Kinder: Erlernen einer Sprache zur Ausprägung des Sprachsinns

Es ist eigentlich erstaunlich, könnte man in Anschluss an Noam Chomsky sagen, wie rasch Kinder ihre Muttersprache erlernen. Er folgerte daraus, dass das Kleinkindalter bestens dafür geeignet sein müsse, mit dem Erlernen möglichst vieler Sprachen zu beginnen. Wir leben in einer Zeit, in der die Meinung weit verbreitet ist, dass im Kindergarten die Genies der Zukunft geschaffen werden.

Es ist eigentlich erstaunlich, könnte man in Anschluss an Noam Chomsky sagen, wie rasch Kinder ihre Muttersprache erlernen. Er folgerte daraus, dass das Kleinkindalter bestens dafür geeignet sein müsse, mit dem Erlernen möglichst vieler Sprachen zu beginnen. Wir leben in einer Zeit, in der die Meinung weit verbreitet ist, dass im Kindergarten die Genies der Zukunft geschaffen werden.

Wenn Eltern über ein Kind Tagebuch führen, dann darf darin natürlich auch die Eintragung nicht fehlen, wann das eigene Kind sein erstes Wort gesprochen und was es gesagt hat. Oft beginnen dann die Begeisterung und Erwartungen der Eltern mit jedem Wort zu wachsen. Häufig meinen Eltern, sie bräuchten dem Kind nur einige Wörter vorzusagen und das Kind wird sie dann automatisch nachsagen.

Kinder lernen eine Sprache SprachsinnEltern sprechen in dieser Erwartungshaltung plötzlich nicht mehr normal, sondern zerlegen das Wort, das sie gerne hören möchten, in Silben. Sie erwarten, dass das Kind ihnen einfach nachspricht. Ein Kind lernt aber nicht dann besonders gut, wenn es Aufmerksamkeit und Spannung auf sich gerichtet fühlt, sondern wenn es ruhig und entspannt beobachten kann, wie die Erwachsenen oder die großen Geschwister sprechen.

Am Anfang steht nicht die Bedeutung des Wortes, sondern das Kind lernt musikalisch, es nimmt die Melodie des Wortes und der Sprache auf. Daher ist es wichtig, ein Kind nicht zu stören, wenn es allein versucht einige Wörter zu sprechen und hören will, ob die Laute aus dem eigenen Mund vielleicht so ähnlich tönen, wie die Worte der Bezugspersonen.

Das Kind lernt also nicht zuerst die Bedeutung der Wörter, sondern erfasst, wie ein Freudenruf oder ein Schmerz klingt. Es erkennt dann möglicherweise eine Frage und unterscheidet sie von einer Aussage. Je mehr Spielraum ein Kind in einer Umwelt ohne übertriebene Erwartungen hat, umso besser wird der Spracherwerb gelingen.

Jede Sprache, ja sogar jeder Dialekt, hat eine eigene Sprachmelodie. Es ist zu hinterfragen, ob und in welchem Alter und bei welcher erreichten Sprachkompetenz einem Kind etwas Gutes getan wird, mehrere Bezugspersonen zu haben, die jeweils eine andere Sprache sprechen.

An dieser Stelle muss die Überlegung dazukommen: Wenn ein Kind ein Wort ausspricht, dann bedeutet es noch lange nicht, dass es die Bedeutung des Wortes kennt, sondern es tastet sich mit dem Sprechen und im Beobachten der Angesprochenen langsam an eine kompetente Teilnahme an der Sprachgemeinschaft heran.

Wenn ein Kind mit den Bezugspersonen in der Familie und mit den Betreuern im Kinderheim in einer anderen Sprache sprechen muss, dann wird das vermutlich den Erwerb eines umfangreichen Wortschatzes in beiden Sprachen eher behindern, gleichzeitig aber die Fähigkeit zum Erlernen von Fremdsprachen erhöhen.

