Die Geschichtsphilosophie des Polybios

Polybios aus Megalopolis lebte um 200 v. Chr. und ist als Geschichtsschreiber bekannt und berühmt geworden. Lesen Sie hier eine Einführung in sein Werk und die Geschichtsphilosophie.

Einführung

Polybios aus Megalopolis (um 200 – nach 120 v. Chr.) empfing seine Bildung von stoischen Philosophen. 169/168 v. Chr. war er Hipparch des Achäischen Bundes, der seine Mitglieder „gegen feindliche Angriffe und Hegemonie-Bestrebungen (Makedoniens, Spartas, Aitoliens)“ verteidigen und Bürgerkriege verhindern sollte (KP 1/40f). Hipparchen waren „Anführer der Kavallerie“ (MEL 12/51).

Das Hauptwerk des Polybios, die Historiai („Geschichte“), umfaßte 40 Bücher. Es handelt von der römischen Geschichte, beginnend mit dem „Ersten Punischen Krieg bis zur Zerstörung Karthagos und Korinths, also von 264 bis 146 v. Chr. Vollständig erhalten sind nur die ersten fünf Bücher, für die übrigen sind wir auf Exzerpte angewiesen“ (KNLL 13/517f).

Polybios Geschichtsschreiber Historiker

Über die Achäer schreibt Polybios, daß sie „stets an Einem Grundsatze festhielten, demzufolge sie die bei ihnen herrschende Gleichheit und Freiheit zu verbreiten suchten und dagegen diejenigen, die durch eigene Macht oder mit Hilfe der Könige ihre Staaten knechteten, unaufhörlich bekriegten und bekämpften und auf diese Weise und nach diesem Plan dieses Werk zustande brachten, teils durch eigene Kraft, teils mit Hilfe ihrer Bundesgenossen“ (II 42).

Auch den Grundsatz von Treu und Glauben rechnet Polybios zu den „allgemein menschlichen“ Rechten: „Denn diejenigen mit eigener Hand zu ermorden, welche vorher nach Eroberung ihrer Stadt ihnen Straflosigkeit gewährt hatten und jetzt ihre Freiheit und Sicherheit bewachten, welchen Zorn muß solche Handlungsweise erregen?“ (II 58)

Nach der Schlacht bei Pydna zwischen den Makedoniern unter König Perseus und den Römern unter Konsul Aemilius Paulus am 22. Juni 168 v. Chr. kam im Achäischen Bund die „entschieden romfreundliche Partei“ an die Macht und „setzte […] es durch, daß 1000 der bedeutendsten Vertreter der Gegenpartei unter der Anklage der Makedonenfreundschaft zur Aburteilung nach Italien deportiert wurden“, darunter Polybios (167 v. Chr.).

Er blieb in Rom „und wurde zum Freund und Mentor des fast 20 Jahre jüngeren, ihn bewundernden Scipio Aemilianus […], verkehrte in den ersten römischen Familien, ging mit den Jungen Herren auf die Jagd und gehörte sogar zu denen, die an dem heimlichen Entweichen des als Geisel in Rom weilenden Seleukidenprinzen Demetrios […] als Helfer beteiligt waren“ (KP 4/983). Mit Scipio besuchte Polybios Oberitalien, Gallien und Spanien.

150 v. Chr. durfte Polybios in seine Heimat zurückkehren, zusammen mit 300 Freigelassenen, die die Internierung in etrurischen Städten überlebt hatten. Von 148 v. Chr. bis zur Zerstörung Karthagos im Dritten Punischen Krieg gehörte Polybios zum Stab von Scipio. „In diese Zeit fällt wahrscheinlich die Forschungsreise“ des Polybios entlang von Nord- und Westafrika (KP 983). Er berichtet, daß Scipio weinte, als Karthago brannte.

Scipios „schönste und kühnste“ Tat (XIV 5): Er tut so, als wolle er Frieden mit den Karthagern schließen. Als er deren Zusage hat, behauptet er, der Kriegsrat sei dagegen, und meint, nun könne man ihm keine Vorwürfe machen, wenn er angreife.

Scipio tut so, als wolle er Ityke belagern. Die Punier rüsten sich für eine offene Schlacht. Scipio läßt nachts Feuer ins Zeltlager der mit den Karthagern verbündeten Numider legen, die an einen zufälligen Brand glauben. Sie trampeln einander zu Tode, verbrennen oder werden „niedergemacht“ (XIV 4).

Die Karthager eilen zu Hilfe und werden von Scipio überfallen. Die einen macht er nieder, die andern treibt er ins Lager und legt auch dort Feuer. Nun geht es den Karthagern wie den Numidern.

„Zehntausende von Menschen, Pferden und Lasttieren“ sterben. „Kurz, alles war voll von Wehklagen, verworrenem Geschrei, Furcht, außerordentlichem Getöse, heftigem Feuer und gewaltigen Flammen […]. Daher ist denn auch kein Mensch imstande, das, was hier geschah, selbst mit den stärksten Farben zu schildern: so sehr übertraf es an Furchtbarkeit alle bisher geschilderten Ereignisse. In dieser Hinsicht scheint mir denn auch unter den mancherlei schönen Taten Scipios doch diese die schönste und kühnste zu sein“ (XIV 5).

Der Übersetzer kann sich eine Anmerkung nicht verkneifen: „Also kein Wort des Tadels, über die Niederträchtigkeit, womit die Sache eingeleitet wurde!“ (Bd. 3, S. 57, Anm. 5)

„Gleich nach dem Fall Karthagos eilte Polybios nach Achaia, um in dem sinnlosen Aufstand gegen die Römer seinen Landsleuten beizustehen.“ Er war so angesehen, daß er bei den Römern Erleichterungen für die Achäer durchsetzen konnte und den Auftrag erhielt, die Neuordnung der Zehnerkommission umzusetzen (KP 983f).

Seine Anordnungen wurden in Rom bestätigt. Seinen Lebensabend verbrachte er in der Heimat.

