Metafiktion: Mediale Nutzung eines alten literarischen Stilmittels

Johann Wolfgang von Goethe wies der Literatur drei Gattungen zu: Epik, Lyrik, Dramatik. Diese Begriffe dürften Ihnen bekannt sein. Doch wussten Sie, dass sich die gesamte Literatur wiederum in zwei grundlegende Kategorien spalten lässt? Nämlich in fiktionale und metafiktionale Werke.

Definition: Metafiktion

Während die Fiktion eine frei erfundene Welt darstellt, bezeichnet die Metafiktion vorrangig ein literarisches Stilmittel, bei dem die Fiktion (der fiktive Charakter eines Werkes und dessen fiktionale Handlungen) bewusst angesprochen wird und somit eine zweite Handlungsebene dargestellt wird, die bei Bedarf willkürlich in die erste Ebene inhaltlich eingreifen kann.

Metafiktion Definition

Die Metafiktion bildet keine Rahmenhandlung, sie ist keine Geschichte innerhalb einer Geschichte. Das Gegenteil der Metafiktion wäre z.B. eine Geschichte, bei dem der Leser sich in der fiktiven Welt verlieren soll, wohingegen er in der Metaebene bewusst an die Fiktion erinnert wird, was wiederum einen Teil des Gesamtwerks ausmacht.

Was sehr kompliziert klingen mag, ist eigentlich ganz einfach zu verstehen. Hier ein kleiner Wegweiser, woran Sie Metafiktion in der Literatur erkennen können:

Metafiktion erkennt man an …

  • … einem Roman über jemanden, der einen Roman liest oder schreibt,
  • … einer Geschichte, die literarische Grundsätze (Satzkonstruktion, Aufbau) behandelt,
  • … einer nichtlinearen Erzählstruktur, inhaltlich wichtigen Fußnoten oder
  • … an einem Roman, in dem der Verfasser selbst eine der Figuren darstellt.

Dies sind nur wenige charakteristische Merkmale, woran man Metafiktion erkennen kann. Um dies zu verdeutlichen, führe ich hier zwei Beispiele aus unterschiedlichen Medien auf.

Metafiktion in Buchform

Heutiger Vertreter und Pionier einer humorvollen Form von Metafiktion ist Walter Moers, der Erfinder von Käpt’n Blaubär. In seinem Buch »Ensel und Krete« erzählt er eines der bekanntesten Grimm-Märchen neu.

Allerdings gibt Moers zu Beginn des Buches zu verstehen, dass nicht er der eigentliche Verfasser, sondern lediglich der Übersetzer des von dem Autoren Hildegunst von Mythenmetz geschriebenen Buches sei.

Moers legt mit dieser Aussage das Fundament für seine geniale »Rahmenhandlung«, die er als Erfindung (namentlich »Die Mythenmetzsche Abschweifung«) dem eigentlichen Verfasser zugesteht. Im Laufe der eigentlichen Geschichte von Ensel und Krete unterbricht sich Hildegunst von Mythenmetz oftmals selbst und wirft abschweifende Gedanken in den Raum. Metafiktion.

Besonders an Moers Werk sind die Fußnoten, die ebenfalls eine Metaebene darstellen, diesmal aber vom »Übersetzer« selbst kommen.

Diese Erzählweise, bei dem der Verfasser selbst sein Werk unterbricht und mit Einschüben ausschmückt, gab es hierzulande bereits im Mittelalter. Besonders die Romantik bediente sich dieser avantgardistischen Erzählform, vermutlich um Missverständnissen ihrer Werke vorzubeugen. Dennoch erfuhr die Metafiktion erst ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts einen breiten Nutzen. Buch-Empfehlungen: Der Steppenwolf (1927), Uhrwerk Orange (1962), Das letzte Einhorn (1968).

Metafiktion auf Film

Auch im filmischen Bereich kommt die Metafiktion zum Einsatz. Hier darf man den Begriff »Metafiktion als unterschwelliges Stilmittel« nicht mit »manipulierenden Stilmitteln« (schnelle Schnitte, Frameeinschub, …) verwechseln.

Bestes Beispiel für die Metafiktion im Film ist die erfolgreiche US-Comedy-Serie »Scrubs – Die Anfänger«. Hauptfigur ist J.D., angehender Arzt und privat ein ewiger Phlegmatiker. Die Figur des J.D. zeichnet sich dadurch aus, dass er oft tagträumt. Diese Tagträume sind essenzieller Bestandteil der Serie, denn so erhält der Zuschauer Einblicke in die Psyche der Haupt- und Nebenfiguren und wird anhand des Inhalts dieser Tagträume erklärend weitergeführt.

Hier bedienen sich die Macher von »Scrubs« regelmäßig der Metafiktion: Sie erschaffen eine zweite Handlungsebene, die bewusst skurril gehalten ist. Diese Skurrilität dient der Weiterentwicklung des eigentlichen Inhalts der ersten Erzählebene, da die Figur des J.D. dementsprechend handelt.

In einigen Szenen schrieben die Autoren der Serie sogar eine zweite und dritte Metaebene, die sich alle auf die jeweils vorhergehende Ebene beziehen!

Film-Empfehlungen: Spaceballs (1987), Barton Fink (1991), Schräger als Fiktion (2006).

Metafiktion im TV

Nur sehr grenzwertig ist dieser Bereich der Metafiktion anzusehen, doch aufgrund seiner Grauzone muss auch dieses Genre erwähnt werden: Pseudo-Dokus. In meinem Artikel »Scripted Reality: Pseudo-Dokus schaden TV-Zuschauern« bin ich auf das TV-Format der weitverbreiteten Pseudo-Dokus eingegangen.

Hier wird u.U. die laufende »Dokumentation« mit kurzen gestellten Interviews der Beteiligten unterbrochen, um dem Zuschauer das Gefühl zu vermitteln, dass es sich tatsächlich um eine echte Dokumentation handele.

Diese Interviews stellen eine Art der Metafiktion dar; sie bringen den eigentlichen Inhalt durch Kommentare oder Beschlüsse der Figuren weiter, ohne dass man die eigentliche Entwicklung filmisch festhalten muss. Wie manipulierend aber dieses TV-Format sein kann, können Sie in oben genanntem Artikel genauer nachlesen.

Fazit

Metafiktion ist ein starkes Werkzeug für Autoren, die damit umzugehen wissen. Das Einsatzgebiet ist breit gefächert (Ausnahme sind Sach- und Fachthemen), und selbst wenn Sie bisher nichts davon gewusst haben, dürften Sie mit großer Wahrscheinlichkeit schon Texte mit einer Metaebene gelesen haben.

Für tiefer gehende Informationen empfehle ich das Buch »Metafiktion. Analysen zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur«.

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Viel Spaß bei Ihrer nächsten Lektüre!

Thorsten Boose