Somatische Marker: Körpersprache des Unbewussten

Was wir denken und fühlen spiegelt sich im Körper wider. Somatische Marker (körperliche Zeichen) sind die „Körpersprache“ unserer bewussten und unterbewussten Gefühle. Wie man somatische Marker erkennt und deuten kann, zeigen wir im Folgenden.

Kluge Entscheidungen und Gefühle

Eine gängige Überzeugung vieler Menschen besteht darin, dass kluge und wichtige Entscheidungen einen gut ausgebildeten Verstand benötigen und bewusst getroffen werden sollen.

Gefühle werden eher als störend empfunden und bei solchen Entscheidungsfindungen nicht berücksichtigt. Doch nach dem Bewusstseinsforscher António R. Damásio entscheidet das Unbewusste der Gefühlswelt ganz wesentlich mit, ob Entscheidungen gelingen.

Somatische Marker: Körpersprache des Unbewussten

Dass beim Treffen von guten Entscheidungen sowohl Verstand als auch Gefühl wichtig sind und daher in Übereinstimmung gebracht werden sollten, wurde bereits im Artikel: „Kluge Entscheidungen mit Verstand oder Gefühl treffen?„gezeigt.

Einführung: Signale des Unbewussten

Signale aus dem Unbewussten (oder somatische Marker) hängen mit wichtigen Lebenserfahrungen in unserer Vergangenheit zusammen. Dabei handelt es sich um Gefühle und körperliche Empfindungen, die wir „gespeichert haben“, d. h. aufgrund unserer Erfahrungen immer wieder ähnlich reproduzieren.

Unser emotionales Erfahrungsgedächtnis, das solche Verknüpfungen vornimmt und mit vergangenen Situationen vergleicht, speichert dieses Erfahrungswissen in Form von Gefühlen oder Körperempfindungen ab, die uns signalisieren, ob wir eine Situation als positiv oder als negativ bewerten sollen.

Somatische Marker: Körpersprache des Unbewussten

Gehirnforschung sagt dazu: Das Gehirn speichert unsere Gefühle und Empfindungen zu einer bestimmten Erfahrung mit ab. Wenn Sie sich beispielsweise als Kind im Mathematikunterricht gelangweilt haben, blamiert oder gehänselt wurden, wird dieses Gefühl mit „Mathematik“ verbunden.

Da das Unbewusste keine Zeit kennt, wird dieses „schlechte Gefühl“ auch dann erzeugt, wenn man bereits erwachsen ist, d. h. es eigentlich keinen Stress, Hänseleien oder Ähnliches mehr gibt. Als Erwachsener bemerkt man dann, dass man „Mathematik nicht mag“ und damit verbunden schlechte Gefühle, Magengrummeln, Versagensängste etc. empfindet.

Was sind somatische Marker?

Die Signale aus dem emotionalen Erfahrungsgedächtnis werden somatische Marker genannt. „Soma“ kommt aus dem Griechischen und heißt Körper. Da diese Körpersignale eine bestimmte Situation als gut oder schlecht markieren (bewerten), bezeichnet sie Damásio als „Marker“.

Somatische Marker steuern unser Vermeidungs- und Annäherungsverhalten. Treten in einer bestimmten Situation positive Gefühle auf, etwa Freude, ist das ein Zeichen für Annäherung („go“). Treten negativ bewertete Gefühle auf, etwa Ekel, dann werden wir etwas nicht machen – uns abwenden („stop“).

Das Bewertungsschema unseres emotionalen Erfahrungsgedächtnisses ist recht schlicht. Es signalisiert uns „Stop“ oder „Go“. Es ist völlig egal, welches Gefühl auftritt – Gefühle haben einzig die Aufgabe „stop“ oder „go“ zu signalisieren. Natürlich können somatische Marker den Verstand nicht ersetzen, weil sie uns keine weiteren Informationen liefern, außer Annäherung oder Vermeidung.

