Komplexitätstraining: Die Kunst der Komplexitätsverarbeitung

Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Fähigkeit „Informationen zu verarbeiten“ immer wichtiger wird. Man rechnet heute schon damit, dass sich das gesamte Wissen auf diesem Planeten etwa alle 2 bis 3 Jahre verdoppelt.

Durch die Entwicklung elektronischer Medien – wie dem Computer – der Daten nicht nur speichern, sondern auch immer besser verwalten und verarbeiten kann, wird sich dieser „Wissenszuwachs“ künftig noch drastisch erhöhen.

Mit dem Anstieg des „Wissens“ steigt auch die Komplexität, die wir verarbeiten müssen, um unsere Umwelt zu verstehen. Wer vor einigen Jahrzehnten ein Telefon anmelden wollte, brauchte sich nur bei einer Telefongesellschaft zu bewerben.

telefonbuchHeute muss man sich schon eine Fachzeitschrift besorgen, um aus der Vielfalt der unterschiedlichen Angebote einen Anbieter auszusuchen, der für die eigenen Bedürfnisse das optimale Angebot zusammenstellt. Dieser Trend – immer mehr Informationen und immer komplexere Strukturen – wird sich künftig noch weiter verstärken.

Wenn wir heute von „Lernen“ sprechen, genügt schon lange nicht mehr ein stures Pauken von einfachen Zusammenhängen. Wir werden immer mehr gefordert unsere Fähigkeit „Komplexität zu verarbeiten“ weiter auszubauen, damit wir halbwegs auf dem Laufenden bleiben. Die Komplexitätsverarbeitung ist eine wichtige „Meta-Fähigkeit“, die uns helfen kann, das Lernen zu lernen. Nur sie kann uns helfen, uns in einer immer komplexer werdenden Welt zurechtzufinden.

Wer es schafft seine Komplexitätsverarbeitungskapazität zu steigern, kann in allen Bereichen schneller, leichter und effizienter lernen. Was dies genau bedeutet, werde ich in den folgenden Lektionen in Theorie und Praxis ausführen.

Angemerkt sei, dass ich in einigen Lektionen kleine Aufgaben gestellt habe, die Ihnen helfen sollen, die Theorie mit Ihren eigenen Erfahrungen zu verbinden. Dadurch lässt sich leichter verstehen, wie allgegenwärtig dieses Thema ist, auch wenn wir es in vielen Fällen einfach ignorieren.

Diese Übungen können Ihnen auch Indizien liefern, auf welchem kognitiven Komplexitätsniveau Sie agieren. Sie werden feststellen, dass die Übungen zum Verständnis sehr hilfreich sind.

Falls Sie einer Lehrtätigkeit nachgehen, werden Sie vielleicht feststellen, dass die Kenntnisse um verschiedene kognitive Komplexitätsniveaus Sie dazu anregt, den Unterricht für Schüler auf unterschiedlichen Stufen zu optimieren. Denn gerade von Lehrern wird häufig der Fehler gemacht, die Schüler – ohne Berücksichtigung der Unterschiede in den Komplexitäts-Niveaus – zu unterrichten.

Mir ist dabei bewusst, dass dieses Thema nicht immer einfach zu verstehen ist. Ich habe versucht, es soweit zu vereinfachen, dass es auch für ein durchschnittliches Bildungs-Niveau verständlich ist. Ob mir das gelungen ist, können nur Sie entscheiden.

Komplexität und Struktur

Betrachten wir zunächst den Begriff der Komplexität in seiner allgemeinsten Form. Er stammt (in der von uns verwendeten Form) aus der Systemtheorie von Niklas Luhmann. Die Systemtheorie ist selbst eine Theorie auf sehr hohem Abstraktionsniveau.

Komplexität bezeichnet dort eine Eigenschaft von Strukturen. Eine Struktur besteht aus Elementen und Verbindungen zwischen diesen Elementen, die wir Relationen nennen.

Ein Beispiel für eine einfache Struktur ist ein Telefonbuch. Es besteht aus den Elementen wie Namen, Telefonnummern, Ortsbezeichnungen, Vorwahlnummern etc. Diese Elemente sind miteinander verknüpft, nämlich so, dass ein Name mit einer bestimmten Telefon- und Vorwahlnummer, Wohnort etc. verknüpft ist.

Außerdem sind Sie möglicherweise selbst ein Element, insofern Sie Ihren Namen dort finden und damit eine Relation zu anderen Namen (z. B. durch die alphabetische Sortierung) besteht.

Nun können Strukturen mehr oder weniger Elemente und mehr oder weniger Relationen aufweisen. Somit unterscheidet man Strukturen, die über:

  • viele Elemente und viele Relationen,
  • viele Elemente und wenige Relationen,
  • wenige Elemente und viele Relationen,
  • wenige Elemente und wenige Relationen verfügen.

Verwenden wir zunächst den folgenden Begriff von Komplexität: Strukturen sind umso komplexer, über je mehr Elemente oder Relationen sie verfügen.

Der Gegenbegriff zu Komplexität ist Simplizität. Eine Struktur ist entsprechend umso simpler, über je weniger Elemente oder Relationen sie verfügt.

Das Telefonbuch ist ein Beispiel einer vergleichsweise einfachen Struktur. Es hat zwar viele Elemente, aber diese weisen nur wenige Relationen auf. Noch einfacher ist ein Einkaufsbon, der nur eine wesentliche Relation (Addition der Preise) darstellt. Eine komplexere Struktur ist z. B. eine Buchhaltung, in der mehr und verschiedene Elemente miteinander auf eine vielfältigere Weise in Verbindung gebracht werden.

Genaugenommen macht der Begriff Komplexität also nur dann Sinn, wenn er als Vergleich verwendet wird: Eine Struktur ist komplexer als eine andere.

Aufgabe: Finden Sie mindestens fünf eigene Beispiele für Strukturen. Schreiben Sie auf, welches ihre Elemente und Relationen sind, und vergleichen (ordnen) Sie sie hinsichtlich ihrer Komplexität.

Nun spricht die Systemtheorie weiterhin davon, dass Strukturen, Elemente und Relationen von einem Beobachter abhängen. Damit ist gemeint, dass ein Ding nicht „an sich“ über eine Struktur verfügt, sondern, dass wir eine Struktur beobachten.

Wer z. B. nicht weiß, was eine Skill-Tabelle der Figuren eines Computer-Rollenspiels bedeutet, wird auch keine Komplexität darin beobachten können. Ein sehr erfahrener Computer-Spieler sieht hingegen viele Relationen, die wichtig für den Aufbau seiner Rollenspielfiguren sind.

Ein Marsmensch könnte vielleicht erahnen, dass es sich beim Telefonbuch um eine Struktur handelt, aber nicht um welche. Er könnte das hübsche Muster auf dem Blatt Papier nicht mit einer konkreten Bedeutung in Verbindung bringen (relationieren), da er nicht weiß, was die seltsamen Zeichen besagen.

Dem Telefonbuch ist also nicht eine bestimmte Struktur immanent, sondern verschiedene Menschen können darin verschiedene Strukturen beobachten. Eine Putzfrau sieht die Blätter eines Telefonbuches vielleicht als Werkzeug die Fenster zu putzen, während ein Schüler – indem er Nummer addiert – es als Rechenübungsheft verwendet. Diese Beispiele zeigen, dass es vom Beobachter abhängt, ob bzw. welche Struktur er beobachtet.

Nun waren meine bisherigen Beispiele für Strukturen relativ einfach im Vergleich dazu, welche Strukturen Menschen im Alltag beobachten. Eine Struktur ist – nur anders formuliert – eine Darstellung, die angibt, wie verschiedene Einzelheiten miteinander zusammenhängen. In solchen Darstellungen funktioniert unser gesamtes Denken. Das Denken selbst ist ein Prozess, der Darstellungen miteinander in Verbindung bringt und daraus neue Darstellungen erzeugt.

Beispiel: Einen Text zu strukturieren, bevor man ihn ausformuliert, bedeutet die Elemente, die der Text vereinen soll, aufzuschreiben und miteinander so zu relationieren, dass deutlich wird, wie sie später im Text verbunden sein sollen. Ein Beispiel dafür ist ein Inhaltsverzeichnis zu erstellen. Die grobe Strukturierung, die ich mir für diesen Kurs überlegt hatte, war folgende. Zuerst erkläre ich den Grundbegriff der Komplexität, dann wichtige Referenzen (Diskriminierung, Dimension, etc.). Am Ende gehe ich auf die Komplexitätsstufen und schließlich auf die U-Kurve ein.

Auch, wenn Sie sich überlegen, wie Sie Ihren heutigen Tag gestalten (strukturieren) wollen, z. B. ein Rührei machen, eine Meditation verbessern oder was Sie anziehen wollen, denken Sie in Strukturen. Sie bringen viele unterschiedliche Dinge miteinander in Verbindung.

Nun dürfte klar sein, dass Denken umso komplexer ist, je mehr Elemente (Feinheiten) es berücksichtigt und je mehr Verbindungen zwischen diesen Elementen es herstellen (denken) kann. Charles S. Pierce weist nach, dass Komplexität ohne Denken bedeutungslos ist, und darin bestätigt ihn – wie schon erwähnt – die Systemtheorie. Komplexität ist eine Sache, die es nur gibt, wenn sie gedacht bzw. als solche beobachtet wird.

Was heißt Komplexität?

Komplexität ist also etwas, das in unserer Umwelt nur deshalb vorhanden ist, weil wir sie dort beobachten. Dennoch ergibt es Sinn, davon zu sprechen, dass z. B. ein Buch komplex ist. Damit meinen wir normalerweise, dass das Buch hohe Anforderungen an unser Denken stellt, wenn wir es verstehen wollen. Der Autor hat viele Elemente auf vielfältige Weise miteinander relationiert, sodass er unser Denken herausfordert, seine Gedanken als Autor nachzuvollziehen. In diesem Zusammenhang sprechen wir auch davon, dass der Text eine bestimmte Komplexität zur Verfügung stellt.

