Eugen Karl Dühring (1833-1921) war ein deutscher Jurist und Philosoph, der 1863 Privatdozent an der Universität Berlin wurde. Wegen scharfer Kritik am Universitätswesen verlor er später seine Lehrbefugnis und arbeitete als freier Schriftsteller. Lesen Sie hier über ihn eine Zusammenfassung von Gunthard Heller.
Eugen Karl Dühring
Eugen Karl Dühring (1833-1921) war ursprünglich Jurist. 1863 wurde er Privatdozent für Philosophie an der Universität Berlin. Er hielt Vorlesungen über Nationalökonomie, Philosophie und Mathematik. Für seine „Kritische Geschichte der allgemeinen Principien der Mechanik“ (Berlin 1873) erhielt er den Preis von der Göttinger Akademie der Wissenschaften für das beste Buch über die Geschichte der Mechanik. Da Dühring in der zweiten Auflage des Buchs das zeitgenössische Universitätswesen heftig kritisierte, wurde ihm die Lehrbefugnis entzogen. Von da an arbeitete er als freier Schriftsteller.

Er wurde vor allem dadurch bekannt, daß Friedrich Engels seine Lehre in „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring). Philosophie. Politische Ökonomie. Sozialismus“ in der Zeitschrift „Vorwärts“ (1877/78) kritisierte (Buchausgabe: Leipzig 1878).
Der Hintergrund: Um Dühring hatte sich eine Sekte gebildet, in der auch Marxisten waren, denn Dühring interessierte sich für den Sozialismus und war Materialist. „Das empfahl ihn den Sozialisten, die nicht schärfer hinsahen, was hinter diesem Materialismus steckte“ (Friedenthal 583). Sie schätzten Dühring als Polemiker, „der sich vor nichts fürchtete, und seien es die geheiligten Namen der Geistesgeschichte“ (Friedenthal 584).
Engels übernahm die Aufgabe, Dühring den Sozialisten wieder abspenstig zu machen. Er tat das nicht gerne, da er Dührings Werke als langweilig empfand. Seine Kritik an Dühring, den er für unzurechnungsfähig hielt, weil er größenwahnsinnig sei, „hat lange Zeit sogar sehr viel stärker auf die Bewegung gewirkt als Marxens Bücher“ (Friedenthal 585).
Im folgenden fasse ich das Wesentliche des umfangreichen „Cursus der Philosophie“ von Dühring (559 Seiten!) zusammen.
Einleitung
I. Bedeutung der Philosophie. Dühring betrachtet die Philosophie als „ein rastlos thätiges Princip allseitiger Gestaltung des Lebens“, als „die Entwicklung der höchsten Form des Bewusstseins von Welt und Leben“ (S. 1f).
Unter Bewußtsein versteht Dühring nicht nur „das theoretische und gleichsam ruhende Wissen, sondern auch die Empfindungen der Triebkräfte, in denen das Wollen seinen bewussten Ausdruck erhält“ (S. 3).
Philosophen sind für Dühring freie, souveräne Geister, die sich keiner Autorität unterwerfen: „Naturthatsachen und selbstgewonnene Einsichten sind die einzigen Nöthigungen, denen die Philosophie folgt“ (S. 6).
II. Bestandtheile und natürliches System. Dühring faßt zunächst die herkömmliche Einteilung der Philosophie in Gruppen von Disziplinen zusammen:
- Logik, Metaphysik, Dialektik, Erkenntnis- und Forschungstheorie, Psychologie;
- Naturphilosophie;
- Moral, Naturrecht, Grundlagen der Politik, Geschichtsphilosophie, Religionskritik, Ästhetik;
- Philosophiegeschichte (S. 10).
Mit dieser traditionellen Einteilung ist Dühring nicht zufrieden:
- Er meint, die Logik habe „wie die Elementarmathematik keinen besondern Zusammenhang mit der eigentlichen Philosophie“ (S. 10).
- Die Philosophie könne nicht „alle Voraussetzungen des besondern Wissens […] in ihren eignen Rahmen aufnehmen“ (S. 11).
- Der Begriff Metaphysik bezeichne zwei ganz verschiedene Dinge: Einerseits sei sie „die Empfänglichkeit für unwirkliche und phantastische Begriffsgebilde“, andererseits lehre sie „die Grundbegriffe, durch welche die Welt mit ihrer Verfassung zu denken sei“ (S. 11).
Im vorliegenden Philosophiekurs schließt Dühring alles aus, „was nicht zur Entwicklung der Principien der Weltanschauung und Lebensgestaltung unmittelbar erforderlich ist.“ Für ihn ist die Philosophie also „etwas ganz Anderes […] als eine Vereinigung des principiellen Gehalts der positiven Wissenschaften“ (S. 12).
Entsprechend bezeichnet Dühring seine eigene Philosophie als „das natürliche System oder die Wirklichkeitsphilosophie“, da sie „die künstlichen und naturwidrigen Erdichtungen beseitigt und zum ersten Mal den Begriff der Wirklichkeit zum Maass aller ideellen Conceptionen macht.“ Mit Hilfe der Phantasie befreit Dühring dabei „die Thatsachen aus ihrer äusserlichen Trägheit“ und verbindet „die Ergebnisse der Erfahrung zu einem lebensvollen Ganzen“ (S. 13).
Er nennt zwei Gegenstände seiner Philosophie: „die Natur und die Menschenwelt“ (S. 14). Den Stoff seines Philosophiekurses ordnet er in drei Gruppen an:
- allgemeine Weltschematik,
- Lehre von den Naturprinzipien,
- Lehre vom Reich des Menschen (S. 15).
Erster Abschnitt. Grundgestalten des Seins.
Erstes Capitel. Elementarbegriffe der Weltauffassung. Dühring spricht nicht von Gott und der Welt, sondern vom Sein: „Das allumfassende Sein ist einzig“ (S. 16). Dieses Sein existiert unabhängig von unserem Denken. Es ist unentstanden und unvergänglich. Der Raum ist unbeschränkt, aber nicht unendlich. Die Zeit ist ebenfalls unbeschränkt, aber unendlich. Die Gestalten des Daseins sind veränderlich. Die Arten sind „als Differenzen anzusehen, die an dem Fluss der Veränderungen theilhaben“ (S. 25). Veränderungen werden verursacht.
Zweites Capitel. Logische Eigenschaften des Seins. Alle Dinge hängen rationell zusammen. In der Natur gibt es zwar viel Unvereinbares, doch im Denken dürfen wir keine Widersprüche dulden. Das heißt, wir müssen Unvereinbares als unvereinbar darstellen. Alle Vorgänge verlaufen gesetzmäßig. Das heißt: Es gibt in der Natur keine Willkür. Anders ausgedrückt: Das Sein ist mathematisch strukturiert und läßt sich mathematisch darstellen. Schopenhauers Willensmetaphysik und Kants verstandesfeindliches System lehnt Dühring ab.
Drittes Capitel. Verhältnisse zum Denken. Wer sich über Dührings Beurteilung von Kant wundert, bekommt in diesem Kapitel noch einen Hinweis: Das Christentum habe den Verstand unterdrückt. Dagegen predigt Dühring folgendes Evangelium der Wahrheit: „Wir, die wir nicht aus dem Käfig philosophiren, können den kürzern Weg wählen und unmittelbar in der freien Natur die Beziehungen aufsuchen, deren wir bedürfen. Bis jetzt hat die neuere und neuste Geschichte der Philosophie noch keine Welt- und Lebensanschauung aufzuweisen gehabt, in welcher der menschliche Verstand zu seinem vollen Rechte gelangt und seine Souverainetät in ihrer ganzen Wahrheit anerkannt wäre“ (S. 41f).
Comte habe mit seinem Positivismus „auf eine endgültige und das ganze Wesen der Dinge umfassende Erkenntniss“ verzichtet, Spinoza sei „nur einzelnen Seiten des Verstandes gerecht geworden“ und habe „den Antheil, den die Imagination in der vollendeten Weltauffassung zu beanspruchen hat, völlig verkannt“ (S. 42).
Dühring nennt diese Imagination mathematische, rationelle oder wissenschaftliche Phantasie. Sie darf nichts erfinden, sondern muß sich streng an die Erfahrung halten. Da es noch keine Wissenschaft ist, die Tatsachen nachzuahmen, muß diese Phantasie Zusammenhänge herstellen, indem sie Kausalitätsverhältnisse aufzeigt. Wer die Natur vom Menschen aus betrachtet, betreibt nur die halbe Philosophie. Die andere Hälfte besteht darin, den Menschen von der Natur aus zu betrachten.
Der Teleologie steht Dühring kritisch gegenüber: Wer in der Natur Zwecke sucht, muß auch ihre Unzweckmäßigkeiten aufzeigen. Insofern stimmt Dühring Spinozas Aussage zu, „dass der Zweck eine menschliche Erdichtung sei“ (S. 53).