Somatische Marker signalisieren uns "Stop" oder "Go"

Den Grund für „Stop-“ oder „Go-Signale“ kann nur unser Verstand herausfinden. Somatische Marker treten in der Regel auf, bevor es zu verstandesmäßigen Aktivitäten kommt. Sie fällen wichtige Vorentscheidungen. Das ist vielen Menschen nicht bewusst.

Wer seine somatischen Marker wahrnehmen kann oder wahrnehmen lernt, ist eindeutig im Vorteil. Er hat erst dann die Möglichkeit herauszufinden, welche Gründe für oder gegen eine Handlung sprechen und ob er sein Verhalten ändern will oder nicht.

Ein einfaches Beispiel mag dies verdeutlichen. Eine Studentin wartete zwei Jahre auf einen Studiumsplatz. Endlich bekam sie einen, doch anstatt sich zu freuen, stieß sie auf großen inneren Widerstand. Dieser Widerstand äußerte sich durch ein flaues Magengefühl, verbunden mit Trauer. Die Stadt war ihr nicht bekannt. Deshalb zweifelte sie daran, ob sie die richtige Wahl für das Studienfach bzw. den Ort getroffen hat. Nachdem sie sich etwas Zeit genommen hatte, um genauer zu forschen, mit welchen vergangenen Erfahrungen ihre Empfindungen und Gefühle zusammenhängen könnten, fand sie heraus, dass ihre erste unglückliche Liebe aus dieser Stadt kam.

Ihre somatischen Marker, die eindeutig „stop“ signalisierten, hatten nicht das Geringste mit der Wahl ihres Studiums oder der Stadt selbst zu tun. Sie war froh, den genauen Grund ihrer Gefühle herausgefunden zu haben und konnte sich im Anschluss über den Studienplatz freuen.

Wie äußern sich die somatischen Marker?

Somatische Marker melden sich bei jedem Menschen individuell, d. h., wir unterscheiden uns darin:

  • ob wir somatische Marker wahrnehmen,
  • wie wir somatischen Marker wahrnehmen und
  • welche somatischen Marker wir wahrnehmen.

Somatische Marker werden sehr verschieden wahrgenommen:

  • Körperempfindungen, z. B. Herzklopfen, Kribbeln am Knie, Schweißausbruch, Zittern, angenehmes Gefühl im Bauch …
  • Gefühle, z. B. Neugier, Freude, Aggression, Angst, Trauer, Interesse, …
  • Geschehnisse im Kopf, z. B. lichte, helle Weite im Kopf, Freiheitsgefühl im Kopf …

Es ist für viele Menschen (am Anfang) einfacher, negative somatische Marker wahrzunehmen als positive. Der Grund ist schlicht, denn es ist für unser emotionales Erfahrungsgedächtnis (Überleben) notwendig „Gefahren“ schnell zu erkennen.

somatische Marker - Entscheidungshilfe

Doch es ist ebenso wichtig zu lernen die positiven somatischen Marker wahrzunehmen. Die negativen somatischen Marker sagen uns, was wir unterlassen sollen, die positiven, was wir (stattdessen) tun wollen.

Beispiele für negative und positive somatische Marker

Negative somatische Marker:

  • Kloß und Engegefühl im Hals
  • Angst, Ärger
  • weiche Knie, Zittern in den Beinen
  • flauer Magen, leichte Übelkeit oder Druckempfindungen
  • hochgezogene Schultern (angekrampfte Muskeln)

Positive somatische Marker:

  • leichtes Kitzeln im Bauch, warmes wohltuendes Gefühl im Bauch
  • Lächeln, leichtes Anheben der Mundwinkel
  • Magenhüpfen, Freude
  • Leichtigkeit, Helle im Kopf
  • fließende, lösende Empfindungen im Körper

Das sind nur einige Beispiele, doch Sie werden selbst herausfinden, welche somatischen Marker sich bei Ihnen äußern.