Aber: Ob wir diese Komplexität beobachten oder nicht, hängt von uns ab. Wir könnten das Buch auch einfach weglegen, gar nicht erst lesen und eben nicht nachvollziehen, was uns der Autor mitteilen will.

Außerdem kennen Sie sicherlich Situationen, wo Sie sich fragen, wie „tief“ oder „wie genau“ Sie einen Text verstehen wollen, um das dort mitgeteilte Wissen für Ihre Zwecke anwendbar zu machen.

Buch lesenManche lesen beispielsweise die Gebrauchsanleitung ihres neuen Videorekorders nur soweit, dass sie die einfachsten Funktionen nutzen können. Es reicht ihnen, wenn sie Filme manuell aufnehmen und wiedergeben können. Von weiteren Möglichkeiten jedoch (z. B. der Programmierung von TV-Sendern oder einer automatisierten Aufnahme) haben sie keine Ahnung.

Komplexitätsverarbeitung mündet somit in der Frage, wie viele Zusammenhänge Sie faktisch verstehen wollen.

Darüber gelangen wir zu einer anderen Definition von Komplexität, die ebenfalls sehr gängig ist: Komplexität bezeichnet einen Mangel an Information.

Diese Definition ist vielleicht erklärungsbedürftig. Wie oben schon festgestellt, denken wir in Darstellungen, mit welchen wir die Welt abzubilden versuchen. Wenn wir nun vor irgendeinem Problem stehen, z. B. ein Auto zu reparieren, dann rufen wir uns gedanklich zunächst unsere Darstellungen von Autos, deren Funktionsweise und möglichen Fehlerquellen etc. ab und bringen sie miteinander in Verbindung. Auf diese Weise können wir dann schlussfolgern, was zu tun ist, um das Auto zu reparieren.

Beispiel: Nehmen wir an, dass der Fehler irgendwo in der Elektrik des Autos liegt – eine Sache, die für die meisten Menschen nicht unmittelbar durchsichtig ist. Wir wissen einige grundlegende Dinge darüber, haben vielleicht einen Schaltplan und können uns die Verkabelungen im Auto anschauen. Aus diesen wenigen Informationen (z. B. unser Schulwissen in Physik) müssen wir die richtigen Schlussfolgerungen ziehen, um herauszufinden, worin der Fehler besteht.

Auto reparieren Uns fehlen also Informationen und unser Ziel besteht darin, diese fehlende Information aus bereits vorhandenen oder zugänglichen Informationen zu erzeugen. In solchen Fällen besteht Komplexität darin, dass die Struktur oder Darstellung, die wir benötigen, so umfangreich ist, dass wir sie nicht auf Anhieb verstehen können bzw. sie nicht sofort abrufbereit haben.

Je mehr Verbindungen wir zwischen den Elementen herstellen müssen, um eine gefragte Information zu erhalten, desto komplexer ist die Situation oder das Problem.

Aufgabe: Finden Sie ein bis zwei eigene Beispiele für komplexe Situationen in Ihrem Leben, die Sie bewältigt haben. Schreiben Sie jeweils auf, welche Informationen Ihnen zur Verfügung standen und welche Verbindungen (z. B. Schlussfolgerungen) notwendig waren, um die gefragte Information (Problemlösung) zu erhalten.

So kann man die Frage „Wie genau will ich einen Text verstehen?“ jetzt umformulieren in: „Welche Information, die ich jetzt nicht habe, will ich haben, wenn ich den Text gelesen habe?“

Ob wir diese Informationen nach dem Lesen des Textes haben oder nicht, hängt natürlich davon ab, inwiefern wir in der Lage sind, den Text zu verstehen. Es hängt von unseren kognitiven Kapazitäten ab, ob wir die wichtigsten Informationen erkennen und richtig verknüpfen können. Analog dazu hängt es im obigen Beispiel der Autoreparatur von unseren kognitiven Kapazitäten ab, ob wir den elektrischen Schaltplan zumindest soweit verstehen, dass der Fehler gefunden wird.

Wir müssen also unterscheiden, zwischen …:

  • … der Komplexität, die ein Buch, eine Situation usw. erfordert, um sie zu bewältigen und
  • … der Komplexitätsverarbeitung des Denkens, aufgrund derer ein Mensch in der Lage ist, die Komplexität eines Buches, einer Situation etc. zu bewältigen

Letzteren Punkt bezeichnen wir als Kognitive Komplexität (genauer eigentlich: Komplexitätsverarbeitungskapazität). Kognitive Komplexität meint also das Maß an kognitiven Kapazitäten, über die ein Mensch verfügt, um die Komplexität einer Gegebenheit zu bewältigen.

Komplexität und Kompliziertheit

AutomechanikerUm dieses Thema noch ein wenig komplexer zu machen, wollen wir uns mit dem bisherigen Begriff von Komplexitiät noch nicht zufrieden geben. Wir werden eine weitere sinnvolle Beschreibung über Komplexität einführen, um sie von dem Begriff der Kompliziertheit unterscheiden zu können:

Komplexität bezeichnet das Maß für die Unvereinbarkeit von Elementen.

Raucht Ihnen jetzt der Kopf? Keine Sorge, ich habe es auch nicht auf Anhieb verstanden. Daher will ich mit einem Beispiel beginnen.

Es mag bei einer Autoreparatur der Fall auftreten, dass wir zwar meinen zu wissen, wie unser Auto funktioniert, aber dennoch keine Lösung für unser Problem finden. Möglicherweise messen wir an verschiedenen Stellen die Spannung und kommen zu Ergebnissen, die unserem Modell dieses Autos überhaupt nicht entsprechen. Dann sind diese Informationen – gemäß unserem Modell – miteinander unvereinbar.

Sicherlich ist es möglich, zu erklären, weshalb wir zu diesen – scheinbar widersprüchlichen – Ergebnissen gekommen sind. Aber wir sind zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, sie auf der Grundlage unserer kognitiven Komplexität zu verarbeiten. Man steht erst einmal wie der „Ochs vor dem Berg“, die „Birne raucht“ und wir verstehen nur „Bahnhof“.

Unser Problem ist Folgendes: Die betreffende Information fehlt nicht nur, sie ist zudem ohne einen Zuwachs kognitiver Komplexität nicht erschließbar. Fehlen dagegen nur einige Informationen, die wir aber – aufgrund unserer Vorkenntnisse – selbst verarbeiten können, so bezeichnen wir diesen Zustand als Kompliziertheit.

Der wesentliche Unterschied zwischen Komplexität und Kompliziertheit ist also Folgender:

  • Ist eine Sache komplex, so müssen wir etwas Neues lernen oder begreifen, um sie zu bewältigen.
  • Ist eine Sache kompliziert, erfordert es „nur“ einigen Aufwand sie mit dem vorhandenen Wissen zu bewältigen.

Komplexitätsreduktion

Wir sprechen meist dann von „dem Bewältigen“ und „dem Verarbeiten von Komplexität“ (Mangel an Informationen), wenn wir durch erfolgreiches Nachdenken die fehlenden Informationen erschließen können. Jeder, der als „Anfänger“ ein Problem mit seinem Computer schon einmal erfolgreich gelöst hat, kennt genau diesen Fall.

Uns fehlen anfangs die Informationen, wir denken nach, probieren etwas aus, etc. und verfügen im Anschluss über die fehlende Information. Der Computer war gar nicht „kaputt“. Wir haben nur vergessen den Power-Schalter hinten am Netzteil zu betätigen.

Liste lesenDa wir uns heute einer Welt gegenüber sehen, die immer komplexer wird, werden die Anforderungen an eine erfolgreiche Lebensführung immer anspruchsvoller. So gab es vor einigen Jahrzehnten beispielsweise nur einen einzigen Telefonanbieter. Wer ein Telefon anmelden wollte, wusste genau was zu tun ist.

Heute muss man sich Fachzeitschriften besorgen und ellenlange Tabellen studieren, um herauszubekommen, wer den günstigsten DSL-Anschluss bereitstellt und darüber hinaus prüfen, ob man dabei übers Ohr gehauen wird oder nicht.

Die heutige Welt ist so komplex geworden, dass keiner mehr den Durchblick in allen Bereichen haben kann. Wir befinden uns in einer Situation, in der wir quasi permanent einem „Informations-Overflow“ ausgesetzt sind, d. h., wir müssen Komplexität in vielen Bereichen stark reduzieren, um sie überhaupt noch bewältigen zu können.

Daher resultiert aus wachsender Komplexität zugleich Unklarheit, Unwissen und Unsicherheit. Das wird oft als störend oder bedrohlich erlebt.

Es gibt drei Arten mit dieser Situation umzugehen:

  1. Die Komplexität wird ignoriert -> man tut so als wäre nichts bzw. alles klar, es gibt einfach kein Problem. Die Unsicherheit wird aufgelöst, indem man sie übersieht;
  2. Die Komplexität wird aufrechterhalten -> man ist sich darüber bewusst und erkennt, dass z. B. ein Problem, ein Informationsdefizit besteht, das momentan aber nicht gelöst werden kann oder soll (z. B. aus Mangel an Wissen). Die Unsicherheit besteht weiter und wird ausgehalten;
  3. Die Komplexität wird bewältigt -> man denkt darüber nach, bis man eine Lösung gefunden hat. Die Unsicherheit wird aufgelöst, indem Überzeugungen und Handlungsmöglichkeiten generiert werden.

Dem ersten und dritten Punkt ist gemein, dass sie den Unsicherheitsfaktor der Situation auflösen, sodass wieder ein Gefühl der Sicherheit entsteht. Diese beiden Fälle sind Beispiele für eine Komplexitätsreduktion. Komplexitätsreduktion erfolgt also entweder durch Komplexitätsbewältigung oder durch Ignorieren von Komplexität.

Doch nur bei der Komplexitätsbewältigung kann man sagen, dass es sich um eine funktionale oder erfolgreiche Reduktion von Komplexität handelt.