Zweiter Abschnitt. Principien des Naturwissens.
Erstes Capitel. Ausgangspunkte. Dühring kritisiert die Naturphilosophie von Schelling und den philosophischen Dilettantismus von Naturwissenschaftlern. Den Positivismus kritisert er dafür, daß er „vor falschen oder […] erlogenen Grenzen des Erkennens“ zurückschrecke und dadurch die „Souverainetät des Verstandes“ gefährde. Den Mystizismus betrachtet er als „Hochverrath an der Wissenschaft“ (S. 59).
Er selbst will „in der Natur […] das selbstgenugsame Ganze“ erblicken, „welches ausser sich keine Voraussetzungen hat und keines andern Seins zur vermeintlichen Ergänzung bedarf“ (S. 60). Die Phänomene des Bewußtseins rechnet Dühring zur Natur. Doch er betrachtet sie als materielle, mechanische Vorgänge. Einen leeren Raum gibt es für ihn nicht.
Die Geisterreiche von Berkeley und Swedenborg lehnt Dühring ab. Kant wirft er vor, daß ihm diese Geisterreiche „nicht fremd geblieben“ seien und er wie ein Scholastiker argumentiere. Das sei Kant deshalb passiert, weil er ständig „nach der sogenannten praktischen Begründung von mystischen Moral- und Religionsideen“ geschielt habe (S. 69).
Dühring betrachtet die Materie als „Träger alles Wirklichen. […] Die mechanische Kraft ist ein Zustand der Materie“ (S. 73). In der Materie erkennt Dühring „zugleich das absolute Sein und in diesem alles Uebrige“ (S. 75). Er ist also ein Materialist reinsten Wassers.
Zweites Capitel. Grundgesetze des Universums. Dühring unterscheidet Beharrungs- und Entwicklungsgesetze. Er findet sie nicht nur in der Natur, sondern auch „in der Constitution bewusster Wesen“ (S. 77).
Die Vernunftkritik von Kant ist für Dühring ein Euphemismus für die Selbstverstümmelung der Zeugungskraft des Verstandes. Er selbst plädiert für den Einsatz der physikalischen Phantasie, die „das, was sie im Kleinen beobachtet, in grösseren Dimensionen“ betätigen (S. 92), also von einer gegenwärtigen Erfahrung oder einem Experiment auf das Wesen des Universums schließen könne.
Das Ergebnis von Dührings physikalischem Phantasieren ist eine Erdgeschichte ohne „Weltkatastrophen“ (S. 93), entgegen allen Berichten in der Mythologie der Völker (vgl. dazu z.B. die Berichte in der Bibel über die Sintflut und die Zerstörung von Sodom und Gomorra, Platons Timaios, Kritias und Nomoi sowie die Bücher von Velikowsky). Dührings Hintergedanke ist klar: Ohne Katastrophen braucht es keine Schöpfung. Er phantasiert eine in sich geschlossene Natur, die langsam und stetig voranschreitet – entgegen aller Realität (damit ein solches Szenario denkbar wird, postulierte Darwin ungeheure Zeiträume).
Dühring begründet seine Auffassung so: Schon die regelmäßigen Bewegungen der Planeten seien „ein hinreichender Grund, um die voreiligen Vernichtungsideen abzuweisen. Wenn das Menschengeschlecht oder die Gattungen auf andern Weltkörpern neuen Bildungen weichen, so wird dies durch allmälige Metamorphose und Aussterben, aber nicht durch einen plötzlichen Zerstörungs- und Schöpfungsact geschehen müssen; denn alle Analogien der Erfahrung weisen auf eine solche stille Arbeit der Natur hin, und nichts untersützt den monstrosen Gedanken, dass die Triebkräfte der Natur auf eine plötzliche Abreissung des einmal gesponnenen Fadens irgendwo angelegt wären“ (S. 94).
Es paßt alles zusammen: Der im stillen Kämmerlein sitzende Dühring, der wegen eines Augenleidens seine Tätigkeit als Anwalt aufgeben mußte, ist inzwischen halb oder ganz blind und schließt aus seinem beschaulichen Leben in der Gegenwart auf die Beschaulichkeit der Erdgeschichte. Denn zwischen dem Bewußtsein des Menschen und der Natur postuliert er mit Hilfe seiner wissenschaftlichen Phantasie, die seiner Ansicht nach weit über Kants Erkenntnistheorie steht, eine Analogie.
Für Dühring waren die chemischen Elemente schon immer da und sind unveränderlich. An dieser Auffassung würde er erst dann zweifeln, wenn er „aus der Gegenwart einen Naturprocess“ kennenlernen würde, „der etwas von einer Wandlung dieser Arten an sich trüge“ (S. 96f).
Die Konsequenzen:
- „Das im Universum vorhandene Gold muss jederzeit dieselbe Menge gewesen sein und kann sich ebensowenig wie die allgemeine Materie vermehrt oder vermindert haben. Dasselbe muss man von dem Wasserstoff oder jedem andern wirklichen Element sagen“ (S. 96).
- „Das Universum ist ein Mechanismus, und ein solcher kann nicht ohne Systematik gedacht werden“ (S. 99).
Drittes Capitel. Organische Entwicklungsgesetze. In diesem Kapitel setzt sich Dühring mit der Evolutionstheorie auseinander. Darwins Kampf um das Dasein lehnt er ab, denn er sei eine Verallgemeinerung des inzwischen untergegangenen Malthusianismus und werde ebenso untergehen. Die Entwicklung vollziehe sich vielmehr „durch positive Gruppirungen und Triebe“ (S. 101), während der Kampf ums Dasein ein typisch englisches Konkurrenzdenken sei.
Stattdessen favorisiert Dühring den Lamarckismus, demzufolge die Entwicklung durch Anpassung an die Umwelt zustande kommt. Konkretes Beispiel: Die Giraffen haben lange Hälse, damit sie die Blätter von den Bäumen fressen können. Allerdings sind zahlreiche „Versuche, den Lamarckismus experimentell zu beweisen, […] gescheitert“ (MEL 14/570).
Darwin nehme „echt Englisch seine Zuflucht zum Herrgott“ und habe den Deismus wieder salonfähig gemacht, von dem Dühring nicht viel hält (S. 111). Er vergleicht die darwinistische Abstammung des Menschen vom Uraffen mit der religiösen „Abstammungstheorie […] von dem ersten Juden im Paradiese“: „Dieser Urjude, der so sehr Alles in Allem war, dass er sogar schon sein Weib in sich trug, ist von dem Uraffen der Darwinschen Descendenztheorie nicht so überaus verschieden, als man auf den ersten Blick anzunehmen versucht sein könnte“ (S. 110).
Für Dühring, der wie Xenophanes Gott als eine Imagination des Menschen betrachtet, gilt: „Nicht ein Ursprung der Arten, sondern die Zusammensetzung der einfachsten Gattungselemente ist das rationelle Problem“ (S. 114). Er hält das Organische für „eine zusammengesetzte Form selbständiger mechanischer Entwicklung“ (S. 127).
Dritter Abschnitt. Elemente des Bewußtseins.
Erstes Capitel. Empfindung und Sinne. Dühring betrachtet das Bewußtsein als eine individuelle Angelegenheit und bestreitet die Existenz eines Universalbewußtseins (das man Gott zuschreiben könnte). Gott ist für ihn nur ein Pseudobegriff, ähnlich wie die Seele. Die Psychologie betrachtet Dühring als „Lehre von den Bewusstseinsvorgängen als solchen“ (S. 134).
Bei den Empfindungen findet Dühring dieselben Antagonismen wie bei allen „objektiven Naturactionen“. Sein Paradebeispiel sind Lust und Schmerz (S. 139). Den Pflanzen spricht Dühring alle Empfindung ab, die für die Tiere und Menschen charakteristisch ist: „Die scharfe Grenze zwischen Pflanze und Thier liegt da, wo der Sprung zur Empfindung vollzogen wird“ (S. 142).
So wie Dühring die gesamte Natur mechanisch erklärt, macht er das auch bei den Sinnen. Für ihn gibt es „kein Theilchen des Leibes, welches nicht mechanisch afficirt würde“ (S. 147).
Zweites Capitel. Triebe und Leidenschaften. Dühring stellt fest, „dass es in uns keine Antriebe oder Erkenntnissformen giebt, die räthselhafter wären, als Hunger und Geschlechtstrieb oder als Sehen, Hören und Lust- oder Schmerzgefühl“ (S. 157). Er erklärt sie von ihrer Funktion her: Die Natur wolle Hindernisse überwinden. Auch der Mensch sei Natur.
Dühring geißelt die Ächtung der Sinnlichkeit und der Affekte (Leidenschaften) durch die Religionen. Für ihn sind „Rache, Neid und Eifersucht“ sinnvolle natürliche Funktionen, die der Selbsterhaltung dienen. Die Rache sei eine „Hüterin der Gerechtigkeit“. Nur „Blutdurst und Mordgier“ lehnt er kategorisch ab (S. 172).