Unsere Zeit wird von einer weiteren Mode geprägt. Es heißt, das Wesen der Sprache sei Kommunikation. Es ist uns ein Bedürfnis zu sprechen und uns mitzuteilen. Die Sprache sei eben der Rahmen, um dieses Grundbedürfnis zu erfüllen. Wie wir tatsächlich sprechen, muss demnach nur noch von der Sprachwissenschaft in Regeln gegossen werden, und schon haben wir ein perfektes System unserer Sprache.

Und beinahe gilt alles, was nur einigermaßen verstanden werden kann. Die moderne Kommunikation ist schon längst in einem Zustand jenseits aller Rechtschreibung und jenseits aller Festlegung eines Textes auf eine Sprache. Die Ergänzung mit einigen Lehn- oder Fremdwörtern reicht bei weitem nicht mehr aus.

Kinder - sprechen lernen Sprachsinn„Fun4u“ gilt auch im Sprachgebrauch. Möglichst eigenwillige Sprachschöpfungen weisen unsere Sprache nicht mehr als ein Mittel zur Kommunikation mit der gesamten Gesellschaft aus, sondern es werden Kommunikationsreviere geschaffen, wo auch mit der Sprache Zugehörigkeiten definiert, gefunden und behauptet werden.

„Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott.“ So heißt es in einem ganz alten Text. „Wort“ steht hier für Bedeutung, Sinn und Schöpferkraft. Bei den alten Germanen war es so, dass es die Aufgabe des Kindsvaters war, dem Kleinen einen Namen zu geben. Die Namensgebung war das Signal an die Gemeinschaft, dass sich der Vater zum Kind bekennt und es annimmt.

Im Kindernamen war oft mehr als nur eine Andeutung verborgen, was sich der Vater von seinem Nachkommen erwartet. Im Märchen haben wir noch Andeutungen an die Tradition, dass zur Geburt eines Kindes die Verwandten zusammenkommen und nicht nur Geschenke bringen, sondern auch dem Kind einen guten Wunsch auf den Lebensweg mitgeben.

Und wehe, wenn die Liste der Einzuladenden nicht vollständig ist. Ein schlechter Wunsch kann nicht ausgelöscht, sondern nur in ein harmloseres Unglück verwandelt werden. Zusätzlich bekommt ein Ausspruch Kraft, wenn er gereimt wird, wenn er rhythmisch vorgetragen wird, wenn die Rede in Versen und Strophen vorgetragen wird.

Warum soll so ein Spruch mehr Kraft haben? Wenn wir in der Alltagsform kommunizieren, dann entsteht oft ein ungeordneter Redeschwall. Es wird einfach drauflos geplappert. Am Ende zeigt sich dann, ob sich dabei ein Sinn der Rede einstellt oder nicht. Der persönlich gewidmete Spruch ist dagegen so konstruiert, dass jedem Wort vom Sprecher Kraft und Bedeutung mitgegeben werden, mit der Affirmation, dass es so sein soll, wie es der Spruch zum Ausdruck bringt.

Er enthält die gesamte Magie der Sprache. Dichtung bedeutet, dass die Sprache verdichtet, also von allem unnötigen Beiwerk freigehalten wird.

Die Ausprägung unseres Sprachsinns erfahren wir zumeist, wenn wir vor die Aufgabe gestellt werden eine Rede zu halten. Die Zuhörer werden eine Rede dann als gut erkennen, wenn sie nicht nur den Aussagen zustimmen können, sondern wenn sie empfinden, dass der Redner sie auch im Inneren aufgewühlt und angesprochen hat, sie an seinen Bildern und Visionen teilnehmen lässt, und dabei trotzdem so prägnant war, kein Wort zu viel verwendet zu haben.

„Wenn ich so gut sprechen könnte, dann würde ich es genauso gesagt haben wie dieser Redner“, mag der Zuhörer denken. – Doch liegt nicht die Begabung dafür in jedem von uns?

Günter Wittek

Günter Wittek