Aufgabe: Schreiben Sie zu jeder der drei Arten mit einer komplexen Situation umzugehen beispielhafte Situationen aus Ihrem eigenen Leben auf. Überlegen Sie, in welchen Situationen Sie welche der drei Verhaltensweisen für sinnvoll halten.

Aus dem bislang Besprochenen ergeben sich nun verschiedene Fragen:

  1. Worin genau besteht Kognitive Komplexität?
  2. Worin genau bestehen die Unterschiede verschieden hoher Kognitiver Komplexität?
  3. Wovon ist der Grad der Kognitiven Komplexität abhängig bzw. wie lässt er sich beeinflussen?

Auf diese Fragen werde ich in den weiteren Teilen dieses Kurses eingehen. Zunächst ist es wichtig, den Begriff der Komplexität genau zu verstehen.

Daher empfehle ich Ihnen den bisherigen Text über Komplexität in nächster Zeit häufiger zu lesen und die darin besprochenen Inhalte (vor allem die Definitionen) im Alltag zu beobachten und anzuwenden. Folgende Fragen mögen eine Anregung dafür sein:

  • Welche Situationen in Ihrem täglichen Leben sind komplex, welche sind einfach?
  • In welchen Situationen geben Sie sich Mühe, Komplexität zu bewältigen?
  • Wann ignorieren Sie Komplexität, wann erhalten Sie sie aufrecht?
  • Wie schätzen Sie Ihre Kognitive Komplexität in verschiedenen Lebenssituationen (Beruf, Familie, Autokauf etc.) ein?

Solche Beobachtungsübungen können Ihnen helfen, sich zu vergegenwärtigen, in wie vielen Bereichen Ihres Lebens die erfolgreiche Bewältigung von Komplexität eine Rolle spielt.

Zusammenfassung: Was heißt Komplexität?

Fassen wir das bislang Besprochene noch einmal zusammen:

  • Komplexität ist eine Eigenschaft von Strukturen. Strukturen bestehen aus Elementen und Relationen.
  • Strukturen sind komplexer, je mehr Elemente oder Relationen sie vereinen.
  • Komplexität tritt für uns als Mangel an Information in Erscheinung, wenn Strukturen zu komplex sind, um sofort erfasst zu werden.
  • Komplexität und Information sind in der Welt nicht materiell vorhanden, sondern setzen Beobachten und Denken voraus. Komplex ist, was wir als komplex beobachten.
  • Komplexität bedeutet Unsicherheit und Instabilität, weshalb der Mensch dazu tendiert, Komplexität zu reduzieren (entweder zu bewältigen oder zu ignorieren).

Wir stellten außerdem fest, dass es von der kognitiven Komplexität eines Menschen abhängt, welche Situationen oder Probleme sich für ihn als komplex darstellen. Um Probleme zu lösen, muss man denken können. Je besser man denken kann, desto bessere Voraussetzungen hat man für die Problemlösung.

Bislang blieb die Frage offen, was genau unter kognitiver Komplexität zu verstehen ist. Um diese Frage beantworten zu können, sind zunächst einige Grundbegriffe zu erläutern, denen die nächsten Kapitel gewidmet sind.

Problemlösungen durch Komplexitätsverarbeitung

C. S. Pierce lehrt uns, dass zu jedem Phänomen prinzipiell unendlich viele Aussagen möglich sind. Wir fassen dies unter dem Begriff des Synechismus (alles hängt mit allem zusammen) zusammen: Jede Aussage lässt sich mit anderen Aussagen in Verbindung bringen (interpretieren). Dadurch entstehen neue Aussagen, die selbst wiederum durch weitere Aussagen verknüpfbar (interpretierbar) sind, ad infinitum.

AutounfallBeispiel: Sie können sich dies anhand irgendeiner Vorstellung eines alltäglichen Gegenstands plausibilisieren. Mit der Idee des Autos lassen sich unmittelbar Ideen wie Fortbewegung, Benzinverbrauch, Unfall, Straßenbau, Verkehrsregeln u.v.m. in Verbindung bringen. Zu jeder dieser Ideen gibt es weitere andere Ideen.

Auf diese Weise hängt ein Auto z. B. über Benzin, Erdöl und urzeitlichen Pflanzen mit den Dinosauriern zusammen, weil die Dinosaurier auf dem herumgetrampelt sind, woraus heute das Benzin raffiniert wird.

Um ein Problem bewältigen zu können, müssen wir aus allen Informationen, die wir für die entsprechende Situation zur Verfügung haben, diejenigen auswählen, die für eine Problemlösung relevant sind.

Mit anderen Worten: Wir müssen die Situation unter einer bestimmten Perspektive betrachten, die es uns ermöglicht, das Problem zu lösen. Verschiedene Perspektiven stellen uns verschiedene Informationen zur Verfügung.

Beispiel: Wenn wir mit dem Auto losfahren wollen, nützt es wenig, über die Art der Lackierung nachzudenken oder die Zusammenhänge zwischen Benzinverbrauch und Umweltverschmutzung zu erforschen. Das sind zwar Perspektiven, unter denen sich ein Auto betrachten lässt, aber sie haben nichts mit unserem Vorhaben zu tun.

Zu jeder Situation sind unendlich viele Perspektiven möglich. Je mehr verschiedene Perspektiven wir denken können, desto größer ist die Chance, dass wir die Situation effektiv bewältigen werden. Dennoch müssen wir uns für eine Perspektive entscheiden, um handeln zu können.

FlugzeugBeispiel: Wenn Sie vor dem Problem stehen, möglichst effektiv zu einem bestimmten Ort zu gelangen, mag es durchaus sinnvoll sein, die folgenden Perspektiven zu berücksichtigen: Kosten, Geschwindigkeit, Nutzbarkeit der Zeit für andere Tätigkeiten (z. B. Lesen, Arbeiten, Gespräche), Nebeneffekte der Fortbewegungsart (körperliche Bewegung, frische Luft, Umweltverschmutzung, Sicherheit) etc.

Um das Problem aber tatsächlich lösen zu können, müssen Sie sich für eine der vielen Möglichkeiten entscheiden.

Komplexitätsverarbeitung besteht deshalb im Wesentlichen darin, die zur Betrachtung einer Sache möglichen Perspektiven zu sammeln und anschließend so zu reduzieren, dass dabei eine Schlussfolgerung herauskommt, die eine Handlung anleiten kann.

Aufgabe: Nehmen wir an, Sie wollen Geld verdienen. Überlegen Sie sich mindestens fünf verschiedene Perspektiven, anhand derer Sie das Thema: „Geldverdienen“ betrachten können. Formulieren Sie Ihre Perspektiven in wenigen Sätzen. Überlegen Sie, welche der von Ihnen aufgeschriebenen Perspektiven, welches Problem lösen könnte. Schreiben Sie Ihre Ergebnisse auf.

Im Alltag erfolgt normalerweise der ganze Prozess der Komplexitäts- und Informationsverarbeitung unbewusst.

Beispiel: Wir setzen uns in ein Auto und fahren los. Es bestehen viele verschiedene Möglichkeiten, das Auto aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Wir könnten uns Gedanken über dessen genaue Funktionsweise machen, die Gestaltung des Innenraums oder die volkswirtschaftliche Bedeutung des Autos reflektieren etc. Das tun wir aber nicht.

Wir setzen uns hin, drehen den Zündschlüssel um und fahren los. Aus all den verschiedenen Perspektiven wählen wir automatisch diejenige aus, die uns das Losfahren ermöglicht. Manche Leute mögen ihr Auto vor dem Fahren noch aufräumen, Papier entfernen, Aschenbecher leeren etc., wenn ihnen auffällt, dass es zu unordentlich aussieht.

Wir verfügen also über Verhaltensroutinen, durch die wir uns die Verarbeitung von Information und Komplexität vereinfachen. Diese Routinen werden oft als Denkgewohnheiten bezeichnet. Es liegt auf der Hand, dass diese Denkgewohnheiten wie alle Verhaltensgewohnheiten problematisch werden können. Das ist z. B. dann der Fall, wenn Informationen übersehen werden, die eigentlich für das jeweilige Ziel relevant sind. Es wird also nicht die richtige Perspektive gewählt, um die relevante Information zu generieren.

Aufgabe: Schreiben Sie drei Beispiele für Ihre eigenen Denkgewohnheiten auf. Überlegen Sie sich jeweils drei (reale oder fiktive) Situationen, in denen Sie eine unbrauchbare oder ineffektive Perspektive einnehmen, wenn Sie Ihrer entsprechenden Gewohnheit folgen. Schreiben Sie jeweils kurz auf, inwiefern die Perspektive zu Problemen führen würde.

Unsere Welt besteht aus Differenzen …

Rührei Wir können eine Perspektive als eine kognitive Struktur beschreiben, die einen gedanklichen Inhalt (z. B. eine Vorstellung von Autofahren) beschreibt. Die Elemente dieser Struktur sind Differenzen. Die Relationen der Struktur bilden Regeln, die die Differenzen aufeinander beziehen.

Beispiel: Der gedankliche Inhalt „Rührei“ wird unter der Perspektive des Geschmacks durch die Differenzen gesalzen/ungesalzen, fest/weich, saftig/trocken etc. genauer beschrieben. Dabei verbinden sich die Differenzen durch Regeln, z. B. dass ein Rührei weder zu salzig noch zu fad schmecken soll, um sagen zu können, was ein schmackhaftes Rührei ausmacht.

In anderen Worten – alles, was wir normalerweise als Eigenschaften oder Attribute einer Sache beschreiben, denken wir in Form von Differenzen.

Beispiel: Um einen Satz zu denken, wie „Ein Kugelschreiber ist länglich“, benötigen wir eine Differenz zwischen Kugelschreibern und anderen Dingen. Das Gleiche gilt für länglich/nicht-länglich. Wenn wir einen Kugelschreiber (denkend) beschreiben, ordnen wir ihn einer Seite der Differenz länglich/nicht-länglich zu.