Beim Neid macht er allerdings eine Einschränkung: Wer auf „gerechtfertigte Vorzüge“ neidisch sei, sei gleich doppelt schlecht: „Zu dem eignen Mangel der bessern Eigenschaften und zu dem Steckenbleiben im Gemeinen gesellt sich noch die positive Niedertracht, welche, unfähig zur Anerkennung, zur Sympathie oder gar zur Verehrung, nur den Koth voraussetzt und sieht, in dem sie selbst heimisch ist, und daher Alles zu ihrem Pfützendasein hinabzuzerren und die Welt ausschliesslich mit ihrer Sumpfexistenz einzunehmen sucht“ (S. 174).
Drittes Capitel. Verstand und Vernunft. Die Wörter sind von den Verben „verstehen“ und „vernehmen“ abgeleitet. Dühring wehrt sich einerseits gegen die Auffassung, es handele sich um „zwei Arten der Intelligenz“ (S. 178), andererseits definiert er die Vernunft zweifach:
- „Das Vermögen der rationellen Einsicht wird am besten Verstand genannt, während die Bethätigung des Verstandes in Handlungen gewöhnlich Vernunft heisst“ (S. 178).
- „Die Vernunft besteht daher recht eigentlich in dieser Combination der allgemeinern, durch Verstandesvorstellungen erweiterten Beweggründe mit denjenigen Antrieben, die uns unwillkürlich erregen“ (S. 186). Dagegen erkennt der Verstand „das Einerlei und die Veränderungen“ (S. 179).
Zur Unterscheidung von Verstand und Vernunft schreibt Dühring noch: „Empfindung und Sinne bilden gleichsam den Unterbau des Verstandes, während Triebe und Leidenschaften den Gegenstand und Inhalt für die Vernunft d. h. für die Anwendung des Verstandes auf das Praktische abgeben“ (S. 178).
Die „psychologische Freiheit“ definiert Dühring als „Empfänglichkeit für Bewusstseinsmotive oder […] die Bestimmbarkeit durch Gründe d. h. durch vorgestellte Ursachen“ (S. 185).
Vierter Abschnitt. Sitte, Gerechtigkeit und edlere Menschlichkeit.
Erstes Capitel. Grundgesetze der Moral. Dühring überträgt seine antagonistische Naturauffassung auf die Moral: Dem Bösen bei den Menschen entsprechen die Raubtiere bei den Tieren. Pflichten gibt es nur in der Gesellschaft, während der einzelne Mensch „kein Sollen, sondern nur ein Wollen“ kennt (S. 199). Auch die Sorge um die eigene Gesundheit ist eine Pflicht gegenüber anderen Menschen.
Der Wille des Menschen findet seine Grenzen am Willen eines anderen Menschen. „An sich ist der Wille des Einzelmenschen nicht verbunden, sich einem andern Willen zu unterwerfen. Hieraus folgt aber sofort, dass er auch selbst kein Recht haben kann, einen andern Willen unterwerfen zu wollen“ (S. 200).
Wer sich gegen Bösewichter wehrt, sollte darauf achten, daß er „nicht selbst zur Bestie“ wird (S. 204). Wer meint, er könne andere durch Grausamkeit abschrecken, sollte daran denken, daß er nicht nur in Furcht begründete Achtung, sondern „auch eine moralische Verachtung“ erzeugt (S. 203). Strafe muß sein, aber auch Prävention: „Den Feind, der uns schwer geschädigt hat, werden wir nicht nur zu strafen, sondern auch für künftig ungefährlich zu machen suchen“ (S. 217).
Doch Dühring betrachtet die Menschheit nicht als vorwiegend böse: „Von Natur ist der Mensch für den Menschen keineswegs in grösserem Maasse feindlich als indifferent oder freundlich“ (S. 208).
Er kommt nochmals auf die von der Moral verteufelten Affekte zu sprechen. Diesmal rechtfertigt er die Eifersucht als Anmeldung natürlicher Ansprüche. „Die wirklich schlechten Leidenschaften sind in der Raubgier und Herrschsucht […] zu suchen […]. Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruhen auf jenen wirklich schlechten Leidenschaften. Die Rache hat noch keine Tyrannen geschaffen, wohl aber gestürzt“ (S. 209).
„Die Erfahrung des Uebels […] wird dann am heilsamsten, wenn die Rollen wechseln, und wenn der bisherige Thäter des Unrechts der Erleider desselben wird“ (S. 210).
Dühring verurteilt das Lügen als feindlichen Akt, rechtfertigt es aber aus Notwehr.
Er propagiert den Genuß des Lebens und tritt für die Arbeit ein, die „rein subjektiv zur Veredlung des Daseins“ diene (S. 215). „Die Langeweile ist nichts als eine Stauung der Kräfte durch Abwesenheit wahrhaft interessirender Bedürfnisse“ (S. 215).
Zweites Capitel. Natürliche Auffassung des Rechts. Hier läßt Dühring endlich die Katze aus dem Sack und verkündet seine „Rachelehre“ (S. 231), die auf seinem „Princip des Ressentiment“ (S. 239) beruht. Beides hat er in den vorausgehenden Kapiteln ja schon vorbereitet, als er die Rache mit einem Gerechtigkeitsstreben in Verbindung brachte und dem Neid eine teilweise Berechtigung zugestand.
Dieses Kapitel empfinde ich bisher als das widerlichste von allen, auch wenn es kleine Inseln gibt, bei denen Dühring recht hat (Unverletzlichkeit des Individuums, Ablehnung von Unterdrückung, Zwangsehe und Ausbeutung).
In seinen Ausführungen über das Eigentum bekennt er sich zu seiner Art von Sozialismus, den er „socialitäres System“ nennt. Darin tritt „ein echtes Eigen an die Stelle des blos scheinbaren und vorläufigen oder aber gewaltsamen Eigenthums […]. Dieses Eigen gilt nur der Person und der Unverletztheit ihrer auf Leben und Lebenssteigerung gerichteten Mühen“ (S. 242).
Daß Dühring die Religionen ablehnt, erklärt seine Fixierung auf die Rache. Juden und Christen überlassen die Rache Gott (vgl. 1 Sam 24,13; Sir 28,1; Nah 1,2; Röm 12,19), was nicht heißt, daß sich alle daran gehalten hätten. Das belegen zahlreiche Bibelstellen.
Daß Dühring die Lehrbefugnis entzogen wurde, erklärt seine Fixierung auf den Neid, der Christen als Haupt- oder Todsünde gilt (vgl. Mk 7,20-23; Gal 5,21; 1 Tim 6,4). Auch die Juden lehnen ihn ab (vgl. Spr 3,31; 24,1; Weish 2,24; 6,23; Sir 9,11; 30,24; 37,10), was ebenfalls nicht heißt, daß sich alle daran gehalten hätten (vgl. Mt 27,18; Phil 1,15 und das Buch von Horst Hermann). Doch eines Philosophen ist beides unwürdig.
Von den Menschenrechten scheint Dühring schon etwas gehört zu haben. Zumindest verwendet er das Wort (S. 233). Zu seiner Entschuldigung kann man allenfalls anführen, daß er unter Naturrecht das Gesetz des Dschungels versteht.
Um den Kontrast zur modernen Rechtsauffassung deutlich zu machen, stelle ich zwei Definitionen nebeneinander.
- Zuerst Dühring: „In einem sehr weiten Sinne versteht man unter Recht einen Inbegriff von thatsächlichen Zuständen, in denen namentlich die Einrichtungen und Regeln der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen eine Rolle spielen“ (S. 219).
- Und nun eine moderne Definition: Recht ist die „Bezeichnung für eine Ordnung menschlichen Zusammenlebens, die dieses so regelt, daß Konflikte weitgehend vermieden werden“ (MEL 19/661).
Drittes Capitel. Bessere Menschheitsausprägung. Dühring befaßt sich hier mit den „auf eine edlere Menschlichkeit gerichteten Bestrebungen“ (S. 243) wie Kultur, Erziehung, Liebe, Philanthropie in ihren verschiedenen Ausprägungen (als Kriegs-, Bettel-, Kriminal-, Sozialphilanthropie) und Humanismus. Er geißelt Alkoholismus, Völlerei, das Rauchen und Drogen. Sein Hauptanliegen: All die genannten positiven Bestrebungen sollen echt und wahr, nicht geheuchelt sein.
Fünfter Abschnitt. Gemeinwesen und Geschichte.
Erstes Capitel. Freie Gesellschaft. In Dührings idealer Gesellschaft hat keiner „das Recht, dem Andern seinen Willen aufzudrängen“. „Herrschaft und Knechtschaft“, „Unterwerfung, Ausraubung und Versklavung“ sind ausgeschlossen (S. 265f). Für Dühring ist die „Gewalt […] als solche auch dann ein Uebel, wenn sie der Gerechtigkeit dient“ (S. 270).