1. Die Aufgabe des Historikers

Am wichtigsten für den Historiker ist es Polybios zufolge, daß er bei der Wahrheit bleibt. Denn „wenn aus der Geschichte die Wahrheit hinweggenommen ist“, wird „das Übrigbleibende ein unnützes Gerede. Darum darf man nicht anstehen, die Freunde anzuklagen und die Feinde zu loben, und darf sich nicht scheuen, dieselben Leute bald zu tadeln bald zu preisen; denn es ist unmöglich, daß diejenigen, die in Staatshändel verwickelt sind, stets das Rechte treffen, noch ist es denkbar, daß sie beständig fehlen. Darum muß man in der Erzählung von den Handelnden absehen und den Handlungen selbst die richtigen Behauptungen und Urteile anpassen“ (I 14).

Die Wahrheit hat (wie die Gerechtigkeit) eine eigene Dynamik: Es scheint Polybios, „die Natur habe für die Menschen die Wahrheit zur höchsten Gottheit gemacht und ihr die größte Macht verliehen. Denn während manchmal alle sie bekämpfen und alle Wahrscheinlichkeitsgründe sich auf Seite der Unwahrheit stellen, dringt sie doch unwillkürlich durch ihre eigene Kraft in die Seelen der Menschen und zeigt bald ihre Macht augenblicklich, bald aber siegt sie erst nach langer Verdunkelung durch sich selbst und triumphiert über die Lüge“ (XIII 5).

Ein abschreckendes Beispiel ist für Polybios der Historiker Timaios von Tauromen, der 96 Jahre alt wurde und ca. 350 – 250 v. Chr. lebte. Er plagiierte den Historiker Ephoros (4. Jh. v. Chr.) und verleumdete ihn gleichzeitig, um sein Plagiat zu vertuschen. Auch andere Autoren verurteilte er, „und indem er das von andern richtig Behandelte weitschweifig und unklar und in jeder Beziehung schlechter erzählte, glaubte er, niemand in der Welt werde es bemerken“ (XII 28).

Der ideale Historiker ist für Polybios ein schreibender Politiker wie er selbst oder ein Autor, der „staatsmännische Tüchtigkeit als unerläßlich für die Geschichtschreibung“ betrachtet. Er vergleicht seinen idealen Historiker mit dem idealen Politiker von Platon, der gleichzeitig Philosoph und König ist (XII 28).

Bei der Beschreibung der Tatsachen hat Polybios gute Karten, da er selbst dabei war: Bei den meisten Ereignissen war er nicht nur „Augenzeuge“, sondern half „teilweise“ auch mit und hatte „zum Teil auch die Leitung in Händen“ (III 4). Außerdem beruft er sich auf „Augenzeugen“ (IV 2).

Hannibals Alpenüberquerung kann er „mit Zuversicht“ schildern, „weil wir uns über die Ereignisse von Zeitgenossen unterrichten ließen, die Gegenden aber in Augenschein genommen und selbst die Reise über die Alpen gemacht haben, aus Wißbegierde und Schaulust“ (III 48).

Der Preis für den Feldzug Hannibals war hoch: Er startete mit 46000 Soldaten. In Italien kam er mit 26000 an. Doch er konnte die Verluste dadurch ausgleichen, daß etwa Kelten und Bojer zu ihm überliefen. In der Schlacht bei Cannae (216 v. Chr.) fielen 70000 Römer.

Doch es geht Polybios um mehr als um die wahrheitsgemäße Darstellung – er will, daß seine Leser aus der Geschichte lernen:

„Ich aber habe diese Ereignisse in der Absicht berichtet, daß die Leser meiner Geschichte Belehrung daraus ziehen mögen. Denn von der zweifachen Art, auf welche jeder Mensch zum Bessern geführt werden kann, durch eigenes Unglück und durch fremdes, ist die eine, durch selbsterlebte Unfälle, wirksamer, die andere, durch fremde, aber unschädlicher.

Niemals ist deshalb die erstere freiwillig zu wählen, da bei ihr die Belehrung nur durch große Leiden und Gefahren erkauft wird; stets aber sollen wir die letztere zu gebrauchen streben, da sie ohne Schaden uns das Bessere erkennen lehrt.

Wer dies einsieht, der muß als die trefflichste Schuld für das wirkliche Leben die aus der Staatengeschichte geschöpfte Erfahrung betrachten. Denn diese allein verschafft ohne Schaden, zu jeder Zeit und in jeglicher Lage, eine wirkliche Erkenntnis des Besseren“ (I 35).

Ein konkretes Beispiel: Nachdem Achäus, der Reichsverweser von Antiochos III., sich zum König gemacht hatte, wurde er in Sardes 215-213 v. Chr. belagert und kam durch Verrat in die Gewalt des Antiochos.

Polybios kommentiert: „Der Nachwelt bietet seine Geschichte ein in doppelter Hinsicht nützliches Beispiel; denn erstens lehrt sie, daß man niemand leichthin vertrauen, und zweitens, daß man nie sich im Glück überheben, sondern eingedenk, daß man ein Mensch sei, auf jedes Schicksal sich gefaßt halten solle“ (VIII 23).

Es geht Polybios nicht nur um die zutreffende, widerspruchslose Darstellung der Ereignisse, sondern auch um deren „Ursache und nähere Bewandtnis […]. So beruht denn in allem das letzte Urteil nicht auf den Thatsachen, sondern auf den Ursachen und auf den Beweggründen der Handelnden und den Unterschieden, die in dieser Hinsicht stattfinden“ (II 56).

Wer das alles wegläßt, bietet zwar „Unterhaltung, aber keine Wissenschaft, und gewährt für den Augenblick Vergnügen, aber keinerlei Nutzen für die Zukunft“ (III 31).

Eine konkrete Lehre: Man darf „niemals ein zukünftiges Ereignis wie ein schon geschehenes behandeln und in Dingen, die noch anders sich wenden können, nie einer sicheren Hoffnung zum voraus sich hingeben“. Stattdessen muß man „überall, wie das menschliche Los dies mit sich bringt, und hauptsächlich im Kriege, das Unerwartete in Rechnung nehmen“ (II 4).

