Kluge Entscheidungen mit Verstand oder Gefühl treffen?

Der Streit zwischen eher gefühlsbetonten und verstandesorientierten Menschen ist alt. Er geht davon aus, dass Entscheidungen entweder verstandes- oder gefühlsorientiert getroffen werden.

Kopf oder Bauch – das ist hier also die Frage. Die meisten Menschen würden wohl behaupten, dass wichtige Entscheidungen immer mit dem Kopf getroffen werden müssen. Doch António Damásio, ein Neurowissenschaftler fand heraus, dass diese Herangehensweise selbst bei Verstandesmenschen nicht wirklich funktioniert.

Kluge Entscheidungen treffen

Damásio „Descartes’ Irrtum“

Auf eine wichtige Spur kam er durch seine Tätigkeit im Bereich der Neurobiologie durch Patienten mit Hirnschädigungen, die sie aufgrund von Unfällen oder Schlaganfällen erlitten. In diesem Zusammenhang ist der Unfall von Phineas Gage im Jahre 1848 – einem Vorarbeiter in einer Eisenbahngesellschaft – bekannt geworden.

Nach einer Sprengung durchbohrte eine 6 kg schwere Eisenstange seinen Schädel. Er überlebte diesen Unfall und blieb auch währenddessen bei vollem Bewusstsein. Die Verletzung heilte innerhalb von 2 Monaten. Zuerst stellten die Ärzte keinerlei Beeinträchtigungen fest, also weder in der Wahrnehmung, Gedächtnisleistung, Intelligenz, Sprache oder Motorik.

Doch es kam zu einer extremen Persönlichkeitsveränderung. Aus einem verantwortungsbewussten, ausgeglichenen und freundlichen wurde im Lauf der Zeit ein wankelmütiger, launischer und respektloser Mensch. Er hatte Gefühlsstörungen und dadurch Probleme Entscheidungen zu treffen. Er konnte seine Zukunft nicht mehr sinnvoll planen. Mehr dazu können Sie auf Wikipedia nachlesen: António Damásio.

Kluge Entscheidungen mit Verstand und Gefühl treffen

Damásio fand heraus, dass an den meisten Entscheidungen das sogenannte emotionale Erfahrungsgedächtnis beteiligt ist. Emotionen und Körperempfindungen sind für Entscheidungen ganz wesentlich. Dabei ist es völlig unwichtig, ob es sich um große Entscheidungen (welchen Beruf ergreife ich?) oder um kleine, alltägliche Entscheidungen (was esse ich morgen?) handelt.

Alleine kann der Verstand keine Entscheidungen treffen, denn er braucht eine Bewertung. Diese kann nur mithilfe des emotionalen Gedächtnisses getroffen werden.

Das emotionale Erfahrungsgedächtnis

Das emotionale Erfahrungsgedächtnis befindet sich unterhalb der Großhirnrinde und ist ein Zusammenschluss der dort liegenden Bereiche. Es beginnt schon vor unserer Geburt an zu arbeiten und speichert alles ab, was uns im Lauf unseres Lebens widerfährt.

Als unser tierisches Erbe dient es dazu, unser Überleben zu sichern. Die Vorgänge im emotionalen Erfahrungsgedächtnis sind unbewusst. Wenn etwas in das Bewusstsein gelangt, ist es in der Regel nur ein Bruchteil.

Wie schon der Name verrät, speichert das emotionale Erfahrungsgedächtnis Wissen in Form von Gefühlen und Körperempfindungen, den sogenannten somatischen Markern.

Kluge Entscheidungen treffen

Es funktioniert recht schlicht, d.h. das Wissen wird bewertet – etwas ist gut oder schlecht. „Gutes“ soll wiederholt werden – es steigert das eigene Wohlbefinden. „Schlechtes“ soll vermieden werden. Mehr zu somatischen Markern finden Sie im folgenden Artikel: „Wichtige Signale aus dem Unbewussten – die somatischen Marker„.

Dieses einfache Bewertungsschema des emotionalen Erfahrungsgedächtnisses hat einen entscheidenden Vorteil: Es erlaubt uns in einer bestimmten Situation, vergleichbare Erfahrungen blitzschnell abrufen zu können, die in Form von Gefühlen und Körperempfindungen gespeichert sind. Dadurch können gute Erfahrungen wiederholt (z. B. Freude beim Anblick einer Katze = go) und schlechte Erfahrungen gemieden werden (z. B. Angst beim Anblick eines Hundes = stop).

Der Verstand

Der Verstand arbeitet bewusst. Bei bewussten Aktivitäten unseres Gehirns ist die Großhirnrinde (Cortex) aktiv.

Im Gegensatz zum emotionalen Erfahrungsgedächtnis, das sehr große Datenmengen in sehr kurzer Zeit bewältigen kann (z. B. eine befahrene Straße zu überqueren), sind Denkprozesse des Verstandes extrem langsam (z. B. Gründe für oder gegen eine Handlung zu finden und gegeneinander abzuwägen).

Doch der Vorteil des Verstandes besteht darin, dass die Ergebnisse sehr detailliert und präzise sein können, während sie beim emotionalen Erfahrungsgedächtnis diffus bzw. allgemeiner Art bleiben und detailarm sind.

Verstand und Gefühl

Sehr gute Ergebnisse erhalten wir dann, wenn wir gelernt haben Verstand und Gefühl situationsgerecht und in Übereinstimmung zu bringen. Natürlich ist das nicht immer einfach, doch man kann üben und mit kleinen Entscheidungen beginnen (z. B. was will ich mir für ein Essen bestellen?).