Nun ist ein Kugelschreiber natürlich nicht nur länglich, sondern z. B. auch essentiell zum Schreiben geeignet. Er besteht aus einem einigermaßen harten Material, besitzt eine Kugel in der Spitze etc. Das alles sind Differenzen.

Der allgemeine Begriff eines Kugelschreibers setzt sich also aus vielen verschiedenen Differenzen zusammen und legt damit gleichzeitig fest, auf welcher Seite der Differenzen der Kugelschreiber jeweils zuzuordnen ist.

Aufgabe: Beschreiben Sie drei einfache Begriffe, indem Sie angeben, welche Differenzen für diese Begriffe relevant sind und auf welcher Seite der Differenz Sie das Phänomen jeweils zuordnen.

KugelschreiberDie verschiedenen Differenzen können entweder als einfache Gegensätze (z. B. schwarz/weiß, hart/weich) oder als Skalierungen zwischen zwei Endpunkten (z. B. verschiedene Grautöne, mehr oder weniger hart) auftreten.

Eine Skala ist mehr als eine einfache Differenz. Sie benötigt außer der Angabe der beiden Gegensätze oder Endpunkte noch eine Regel, die beide miteinander verbindet. Dies ist z. B. bei der Grauskala der Helligkeitswert des Grautons. Die Regel beschreibt, an welcher Stelle auf der Skala zwischen Schwarz und Weiß der jeweilige Grauton anzuordnen ist.

Natürlich denken wir nicht in der Form, dass wir unablässig Listen von Differenzen aufzählen, wenn wir über irgendeinen Gegenstand sprechen wollen. Vielmehr fassen wir verschiedene Differenzen zu Konzepten (Dimensionen) zusammen.

In unserem Beispiel wäre das Konzept (Dimension) „Kugelschreiber“ bereits eine beachtliche Ansammlung von vielen verschiedenen Differenzen, die bestimmte Bedingungen erfüllen müssen, damit wir am Ende tatsächlich einen Kugelschreiber charakterisieren. Weiterhin verbinden wir diese Differenzen durch Regeln, um zu beschreiben, wie diese miteinander zusammenhängen müssen, damit das Konzept (Dimension) „Kugelschreiber“ genauer bestimmt werden kann.

Nun sollte verständlich geworden sein, was unter einer kognitiven Struktur zu verstehen ist: Ihre Elemente bilden Differenzen (Kugelschreiber/Nicht-Kugelschreiber), die durch Regeln (Ein Kugelschreiber ist ein Schreibgerät.“ „Ein Schreibgerät ist …“) relationiert werden. Dies ist unabhängig davon, wie umfassend oder allgemein das beschriebene Objekt ist. Es kann sich dabei um sehr konkrete Dinge (Kugelschreiber) oder abstrakte Phänomene (Staatswesen, Quantensprung) handeln.

Es bleiben zwei Grundbegriffe, auf die wir noch eingehen müssen, um danach die Frage beantworten zu können, was genau unter „kognitiver Komplexität“ zu verstehen ist.

Dimensionen und Diskrimination

Wir haben bereits festgestellt, dass es zur Bewältigung irgendeiner Situation nötig ist, sich für eine bestimmte Perspektive zu entscheiden. Das ist deshalb der Fall, weil wir unter verschiedenen Perspektiven verschiedene Aspekte der Situation beobachten.

LiebespaarBeispiel: Ein Mensch ist unter der Perspektive Liebe das wertvollste Wesen der Welt und unter der Perspektive Krieg ein Weichziel. Nun sind „Weichziel“ und „wertvoller Mensch“ sehr unterschiedliche Differenzen. Die beiden Perspektiven ließen sich genauer ausformulieren, indem weitere Differenzen angeben werden, unter denen ein Mensch jeweils beobachtet wird.

Aufgabe: Erstellen Sie eine Tabelle mit jeweils einer Spalte für die Perspektive Liebe und die Perspektive Krieg. Füllen Sie die beiden Spalten mit Differenzen, die Sie unter der jeweiligen Perspektive für wichtig halten. Ist es für die Perspektive der Liebe z. B. wichtig, welche Staatsangehörigkeit jemand hat?

Offensichtlich fasst eine Perspektive verschiedene Aspekte einer Situation, eines Gegenstandes usw. zusammen und sagt: Diese Aspekte sind hierfür wichtig. Wir nennen einen solchen Aspekt in diesem Zusammenhang eine Dimension.

Eine Dimension ist eine Kombination von Differenzen, die einer Perspektive angehören.

Beispiel: Ein Fest könnten Sie unter der Perspektive beobachten, dass Sie es selbst organisieren wollen. Dann sind Aspekte wie Räumlichkeit, Art und Anzahl der Gäste, Zweck des Festes etc. relevant. Der Aspekt Räumlichkeit umfasst z. B. Differenzen wie Größe des Raumes, Beleuchtung, Einrichtung, Atmosphäre usw.

Stattdessen ließe sich ein Fest aber genauso unter der Perspektive der Volkswirtschaft, der Umweltverschmutzung, seiner soziologischen Bedeutung oder historisch-kulturellen Entwicklung betrachten. Diese Perspektiven beinhalten andere Aspekte.

MeterstabOben war bereits die Rede von Skalen, die die Gegensätze einer Differenz als Endpunkte beinhalten und auf diese Weise verschiedene Zwischenwerte zulassen. Auf einer Skala lassen sich mehrere verschiedene Objekte an unterschiedlichen Stellen anordnen, als auf einer einfachen Differenz.

Wie viele Unterschiede wir mithilfe einer Skala beobachten können, hängt davon ab, wie fein sie skaliert ist: Eine Elle macht weniger Unterschiede als ein Zollstock oder Meterstab.

Da eine Dimension aus verschiedenen Skalen und Differenzen bestehen kann, sprechen wir hier von „Diskrimination“ statt von „Skalierung“:

Diskrimination bezeichnet das Maß, in dem eine Dimension die Unterscheidung verschiedener Objekte zulässt.

Beispiel: Die Dimension des Geschmacks von Wein, die ein Weinkenner verwendet, um einen Wein zu beschreiben, ist beispielsweise wesentlich feiner diskriminiert als die eines Normalmenschen. Ein Weinkenner kann mehr Weine anhand dieser (seiner) Dimension unterscheiden.

An dieser Stelle ist ein Hinweis zur Art und Weise angebracht, wie Sie diesen (und jeden vergleichbaren) Text lesen sollten. Es ist wichtig, sich immer wieder zu vergegenwärtigen, was das Geschriebene alles praktisch bedeutet. Berücksichtigen Sie, dass es wenig nützt, sich ein abstraktes Gebäude von begrifflichen Zusammenhängen zu konstruieren, das keinerlei Bezug zu dem besitzt, was Sie an Ihnen selbst oder in Ihrer Umwelt beobachten können.

Daher empfehle ich diesen Text noch einmal zu lesen, wenn Sie den Eindruck haben, das Besprochene nicht mit Ihrem praktischen Erleben in Zusammenhang bringen zu können.

Kognitive Komplexität

Fassen wir jetzt noch einmal zusammen und kehren anschließend zu den Überlegungen vom Beginn dieses Textes zurück:

  • Denken ist immer Denken in Darstellungen.
  • Welche Darstellung wir für ein bestimmtes Objekt wählen, hängt davon ab, welche Perspektive wir zu dem Objekt einnehmen.
  • Eine Perspektive setzt sich aus einer Menge von Dimensionen zusammen, die jeweils relevante Aspekte des Objektes kennzeichnen.
  • Eine Dimension ist eine Menge von Differenzen und kann mehr oder weniger diskriminiert sein, d. h. verschieden gut geeignet, Objekte voneinander zu unterscheiden.

Wir stellten fest, dass wir eine Situation oder ein Problem umso besser bewältigen können,

  • je mehr unterschiedliche Perspektiven wir dazu einnehmen können und
  • je besser wir entscheiden können, welche Perspektive sinnvoll ist.

Denn jede Perspektive liefert uns andere Informationen über das Problem und macht uns daher auch andere Lösungsansätze zugänglich. Um handeln zu können, müssen wir uns aber auch entscheiden können, was wir für wirklich wichtig halten.

Wir können jetzt außerdem feststellen, dass eine Perspektive dann umso besser geeignet ist, Informationen zu liefern,

  • je mehr Dimensionen sie vereint und
  • je feiner die Dimensionen diskriminiert sind.

Kaffee kochenBeispiel: Sie wollen einem guten Freund, der Sie besuchen kommt, einen wirklich guten Kaffee kochen (Sie wissen, dass er guten Kaffee sehr schätzt).

Stellen Sie sich vor, wie Sie also zu Ihrer schon etwas betagten Kaffeemaschine schreiten und sorgsam Ihren schon etwas betagtes Kaffeepulver hineinschütten. Sie wissen, dass Ihr Kaffeeergebnis sehr unbefriedigend ausfallen wird.

Sie wissen, dass man frisches Kaffeepulver verwenden sollte und Sie wissen, dass die Kaffeemaschine nicht verkalkt sein sollte, damit sie hinreichend Hitze entwickeln kann. Sie wissen auch, dass der Kaffee noch besser wird, wenn man ihn per Hand aufbrüht, die Kaffeebohnen kurz vor dem Aufbrühen fein malt etc.

Die Frische des Kaffeepulvers, die Temperatur des Wassers, die Art des Aufbrühens etc. sind natürlich Differenzen, die zu einer relevanten Dimension (Zubereitung von Kaffee) der betreffenden Perspektive (Kaffee, der Ihrem Besuch schmeckt) zählen. Je feiner Sie Ihre Tätigkeit anhand dieser Dimension beobachten können, desto besser wird Ihr Kaffee schmecken.