Wer frei sein will, braucht Dühring zufolge Waffen, denn: „Auf die Selbsthülfe darf man […] niemals ganz verzichten, sondern nur einwilligen, dieselbe als Bestandtheil einer organisirten Gesammthülfe und daher nicht mehr nach ausschliesslich eignem Urtheil auszuüben“ (S. 274). Wer seine physische Macht preisgibt, vollendet diesen Weg damit, daß er auf seine „geistige Selbständigkeit“ verzichtet (S. 275). Das sieht Dühring in der Neigung gegeben, sich auf Experten und Gutachter zu verlassen, die seiner Meinung nach „keine absolut autoritäre Bedeutung erhalten“ dürfen (S. 276).
In Dührings freier Gesellschaft gibt es keinen religiösen Kultus, da die Religionen in seinen Augen Illusionen sind. Stattdessen diktiert er eine „naturwissenschaftliche Denkweise“, die „sich zu einer Erkenntniss der durchgängigen Regelmässigkeit aller Vorgänge“ verallgemeinert (S. 285).
Dühring ist gegen die Ehe als „Institut des Zwangsrechts“, bei der der Mann seine Frau als Eigentum betrachtet (S. 291). Er toleriert nur den Ehebruch der Männer, nicht der Frauen. Denn eine zusätzliche finanzielle Belastung für den Unterhalt außerehelicher Kinder sei nicht so schlimm wie ein Kind der eigenen Frau von einem fremden Mann. Außerdem ist er der Meinung, daß man den Ehebruch des Mannes weder hindern noch kontrollieren könne.
Im Alltag ist es Dühring wichtig, daß die Ehegatten sich voreinander zurückziehen können, damit die Gemeinschaft nicht zu einer Last wird. „Die Stellung der Frauen ist nicht blos bezüglich der Ehe sondern auch im Hinblick auf alle politischen und gesellschaftlichen Functionen ein Merkzeichen der Cultur oder Uncultur“ (S. 296).
Zweites Capitel. Geschichtsauffassung und Civilisation. Dühring findet, daß die Geschichtsphilosophie gerechterweise mißachtet wird. Für ihn ist die Geschichte „eine Fortsetzung der blossen Naturarbeit“ (S. 298). Er träumt von der „Abschaffung des Ablohnungssystems […] und der damit verbundenen Ausmerzung des Unterdrückungseigenthums“ (S. 302).
Im Unterdrückungsstaat sei die Revolution quasi angelegt. Erst wenn es keine Unterdrückungsstaaten mehr gibt, verschwinden die Revolutionen. Die Gewaltstaaten brechen durch die Unzulänglichkeit ihrer Gewalt zusammen. Für Dühring verlieren sie ihre Rolle ähnlich wie die Kirchen. Für ihn sind auch die „historischen Demokratien […] Gewaltherrschaften, da sie stets eine unterdrückte Schicht unter sich hatten“ (S. 308).
„Eine echte Geschichtswissenschaft“, wie sie Dühring vorschwebt, „richtet sich auf die Bestandtheile und Kräfte selbst, aus denen die besondern Thatsachen entspringen“ (S. 306). „Die wahre Geschichtswissenschaft muss einigermaassen der Mechanik gleichen und auf die einfachen bewegenden Kräfte selbst gerichtet sein“ (S. 307).
Vom Heldenkult hält Dühring nicht allzuviel. Er betrachtet eher die elementaren Kollektivmächte als Chancen für die Entwicklung der Zivilisation. Doch auch hier gebe es Irrtümer. Man müsse sich daran gewöhnen, „die Thaten der Geschichte zu einem grossen Theil als Fehlgriffe […] zu betrachten“ (S. 339). Dafür brauche es absolute Maßstäbe (was zu einer Diktatur à la Dühring führt).
Vor allem beklagt Dühring die fehlende Meinungsfreiheit im Gewaltstaat: „Literatur und Halbwissenschaften sind in der Breite ihres Daseins fast regelmässig Sklaven der politisch herrschenden Elemente“ (S. 313). Die Vergötterung des Staats „als ein höheres Wesen“ lehnt Dühring ab (S. 320). „Die politische Toleranz ist hinter der religiösen geschichtlich noch weit zurückgeblieben“ (S. 335).
Insgesamt moniert er vor allem die Zentralisierung in Verwaltung, Wirtschaft, Justiz und Polizei. „Nicht einmal auf den Strassen und in der Umgebung der Grossstädte vermag die centralistische Polizei hinreichende Sicherheit gegen Raub und Mord oder gegen Gewaltsamkeiten geschlechtlicher Art zu schaffen.“ Dührings Heilmittel: „Die einzige Garantie gegen solche Zustände wäre die örtliche Einrichtung kleiner Bezirke, in denen die Mitglieder selbst die erforderliche Ueberwachung organisiren und ausüben“ (S. 328). Das bedeutet konkret die Förderung von Spionen und Denunzianten.
Bei der Justiz beklagt Dühring, daß ein Richter für das von ihm begangene Unrecht nicht zur Rechenschaft gezogen werden könne. Wenn der Weg durch die Instanzen durchlaufen ist, ist das auch heute noch nicht möglich, es sei denn durch die Presse.
Sechster Abschnitt. Individualisirung und Werthsteigerung des Lebens.
Erstes Capitel. Ursachen des Pessimismus. Dühring beklagt die Vieldeutigkeit der Wörter „Optimismus und Pessimismus“, die dazu führe, daß „sie sich schlecht eignen, in der Frage des Lebenswerthes die entscheidenden Standpunkte zu bezeichnen“ (S. 345).
Der falsche Pessimismus entspringe aus Leid, übertrage aber das ihm entsprechende Abwehrverhalten auch auf Gegebenheiten, die es nicht erfordern. Der falsche Optimismus entspringe dem „Mangel an Idealität und Gerechtigkeit der Gesinnung“ (S. 346).
Der Malthusianismus sei ein „Bevölkerungspessimismus“, Darwins „Lehre vom Kampfe um das Dasein“ habe „einen moralisch pessimistischen Grundzug“ (S. 344) und sei „eine Rückwirkung falsch ausgelegter socialer Verhältnisse“ (S. 345). Machiavelli sei das Vorbild des politischen Pessimismus.
„Alle praktischen Arten des Pessimismus […] beruhen auf einseitigen Auffassungen des erfahrungsmässigen Laufes der Dinge und sind daher durch bessere Einsichten und veränderte Willensrichtungen verhältnissmässig leicht ins Gleiche zu bringen. Anders verhält es sich mit dem Jenseitigkeitspessimismus“, der „gar nicht an die Wirklichkeit […] glauben“ wolle (S. 350).
Zweites Capitel. Schätzung der Lebenselemente. Aufgabe der Wirklichkeitsphilosophie Dührings ist es, „den tatsächlichen Lebenswerth ohne optimistische Beschönigung und ohne pessimistische Verleumdung zum deutlichen Bewusstsein zu bringen“ (S. 355). Das Ergebnis von Dührings Einschätzung: Das Leben nimmt „an Gehalt, Kraft und Harmonie“ zu, „indem es sich zu reicheren Gestaltungen potenziert“ (S. 357).
Bei dem „Urtheil über den Daseinswerth“ kommt es darauf an, wie „uns der Welt und dem Leben gegenüber zu Muthe ist“ (S. 358). „Wenn wir die Dinge schlecht finden, so thun wir es, weil wir sie anders wollen“ (S. 359).
Die „natürlichen Widerstände“ betrachtet Dühring „als eine Nothwendigkeit […], ohne deren Erfüllung sich gar kein lebenswerthes Dasein hätte einrichten lassen“ (S. 361). An diesen Widerständen wachsen wir, indem wir sie überwinden. „Außerdem muss aber auch ein gewisses Maass von Störung als für die freiere Gestaltung des Menschenschicksals unentbehrlich angesehen werden“ (S. 368).
Was wir bereits kennen, reizt uns nicht mehr. Deshalb will kein verständiger Mensch sein Leben noch einmal leben. Im Großen und Ganzen sei das Leben „gesund“, denn das „Ueberwiegen der Beeinträchtigungen würde zerstörend wirken und die Dauer des Lebensspiels unmöglich machen“ (S. 367).
Drittes Capitel. Entwicklung und Erhöhung der Daseinsreize. Dühring teilt hier seine Ansichten darüber mit, „was geschehen kann, um den Reiz des Lebens zu steigern“ (S. 368). Die Philosophen hätten dieses Thema nur stiefmütterlich behandelt. „Wo die Corruption den Ton angiebt, ist für redliche Charaktere kein ungestörter Raum“ (S. 369).