Wer die Zukunft planen will, muß die Vergangenheit kennen. „Denn stets nach den Umständen sich richtend und Verstellung übend, pflegen alle so zu reden und zu handeln, daß die Absicht eines jeden schwer zu erkennen ist und die Wahrheit in vielem gar sehr verdunkelt wird.

Die Handlungen der Vergangenheit aber, deren Probe im Verlaufe der Ereignisse liegt, zeigen wahrheitsgemäß die Absichten und Gedanken eines jeden und lassen uns erkennen, von wem wir uns des Dankes, der Gutthat und der Hilfe und von wem wir uns des Gegenteils zu versehen haben. Oft und durch viele Zeichen mögen sie dir offenbaren, wer für dich Mitleiden empfinden und wer mit dir zürnen, ja dich rächen wird. Und dies ist vom größten Wert in dem Leben der Menschen, sowohl in dem öffentlichen als in dem jedes einzelnen“ (III 31).

Wer die Vergangenheit nicht kennt, läßt sich leicht täuschen. „Die Schuld daran trägt aber, daß wir keine Kunde von den Schicksalen derer, welche früher auf diese oder jene Weise ins Unglück geraten, uns erwerben; sondern für Vorräte an Lebensmitteln und für Schätze, sowie für die Aufführung von Mauern und Herstellung von Waffen sorgen wir mit vieler Mühe und mit großem Aufwand, um für die Fälle der Gefahr gerüstet zu sein; was aber von allem das leichteste ist und den größten Dienst in den Zeiten der Not leistet, das vernachlässigen wir alle, und zwar ungeachtet es zugleich eine anständige Erholung und Unterhaltung gewährt, sich durch fleißige Erforschung der Vergangenheit eine solche Erfahrung zu eigen zu machen“ (V 75).

Die folgende Beobachtung erinnert an die Kriegsbegeisterung zu Beginn des Ersten Weltkriegs: „Denn in diesen Zeiten hatte das Schicksal alle Galater mit der Kriegswut wie mit einer Seuche angesteckt“ (II 20).

Ein Krieg führt zum nächsten: „Wir finden, daß der Ursprung des Antiochischen Krieges im Philippischen zu suchen ist und der Ursprung des Philippischen in jenem mit Annibal [Hannibal] und der Ursprung des Annibalischen in jenem um Sikelien [Sizilien], und daß die vielerlei und mannigfach gestalteten Ereignisse, die zwischen diese Kriege fallen, insgesamt nach einem und demselben Ziele streben“ (III 32).

Polybios schreibt dem Schicksal eine gewissen Eigenständigkeit zu:

  • „So entscheidet gar häufig das Schicksal die wichtigsten Dinge ganz anders, als die Umstände es mit sich brächten“ (II 171).
  • „Denn dem Glück ist es ein leichtes, alle Berechnungen durch sein unberechenbares Eingreifen zuschanden zu machen und, wenn es jemand geholfen und zu dessen Gunsten sein Gewicht in die Wagschale geworfen hat, dann wieder in einer Anwandlung von Reue sich schnell auf die andere Seite zu schlagen und seine Erfolge zunichte zu machen“ (XXIX 6d).

Man kann das Schicksal nicht vorhersehen und ihm nicht entkommen. Wer sich nur auf die eigenen Kräfte verlassen will, wird scheitern: „Es muß aber die Gunst des Schicksals hinzutreten, damit unsere Lebensfrist ausreiche, um den Vorsatz zu Ende zu führen“ (III 5). Hier meint Polybios sich selbst und sein Geschichtswerk.

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern denkt Polybios, daß „es nicht mehr schicklich wäre, Dichter und Mythenerzähler als Zeugen für das Unbekannte zu gebrauchen […]. Wir müssen aber versuchen, den Bericht durch sich selbst unseren Hörern glaubhaft zu machen“ (IV 40).

„Einige nämlich achten nicht auf das, was gesagt wird, sondern nur auf den, der es sagt, und indem sie daran denken, daß der Schriftsteller gleichzeitig lebte und im römischen Senate saß, so meinen sie sogleich, was dieser Mann schreibe, müsse wahr sein. Ich aber sage, daß die Leser das Ansehen des Geschichtschreibers zwar nicht gering achten, aber nicht allein für entscheidend halten, sondern aus den Sachen selbst sich ihr Urteil bilden sollen“ (III 7).

Der Anspruch des Polybios ist hoch: Er will nicht nur „beschreiben […], was bei einzelnen, sondern was bei allen Völkern sich zutrug“ (V 31).

2. Die römische Außenpolitik

Polybios will mit seiner Geschichtsschreibung „Einsicht in das Wachstum und den Aufbau der römischen Herrschaft gewinnen“ (II 2). Er will darstellen, „wie und wann und warum alle bekannten Teile der Erde unter die Herrschaft der Römer kamen“ (III 1).

Das ist nicht im Rahmen einer Spezialgeschichte, sondern nur im Rahmen einer Universalgeschichte möglich: Einzeldarstellungen verschaffen kein „Verständnis der gesamten und allgemeinen Geschichte“ (VIII 4).

Die Eigenart der römischen Außenpolitik faßt Polybios so zusammen:

„Da die Römer überhaupt in allen Dingen Gewalt brauchen und der Meinung sind, was sie sich vorgesetzt, das müssen sie erzwingen, und nichts, was sie einmal beschlossen haben, sei für sie unmöglich, so kommen sie häufig durch diesen Ungestüm zum Ziele, aber manchmal ist der Ausgang der schlimmste, und am meisten auf der See.

Denn zu Lande, wenn sie gegen Menschen und menschliche Werke ihre Angriffe richten, sind sie meistens glücklich, indem sie ihre Gewalt gegen ähnliche Kräfte gebrauchen; nur bisweilen und selten sind sie unglücklich. So oft sie aber gegen das Meer und den Himmel mit Gewalt zu streiten versuchen, so erleiden sie große Niederlagen“ (I 37).