Beide Auswertungssysteme sind wichtig und jeder Mensch kann lernen auf eine gute Zusammenarbeit von Verstand und Gefühl (emotionalen Erfahrungsgedächtnis) zu achten.

Entscheiden mit Verstand und Gefühl

Wer seine Gefühle nicht miteinbezieht, dürfte entweder mit dem Treffen von Entscheidungen generell Probleme haben, denn diese entscheiden über „stop“ oder „go“. Oder aber es werden Entscheidungen getroffen, die mit wenig Selbstsicherheit einhergehen.

Der Verstand kann keine Sicherheit bieten. Er kann Probleme stundenlang hin- und herwälzen. Zu jedem Argument gibt es ein Gegenargument. Sicherheit und Selbstsicherheit kommen vom emotionalen Erfahrungsgedächtnis.

Wer seinen Verstand nicht miteinbezieht, wird zwar Entscheidungen treffen, doch er läuft Gefahr, dass es kurzsichtige Entscheidungen sind. Ein einfaches Beispiel betrifft Menschen, die mit ihrer Gesundheit Probleme haben, aber dennoch ihre Essgewohnheiten nicht ändern. Das emotionale Erfahrungsgedächtnis sagt „ja“ zur Schweinshaxe und die Gesundheit verschlechtert sich weiter. Hier wäre eine Reflexion notwendig, die das emotionale Erfahrungsgedächtnis überzeugt, mit zu fettem Essen anders umzugehen.

Maja Storch unterscheidet zwei Extremtypen von Menschen, die sich nicht nach ihren somatischen Markern richten:

Die Körperlosen

Sie verfügen über einen geschulten Verstand und gut ausgebildete Analysefertigkeiten. Doch ihre Eigenwahrnehmung ist kaum entwickelt. Sie nehmen ihre Signale (somatischen Marker), die aus dem emotionalen Erfahrungsgedächtnis kommen, nicht wahr.

Ihr Problem ist es demnach, eigene Ziele von den Zielerwartungen anderer Menschen zu unterscheiden. Ihnen wird empfohlen Aktivitäten nachzugehen, die es nötig machen, die eigene Aufmerksamkeit auf den Körper (also nach innen) zu richten. Dazu gehören alle Arten von Sport, Massagetechniken, Atemübungen (z.B. Qigong), Yoga oder Tai-Chi.

Die Unsicheren

Sie nehmen Körpersignale (somatische Marker) deutlich wahr, doch sie richten sich oft nicht nach ihnen. Sie misstrauen ihren eigenen Signalen, fühlen sich zerrissen und unsicher. Sie berichten oft von einer inneren Unruhe und haben den Eindruck, dass das wirkliche Leben an ihnen vorbeirauscht.

Mit folgenden Situationen sind sie häufiger konfrontiert:

Fehlende Argumente

Sie sagen oft „ja“ in einer Situation, weil ihnen keine gegenteiligen Argumente einfallen (z. B. bei Gruppenentscheidungen), obwohl ihre Körpersignale „stop“ signalisieren. Gegenargumente zu finden, kostet Zeit – das ist normal. Wenn möglich, sollten sie um Zeit bitten, um sich über das Thema Gedanken machen zu können.

Zustimmung wegen mangelnder Zeit

Oft sagen Menschen dieses Typs zu etwas „ja“, obwohl ihre somatischen Marker „nein“ signalisieren. Auch hier empfiehlt es sich, um etwas mehr Zeit zu bitten. Manchmal reicht eine halbe Stunde aus, um sich über eine Situation klar zu werden. Dann lässt sich z. B. ein Rückruf arrangieren.

Bewusstmachen der Eigenwahrnehmung

Unsichere kommen wiederholt in ähnliche Situationen, in der sie Zusagen machen, die sich später als nachteilig herausstellten. Hier geht es darum sich darüber bewusst zu werden, dass somatische Marker (Gefühle und Körperempfindungen) schon auftreten, bevor die wiederkehrende Situation eintritt. Doch sie werden erst zu spät wahrgenommen und daher nicht ernst genommen.

Ein Beispiel ist ein hilfsbereiter Mensch, der sich öfter bereit erklärte auf das Kind des Nachbarn aufzupassen und sich später darüber ärgerte, weil es überhaupt nicht in seine Zeitplanung passte. Hier empfiehlt es sich vorab zurechtzulegen, wie man beim nächsten Mal eine Absage formuliert.

Zusammenfassung

Zwei Vorurteile müssen verabschiedet werden:

  • Zum einen, dass ein Mensch nur sachlich, also am besten ohne (oder mit kontrollierten) Gefühle(n) und ohne körperliche Begleiterscheinungen gute Entscheidungen treffen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Neben dem Verstand sind die sogenannten somatischen Marker immense wichtig, um gute Entscheidungen treffen zu können.
  • Zum anderen, dass gute Entscheidungen bewusst getroffen werden. Normalerweise gelangt nur ein Bruchteil in Form von Gründen und Motiven in unser Bewusstsein. Das meiste bleibt unbewusst, was uns schon Sigmund Freud aufzeigte.

Natürlich können auch Fehlentscheidungen getroffen werden, wenn Verstand und Gefühl übereinstimmten. Doch unabhängig, ob eine gute oder im Nachhinein schlechte Entscheidung getroffen wurde, ist der Mensch zufriedener, wenn in Übereinstimmung beider Bewertungssysteme entschieden wurde.

Viel Erfolg bei Ihren Entscheidungen!

Cassandra B.