Das „wirksamste Mittel“ zur Steigerung des Lebensgenusses ist Dühring zufolge der „geistige Fortschritt“ (S. 371). Er ist nur bei echtem, individuellem Interesse möglich. Das gilt besonders in der Pädagogik. Es ist hier wichtig, den Schülern nur echte Aufgaben zu stellen, keine künstlich ausgedachten, die lebensfremd sind. Wer nur für Geld arbeitet, hat kein wirkliches Interesse an dem, was er tut. „Er bemüht sich nur um den Schein einer guten Beschaffenheit“ seines Produkts (Ware, Dienstleistung) „und befindet sich auf diese Weise von vornherein im Element des Betruges“ (S. 380).
Dem Kunstgenuß steht Dühring kritisch gegenüber. Denn einerseits sollte die Kunst am „unmittelbarsten […] zur Erhöhung der Daseinsreize beitragen“ (S. 382), andererseits kann sie auch durch die Berauschung des Rezipienten zum Gegenteil führen. Jedenfalls sollen „die abgeleiteten Kunstreize […] nur ein Ersatz oder eine Ergänzung der unmittelbaren Lebensreize sein“ (S. 383).
Außerdem betont Dühring die Einhaltung einer geistigen Diät beim Kunstgenuß. Was einen nicht interessiert, sollte man weglassen. „Das Vorzügliche und zugleich dem eignen Streben Entsprechende ist selten und überdies schwer aufzufinden […], weil in der Masse des gleichgültigen oder schlechten Stoffs das Gute zunächst völlig unsichtbar zu bleiben pflegt“ (S. 384).
Dühring warnt vor der Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften, da sich in diesem Bereich „die bessern Elemente des vorwärts strebenden Lebens nur in geringer Minderheit“ betätigen. „Die gesunde Geistesnahrung ist also unter ungesunden Verhältnissen nur ausnahmsweise anzutreffen, und man wird daher wohl thun, […] lieber auf alle Mischwaare zu verzichten, als sich durch die Einlassung mit dem Schlechten die Stimmung und die bessern Gewohnheiten der Denk- und Gefühlsweise zu verderben“ (S. 385).
Erstes Capitel. Physiologische und materielle Existenz. Für Dühring sind Individualismus und Sozialismus keine Gegensätze: Erst in der freien Gesellschaft könne der einzelne sich selbst entfalten.
Dühring denkt, daß sich das Rassenproblem, das für ihn vor allem in der „Einmischung der Juden in die anderweitigen Völkerexistenzen“ besteht (S. 388), von alleine löst, da einerseits keiner eine freiwillige Ehe mit dem Angehörigen eines Volkes eingeht, das ihm zuwider ist, und andererseits „da, wo die persönlichen Neigungen in erster Linie entscheiden, die völligste Freiheit der Combinationen keinen Schaden anrichten werde.“ Noch mehr: „Gelegentliche Mischungen ziemlich stark unterschiedener Stammeseigenthümlichkeiten können bekanntlich eine günstige Einwirkung üben“ (S. 389).
In diesem Kapitel wird Dührings Antisemitismus so richtig deutlich: Die Juden seien grausam und egoistisch, zudringlich und zäh. Sie seien Schmarotzer. Beruflich würden sie sich vor allem als Händler und Banker, Journalisten, Ärzte und Juristen betätigen. Das Schlimme bei den Juden sei die Neigung zum Zwang und zur Ausbeutung:
„Das Eindringen des jüdischen Elements in den ärztlichen Beruf wird demselben immer mehr den Stempel eines reinen Handelsgeschäfts um nicht zu sagen einer systematischen Ausbeutung aufdrücken. Sogar die Staatsgesetzgebung muss in manchen Richtungen dazu helfen, das Publicum den Aerzten in immer weiterem Umfange, wie z. B. vermittelst des Impfzwangs, tributpflichtig zu machen. Es fehlt in einzelnen Gesetzgebungen nur noch die völlige Freiheit der Advocatur nebst dem Zwange des Publicums, sich in allen Fällen eines Advocaten zu bedienen, um auch in dieser Richtung die Früchte des jüdischen Stammes und der zugehörigen Denkweise zu zeitigen“ (S. 391).
In „Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage“ (1881) führt Dühring das noch näher aus: Die Juden seien „verhältnissmässig weit reicher als die übrigen Gesellschaftsgruppen“. Die Gründe: Juden arbeiten und sparen mehr, sagen sie selbst. Doch Dühring weiß es besser: „es ist der grössere und ungenirtere Aneignungstrieb, der die Juden hat dazu gelangen lassen, aus allen Canälen der Menschheit Geld herauszusaugen“ (J 18).
Den Anwaltszwang zur Förderung des Erwerbs rechnet Dühring hier zum Monopolzwang im Rahmen der „sogenannten liberalen Gesetzgebung“ und meint: „Judenabgeordnete im Deutschen Reichstag haben grade eine solche Art unfreiheitlicher Gesetzgebung in Scene gesetzt“ (J 19).
Zum Impfzwang schreibt Dühring hier folgendes: „Der ärztliche Beruf ist wohl unter allen gelehrten Geschäftszweigen nächst dem der Literaten am stärksten von Juden besetzt. Die künstliche Beschaffung einer Menge von Nachfragen nach ärztlichen Diensten ist ein Gesichtspunkt, dessen Bethätigung immer ungenirter geworden ist. Socialökonomisch betrachtet, also auch von dem Impfaberglauben selbst abgesehen, ist der Impfzwang immer ein Mittel, durch welches dem ärztlichen Gewerbe eine unfreiwillige Kundschaft zugeführt wird. So etwas ist mehr als Monopol; es ist ein Zwangs- und Bannrecht“, das sich „bis in unser Blut hinein“ erstreckt“ (J 19).
Auch dafür seien die Juden verantwortlich, meint Dühring: „Die Juden sind es aber auch hier gewesen, die durch die gesammte Presse und durch ihre Leute und Genossen im Reichstage das Zwangsrecht als selbstverständlich befürwortet, dem Streben der Aerzte überall den Stempel blosser Geschäftlichkeit aufgedrückt und die Besteuerung der Gesellschaft durch Aufnöthigung ärztlicher Dienste zum Princip gemacht haben“ (J 19f).
Im Reichstag seien einzelne Juden zu einem maßgebenden Einfluß gelangt, würden aber nicht nur selbst handeln, sondern auch andere vorschieben, „die sich von ihnen leiten lassen oder mit ihnen überhaupt gemeinschaftliche Sache machen. Die Judengenossen und Judenfreunde verfahren alsdann in bestimmten Angelegenheiten so jüdisch als es nur möglich ist“ (J 20).
Zurück zum „Cursus der Philosophie“: Als Wissenschaftler seien die Juden unschöpferisch und würden „die Vereinzelung und gleichsam Ausmünzung der überlieferten Stoffe in immer engere Specialitäten auf das Aeusserste zu treiben, um so durch den Anschein der Einzigkeit eine lucrativere Position oder sonst Vortheile zu gewinnen, zu denen eine rein den Bedürfnissen der Sache entspringende und daher nicht in Zersplitterung ausartende Theilung nicht verhelfen würde“ (S. 391).
Kritik: In Wahrheit waren es die Römer und Christen, die die Juden zu dem machten, was Dühring an ihnen auszusetzen hat.
Als die Juden sich im 1. Jh. n. Chr. gegen die römischen Besatzer wehrten, wurden über eine Million Juden getötet. Etwa 900000 gerieten in Gefangenschaft, in der 11000 verhungerten. Die Freiheitskämpfer wurden gekreuzigt, die andern mußten in den ägyptischen Steinbrüchen und Bergwerken als Sklaven arbeiten. Andere mußten in den römischen Provinzen als Gladiatoren kämpfen, oder es wurden wilde Tiere auf sie gehetzt. Jerusalem wurde bis auf drei Türme abgerissen und blieb unter römischer Besatzung. Kaiser Vespasian beschlagnahmte Judäa und ließ die Ländereien verkaufen.
Werner Keller kommentiert: „Kein anderes Volk auf Erden hat ein Schicksal, wie es jetzt über Israel hereingebrochen war, je überlebt“ (S. 80).
Innozenz III., der von 1198 bis 1216 Papst war, „wurde zum Urheber einer kirchlichen Politik, die die jüdischen Existenzmöglichkeiten immer mehr einengte und in deren Folge die Juden sozial auf die unterste Schicht herabgedrückt, zu einer Pariaklasse innerhalb der christlichen Gesellschaft herabgewürdigt wurden“ (Keller 245). „Die vierte Lateransynode vom Jahre 1215 zu Rom […] brachte das Verbot, christliche Berufe auszuüben – und die Isolierung der Juden innerhalb der christlichen Gesellschaft“ (Keller 247).