Was Polybios von Angriffskriegen hielt: „Denn Krieg zwar nicht nach einem Volksbeschlusse zu führen, wohl aber mit dem Aufgebot des ganzen Volkes Raubzüge in die Nachbarländer auszuführen und von den Urhebern keinen zu bestrafen, sondern diejenigen, die an der Spitze solcher Unternehmungen gestanden, durch die Wahl zu Strategen zu ehren, das scheint mir eine Handlungsweise, die von jeder Bosheit voll ist. Denn wie könnte man solche Schlechtigkeiten anders bezeichnen? […]

Es ist Unverstand, verbunden mit Schlechtigkeit, zu glauben, wenn man selbst die Augen schließe, daß auch die anderen nicht sehen. […] Wer für sein Heil besorgt ist, darf dieses Muster nie und in keiner Weise, weder für sich noch in Angelegenheiten des Staates, nachahmen“ (IV 27).

Denn man erleidet selbst, was man andern zufügt, so wie etwa Apelles, der „den Einfluß des Aratos auf Philipp durch Verleumdungen […] brechen“ wollte. „Im Bundesgenossenkrieg arbeitete er im geheimen gegen Philipp. 218 ließ Philipp Apelles mit seinem Sohn und seiner Geliebten in Korinth hinrichten“ (KP 1/421).

Kommentar des Polybios: „Die Absicht hätte er auch erreicht, wenn er nicht den Aratos sich zum Gegner gemacht hätte; nun aber erfuhr er bald die Folgen seiner Thorheit und seiner Herrschsucht. Denn das Schicksal, das er anderen bereiten wollte, erlitt er selbst, und zwar innerhalb sehr kurzer Zeit“ (IV 87).

„Der Anschlag nun, den Apelles mit Leontios und dessen Freunden entworfen, nahm diesen ihren ursprünglichen Hoffnungen entgegengesetzten Ausgang. Denn ihre Erwartung war gewesen, daß es ihnen gelingen werde, den Aratos niederzuschlagen, um dann, wenn Philippos alleinstände, zu thun, was ihnen gut deuchte. Hiervon trat aber das Gegenteil ein“ (V 16).

Andererseits lehnte Polybios den Frieden um jeden Preis ab, billigte also den Krieg zur Verteidigung: „Denn was rühmen wir alle die bürgerliche Gleichheit und das Recht der offenen Meinungsäußerung und den Namen der Freiheit, wenn nichts über den Frieden geht? […] Denn wie ein gerechter und ehrenvoller Friede das schönste und wertvollste Gut ist, so ist ein mit Unrecht und schimpflicher Sklaverei verknüpfter das allerschlimmste und verderblichste“ (IV 31).

3. Der Kreislauf der Verfassungen

Polybios vertrat die Auffassung, daß „alles, was ist, dem Verderben und dem Wandel unterliegt“. Das gelte auch für den Staat. Er könne auf „zweierlei Arten“ untergehen: „die eine, bei der das Verderben von außen kommt; die andere, bei der es sich in seinem Innern entwickelt. Für die erste Art giebt es kein festes Gesetz, während ein solches für die zweite vorhanden ist“ (VI 57).

Bei jeder Staatsform kann „der Umschlag zum schlimmen erfolgen, und zwar wird derselbe eingeleitet werden durch die Sucht nach hohen Stellungen und durch die Mißachtung, die an der niedrigen Stellung haftet, sowie durch den eitlen Prunk und die Pracht im Privatleben.

Der eigentliche Umschlag wird jedoch durch die Schuld des Volkes herbeigeführt werden, wenn dieses durch die Habsucht der einen sich beeinträchtigt glaubt, während der Ehrgeiz der anderen, seiner Eitelkeit schmeichelnd, es zum Übermut verführt. Im Zorne wird es dann sich erheben, wird bei allen Beratungen nur seiner Leidenschaft Gehör geben, wird denen, welche an der Spitze des Staates stehen, keinen Gehorsam mehr leisten, ja ihnen nicht einmal Gleichberechtigung zugestehen, sondern in allem das Recht der Entscheidung für sich fordern.

Wenn es dazu kommt, so wird der Staat mit den schönsten Namen sich schmücken, nämlich mit den Namen der Freiheit und der Demokratie; aber in Wirklichkeit wird er die schlimmste Verfassung haben, nämlich die Ochlokratie“ (VI 57).

Die „Willkürherrschaft des Pöbels“ gab es Polybios zufolge in Athen und Theben. Das Volk der Athener sei wie die Besatzung eines herrenlosen Schiffs, die im Krieg oder bei Sturm zusammenhalte und dem Steuermann gehorche, aber im sicheren Hafen durch Zwistigkeiten in Gefahr gerate oder gar Schiffbruch erleide (VI 44).

Während also die Demokratie in die Pöbelherrschaft umschlagen kann, kann die Monarchie zur Tyrannis werden, die Polybios am meisten verabscheut. „Denn der Name [Tyrann] selbst begreift jede Vorstellung von Frevelhaftigkeit und umschließt alle Ungerechtigkeit und Versündigung, die unter den Menschen vorkommt“ (II 59).

Der Tyrann ist für Polybios ein Wahnsinniger, der sinnlos zerstört und die Unterworfenen haßt: „Denn Festungen, Häfen, Städte, Leute, Schiffe, Früchte und dergleichen den Feinden wegzunehmen und zu verderben, um dadurch die Gegner zu schwächen und die eigenen Interessen und eigenen Unternehmungen zu fördern, dazu zwingen uns die Gesetze und die Rechte des Krieges.

Ohne Aussicht aber, die eigenen Interessen irgendwie zu fördern oder den Feinden für den Krieg, der eben geführt wird, einen Nachteil zu bereiten, Tempel und zugleich mit denselben Bildsäulen und allerlei Werke dieser Art ohne alle Not zu zerstören: wer sollte nicht hierin die Handlung eines Wahnsinnigen und Rasenden erkennen?