Informationen, die Ihnen diese Dimension liefern kann, wären z. B.: Wie viel Gramm welcher Sorte Kaffee sind pro Tasse Kaffee nötig? Wie viel Grad sollte das Wasser im Moment des Aufbrühens genau haben? Wann genau ist eine Kaffeemaschine zu verkalkt?

Für unser Vermögen, eine bestimmte, zur Problemlösung notwendige Information zu generieren, spielen zwei weitere Punkte eine große Rolle:

  • der Grad der Vernetzung der Differenzen bzw. Dimensionen untereinander,
  • der Grad der Veränderbarkeit dieser Vernetzung.

Aufgabe: Überlegen Sie sich, weshalb die beiden letzten Punkte relevant sind für unser Vermögen, Information zu generieren. Notieren Sie Ihre Ergebnisse.

Wir können jetzt die Frage, was unter „Kognitiver Komplexität“ genauer zu verstehen ist, beantworten. Kognitive Komplexität bezeichnet den Grad der Vermögen:

  • zu einem Phänomen verschiedene und komplexe Perspektiven hervorzubringen,
  • diese Komplexität zu reduzieren
  • und so eine handlungsleitende Schlussfolgerung abzuleiten.

Je nachdem, wie ausgeprägt diese Vermögen sind, werden vier Niveaus Kognitiver Komplexität unterschieden. Das Komplexitätstraining besteht darin, die Kognitive Komplexität durch geeignete Methoden auf ein höheres Niveau zu steigern. Auf die vier Niveaus werde ich im Folgenden eingehen.

Die Niveaus kognitiver Komplexität

Kognitive Komplexität unterscheidet sich danach, wie viele verschiedene und komplexe Perspektiven zu einem Phänomen generiert (gedacht) werden können und wie funktional diese Komplexität zu einer handlungsleitenden Überzeugung reduziert werden kann. Die Komplexität einer Perspektive hängt ab von:

  • der Anzahl der relevanten Dimensionen,
  • dem Grad der Diskrimination der Dimensionen,
  • dem Grad der Vernetzung der Dimensionen,
  • dem Grad der Veränderbarkeit dieser Vernetzung.

Jedes „Mehr“ einer dieser vier Punkte bedeutet, dass eine höhere kognitive Komplexität vorhanden ist. Es werden vier Stufen unterschieden, die unterschiedlich hohe kognitive Komplexität beschreiben und die ich hier der Einfachheit halber „kognitive Niveaus“ nenne. Die vier kognitiven Niveaus werden bezeichnet als: niedriges, gemäßigt niedriges, gemäßigt hohes, hohes kognitives Niveau.

Computer SimulationAufgabe: Sammeln Sie möglichst viele Hypothesen über Verhaltensmerkmale von Menschen auf niedrigem und Menschen auf hohem kognitiven Niveau. Welche Wirkungen müsste ein „Mehr“ der obigen vier Punkte im Verhalten einer Person zeigen?

Das hier vorgestellte Modell der Komplexitätsverarbeitung wurde u. a. aus vergleichenden Forschungen entwickelt, bei denen das Verhalten von Versuchspersonen beobachtet wurde, die die Aufgabe hatten eine komplexe Wirtschaftssimulation zu bewältigen.

Dabei ließ sich beobachten, dass sich das Verhalten verschiedener Versuchspersonen z. B. unterscheidet in:

  • der Anzahl von Phänomenen, die anhand einer Dimension unterschieden und miteinander verglichen werden können,
  • der Anzahl und Diskrepanz der Perspektiven, die zu jedem Phänomen hervorgebracht und integriert werden können,
  • den Möglichkeiten, verschiedene und diskrepante Perspektiven miteinander auf unterschiedliche Weise in Beziehung zu setzen,
  • den Verzögerung einer endgültigen Entscheidung, wie ein Phänomen eingeordnet wird,
  • der Offenheit für Veränderungen (da Phänomene auf mehrere Arten eingeordnet und bewertet werden können),
  • dem Potenzial, alternative Handlungsweisen hervorzubringen und damit
  • der Unabhängigkeit von externen Bedingungen.

Aufgabe: Stellen Sie sich vor, wie Sie eine Computersimulation (z. B. Wirtschafts-, Kriegs-, Zivilisationssimulation) oder ein anderes Spiel spielen und dabei jeden der obigen sechs Punkte variieren. Was müsste sich für andere beobachten lassen? Notieren Sie Ihre Ergebnisse.

Niedriges kognitives Niveau

Das niedrige kognitive Niveau zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es nur wenige Dimensionen zur Beobachtung und Interpretation der Welt zur Verfügung stellt, die zudem kaum diskriminiert und starr verknüpft sind. Ein Mensch auf dem niedrigen kognitiven Niveau wird an einem Phänomen nur wenige Unterschiede beobachten können, sodass ihm meist nur eine einzige Perspektive zur Verfügung steht, unter der er das Phänomen betrachtet.

StreitSeine Ansichten werden im Wesentlichen durch einen einzigen Aspekt des Phänomens begründet sein, der oft besonders hervorstechend oder von außen vorgegeben ist. Daher lässt sich dieses Denkniveau auch als Denken in Schwarz-Weiß-Kategorien beschreiben.

Beispiel: Ein solcher Mensch beurteilt andere entweder als sympathisch oder als unsympathisch (Freund oder Feind). Er wird in der Regel keine Zwischenstufen dieser Bewertungen in Betracht ziehen und kommt z. B. nicht auf die Idee, Menschen in manchen Situationen oder in Bezug auf bestimmte Eigenschaften als sympathisch und in anderen als unsympathisch zu interpretieren.

Außerdem wird er sich in der Regel in seiner rigiden Bewertung an jenen Bewertungen orientieren, die ihm andere Menschen vorgeben.

Um verschiedene Aspekte eines Phänomens in eine Bewertung einzubeziehen, wäre eine Vernetzung verschiedener Dimensionen nötig, die auf diesem Niveau nicht vorhanden ist. Da jeweils nur ein einzelner oder nur wenige Aspekte beobachtet werden können, müssen andere Aspekte des Phänomens, die nicht dazu passen, getilgt oder stark verzerrt werden.

Weil die kognitiven Strukturen auf dem niedrigen kognitiven Niveau rigide und starr sind, verfügen sie nur über ein sehr geringes Potenzial, Mehrdeutigkeiten, Konflikte und Dissonanzen einerseits zu schaffen, andererseits aufrechtzuhalten. In Konfliktsituationen lässt sich daher häufig ein Verhalten beobachten, das auf möglichst schnelle und einfache Lösungen von Konflikten abzielt.

Mutter Beispiel: Einer Mutter, die die Höflichkeit ihres Sohnes sehr schätzt, wird von einem Lehrer über ein besonders unhöfliches Verhalten ihres Sohnes informiert. Sie müsste also zwei unterschiedliche Einschätzungen miteinander in Verbindung bringen, die sich sehr stark voneinander unterscheiden.

Auf dem niedrigen kognitiven Niveau hat sie diese Möglichkeit aber nicht. Sie wird sich vor einer „Entweder-oder“ Entscheidung sehen, d. h. entweder sie hat Recht oder der Lehrer.

Eine typische Reaktion auf dieser Stufe wäre dem Lehrer Unwahrhaftigkeit oder einen Irrtum zu unterstellen und damit die Situation zu verzerren, sodass das Verhalten ihres „höflichen Sohnes“ weiterhin als „richtig“ erscheint. Unterschiedliche Kontexte können nicht unterschieden werden – z. B. dass der Sohn sich dem Lehrer gegenüber anders als der Mutter verhalten könnte.

Typisch ist auf dieser Stufe auch, dass die eigenen Wahrnehmungen, Interpretationen und Bewertungen als „Fakten“ verabsolutiert werden. In anderen Worten – sieht, interpretiert oder bewertet jemand die Welt anders als man selbst, werden die eigenen Überzeugungen als Fakten – und damit als Wahrheit – gesehen.

Aufgabe: Finden Sie mindestens zwei Beispiele für eindeutige und mehrdeutige Bewertungen. Denken Sie darüber nach, unter welchen Umständen es sinnvoll sein könnte, welche Art von Bewertungen zu wählen.

Das obige Beispiel macht ein weiteres Merkmal des niedrigen kognitiven Niveaus deutlich: Die Einordnung eines Phänomens auf einer Dimension (in diesem Falle die Bewertung des Sohnes als höflich) ändert sich nur selten. Wird sie aber doch einmal verändert, dann geschieht dies zumeist sehr abrupt, als ein Wechsel von schwarz nach weiß.

Außerdem werden Phänomene innerhalb sehr kurzer Zeit mit einem hohen Maß an Sicherheit und Endgültigkeit interpretiert. Die kognitiven Strukturen dieses Niveaus sind einfach und bedürfen nicht besonders vieler Informationen, um angewandt zu werden.

Da zu einem Phänomen weder unterschiedliche, noch sich widersprechende Perspektiven eingenommen werden können, ist das Repertoire alternativer Verhaltensweisen sehr eingeschränkt. Deshalb hängt der Erfolg des Verhaltens häufig von externen Bedingungen ab, d. h. auf unterschiedliche Ereignisse kann nicht sehr flexibel reagiert werden.

Die Ursache des eigenen Verhaltens wird häufig in den externen Bedingungen der Situation gesucht. Hier hört man bei Problemen oder Misserfolgen häufig die Ansicht „Opfer der Umstände“ zu sein, d. h. die „böse Welt“ – und nicht das eigene Unvermögen – ist dafür verantwortlich, ob etwas gelingt oder misslingt.

Aufgabe: Schreiben Sie eine kleine Geschichte, in der eine Person auf dem niedrigen kognitiven Niveau in einen Konflikt gerät. Machen Sie in der Geschichte die oben dargestellten Merkmale dieses Niveaus deutlich.

Gemäßigt niedriges kognitives Niveau

StammtischDer wesentliche Unterschied dieses Niveaus gegenüber dem ersten besteht darin, dass alternative Zuordnungen von Phänomenen auf einer Dimension gebildet werden können. Ein Mensch auf dem gemäßigt niedrigen kognitiven Niveau besitzt die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Interpretationen eines Phänomens zu wählen.