Wenn Dühring den Juden also die Monetarisierung des Gesundheitswesens und der Juristerei vorwirft, vergißt er zu sagen, daß die mittelalterlichen Christen den Juden keine andere Möglichkeit ließen. Dabei darf man nicht vergessen, daß die Christen ursprünglich eine jüdische Sekte waren. Die Gründer des Christentums waren alle Juden.
In der Gegenwart entstand die Monetarisierung durch die Privatisierung, die wiederum als Heilmittel gegen unzulängliche staatliche Verwaltung versagte. Richtigstellung des zugrundeliegenden Denkfehlers: Privatleute arbeiten nicht automatisch besser als Beamte. Mit dem Judentum hat das alles meines Wissens nichts zu tun.
In einem Punkt, nämlich daß der Glaube an die Wirksamkeit des Impfens ein Aberglaube war, hatte Dühring allerdings recht.
Die folgenden Zitate stammen aus dem Buch „Die Impf-Illusion“ von Suzanne Humphries und Roman Bystrianyk: „Im Jahre 1840 dämmerte Ärzten und Bevölkerung, dass die Impfungen nicht hielten, was sie versprachen. Immer mehr Menschen weigerten sich, sich impfen zu lassen. Die Regierungen verabschiedeten Gesetze, um eine Zwangsimpfung einzuführen“ (HB 93).
Doch die Impfpflicht „trug absolut nichts dazu bei, das Problem mit den Pocken in den Griff zu bekommen. […] Die wiederholten Pockenepidemien zeigten, dass die in Massachusetts eingeführten strengen Impfgesetze nicht die geringste positive Wirkung hatten […].
Tatsächlich starben in den 20 Jahren nach der Einführung der strengen Gesetze mehr Menschen an Pocken als in den 20 Jahren davor. […] Dasselbe Muster schwererer Epidemien sollte sich bei der geimpften Bevölkerung in der gesamten westlichen Welt wiederholen“ (HB 93f). „Das massenhafte Sterben geimpfter Personen in Frankreich, Deutschland und England wurde im Jahre 1900 in einem medizinischen Artikel deutlich geschildert“. 1899 „berichtete Dr. Ruata über zahlreiche Pockentote unter der geimpften Bevölkerung in Italien“ (HB 97). In der Encyclopedia Britannica erschien 1888 ein kritischer Impfbericht über „die hohe Sterblichkeitsrate bei der Pockenpandemie von 1870 bis 1873 in Preußen. Er informierte, dass trotz strenger Einhaltung der Impfgesetze etwa 60000 Menschen an Pocken starben“ (HB 98).
„In Japan wurde die Zwangsimpfung 1872 eingeführt. 1885 folgten strengere Gesetze, die alle fünf bis sieben Jahre eine Nachimpfung vorschrieben. Zwischen 1885 und 1892 wurden mehr als 25000000 Impfungen und Nachimpfungen durchgeführt. Trotzdem wüteten die Pockenepidemien weiterhin unter der japanischen Bevölkerung“ (HB 98).
„Zwischen 1859 und 1922 starben offiziellen Angaben zufolge mehr als 1600 Menschen in England an den Folgen der Impfungen […]. Aber die Zahl der Todesfälle aufgrund von Impfungen und durch Pocken blieb zwischen 1906 und 1922 in etwa dieselbe“ (HB 99).
Zur Ergänzung: „In Deutschland gibt es seit 1816 eine Pocken-Todesfall-Statistik, welche zeigt, daß die durchgeführten Impfungen keinen Einfluß auf die Höhe der Pocken-Todesfälle gehabt haben. […] Mit dem sogenannten Reichsimpfgesetz vom Jahr 1874, in Kraft getreten 1875, wurde der Bevölkerung eine zweite Impfung im 12. Lebensjahr zur Pflicht gemacht. Was war die Ursache dieser Pockenausbrüche im Jahr 1870/71? Fast die ganze Bevölkerung war doch gegen Pocken geimpft! Diese Ausbrüche gingen immer von den Lagern der französischen Kriegsgefangenen aus. Zwar waren auch die französischen Soldaten gegen Pocken geimpft, aber die hygienischen Verhältnisse in den Gefangenenlagern waren derartig dürftig, daß sich die Pockenseuche rasch ausbreitete und auf die deutsche Bevölkerung übersprang“ (Buchwald 24).
Daß Impfgegner seit der Coronakrise zu Rechtsextremisten abgestempelt werden, könnte man geradezu als Reaktion auf Dührings Antisemitismus interpretieren, in dem Sinne, daß er für bare Münze genommen wird und aus ihm falsche Schlüsse gezogen werden. Richtigstellung des zugrundeliegenden Denkfehlers: Reiztherapien, zu denen nicht nur die Naturheilweisen, sondern auch die Impfungen gehören, sind gefährlich. Wer zu ihnen gezwungen wird, kann eher davon krank werden oder gar daran sterben als jemand, der sich ihnen freiwillig unterzieht.
Zurück zu Dühring: Er betrachtet den Sozialismus als „die einzige Macht, welche Bevölkerungszuständen mit stärkerer jüdischer Untermischung die Spitze bieten kann“ (S. 393). Den Einwand, daß gerade unter den Sozialisten Juden sind, wischt er mit der Bemerkung beiseite, daß das individuelle Ausnahmen seien. Ich würde dagegen einwenden, daß man Nationalität und Weltanschauung nicht wie Ursache und Wirkung betrachten darf.
Dührings soziale Einstellung ist geradezu modern: „Der Mensch hat ein Recht auf die materiellen Lebensbedingungen nicht nur in sachlicher, sondern auch in persönlicher Beziehung“ (S. 395).
Zweites Capitel. Geistige Institutionen. Dühring hält eine „wahrhaft sittliche Ordnung“ nur in dem Fall für möglich, daß Privatmoral und öffentliche Institutionen übereinstimmen (S. 402). Erst in diesem Kapitel wird so richtig deutlich, warum Dühring eine Lanze für die Rache bricht: Der Kern der Religionen bestehe darin, die Rache Gott zu überlassen. Dühring lehnt die Religionen ab. Deshalb müssen in seiner zukünftigen Gesellschaft die Menschen sich selbst rächen. Diese Haltung nennt er seinen „wirklich kritischen Standpunkt“ (S. 404). Den religiösen Kultus nennt er „spiritistische Manipulationen“ (S. 406).
In Dührings freier Gesellschaft gibt es keine Selbstmorde, da ja für alle Belange des Körpers und des Gemüts gesorgt ist. Die Presse übt keine „priesterhaft verschleierte Vormundschaft“ über ihre Leser aus (S. 411). Es wird nur geschrieben, was sich zu schreiben und zu lesen lohnt. Alle bekommen dieselbe Allgemeinbildung ohne den „sich jetzt gewöhnlich sehr breitmachenden und obenein recht billigen Luxus untergeordneter Ausführungen und Spielereien“ (S. 418). Die ganze Gesellschaft wird zur „Schule und Uebung der Sitte“ (S. 421).
Die Dichter nähren sich nicht mehr von Religionen und Mythologien. Sie verzichten auch auf dichterischen Mystizismus, „wie ihn z. B. Goethe stark gepflegt hat“ (S. 423). Dafür konzentrieren sie ihre Kräfte „auf den verstandesmässig möglichen Inhalt des Seins“ (S. 424) und prägen „den Charakter höherer Menschlichkeit weit reiner und vollkommener“ als die bisherigen Dichter aus (S. 425).
Die toten Sprachen bleiben auf die Fachgelehrten beschränkt. Sie sollen nur dabei helfen, die Geschichte zu verstehen. Schüler werden nicht mehr damit belästigt. Stattdessen werden sie anhand ihrer Muttersprache geschult.
Während ein Kant zu Recht daran verzweifelte, „dass seine Vernunftkritik […] jemals populär und eine Sache des Volks werden könne“, werden in Dührings freier Gesellschaft lauter kritische Köpfe herangezogen. Da es keine Religion mehr gibt, wird „für die Welt- und Naturanschauung in unmittelbarer Weise“ gesorgt. Sie sollen „den Menschen von vornherein wahrhaft universell […] orientiren“ (S. 428). Die Ansichten der antiken Griechen dienen „für alle Gesellschaftsglieder als Ausgangspunkte eines selbständigen Urtheils über die Verfassung von Sein und Welt“. Alle Menschen sind gutartig, „denn es ist nichts vorhanden, was das Leben vorherrschend verleiden oder die Kenntnis der Dinge in das Verkehrte und Zwieträchtige fälschen könnte“ (S. 429).
Anders ausgedrückt: Zensur und die Unterdrückung von Fake-News machen laut Dühring alle glücklich.
Achter Abschnitt. Wissenschaft und Philosophie in der alten und in der neuen Gesellschaft.
Erstes Capitel. Erfahrungen der Geschichte. Von Dührings Schnelldurchlauf durch die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte in diesem Kapitel erwähne ich nur, was mir aufgefallen ist.