Denn ein rechtschaffener Mann darf bei dem Kriege mit solchen, die sich verfehlt, nicht auf Zerstörung und völlige Vernichtung, sondern nur darauf ausgehen, daß die begangene Schuld gesühnt und wiedergutgemacht werde; und statt unschuldige Gegenstände zugleich mit den Thätern des Unrechts dem Untergang zu weihen, soll er eher zugleich mit den Unschuldigen jene, die als Thäter des Unrechts gelten, zu retten und dem Untergang zu entreißen suchen.

Denn die Sache eines Tyrannen ist es, Übles zu thun und durch Schrecken über Widerstrebende zu herrschen, gehaßt von den Unterworfenen und selbst sie hassend; die Sache eines Königs aber, allen Gutes zu erweisen und, um seines auf das Wohlthun gerichteten und menschenfreundlichen Sinnes willen geliebt, über freiwillig Gehorchende die Herrschaft und das Regiment zu führen“ (V 11).

Seine „gefährlichsten Feinde“ sieht „jeder Tyrann in den Vertretern der Freiheit“ (VIII 1). Das „Volk eines freien Staates“ kämpft „in Schlachten mutiger […] als die Bürger, die unter einem Tyrannen stehen“. Denn ersteres kämpft „für die Freiheit“, letztere „aber für die Knechtschaft“. Ein Tyrann ist auf Söldner angewiesen – denn „mit der Zahl der Unterdrückten wächst die Zahl der Feinde“ (XI 252).

Ein konkretes Beispiel ist Nabis, der von 207 – 192 v. Chr. König von Sparta war. Er „suchte […] einen festen Grund zu einer dauernden und drückenden Tyrannis zu legen. Denn er vertilgte was aus den edeln Geschlechtern noch übrig war, vollständig aus Sparta und trieb die, die mehr durch Reichtum als durch Ruhm der Vorfahren hervorragten, in die Verbannung; ihr Vermögen und ihre Frauen aber verteilte er an die Angesehensten unter den übrigen und an seine Söldner. Diese aber bestanden aus Mördern, Räubern, Dieben und Betrügern.“ Auch die Verbannten ließ er umbringen (XIII 6).

Widerspenstige überzeugte er durch die Bekanntschaft mit einer Nachbildung seiner Gemahlin Apega, einer mit Nägeln gespickten Maschine, deren Umarmung tödlich war. Die Machenschaften seiner „Tempelräuber, Wegelagerer und Mörder“ gaben „den ersten Anlaß zum Krieg“ (XIII 8).

Die Aristokratie kann in die Oligarchie umschlagen, die „‚Herrschaft der Wenigen‘, also einiger Familien des Adels, einer Clique oder einer Interessengruppe“ (WA 551). Laut Polybios regieren nun Habsucht, Geldgeiz, Trunksucht, Schelmmerei, „Zuchtlosigkeit in der Weiberliebe und dem Raube von Knaben“ (VI 8).

Die Güte eines Staats erkennt man Polybios zufolge an seinen Sitten und Gesetzen: „Sind diese lobenswert, so wird das Privatleben von frommem und sittlichem Geiste durchdrungen, der Charakter des ganzen Staats durch Milde und Gerechtigkeit bezeichnet sein; wo aber nicht, wird das Gegenteil stattfinden.“ Umgekehrt führen „schlechte Gesetze und schlechte Sitten“ zur Habsucht einzelner Bürger, die dem Betrug frönen, und zur Ungerechtigkeit bei staatlichen Unternehmungen (VI 47).

Laut Polybios wechseln die Staatsformen in einer bestimmten Reihenfolge: Alleinherrschaft – Königtum (Monarchie) – Zwingherrschaft (Tyrannis) – Herrschaft der Besten (Aristokratie) – Herrschaft von Interessengruppen (Oligarchie) – Volksherrschaft (Demokratie) – Pöbelherrschaft (Ochlokratie) (VI 4).

Bei Naturkatastrophen muß „der durch Körperstärke und Mut Hervorragende die Führung und Herrschaft übernehmen“ (Alleinherrschaft). Wird das Zusammenleben vertraut, beginnt das Königtum. Erst jetzt „entsteht unter den Menschen eine Vorstellung von dem, was gut und recht ist, sowie von dem Entgegengesetzten“ (VI 5).

Die Zwingherrschaft entsteht dadurch, daß der König und die Fürsten meinen, sie müßten sich besser anziehen, besser essen, besser einrichten als das Volk. Dazu kommt noch das ungezügelte Geschlechtsleben. All das führt zu Neid, Ärger, Haß und Rachsucht.

Die edelsten, hochherzigsten und mutigsten Männer stürzen den Herrscher und begründen die Aristokratie, die durch ähnliche Zügellosigkeit wie in der Monarchie in die Oligarchie umschlägt.

Wenn nun einer Widerstand leistet und sich das Volk ihm anschließt, entsteht die Demokratie. Sie schlägt durch die genannten Zügellosigkeiten in die Ochlokratie um.

Aus dem Chaos ersteht wieder ein Alleinherrscher, und der Kreislauf der Verfassungen beginnt von vorne.

Das Königtum beruht „auf dem freiwilligen Einverständnis der Regierten“ und ist „mehr auf Vernunft, als auf Furcht oder Gewalt gestützt“. Bei der Aristokratie ist „die oberste Gewalt mittels Wahl in die Hände der gerechtesten und einsichtsvollsten Männer gelegt“ (VI 4).

Wenn „eine Volksmenge die Macht hat, zu thun, was sie will und sich vorsetzt“, ist das noch keine Demokratie (VI 4). Denn die Volksmenge neigt dazu, „sich zu unüberlegten Handlungen hinreißen zu lassen“ (X 25).

„Wo es aber von den Vätern hergebracht ist, den Göttern zu dienen, Vater und Mutter zu ehren, die Älteren zu achten, den Gesetzen zu gehorchen: wenn in solchen Volksgenossenschaften dasjenige Geltung hat, was die Mehrheit beschließt, so ist dies als Demokratie zu bezeichnen“ (VI 4).

Polybios beruft sich für seine Ausführungen über die Verfassungen ausdrücklich auf Platon (vgl. Politeia 543a-569c; Nomoi 679d-686b, 708e-713a) und andere Philosophen (VI 5).

