen. Beide beäugen sich misstrauisch, dass auch ja keiner mehr als der andere einzahlt. Solche von Abhängigkeit geprägte Beziehungen tragen nicht wirklich zu einer immer inniger werdenden Verbindung bei.

Hier wäre es nötig wieder neu zu investieren, d.h. nicht nur Abhebungen wieder auszugleichen, sondern darüber hinaus zu gehen, d.h. das Guthaben auf den Beziehungskonten weiterhin zu erhöhen. Wenn das in einer Beziehung geschieht, die langjährig besteht, so lässt sich das durchaus als Liebe verstehen. Denn beide geben immer mehr, als sie nehmen.

Wie Abhebungen ausgeglichen werden können und was man tun kann, um das Guthaben auf dem Beziehungskonto kontinuierlich zu erhöhen, erfahren Sie im folgenden Artikel: "Beziehungskonto: Wie man in eine glückliche Beziehung investiert … ".

Um das Modell des Beziehungskontos erfolgreich anzuwenden, empfiehlt es sich am Anfang nur zu beobachten, welche Verhaltensweisen des Partners einem selbst Freude machen oder wichtig sind. Im Anschluss kann dann beobachtet werden, welche seiner Verhaltensweisen einen stören und was man gerne anders hätte.

Viel Erfolg beim Beobachten und Gestalten Ihrer Beziehung!

Cassandra B.