Wer ist Gott? – oder vom Wesen des Gotterlebens

Christen Kirchenfenster„Könnten aufgegebene Kirchen in Moscheen umgewandelt werden?“ fragte Hartmut Kistenfeger vom Stern den Berliner Landesbischof und Vorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, und bekam von ihm zur Antwort: „Wird eine Kirche zur Moschee, erwecken wir den Anschein, der Unterschied zwischen Christentum und Islam sei geringfügig.

Das würde den Eindruck nahelegen, es sei derselbe Gott, zu dem Christen wie Muslime beten. Christen bekennen sich zu dem Gott, der sich in Jesus Christus offenbart, während der Islam die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus ablehnt. Die Umwandlung einer Kirche in eine Moschee verdunkelt eher diesen Unterschied und wäre in meinen Augen nicht zu begrüßen.“

Auf die Frage, ob Muslime und Christen nicht zum selben Gott beten, antwortete der Kirchenmann: „Ob Gott derselbe Gott ist, muß man ihm selber überlassen. Als Menschen können wir nur über das Gottesbekenntnis urteilen. Wir haben als Christen keinen Grund zu sagen, wir würden uns zum gleichen Gott wie die Muslime bekennen.“

Welche Schwierigkeiten haben doch Gläubige mit „Gott“! Wer bekennt, nicht zu wissen, ob sein Gott auch der Gott der anderen Religion sei, bekennt zugleich, über seinen Gott nicht wirklich etwas zu wissen. Dieses Bekenntnis der Unwissenheit aber ist ein wesentlicher Teil des christlichen Ethos: Demütig soll der Christ sich seiner jämmerlichen Kleinheit gegenüber der „Größe und Allmacht Gottes“ stets bewußt sein. Ihn offen anschauen zu wollen, wird für Vermessenheit gehalten.

Genau dies aber hat das Christentum mit dem Judentum ebenso wie mit dem Islam gemeinsam. Wo ist der Unterschied? Im Christentum läßt sich Gott JHWH durch seinen „eingeborenen Sohn Jesus Christus“ vermitteln, offenbaren. Diesen Umstand findet der Landesbischof wesentlich, und zwar so sehr, daß er eine Einheit der beiden Götter JHWH und Allah verneint.

Islam GebetUnd schon wetterleuchtet der alte Glaubenshaß am Horizont: „Wenn Muslime ihre Interessen weiter so durch die Instanzen vorantreiben, werden sie die Gerichte zwingen, eigene und engere Vorstellungen zu entwickeln, was sie zur Religion rechnen und was nicht.

Das wäre eine große Niederlage für unsere Rechtskultur.“ In diese geheimnisvollen Worte kleidet der Christ seine Ängste. Rechtgeben muß man ihm, wenn er ausspricht, was bis vor kurzem kaum jemand auszusprechen wagte: „Ein Islam, der im Grunde mit dem Anspruch ausgestattet ist, eines Tages diese Gesellschaft zu übernehmen, der ist nicht der richtige Partner für eine gemeinsame Entwicklung.“

Doch vergessen wir nicht, daß das Christentum über viele Jahrhunderte mit einem ebensolchen „Anspruch ausgestattet“ war und in großer Selbstüberhebung und Geringschätzung nichtchristlicher Völker deren Kulturen zerstörte. Aber über die Glaubensinhalte selbst hat Huber damit nichts ausgesagt. Das Stern-Gespräch bleibt an der Oberfläche.

Wesentlich daran ist aber, daß der Kirchenmann sich in seinem Glauben allein an ein „Gottesbekenntnis“ zu halten vermag, während er über das Wesen seines Gottes nichts auszusagen weiß. Darin wird er sich von einem Islam wenig unterscheiden, denn auch der unterwirft sich ja blind der „Größe und Allmächtigkeit Allahs“, auch ihm steht beim Vertreten seines Glaubens nur das „Gottesbekenntnis“ zur Verfügung. „Es stehet geschrieben“, das gilt für beide.

ToraDie Kraft, die in jedem Menschen schlummert, auf sich selbst gestellt sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und dem Göttlichen furchtlos, frei und voller Selbstvertrauen in der eigenen Seele zu begegnen, diese Kraft zu erkennen und in sich zu entfalten, wagen offenbar nur „Ungläubige“ und wer sich von seinen aufgepfropften Dogmen wieder entfernt hat.

Er hält dann beim Schaffen seiner Musik wie Johann Sebastian Bach „Zwiesprache mit seinem Gott“, empfindet dankbar die Erhabenheit, den Menschen mit seiner Kunst Vermittler der „Strahlen des Göttlichen“ zu sein wie Beethoven, oder weiß sich in seinem philosophischen Schaffen eins mit dem Göttlichen wie Mathilde Ludendorff, die in sternklaren Nächten die Wesenszüge des Göttlichen in sich erlebte und ihnen sprachlichen Ausdruck verleihen konnte.

Hier waltet Freiheit, hier gibt es keine Haarspaltereien über einzelne „Glaubenssätze“, hier tritt Gotterleben durch das Können von Menschen in Erscheinung, das gleichaufgeschlossenen Menschen miterlebbar ist. Das ist Kultur.

Das Christentum hat die Unkultur seines missionarischen Eiferns und der Zerstörungswut gegenüber heidnischen Kulturen und nicht „rechtgläubigen“ Menschen inzwischen einigermaßen überwunden.

Die „Auslegungsgeschichte“, von der Huber als von einem großen „Schritt für die Christen“ spricht und vom dem er offenbar annimmt, der Islam habe noch vor sich, ihn zu gehen, hat vielleicht weniger mit dem Willen zur Wahrheit zu tun als vielmehr mit dem Heidentum, das jedem Menschen angeboren in der Seele lebt, solange er es nicht in sich abgetötet hat. Dieses Heidentum, dieses eigentümliche Gotterleben, deutet sich das ihm Fremde um. Darum setzt Mathilde Ludendorff vor ihr gesamtes Werk die Bitte: „… schreitet leise, daß ihr sie nicht stört, die in den alten Tempeln gläubig knien, das Göttliche erlebend.“

Vom Wesen her unterscheidet sich weniger das Christentum vom Islam als vielmehr das Heidentum von beiden. Hier gibt es nicht die Enge durch Lehren und Vorschriften, hier werden Glaubenshaß, Gottesstreitertum und Missionseifer als dem Wesen des Göttlichen entgegengesetzt erlebt, denn das Wesen des Göttlichen ist Freiheit, entzieht sich jeglichem Zwang und will nicht zwingen.

Es ist nicht Person und damit „Ebenbild“ seiner machtbewußten Erfinder. Es ist Lebensstrom, schöpferischer Wille, es durchwirkt die Schöpfung und ist nicht außerhalb von ihr in unerreichbarer Ferne wie die Götter der Weltreligionen. Nicht im Gegenüber von Oben und Unten, sondern im Einssein mit Gott haben gotterfüllte, von Dogmen freie Menschen zu allen Zeiten das Göttliche erlebt. Mathilde Ludendorff aber hat es erstmalig in seiner ganzen Tiefe philosophisch ergründet.

Heidrun Beißwenger