- Von der indischen und chinesischen Philosophie hat Dühring keine Ahnung, da er ja Religion und Spiritualität verachtet.
- Bei der antiken griechischen Philosophie schätzt er nur die Befreiung von der Religion. Pythagoras und Heraklit wirft er vor, sie hätten „bisweilen noch […] etwas Priesterhaftes an sich“ gehabt (S. 434).
- Von der römischen Wissenschaft hält Dühring nichts, da sie eine „Angelegenheit der eigentlichen Sklaven“ gewesen sei (S. 437).
- – Die mittelalterliche Philosophie ist ihm „eine einzige grosse Lücke“ wegen der „Nacht des Christenthums“ (S. 439).
- Von den neuzeitlichen Philosophen ist ihm Newton suspekt, da er sich auch für Theologie interessierte.
- Von Kants Vernunftkritik hat Dühring nichts verstanden. Kant sagte: Ohne Erfahrung, mit der Vernunft allein, kann man nichts erkennen. Dühring macht daraus: „die Kritik gegen die reine Vernunft wollte eingestandenermaassen das Wissen aufheben, um für den Glauben Platz zu bekommen“ (S. 448).
Doch Kant wollte nicht das Wissen aufheben, sondern „das (vermeintliche, dogmatisch-metaphysische) ‚Wissen'“ (also in Anführungszeichen, weil es kein Wissen ist; Eisler 609). Das sieht man, wenn man den ganzen Satz von Kant aus der Vorrede zur zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ liest (Dühring ließ den zweiten Teil weg): „Ich mußte also das W i s s e n aufheben, um zum G l a u b e n Platz zu bekommen, und der Dogmatism der Metaphysik, d. i. das Vorurteil, in ihr ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen, ist die wahre Quelle alles der Moralität widerstreitenden Unglaubens, der jederzeit gar sehr dogmatisch ist“ (III 33).
Wenn Dühring Kant verstanden hätte, hätte er die Religionen vielleicht nicht verurteilt und wäre kein dogmatischer Atheist geworden.
Zweites Capitel. Verhältnisse der Gegenwart. Hier kritisiert Dühring vor allem den Universitätsbetrieb im 19. Jh.: „Die Fichte, Schelling, Hegel und Herbart […] stellten jene Art von metaphysischer Theologenphilosophie vor, welche in Deutschland schliesslich dahin geführt hat, überhaupt gegen alle Philosophie verachtende und verdächtigende Vorurtheile tief einwurzeln zu lassen. Der Mangel des strengen Wissens, die logische Haltungslosigkeit und die priesterhafte Anmaassung sind allen jenen romantisch restaurativen Philosophien der erwähnten Universitätsprofessoren gemeinsam“ (S. 459f).
Universitäten und Akademien seien Zünfte, „über deren zünftlerischer Selbstregierung sich jedoch die neuere büreaukratische Gewalt immer entschiedener aufgerichtet hat“ (S. 460). Bei der Besetzung der Professuren gebe es Vetterleswirtschaft. Ansonsten herrsche Willkür und eine Unterdrückung der Begabten.
Die Verleihung der Doktorwürde sei zur Geldmacherei verkommen: „Eine Summe von 200 bis 500 Mark, die je nach der Verschiedenheit des Preiscourants unter den ordentlichen Mitgliedern einer Facultät zur Vertheilung kommt, bildet bei einer Doctorpromotion die Hauptsache. […] Der Doctorgrad giebt in Staat und Gesellschaft keine Rechte mehr; er, der sonst den vollen Lehrberuf selbst mit sich brachte, ist zu einem blos decorativen Orden herabgesunken und nicht einmal mehr ein zuverlässiges Merkmal höherer Schulung. Die ganze Institution selbst muss schliesslich verschwinden“ (S. 467).
Die Philosophieprofessoren seien zu verkappten Theologen geworden, zu zweitklassigen Priestern, die „zu wenig Interesse an eigentlicher Wissenschaft“ hätten, „um deren reine Elemente auch nur zu dulden“ (S. 473). Sogar die Logik sei zu einer „verworrenen Theologik“ verkommen, „in welcher alles Unterscheidungsvermögen untergeht“ (S. 474). Die Moral würden die Philosophieprofessoren den Theologen überlassen, die Ethik sei zu einem „pseudoethischen Jargon“ degeneriert (S. 476).
Schopenhauers Aufsatz „Über die Universitätsphilosophie“ „trifft nur zu einem kleinen Theil mit der Kennzeichnung zusammen, die wir von ihnen als von Priestern zweiter Classe gegeben haben“ (S. 469f). „Er hätte sich nicht auf Deutschland und die dort übliche Metaphysik beschränken dürfen, sondern hätte die ganze philosophirerische Mitgift der neuern Scholastik in allen Culturbereichen in die Verurtheilung hineinziehen müssen“ (S. 470). Doch das habe er als Metaphysiker und Kantianer versäumt.
Nur die Materialisten seien wirkliche Philosophen. Immerhin gebe es deren zwei: Ludwig Feuerbach und August Comte. Doch auch sie sind keine ungetrübten Helden: „Der Eine hat die universitäre Ansteckung der Hegelseuche nur langsam und mühevoll aus seinem von Natur gesunden Blut wieder auszuscheiden vermocht, und der Andere hat der religiösen Sentimentalität […] noch zuletzt einen schlimmen Zoll entrichtet“ (S. 486).
Am elendesten sei die Universitätspsychologie, die auch da, „wo sie nur zu einem Viertel in die positive Naturkunde eingemischt wird, zu den ärgsten Verunzierungen der an sich wohlgestaltetsten Thatsachen führt“ (S. 477f).
Wirkliche Leistungen gebe es fast nur außerhalb der Universitäten. Das macht Dühring Hoffnung auf die Zukunft: „In dem Maass, in welchem Philosophie und Wissenschaft im alten gefesselten Betrieb absterben und dagegen in einer gleichsam wildwüchsigen Freiheit von Personen ergriffen und vorwärts geführt werden, die sich im vollsten Bewusstsein von dem Dienst der geistigen Bevormundung und der leiblichen Ausbeutung losgesagt haben, – in eben diesem Maass wird das geistige Fundament der neuen Gesellschaft gelegt und deren Wissenschaft […] begründet“ (S. 490).
Drittes Capitel. Umschaffende Grundlegung. Dühring teilt hier seine Vorstellungen von einer Bildungsreform mit. Doch es handelt sich um ein Sammelsurium von Allgemeinplätzen, hohlen Phrasen und leerem Geschwätz. Beispiele:
- Die Juristen leben vom Unrecht, die Ärzte von der Krankheit, die Theologen von selbstproduzierten Gemütsstörungen.
- Ohne humanistische Gymnasien bräuchte man keine Philologie-Professoren.
- Die Geschichtswissenschaft sei nicht so wichtig, wie man denkt.
- Die Medizin sei wissenschaftlicher als die Juristerei.
- „Die Universitäten sind privilegirte Anstalten für privilegirte Classen“ (S. 498). „Die heutige universitäre Bildung ist nicht universell“ (S. 508).
- Wenn man Altes vernichtet, wird Neues möglich.
- Man darf Schüler und Studenten nicht mit lebensfremdem Kram belasten.
- Bei Lehrern, die wegen des Gelds ihren Beruf gewählt haben, können Schüler nichts lernen.
- Wer einen Unterricht ohne traditionelle Hemmungen kennenlernen will, soll die Frauen unterrichten.
- Wer die antiken Autoren in Übersetzungen liest, hat mehr davon, als wenn er an den Originalsprachen herumzupft.
- „Der Jurist, der Mediciner, der Philologe und der Naturwissenschafter haben an gemeinsamer Bildung fast nichts als den eigentlichen Schulstoff aufzuweisen“ (S. 508).
- Man muß „das Gesammtgebiet der Wissenschaften durch planmässige Zusammenfügung seiner Elemente und Theile in eine einheitliche und universelle Bildungsmacht […] verwandeln“ (S. 509).
- „Der Bildungsstoff darf sich […] nur durch den jeweiligen Stand der Wissenschaften selbst und nie durch andere Rücksichten beschränkt finden“ (S. 510).
- „Alle Bildung als solche muss etwas Vollständiges sein und den Kreis eines Gebiets von Einsichten wirklich durchlaufen“ (S. 511f).
- Das Recht auf Bildung darf nur durch natürliche Hindernisse der „Gewinnung und Verbreitung“ „der allgemeinen Gesetze der gleichheitlichen Gegenseitigkeit“ beschränkt werden (S. 512f).
- Die Bildungswissenschaft kann „nur noch an dem rein technischen Fachwissen einen Gegensatz haben“ (S. 513).
- Das „Ideal der Rationalität“ besteht in der Deduktion, nicht in der Induktion (S. 515).
- Äußerliche Kenntnisse haben „den geringsten Bildungswerth“ (S. 516).