Wahrnehmung der somatischen Marker trainieren

Somatische Marker melden sich nicht nur vor anstehenden Entscheidungen, sondern treten bei allem auf, was wir tun und was uns begegnet, z. B. auch, wenn wir nur ein Wort hören. Somatische Marker kommen blitzschnell und sind manchmal sehr fein. Viele Menschen müssen ihre Wahrnehmung schulen, um auch feine somatischen Marker mitzubekommen. Für Menschen, die ihre somatischen Marker kennenlernen wollen, gibt es eine einfache Übung, die sich gut für den Einstieg eignet.

Schreiben Sie verschiedene Begriffe auf. Jeder Begriff sollte getrennt auf einem Kärtchen stehen (damit sie gemischt werden können), z. B.:

  • Finanzamt
  • Kuss
  • Kinder
  • Glück
  • Geld
  • Allein sein
  • Spielen
  • Kochen
  • Abwaschen
  • Liebe
  • Putzen
  • etc.

Schreiben Sie alle Begriffe auf, die Ihnen einfallen. Alternativ kann das natürlich ein Freund oder Freundin von Ihnen übernehmen. Das hat den Vorteil, dass Sie die Begriffe vorab nicht wissen.

Legen Sie sich Blatt und Stift bereit, damit Sie sich Notizen machen können. Schreiben Sie auf das Blatt „Go“ (das für die positiven somatischen Marker steht). Lassen Sie etwas Platz und schreiben Sie darunter „Stop“ (das für die negativen somatischen Marker steht).

Mischen Sie die Kärtchen und ziehen eine Karte heraus. Lesen Sie den Begriff und machen Sie sofort einen Strich bei „Stop“ oder „Go“, je nachdem welche Bewertung Sie vornehmen.

Bewerten Sie sofort und vermeiden Sie es zu überlegen, denn dann kommt Ihnen der Verstand dazwischen. Das emotionale Erfahrungsgedächtnis ist blitzschnell. Es nimmt Bewertungen sofort vor, denn sie kommen aus dem Unbewussten. Falls Sie bei einem Begriff zu keiner Bewertung kommen, dann machen Sie einfach mit dem nächsten Begriff weiter, ohne etwas zu notieren.

Somatische Marker: Körpersprache des Unbewussten

Wenn Sie die Übung abgeschlossen haben, schreiben Sie auf, welche somatischen Marker Sie wahrgenommen haben. Sie können die Übung wiederholen und auf den Alltag anwenden, d. h. sich bei bestimmten Tätigkeiten beobachten, welche Marker wiederholt in welcher Situation auftreten. Halten Sie Ihre Ergebnisse schriftlich fest.

Bei vielen Tätigkeiten oder auch dem Hören von Wörtern werden Sie verstehen, warum sich ein positiver oder negativer somatischer Marker meldet. Doch mit Sicherheit wird auch der Fall auftreten, bei dem sich ein negativer somatischer Marker meldet, obwohl es sich um ein eigentlich positives Wort handelt, z. B. Glück.

Denken Sie an obiges Beispiel mit einer eigentlich freudigen Nachricht eines freien Studienplatzes. Es kann sein, dass Sie mit einer Situation oder Wort eine Erfahrung verknüpft haben, die negativ bewertet wurde, die Sie vergessen haben und der Sie auf die Spur kommen können. Hier ist der Verstand wichtig, der dies herausfinden kann.

Empfehlenswert ist ein Artikel, der beispielhaft aufzeigt, dass das Wort „Glück“ nicht bei jedem Menschen positiv besetzt ist. Was alles dahinter stecken kann, welche Konzepte, Erfahrungen und Ideen mit diesem Begriff zusammenhängen können, können Sie hier nachlesen: „Streben nach Glück: Wie uns falsche Glückskonzepte unglücklich machen“

Viel Erfolg beim Wahrnehmen und Reflektieren Ihrer somatischen Marker!

Cassandra B.