Beispiel: Heinz kann in einem Gespräch mit einem engagierten Umweltschützer die Meinung vertreten, dass ein Auto dann ein gutes Auto ist, wenn es wenig Sprit verbraucht und einen Katalysator hat. Im Gespräch mit einem “ Auto-Narren“ vertritt er anschließend die Meinung, dass ein gutes Auto möglichst viel Hubraum, viel PS und eine Hochglanzlackierung haben muss.

Plötzlich ist für ihn das vom Umweltschützer bevorzugte „Spar-Auto“ eigentlich gar kein Auto mehr. Heinz kann also das Phänomen „Auto“ auf der Dimension gutes/schlechtes Auto auf mindestens zwei unterschiedliche Weisen beschreiben.

Aufgabe: Denken Sie darüber nach, was auf dieser Stufe „eine Meinung vertreten können“ bedeutet. Finden Sie hierzu ein Beispiel aus Ihrem eigenen Erleben.

Ein Mensch auf diesem Niveau kann zwei völlig verschiedene Standpunkte in der Beurteilung einer Situation, einer Person oder einer These vertreten. Allerdings kann er diese unterschiedlichen Interpretationen nicht miteinander in Beziehung setzen.

Er kann sie nicht vergleichen und sich auch nicht kompetent für eine Interpretation entscheiden. Hierzu fehlt ihm auf diesem Niveau ein übergeordnetes Kriterium, das die alternativen Zuordnungen miteinander integriert, das also angibt, in welcher Situation oder unter welchen Umständen welche Zuordnung vorzuziehen bzw. richtig ist.

Ein Mensch auf der 2. Stufe wird eine Entscheidung für einen der beiden Standpunkte nicht lange aufrechterhalten, wenn er dadurch in einen unangenehmen Konflikt gerät. Die Aufrechterhaltung dieses Konflikts hätte für ihn schwerwiegendere Konsequenzen als seinen Standpunkt aufzugeben und gegen einen anderen auszutauschen. Denn für ihn erscheinen zwei Standpunkte entweder als „relativ“ oder zumindest als kontingent.

Aus diesem Grunde ist er ebenfalls leicht durch seine Umwelt beeinfluss- und orientierbar. In der Regel wird er zu einer gewohnten Bewertung tendieren oder nach sozialen Kriterien entscheiden, z. B. nach dem Kriterium, welche Bewertung ihm am meisten Beachtung oder Anerkennung bringt.

Er kann also die neu gewonnene Fähigkeit, alternative Interpretationen zu generieren, noch nicht im Rahmen von Entscheidungsprozessen anwenden. Vielmehr verbleibt bei Entscheidungen immer ein gewisses Maß an Ambivalenz, Instabilität und ein Mangel an Sicherheit, weil noch die Fähigkeit fehlt, zwischen Alternativen sicher zu wählen und Konflikte zu lösen oder auszuhalten.

Nachdem sich ein Mensch auf diesem Niveau aber für eine Interpretation entschieden hat, verhält er sich nur wenig anders als ein Mensch auf dem niedrigen kognitiven Niveau. Die verschiedenen Interpretationen, zwischen denen er wählt, sind selbst so stabil, wie jene Interpretation, die auf dem niedrigen kognitiven Niveau zur Verfügung steht.

Um zu weniger starren Interpretationen gelangen zu können, müssten die einzelnen Dimensionen stärker diskriminiert und miteinander integriert sein. Beides setzt aber übergeordnete Kriterien voraus, die noch nicht vorhanden sind.

Dennoch treten auf diesem Niveau erste, einfache Annahmen über die eigene Verantwortlichkeit für Bewertungen und Interpretationen auf, da zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Fragestellungen und Interpretationen über Phänomene erzeugt werden können.

Aufgabe: Schreiben Sie eine weitere kleine Geschichte, in der ein Mensch vorkommt, der auf dem gemäßigt niedrigen kognitiven Niveau agiert. Stellen Sie sein Dilemma dar, wenn er in einer Situation mit unterschiedlichen Interpretationen oder Bewertungen konfrontiert wird.

Gemäßigt hohes kognitives Niveau

Hier werden erstmals Regeln spezifiziert, die der Bestimmung von Zusammenhängen dienen. Sie sind komplexer als einfache Alternativen. Diese Regeln bieten die Möglichkeit, Interpretationen miteinander in einen übergeordneten Zusammenhang zu bringen, sie zu vergleichen und zu bewerten.

KleinwagenBeispiel: Auf diesem Niveau verfügt Heinz über ein Kriterium, mit dem er verschiedene Ansichten über Autos miteinander integrieren kann. Er könnte z. B. sagen: „Von meinen Gefühlen her sagt mir zwar der PS-Schlitten mehr zu: Ich fühle mich darin wohler. Aber ich finde es aus ethischen Gründen wichtiger, nach dem Argument der Verallgemeinerung zu entscheiden, sodass ich die „Umweltschützer-Schildkröte“ vorziehe.“

Solche abstrakten Regeln ermöglichen es ihm, viele Dimensionen miteinander zu integrieren. Das birgt die Möglichkeit, Regeln auf Bereiche zu übertragen, auf die sie bislang nicht angewendet werden konnten, wodurch auch Dimensionen viel stärker diskriminiert werden können.

Beispiel: Indem Heinz Autos auf vielen verschiedenen Dimensionen anordnen kann, ist er in der Lage, ein Auto nicht mehr nur pauschal als gut oder schlecht zu bewerten, sondern er kann einem Auto einzelne positive und negative Aspekte zuordnen. Dadurch ergibt sich für ihn eine Skala mehr oder weniger guter Autos.

Die Umwelt kann also unter vielerlei Aspekten untersucht werden. Zur Bewertung eines Phänomens, zur Lösung eines Problems, zur Modellbildung etc. stehen mehr verschiedene und stärker diskriminierte Dimensionen und Auswahlkriterien zur Verfügung. Dadurch verlieren die einzelnen alternativen Zuordnungen an Sicherheit, sind kaum noch fixiert und werden häufig variiert.

Es lässt sich deshalb beobachten, dass Menschen auf dem gemäßigt hohen kognitiven Niveau länger brauchen, um zu einem endgültigen Urteil zu gelangen. Sie sammeln sehr viel mehr Informationen, bevor sie zu Bewertungen, Urteilen oder Problemlösungen kommen. Sie beziehen unterschiedliche Möglichkeiten der Bewertung in Betracht und vergleichen sie miteinander. Das kostet natürlich entsprechend mehr Zeit, als das einfache Abrufen einer einfachen Zuordnung, wie es auf dem niedrigen kognitiven Niveau stattfindet.

Beispiel: Eine neue Information über ein bestimmtes Auto würde Heinz dazu veranlassen, seine frühere Bewertung zu überdenken und gegebenenfalls zu verändern. Er wird mehr unterschiedliche Informationen suchen, diese als unterschiedliche Argumente zusammenstellen und mehrere alternative Schlussfolgerungen daraus ableiten können.

Auto auswählenDie gefundenen Lösungen sind für einen Menschen auf diesem Niveau entsprechend weniger endgültig (beständig). Er bleibt ständig offen für neue Informationen, die schneller und weniger abrupt zu Veränderungen von Interpretationen führen, als dies bei den niedrigeren Niveaus der Fall ist.

Aufgrund der höheren Integration verschiedener Dimensionen können hier beispielsweise Strategien entwickelt werden, bei denen Vorhersagen über die Konsequenzen einer Entscheidung aus unterschiedlichen Perspektiven in die Analyse der Situation mit eingehen.

In anderen Worten – innerhalb derselben Situation können verschiedene Handlungsmöglichkeiten entwickelt, verglichen und bewertet werden.

Beispiel: In einem Computer-Strategiespiel können unterschiedliche Strategien des Gegners in der eigenen Planung berücksichtigt werden. Ganz egal ob der Gegner eher mit Flugzeugen, Panzern, Artillerie oder Infanterie anzugreifen versucht – man hat sich im Vorfeld schon eine mögliche Gegenmaßnahme überlegt.

Ein Mensch auf diesem Niveau verfügt deshalb über eine wesentlich größere Anzahl von Beobachtungs- und Lösungsmöglichkeiten, die er leichter variieren kann, sodass er weniger durch externe Bedingungen beeinflussbar ist. Hier wird das „Opfer der Umstände“ zum eigenverantwortlichen „Macher“. Man rechnet sich die Konsequenzen des eigenen Handelns selbst zu. Erfolg wird hier zu einer „Self-Kompetenz-Frage“, und damit wird man fähig, die eigenen Fertigkeiten zu optimieren.

Es fällt schwerer das Verhalten eines Menschen auf diesem Niveau vorherzusagen, da sein Verhaltens-Repertoire relativ groß ist. Im Gegensatz zu den niedrigeren Stufen, erscheint ihm die Umwelt mehr durch seinen Willen beinflussbar zu sein.

Hier sind alle Voraussetzungen für Unabhängigkeit, Selbstbestimmung oder Selbstreflexion gegeben. Wenn er aus eigenen Stücken die Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt, ist er fähig Gruppen zu führen oder Projekte erfolgreich zu leiten.

Hohes kognitives Niveau

Doktor Auf dem hohen kognitiven Niveau können erstmals sehr komplexe Schemata – wie Metamodelle – ausgebildet und verstanden werden. Auf diese Weise stehen zusätzliche komplexe Potenziale zur Verfügung, um weitere Schemata zur Sammlung und Verarbeitung von Informationen zu organisieren. So hat man beispielsweise die Fähigkeit, Schemata flexibel an wechselnde Voraussetzungen der Situation anzupassen.

Es können abstrakte Prinzipien formuliert und angewendet werden, mit deren Hilfe sich große und heterogene Mengen an Informationen organisieren lassen, die ihrerseits wiederum durch einfachere Schemata entstanden und auf vielfältige Weise miteinander verknüpft sind.