Platons Staatsentwurf in der Politeia (vgl. ab 369a) berücksichtigt er aber nicht, da er in der Realität nicht vorkomme. Polybios vergleicht ihn mit einer Statue, während die tatsächlichen Verfassungen wie wirkliche Menschen seien. Auch wenn eine Statue „vom künstlerischen Standpunkt alles Lob verdiente, so müßte doch die Vergleichung von Unbeseeltem mit Beseeltem den Beschauern als verfehlt und als völlig unstatthaft erscheinen“ (VI 47).

4. Die römische Verfassung

Polybios war der Meinung, daß „die Verfassung der Römer […], die Eigentümlichkeit ihrer Staatsform das meiste dazu beitrug, daß sie nicht nur die Herrschaft über die Italioten und Sikelioten [Italiener und Sizilier] aufs neue erwarben und überdies die Iberer [Spanier] und Kelten unter ihre Botmäßigkeit brachten, sondern auch am Ende, nach siegreicher Beendigung des Krieges mit den Karthagern, den Gedanken der Weltherrschaft faßten“ (III 2).

Nachdem Polybios den Kreislauf der Verfassungen dargestellt hat, charakterisiert er die römische Verfassung als Mischung von Monarchie (Konsuln), Aristokratie (Senat) und Demokratie (Volk, vertreten durch Volkstribunen).

Im Anschluß legt er dar, wie alle voneinander abhängen:

Der Konsul kann zwar als Feldherr machen, was er will, doch für den Nachschub und den Sold seiner Soldaten braucht er den Senat. Außerdem ist er bei der Fortführung seiner Vorhaben davon abhängig, daß er nach einem Jahr vom Senat wiedergewählt wird. Der Senat kann außerdem den zweiten Konsul in den Krieg schicken. Es liegt am Senat, ob Kriegserfolge gefeiert oder ignoriert werden. Denn der Senat muß die Kosten des Triumphs bewilligen und ihm zustimmen.

Auch am Volk vorbei können die Konsuln nicht regieren, da es die Kriege beilegt und Verträge schließt bzw. für ungültig erklärt. Nach ihrem Rücktritt müssen die Konsuln über ihre Amtsführung vor dem Volk Rechenschaft ablegen.

Ebenso muß der Senat, in dem das „Hauptgewicht“ liegt (VI 51), Rücksicht auf das Volk nehmen. Denn das Volk muß Untersuchungen und Todesstrafen bei Verbrechen gegen den Staat bestätigen. Es liegt am Volk, Gesetze zu verabschieden oder zu verwerfen, die die Macht des Senats beschränken, Ehrenvorrechte von Senatoren aufheben oder deren Vermögen beschneiden. Ohne die Zustimmung der Volkstribunen kann der Senat sich weder versammeln, beraten noch seine Beschlüsse umsetzen. Die Volkstribunen müssen sich nach dem Willen des Volks richten. „Alle die angegebenen Ursachen bewirken, daß der Senat vor der Menge sich fürchtet und dem Volke Rechnung trägt“ (VI 16).

Doch auch das Volk muß auf den Senat Rücksicht nehmen. „Da nämlich die Censoren viele Arbeiten durch ganz Italien, für die Herstellung und Ausführung der öffentlichen Bauten, welche alle namhaft zu machen schwierig wäre, ferner viele Flüsse, Häfen, Gärten, Bergwerke, Ländereien, kurz alles, was zum römischen Staatsgut gehört, zu vergeben haben, so fällt der Betrieb von allem diesem der Menge anheim, und fast jeder einzelne Bürger ist bei den Pacht- und Dingverträgen und dem aus denselben fließenden Erwerbe beteiligt. […]

In Bezug auf alle jene Verträge liegt in der Hand des Rates die oberste Gewalt, sofern er Frist gewähren und aus Anlaß eines Unglücksfalls die Last erleichtern und bei eingetretener Unmöglichkeit ganz von ihr entbinden kann. Und es sind der Fälle gar viele, in welchen jenen, die Verträge mit dem Staate geschlossen, vom Senat großer Schaden zugefügt und hinwiederum großer Vorteil gewährt werden kann. Denn bei dem Senate steht die Entscheidung in solchen Dingen.

Was aber das wichtigste ist: aus ihm werden die Richter für die meisten öffentlichen und Privatprozesse genommen, sowie der Gegenstand der Klage von Belang ist. Weil sich daher alle von seiner Gunst oder Ungunst abhängig fühlen und die Möglichkeit fürchten, daß sie seiner bedürften, hüten sie sich wohl, sich dem Willen des Senats zu widersetzen, und demselben entgegenzuwirken.

Ebenso treten sie auch nicht leicht den Absichten der Konsuln entgegen, da jeder einzelne und alle insgesamt im Felde unter ihrer Botmäßigkeit stehen“ (VI 17).

Fazit: „Da aber jeder Teil eine solche Macht hat, die anderen sowohl zu hemmen als zu unterstützen, so wirkt ihre gegenseitige Verbindung in allen Lagen so vorteilhaft, daß es unmöglich ist, eine bessere Verfassung als diese zu finden“ (VI 18).

5. Verrat und Verräter

Polybios behandelt die „Frage über die Verräter“ im Rahmen seiner „Verwunderung […] über die menschlichen Irrtümer“. Er meint, es sei nicht leicht zu entscheiden, wer nun ein Verräter sei und wer nicht. Denn die Hinwendung zu anderen Regierungschefs oder das Auswechseln von Verbündeten könne ja auch eine Wohltat für das Vaterland sein (XVIII 13).

Nur diejenigen seien Verräter, „welche in kritischen Zeiten entweder ihrer eigenen Sicherheit und ihres eigenen Nutzens wegen oder aus Haß gegen ihre politischen Gegner ihre Städte den auswärtigen Feinden in die Hände spielen oder auch wohl gar fremde Besatzungen aufnehmen und sich auswärtiger Unterstützung für ihre eigenen Zwecke und Absichten bedienen und so ihre Städte der Herrschaft Mächtigerer unterwerfen“ (XVIII 15).