- Die Philosophie muß „das ganze Wissenssystem auf allen seinen Stufen“ begleiten (S. 516f).
- Die Bewußtseinslehre erfordert „eine eigne persönliche Erfahrung“, die erst Erwachsene haben (S. 518).
- Die Philosophie „bedarf keiner Priester und kann ebensogut durch Vermittlung der blossen Literatur bestehen, wie die Poesie“ (S. 519).
- „Die höchste Gipfelung von Wissenschaft und Philosophie findet sich da, wo sich die universelle Bildung in einer Welt- und Lebensanschauung von nicht mehr blos abstractem Schematismus vollendet“ (S. 521).
- „Die Jenseitigkeiten haben keinen Raum mehr, sobald der Geist einmal gelernt hat, das Sein in seiner gleichartigen Universalität zu erfassen“ (S. 523).
- Die Befriedigung durch die Wirklichkeitsphilosophie Dührings ist nachhaltig, „weil sie nicht […] auf den gebrechlichen Grundlagen metaphysischer Erdichtungen ruht“ (S. 524).
- Die Philosophie zieht ihre Konsequenzen „nicht etwa über sondern in dem Leben“ (S. 525).
Kritik: Mit aller Bildung ist es doch so, daß jemand, der etwas lernen will, das auch schafft, egal, wie gut der Unterricht ist, in dem er sitzt. Und umgekehrt: Wer nichts lernen will, bei dem ist auch Hopfen und Malz verloren, wenn er die besten Lehrer hat.
Anders ausgedrückt: Unterrichtsreformen ändern nichts.
Schluss. Studium und Entwicklung der Wirklichkeitsphilosophie.
Abschließend gibt Dühring noch Tips für ein Studium, das über den vorliegenden Philosophiekurs hinausgeht. Er betont, daß man eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten braucht. Er will die Volkswirtschaft in die Philosophie integrieren. Er findet, daß wirkliche Philosophen sich mit dem Sozialismus auseinandersetzen müssen.
Ansonsten weist er noch auf seine „Kritische Geschichte der Philosophie“ hin, die er folgendermaßen charakterisiert: „Nicht die Systematisirung der Geschichte der Philosophie, sondern die Aufnahme ihrer Kritik in das System war das Wesentliche für die ursprüngliche Conception und muss es auch für ein zweckmässiges Studium sein“ (S. 540).
Wie sich Dührings Meinung von seiner Wirklichkeitsphilosophie als „Vertretung einer auf die edlere Menschlichkeit gerichteten Gesinnung“ (S. 546) mit seinem Antisemitismus verträgt, bleibt sein Geheimnis. In „Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage“ betrachtet er den Antisemitismus als Notwehr gegen die angebliche Moral der Juden, andern bedenkenlos das anzutun, was in der eigenen Volksgemeinschaft verboten ist.
Abgesehen davon, daß das keine Moral ist, sondern eine Lügenbasis für Angriffskriege, galt das in der Antike aber nicht nur für die Juden, sondern auch für die Assyrer, Babylonier, Ägypter, Perser, Griechen (Trojanischer Krieg, Alexander der Große), Karthager und Römer.
Würdigung und Kritik
Anhand der Art und Weise, wie Dühring über die Engländer sowie deren Sprache, die Juden sowie deren Verhalten und die Asiaten (vor allem die Chinesen) schreibt, muß man ihn für einen Rassisten und Antisemiten halten (vgl. a. sein Buch „Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage“). Doch Darwin hat seine Evolutionstheorie m.E. nicht entwickelt, weil er Engländer war und die Engländer Kolonialisten waren, wie Dühring behauptet, sondern weil er sich einen Reim auf seine konkreten Naturbeobachtungen machen wollte.
Rudolf Steiner (1861-1925) bescheinigte Dühring ein Streben nach klarem Denken. Eigentlich habe er „nur mathematisch […] denken“ können (GA 235/131). „Da er sehr viel Leid durch Zeitungen erfahren hatte, wurde er auch wütender Antisemit“ (GA 235/129).
Dührings Polemik charakterisiert Steiner folgendermaßen: Er habe „eine böse Zunge gehabt. Er hatte etwas von bösartigem Kritikaster auf alle Dinge der Welt in sich.“ Neben einem „außerordentlich starken Gerechtigkeitssinn“ habe Dühring einen „außerordentlich starken schimpfiererischen Sinn“ bekommen. „Er schimpfte schrecklich. Er wurde ein ‚Schimpfierer'“ (GA 235/128). Vielleicht, weil er „auch persönlich ziemlich ungerecht behandelt“ wurde (GA 235/131).
„Man kann nicht sagen, er schimpfte wie ein Waschweib, denn es hat nichts Philiströses, wie er schimpft, genial ist es schon auch nicht; aber es ist halt nicht mehr geschimpft: es ist schimpfiert. Es ist etwas ganz Eigenartiges“ (GA 235/132).
In den beiden Bänden „Die Größen der modernen Literatur“ verballhornte Dühring Goethe und Schiller als „Kothe und Schillerer“. Intellektuelle Menschen nennt er in Anlehnung an das Wort „Kanaille“ „Intellektuaille“ (GA 235/130).
Inbezug auf Dührings mechanistisches Denken widerspricht sich Steiner. Einerseits: „Er ist nicht Materialist, aber er ist mechanistischer Denker, er denkt die Welt unter dem Schema des Mechanismus“ (GA 235/131). Andererseits: „Ich vergegenwärtigte mir dasjenige, was mir zunächst das Allersympathischste an ihm war: das ist seine mechanistisch-materialistische, aber doch eigentlich wiederum in einem gewissen Sinne wenigstens intellektuell-geistige Weltauffassung“ (GA 235/146).
Nun: Alle Mechanik ist materiell. Was soll daran geistig sein? Wenn Dühring von der „Vergeistigung aller Thätigkeiten“ schreibt (S. 381), darf das nicht dazu verführen zu vergessen, daß Dühring alles Geistige mechanistisch und materiell betrachtete.
Immer wieder geht Steiner auf Dührings Erblindung ein: Noch als Blinder habe er seine Vorlesungen gehalten. „Er fuhr in seiner Tätigkeit als Schriftsteller fort und konnte sich seine Dinge immer selbst besorgen – bis zu einem gewissen Grade natürlich -, trotzdem er vollständig erblindet war“ (GA 235/129). „Ein Blinder sieht die Welt eben gar nicht! Er stellt sie daher anders vor als ein Sehender“ (GA 235/147). „Hier war einer innerlich aus seelischer Entwickelung wie ein Blinder, der nun mechanistisch wird deshalb, weil er blind ist“ (GA 235/148). Dühring habe „die Blindheit der modernen Weltanschauung in einer grandiosen Weise zur Darstellung“ gebracht (GA 235/149).
Steiner gibt auch Auskunft über zwei frühere Leben von Dühring im 8./9. Jh. als „Bilderstürmer“ (GA 235/148) und im 3. Jh. v. Chr. als griechischer Stoiker, also „das, über was er am meisten schimpft“. „Er will keine Logik haben, will eine Anti-Logik haben, keine Sophia, eine Anti-Sophia, er will keine Wissenschaft haben, will eine Anti-Wissenschaft haben. Das wäre ihm eigentlich am liebsten, alles ‚anti‘ zu machen; er spricht das ausdrücklich aus“ (GA 235/149).
„Dieser Stoiker, der in die Welt nicht schauen wollte, wurde blind; dieser Bilderstürmer, der die Bilder vernichten wollte, kann nicht leiden irgendein Bild, macht die Literaturgeschichte, macht die Dichtung zu dem, was sie eben geworden ist in seinen zwei Büchern über Literaturgrößen, wo nicht nur Goethe und Schiller herausfallen, wo höchstens noch Bürger eine bestimmte Rolle spielt. Da wird wahr, was sonst verlogen ist“ (GA 235/150).
Der Dühringbund trug seine Lehren weiter. Doch der Antisemitismus „war in Deutschland zweifellos nicht intensiver als in Frankreich und sicherlich weit schwächer als in Rußland oder der österreichischen Doppelmonarchie“ (Fest 140).
© Gunthard Rudolf Heller, 2024
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HELLER, Gunthard: Kleine Einführung in die Philosophie von Friedrich Engels II (Facebook 2020)
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SCHIERSE, Franz Joseph: Konkordanz zur Einheitsübersetzung der Bibel, Düsseldorf 21986
SCHOPENHAUER, Arthur: Über die Universitäts-Philosophie, in: Parerga und Paralipomena I, Sämtliche Werke Band IV, Frankfurt am Main 21989, S. 171-242
STEINER, Rudolf: Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge – Erster Band, GA Nr. 235, Dornach 71984
VELIKOVSKY, Immanuel: Welten im Zusammenstoss, o.O. 22008
– Erde im Aufruhr, o.O. 22008
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