Es werden Strukturen entwickelt, die viele unterschiedliche, divergente und widersprüchliche Informationen erfolgreich verarbeiten können. Die Fähigkeit selbst Informationen über Phänomenen zu entdecken und zu nutzen, ist hier am stärksten ausgeprägt.

Beispiel: Heinz denkt auf diesem Niveau nicht nur darüber nach, ob er es richtiger findet, sein Urteil über ein bestimmtes Auto an gefühlsmäßigen oder ethischen Maßstäben zu messen, sondern zieht eine ganze Bandbreite von Konsequenzen verschiedener Aspekte des Autos zur Beurteilung heran.

Er legt außerdem verschiedene Kriterien an Art und Inhalt der Äußerung an, die er zu dieser Frage, in dieser Situation, diesen Menschen gegenüber machen will, und beobachtet nicht nur den Verlauf der Diskussion über das Thema Auto, sondern darüber hinaus verschiedene andere Prozesse, die in dieser Situation stattfinden.

Werden Informationen als momentan nicht relevant angesehen, so werden sie auf dem hohen kognitiven Niveau dennoch registriert, im Gedächtnis behalten und stehen dann in anderen Situationen wieder zur Verfügung.

Ein Mensch, der über eine große Menge unterschiedlicher, handlungsrelevanter Schemata verfügt, kann sich Informationen leichter merken. Das liegt daran, dass er sie in mehr und unterschiedlichere Zusammenhänge bringen kann und damit deren Bedeutung in unterschiedlichen Kontexten verstehen und einordnen kann.

Menschen auf dem hohen kognitiven Niveau haben daher die Fähigkeit, in komplexen, sich verändernde Situationen und in Situationen, in denen es besonders auf:

  • die Nutzung vieler alternativer Interaktionsprozesse und
  • die Fähigkeit, mit den permanenten Veränderungen der Situation fertig zu werden,

ankommt, effektiv und erfolgreich zu handeln.

Zusammenfassung: Kognitive Niveaus

DenkenAuf den niedrigen kognitiven Niveaus sind die Zuordnungen (Bewertungen, Interpretationen) von Phänomenen rigide und starr. Sie unterliegen nur selten einer Veränderung. Während auf dem niedrigen kognitiven Niveau nur jeweils eine solche Zuordnung hergestellt werden kann, sind auf dem gemäßigt hohen kognitiven Niveau bereits verschiedene Zuordnungen möglich.

Auf beiden Niveaus werden zumeist nur solche Informationen berücksichtigt, die in bestehende Denkstrukturen passen. Andere werden entweder getilgt oder stark verzerrt.

Menschen auf einem höheren kognitiven Niveau generieren (sammeln, suchen, erzeugen) mehr Informationen und bewerten diese weniger verbindlich, da ihnen mehr alternative Möglichkeiten zur Verfügung stehen und sie sich in zunehmendem Maße über ihre Denkprozesse bewusst sind.

Entscheidungen werden aufgrund eines größeren Spektrums von Informationen getroffen, aber sie beinhalten in Folge des Auftretens von Alternativen und Konflikten ein geringeres Maß subjektiver Gewissheit.

Sie verfügen auf der einen Seite über mehr Regeln und Schemata, um neue Denkschemata hervorzubringen, die als alternative Kriterien für den Vergleich von Ergebnissen dienen können. Sie können ihre Ergebnisse daher leichter anpassen, wenn sich die Bedingungen der Umwelt ändern.

Auf der anderen Seite sind sie von ihrer Umgebung weniger abhängig, insofern die Tendenz abnimmt, auf jede einzelne Veränderung der Umwelt mit einer neuen Entscheidung zu reagieren, da eine Entscheidung, die auf einem höheren Niveau getroffen wurde, mehr Informationen integriert.

Ganz allgemein ist das Ausmaß, in dem die Abhängigkeit von Veränderungen der situativen Bedingungen abnimmt, der wichtigste Aspekt dieser Entwicklung. Eine Zunahme abstrakter Fähigkeiten bedeutet zugleich eine Zunahme der Freiheitsgrade des Menschen.

Doch einige Punkte sind hier noch anzumerken:

  • Dieses Modell der Niveaus kognitiver Komplexität beruht auf vergleichenden Forschungen zum Verhalten von amerikanischen Studenten. Dass aufgrund der Beobachtungen dieser Personen eben das vorgestellte Modell mit diesen vier kognitiven Niveaus generiert wurde, besagt natürlich nicht, dass nicht auch noch höhere Niveaus kognitiver Komplexität möglich sind. Solche wurden einfach nicht beobachtet und es fällt möglicherweise auch schwer, sich ein solches Denken vorzustellen.
  • Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass ein Mensch sich zu jedem Zeitpunkt auf dem gleichen kognitiven Niveau befindet. Die Niveaus beschreiben Grade vorhandener Denk-Kapazitäten und Denken funktioniert zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich gut. Ich werde in den folgenden Kapiteln noch näher darauf eingehen.
  • Genauso wenig – und dies ist vielleicht die wichtigste verbleibende Anmerkung – darf davon ausgegangen werden, dass Menschen sich hinsichtlich verschiedener Themenbereiche auf dem jeweils gleichen kognitiven Niveau befinden. Mit anderen Worten: Das kognitive Niveau eines Menschen muss immer in Bezug auf einen bestimmten (Themen-, Tätigkeits-, Lebens-) Bereich betrachtet werden.

Es kann beispielsweise sein, dass für die Bewältigung „kopflastiger“ Aufgaben eine Struktur auf besonders hohem Niveau zur Verfügung steht, während Gefühle immer auf die gleiche Weise verarbeitet werden (starre Regeln).

Beobachten Sie in der nächsten Zeit Ihre eigene alltägliche Komplexitätsverarbeitung. Analysieren Sie Ihre Beobachtungen anhand der hier vorgestellten kognitiven Niveaus. Versuchen Sie Ihre Stärken und Schwächen herauszufinden, indem Sie Ihre Verhaltensweisen den kognitiven Niveaus zuordnen.

Im Folgenden wird es darum gehen, unter welchen Bedingungen Menschen am ehesten dazu in der Lage sind, höhere Komplexität zu verarbeiten.

U-Kurve: Komplexität und Umweltkomplexität

Versetzen Sie sich in folgende Situation: Sie wollen ein etwas komplexeres Spiel spielen. Es kann sich um eine Computersimulation handeln oder um ein strategisches Kriegsspiel. Wenn Sie mit beiden Spielen keine Erfahrung haben, können Sie auch das Schachspiel wählen. Stellen Sie sich weiterhin vor, dass Sie dieses Spiel nicht kennen. Ihnen stehen darüber hinaus nur sehr wenige Informationen zur Verfügung (beim Schachspiel werden Ihnen nur die Regeln mitgeteilt, wie jede Figur gezogen werden darf).

SchachSie haben also zu Beginn des Spieles kaum Informationen. Während Sie spielen, steigt im Laufe der Zeit die Menge der zu verarbeitenden Informationen, sodass Sie eine gewaltige Menge an Information verarbeiten müssen.

Aufgabe: Was denken Sie, hätte eine solche Situation für Auswirkungen auf Ihr kognitives Niveau? Schreiben Sie eine Hypothese auf.

Nehmen wir außerdem an, dass Sie in der Spielanleitung eine Strategie gelesen haben, die sicher funktioniert und an die Sie sich halten. Sie wissen also zu Anfang ganz genau, was Sie mit den wenigen Informationen anfangen müssen. Sie sind mehr oder weniger gelangweilt, weil das Spiel keine nennenswerten Anforderungen an Ihr Denken stellt.

Später – sagen wir nach einer Stunde – wissen Sie immer noch, nach welcher Strategie Sie die ankommenden Informationen verarbeiten müssen, aber es sind mittlerweile so viele Informationen, dass Sie sich ernsthaft konzentrieren müssen. Das Spiel hält Ihr Denken auf Trab.

Nach einer weiteren Stunde hat sich die Menge der Information, die das Spiel an Sie stellt, so weit gesteigert, dass Sie nicht mehr in der Lage sind, sie gleichzeitig im Überblick zu behalten und rechtzeitig der – immer noch gleichen – Strategie entsprechend zu verarbeiten. Das Spiel überfordert Ihre Kapazitäten zur Informationsverarbeitung.

Nehmen wir jetzt zusätzlich an, dass Sie aus der Spielanleitung nur einige Tipps kennen, sodass Sie selbst eine Strategie entwickeln müssen. Dann wird der Zeitpunkt, an dem die Menge an Information gerade so groß ist, dass Sie sie eben noch verarbeiten können, viel früher auftreten.

Aus diesem vorgestellten Szenario lässt sich ersehen, dass die Fähigkeit zur Verarbeitung von Komplexität abhängig ist von:

  • der Menge an Informationen, die verarbeitet werden müssen,
  • der Vielfalt dieser Informationen und
  • der Veränderungsrate bzw. Neuheit dieser Informationen.

Je schwieriger und je erfolgloser Vorhersagen über die Umwelt sind, desto höher ist die Komplexität der Umwelt, die bewältigt werden muss. Bei einer sehr geringen Umweltkomplexität werden kaum Anforderungen an das Denken gestellt. Bei einer sehr hohen Umweltkomplexität wird das Denken überfordert. Irgendwo dazwischen liegt ein optimales Niveau an Umweltkomplexität, bei dem die Komplexitätsverarbeitung am höchsten ist.

Diese Beziehung von Komplexitätsverarbeitung und Umweltkomplexität lässt sich als eine U-Kurve beschreiben (s. Abb.).

Aufgabe: Denken Sie darüber nach, ob und wie sich die U-Kurve eines Menschen auf niedrigem kognitiven Niveau von der eines Menschen auf höherem kognitiven Niveau unterscheiden müsste. Notieren Sie sich Ihre Hypothesen in Form von Skizzen der U-Kurven.