Ein derartiges Verhalten bringe weder Nutzen noch Ehre, „vielmehr anerkanntermaßen das Gegenteil von alledem.“ Verräter würden schließlich entdeckt und hätten nicht nur die von ihnen Verratenen als Feinde, sondern auch die, „zu deren Dienst sie sich hergeben […]. Denn die Feldherren und Machthaber brauchen Verräter häufig ihres Vorteils wegen“, setzen aber zu Recht voraus, „daß ein Mann, der sein Vaterland und seine alten Freunde den Feinden überliefert hat, ihnen nie wohlgesinnt werden und Treue bewahren könne“ (XVIII 15).

Doch selbst, wenn sie beiden Parteien entkommen, „folgt ihnen doch der Ruf bei den übrigen Menschen als Rächer ihr Leben lang nach, indem er ihnen bei Tag und Nacht so manche eingebildete und wirkliche Schrecknisse vorführt und allen, die Übles gegen sie im Schilde führen, Beihilfe leistet und Mittel an die Hand gibt und sie endlich nicht einmal im Schlafe ihrer Sünden vergessen, sondern von Anschlägen und Gefahren jeder Art träumen läßt, da sie sich der überall gegen sie bestehenden Abneigung und des allgemeinen Hasses wohlbewußt sind“ (XVIII 15).

6. Wunder und Götter

Polybios hält es für „kindisch“, unwahrscheinlich und unmöglich, daß es auf ein Götterstandbild niemals regnet oder schneit, wie es die Bargylieten glauben. Er hält es für beschränkt zu glauben, daß Menschen, die das Zeusheiligtum in Arkadien betreten, keinen Schatten mehr haben (XVI 12).

Historikern, die solche Dinge erzählen, verzeiht Polybios, wenn sie dabei Maß halten. „Wohl ist es hierbei schwer, überall die richtige Grenze zu bestimmen, jedoch nicht unmöglich. Daher mag man immerhin ein bißchen Unwissenheit oder Irrtum hingehen lassen; das Übermaß dagegen muß meiner Meinung nach gänzlich verworfen werden“ (XVI 12).

Polybios mag es auch nicht, wenn Menschen von Historikern für „Götter und Göttersöhne“ erklärt werden, „die doch nur auf dem Boden der Wirklichkeit sich bewegt.“ So verfallen einige Schilderer der Alpenüberquerung Hannibals in den Fehler, die Alpen als so unzugänglich darzustellen, „daß, wenn nicht ein Gott oder ein Heros dem Annibal erschienen wäre, um demselben die Wege zu zeigen, er samt seinem ganzen Heere in der Not hätte umkommen müssen“ (III 47).

Das Unheil, das über König Philippos V. hereinbricht, kommentiert Polybios so:

„Als ob endlich die Zeit gekommen wäre, wo das Schicksal ihn für alle Gottlosigkeiten und Frevel, die er während seines Lebens verübt hatte, zur Rechenschaft ziehen wollte, ließ es jetzt über ihn man möchte sagen die Furien und Rachegeister der durch ihn unglücklich Gewordenen kommen, die ihn Tag und Nacht nicht verließen und bis zu seinem Lebensende solche Rache an ihm nahmen, daß auch alle Menschen bekennen mußten, es gebe nach dem Sprichwort ein Auge der göttlichen Gerechtigkeit, die der Mensch niemals verachten dürfe“ (XXIV 8).

Die Furien geben dem Philippos Gedanken ein, durch deren Umsetzung er seine Untertanen gegen ihn aufbringt: Es „entstand eine solche Trauer und Aufregung, als ob das ganze Land vom Feinde erobert wäre. Man fluchte dem Könige und verwünschte ihn, nicht mehr bloß heimlich, sondern auch öffentlich“ (XXIV 8).

Im Konflikt seiner beiden Söhne, des Rom wohlgesinnten Demetrios und des Römerfeinds Perseus, steht Philipp vor der Entscheidung, welcher von beiden ihn in Zukunft wohl eher umbringen würde; „so peinigten ihn die Gedanken hierüber Tag und Nacht. Bei solcher Seelenpein und Unruhe – wer wollte da nicht mit Recht glauben, daß die eine oder andere Gottheit wegen der Sünden seines früheren Lebens ihre Zornesschläge habe auf sein Alter fallen lassen?“ Er befand sich „in einem Seelenzustand […], der an Wahnsinn grenzte“ (XXIV 8).

Perseus verleumdet den Demetrios und stützt seine Verleumdungen durch einen gefälschten Brief eines prominenten Römers. Daraufhin läßt Philippos den unschuldigen Demetrios wegen angeblichen Hochverrats vergiften. Als ihm die Intrige des Perseus durch die Aussage seines Verwandten Antigonos klar wird, will Philippos den Antigonos zu seinem Nachfolger machen. Doch das scheitert daran, daß er „von Altersschwäche und Gram verzehrt“ (Livius XL 54) stirbt und Perseus sogleich davon erfährt, so daß er sich des Throns bemächtigen kann. Den Antigonos und den Apelles, der den Demetrios belastenden Brief gefälscht hat, beseitigt er.

Die Konsequenz: Es geht ihm wie seinem Vater. Polybios überlegt, ob Perseus nur töricht oder „durch die Gottheit“ verblendet war, als er Schmiergeldzahlungen an potentielle Verbündete versäumte, und entscheidet sich für die zweite Erklärung: „Nach meiner Ansicht findet eher das letztere statt, wenn man an große Wagnisse sein Leben setzt und doch anderseits das für seine Absichten Wesentlichste außer acht läßt, obwohl man es sieht und in seiner Macht hat“ (XXVIII 9).

Wohlgemerkt: Bestechung ist auch aus der Sicht von Polybios die Logik von Lumpen. Unter einem edlen Staatsmann verstand er einen, der „gleichmäßig seinen Weg“ geht (XXIX 7a), nämlich den Weg „der Pflicht und der Ehre“ (XXX 6), „unter allen Umständen seiner Gesinnung treu“ bleibt und „das Gute und Gerechte seine vornehmste Sorge sein“ läßt (XXIX 7a).

Als die Römer nach Makedonien eingedrungen waren und Perseus besiegt hatten, gab er dem Hippias die Schuld. Polybios kommentiert: „Es ist freilich leicht, andere zu tadeln und ihre Fehler zu bemerken, aber sehr schwer, selbst das Seinige zu tun“ (XXVIII 9).

König Antiochos wollte den Artemistempel in Elymais plündern, doch die „Bewohner dieser Gegenden“ hinderten ihn daran. Er starb „im Wahnsinn, wie einige sagen infolge mehrerer Erscheinungen, wodurch ihm die Gottheit ihren Zorn über jenen beabsichtigten Tempelraub kundgetan hatte“ (XXXI 11).

Polybios war der Ansicht, man dürfe nur dann ein Ereignis dem Wirken von Gottheit oder Schicksal zuschreiben, wenn man die Ursachen des Ereignisses nicht kenne, d.h. bei anhaltend schlechtem Wetter, Dürre, Seuchen usw. Den Bevölkerungsrückgang in Griechenland rechnete er nicht dazu, da er nicht durch Kriege oder Seuchen, sondern durch liederliche Lebensführung verursacht sei. Hier könnten eine Besserung der Sitten und Gesetze über die Kindererziehung Abhilfe schaffen.

7. Mommsens Würdigung und Kritik

Theodor Mommsen meint, von Polybios könnten wir „vielleicht“ am meisten von allen antiken Autoren lernen. Seine Bücher seien wie die Sonne, die den Nebel vertreibt (3/466f). Er rühmt seine Wahrheitsliebe und seinen vorbildlichen Umgang mit den Quellen.

Doch des Polybios Umgang mit der Geschichte sei zu kopfbetont:

„Die Geschichte, der Kampf der Notwendigkeit und der Freiheit, ist ein sittliches Problem; Polybios behandelt sie, als wäre sie ein mechanisches. Nur das Ganze gilt für ihn, in der Natur wie im Staat; das besondere Ereignis, der individuelle Mensch, wie wunderbar sie auch erscheinen mögen, sind doch eigentlich nichts als einzelne Momente, geringe Räder in dem höchst künstlichen Mechanismus, den man den Staat nennt“ (3/465f).

Allerdings gebe es in der römischen Geschichte keinen „im höchsten Sinne genialen Staatsmann“. Insofern sei Polybios für deren Darstellung geradezu prädestiniert gewesen (3/466).

„Aber das Moment der sittlichen Freiheit waltet in jeder Volksgeschichte und wurde auch in der römischen von Polybios nicht ungestraft verkannt. Polybios‘ Behandlung aller Fragen, in denen Recht, Ehre, Religion zur Sprache kommen, ist nicht bloß platt, sondern auch gründlich falsch. Dasselbe gilt überall, wo eine genetische Konstruktion erfordert wird; die rein mechanischen Erklärungsversuche, die Polybios an deren Stelle setzt, sind mitunter geradezu zum Verzweifeln, wie es denn kaum eine törichtere politische Spekulation gibt, als die vortreffliche Verfassung Roms aus einer verständigen Mischung monarchischer, aristokratischer und demokratischer Elemente her- und aus der Vortrefflichkeit der Verfassung die Erfolge Roms abzuleiten“ (3/466).

Man merkt an Mommsens Kritik, daß er Polybios nicht mag. Zum Teil ist seine Beurteilung geradezu gehässig (das zitiere ich hier nicht).

„Ein oppositioneller Zug geht durch die ganze Arbeit; der Verfasser bestimmte seine Schrift zunächst für die Römer und fand doch auch hier nur einen sehr kleinen Kreis, der ihn verstand; er fühlte es, daß er den Römern ein Fremder, seinen Landsleuten ein Abtrünniger blieb und daß er mit seiner großartigen Auffassung der Verhältnisse mehr der Zukunft als der Gegenwart angehörte“ (3/466).

© Gunthard Rudolf Heller, 2021

Literaturverzeichnis

DIHLE, Albrecht: Griechische Literaturgeschichte – Von Homer bis zum Hellenismus, München 21991

DER KLEINE PAULY – Lexikon der Antike in fünf Bänden, München 1979 (KP)

KINDLERS NEUES LITERATUR-LEXIKON, hg. v. Walter Jens, 21 Bände, München 1996 (KNLL)

KRANZ, Walther: Geschichte der griechischen Literatur, Köln 1998

KYTZLER, Bernhard: Reclams Lexikon der griechischen und römischen Autoren, Stuttgart 1997

LESKY, Albin: Geschichte der griechischen Literatur, München 1993

LIVIUS, Titus: Römische Geschichte, übersetzt von Eucharius Ferdinand Christian Oertel, 4 Bände, Stuttgart 1840/41

MEYERS ENZYKLOPÄDISCHES LEXIKON, 25 Bände, Mannheim/Wien/Zürich 91980/81

MOMMSEN, Theodor: Römische Geschichte, 8 Bände, München 1976

PLATON: Sämtliche Werke, hg. v. Ernesto Grassi unter Mitarbeit von Walter Hess, 6 Bände, Reinbek bei Hamburg 1984

– Sämtliche Dialoge, in Verbindung mit Kurt Hildebrandt, Constantin Ritter und Gustav Schneider hg. v. Otto Apelt, 7 Bände, Hamburg 1988

POLYBIOS: Geschichte, übersetzt von A. Haakh und K. Kraz, 3 Bände, Berlin-Schöneberg o.J. (Beim Zitieren lasse ich die Betonungszeichen weg. Bei längeren Passagen habe ich zusätzlich Abschnitte gesetzt.)

WÖRTERBUCH DER ANTIKE mit Berücksichtigung ihres Fortwirkens, in Verbindung mit E. Bux und W. Schöne begründet von Hans Lamer, fortgeführt von Paul Kroh, Stuttgart 81976 (WA)

Gunthard Heller

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