Unterschiede der U-Kurven verschiedener Menschen

Die U-Kurve gilt für jeden Menschen unabhängig davon, auf welchem kognitiven Niveau er sich befindet. Jeder Mensch verarbeitet Informationen auf einem für ihn optimalen Niveau an Umweltstress und auf die für ihn optimale Weise. Unter Bedingungen, die entweder oberhalb oder unterhalb dieses Niveaus liegen, verarbeitet er Informationen auf einem weniger hohen kognitiven Niveau.

Dennoch unterscheiden sich die U-Kurven von Menschen auf unterschiedlichen kognitiven Niveaus. Zwar nähern sich die U-Kurven von Menschen auf niedrigerem bzw. höherem kognitiven Niveau in den Bereichen extrem suboptimaler und extrem superoptimaler Bedingungen wahrscheinlich stark aneinander an. Aber im Bereich dazwischen lassen sich signifikante Unterschiede beobachten.

Die U-Kurve eines abstrakteren Menschen steigt im mittleren Bereich der Kurve immer höher, als diejenige eines konkreteren Menschen auf niedrigerem Niveau. Das heißt,

  • dass ein abstrakterer Mensch unter dem für ihn optimalen Maß an Umweltkomplexität Informationen auf eine komplexere Art und Weise verarbeitet und
  • dass dieses Maß an Umweltkomplexität höher ist, als das für einen konkreteren Menschen optimale Maß.

Je höher also das kognitive Niveau eines Menschen, desto höher ist das Niveau an Umweltkomplexität, auf dem er sein optimales Maß an Komplexitätsverarbeitung erreicht.

U-Kurve

Außerdem lässt sich beobachten, dass die U-Kurve von abstrakteren Menschen insgesamt in weniger steilen Schritten steigt bzw. fällt. Veränderungen der Umweltbedingungen schlagen sich nicht so schnell in Veränderungen der Komplexitätsverarbeitung nieder. Abstraktere Menschen können also zusätzliche Umweltkomplexität quasi ausdämpfen.

Lernumgebung und Umweltkomplexität

Da bestimmte Umweltbedingungen eine hohe Komplexitätsverarbeitung fördern, während andere sie behindern, lohnt es sich, diese Merkmale genauer unter die Lupe zu nehmen. Der wichtigste Faktor der Umwelt ist – wie schon erläutert – die Komplexität der Informationen, die sie zur Verfügung stellt. Hierbei sind Menge, Vielfalt und Grad der Neuheit bzw. Veränderlichkeit der Informationen maßgebend.

Die Umweltkomplexität kann in Lehr- und Ausbildungssituationen reguliert werden durch:

  • die Beschränkung oder Verweigerung von Informationsmöglichkeiten bzw. das Anbieten eines vielfältigen und komplexen Informationsangebots,
  • die Förderung statischer und gleichbleibender Situationen bzw. sich entfaltender und laufend verändernder Situationen,
  • die Förderung vertrauter bzw. neuer Situationen.

LehrerAufgabe: Überlegen Sie sich, welche Möglichkeiten ein Lehrer hätte, die Umweltkomplexität einer Schulklasse zu variieren. Überlegen Sie weiterhin, welche Variation der Umweltbedingungen beispielsweise für den Physik- oder Englisch-Unterricht vorteilhaft sein könnten.

Die Merkmale der Umwelt, von denen die Umweltkomplexität abhängt, werden entsprechend als „primäre Merkmale“ bezeichnet. Darüber hinaus lassen sich aber verschiedene andere Faktoren ausmachen, die das Niveau der Komplexitätsverarbeitung indirekt beeinflussen und die daher „sekundäre Merkmale der Umweltgegebenheiten“ genannt werden.

Eine Situation mag eine noch so hohe Komplexität zur Verfügung stellen, wenn der jeweilige Beobachter schläft, taubstumm, blind oder aus irgendwelchen Gründen vollständig desinteressiert ist, wird diese Komplexität vernachlässigbare Auswirkungen auf das Niveau seiner Informationsverarbeitung haben.

Diese sekundären Faktoren lassen sich in zwei wesentliche Gruppen unterteilen:

  • Merkmale, die auf das Maß wirken, in dem ein Mensch seine Umwelt zu erfassen versucht
  • Merkmale der Organisationsform

Die Rolle von Belohnung und Bestrafung

Unter die erste Gruppe fallen im wesentlichen Faktoren, die sich auf das Interesse eines Menschen beziehen, welches er an der Lösung eines Problems, der Bewältigung einer Aufgabe hat. Die Fachbegriffe für Belohnung sind Eucity und für Bestrafung – oder negative Konsequenzen – Noxity.

Was versteht man unter diesen beiden Begriffen genau?

  • FreudeEucity (Belohnung) – das ist die Menge der vorhandenen Belohnungen oder Aussichten positiver Auswirkungen des eigenen Verhaltens. Hierzu gehört auch die allgemeine, über die Lernsituation hinausgehende Interessenslage eines Menschen.
  • Noxity (Bestrafung) – das ist die Schwere der vorhergesehenen nachteiligen Konsequenzen des eigenen Verhaltens sowie das Ausmaß, in dem ein Mensch von einer Situation desorientiert oder abgestoßen wird.

Aufgabe: Überlegen Sie sich jeweils mindestens ein Beispiel für Situationen aus Ihrem praktischen Erleben, die sich durch ein besonders hohes bzw. niedriges Maß an Eucity (Belohnung) bzw. Noxity auszeichnen. Halten Sie jeweils fest, wie hoch Sie die Umweltkomplexität einschätzen.

Das Interesse daran, ein Problem zu lösen, kann sowohl aus der Voraussicht positiver Konsequenzen eines funktionalen Verhaltens (Eucitiy) als auch aus der Voraussicht negativer Konsequenzen eines dysfunktionalen Verhaltens (Noxity) erwachsen.

In einem Bild ließe sich das Zusammenspiel der Umweltkomplexität mit den sekundären Bedingungen so beschreiben, dass Eucity und Noxity ein Tor bilden, das der Lernende öffnet, um die Massen der Umweltkomplexität in den Burghof einzulassen.

Stehen nur wenige Menschen vor dem Tor oder ist das Tor nur einen Spalt geöffnet, so werden die Hereinkommenden ausreichend Platz auf dem Burghof finden. Wenn hingegen das Tor weit offen steht und zudem große Menschenmengen hineinströmen, so wird der Hof hoffnungslos überlastet sein, die Massen zu bewältigen.

strafeSo wird bei einem niedrigen Niveau der Umweltkomplexität und der Noxity mit einem Anstieg der Eucity auch das Niveau der kognitiven Komplexität steigen. Ebenso bewirkt ein Anstieg der Noxity bei niedrigem Eucity- und Komplexitätsniveau einen Anstieg der kognitiven Komplexität.

Bei einem optimalen oder sogar superoptimalen Niveau der Umweltkomplexität ist jedoch eine Minderung der kognitiven Komplexität zu erwarten.

Aber die Auswirkungen superoptimaler Noxity und Eucity sind nicht identisch. Unter überfordernden noxischen Bedingungen verschwinden intern erzeugte Dimensionen in starkem Maße, nicht aber unter übermäßig eucischen Bedingungen.

In anderen Worten – wenn Menschen sich bedroht fühlen, extrem unerwünschte Konsequenzen ihres Handelns befürchten oder in starkem Maße verwirrt oder desorientiert sind, streben sie weniger danach, die Situation unter einer eigenen, von der Situation abstrahierten Perspektive zu beobachten. In Lehr- und Lernsituationen bedeutet dies, dass der Lernende nach einer vom Lehrer vorgegebenen Dimensionen sucht.

Im Groben lässt sich sagen, dass der optimale Punkt der Komplexitätsverarbeitung bei einem hohen Maß an Umweltkomplexität und Eucity und einem geringen, aber vorhandenen Maß an Noxity liegt.

Menschen reagieren stärker auf verbindliche Instruktionen, wenn sie unter Stress stehen. Das bedeutet, dass die kognitiven Strukturen, mit deren Hilfe konflikthaltige Informationen verarbeitet werden, unter Stress beeinträchtigt werden. Stark noxische Bedingungen führen zu übermäßig vereinfachten, starr organisierten kognitiven Strukturen.

  • Ein Mensch auf dem niedrigen kognitiven Niveau kann unter optimalen Bedingungen in der Lage sein, in seine Standpunkte konflikthaltige Informationen zu integrieren, ohne zugleich die alten Vorstellungen zu verwerfen.
  • Unter leichtem Stress ist zu erwarten, dass konflikthaltige Standpunkte in zunehmendem Maße aufgegeben werden (d. h., einer der Pole gewinnt die Vorherrschaft).
  • Bei stärkerem Stress ist zu erwarten, dass unmittelbar eingehende Informationen, Informationen mit besonderer Prägnanz und extern vorgegebene Meinungen immer mehr in den Vordergrund rücken.

Lernumgebung und Komplexitätsverarbeitung

Ebenso wie Eucity (Belohnung) und Noxity (Bestrafung) hat die konkrete Lernumgebung, wo das Verhalten durch Normen reguliert wird, einen direkten Einfluss auf die Komplexitätsverarbeitung des Lernenden. Es gibt Lernumgebungen, die sich der Schüler selbst wählt – z. B. das Arbeitszimmer für die Hausaufgaben – und Lernumgebungen, die von Lehrern – z. B. in der Schulklasse, Uni – gestaltet werden.

SchuleBei kontrollierten Lernumgebungen – also beim Gestalten eines Unterrichts von einem Lehrer – gehe ich hier besonders auf den Einfluss von Verhaltensnormen ein.

Die Behauptung ist, dass Verhaltensnormen die Komplexität der Umweltbedingungen definieren, in der gelernt wird. Insofern hat die Vorgabe von Verhaltensnormen einen direkten Einfluss darauf, inwiefern der Lernende angeregt wird, vielfältige und differenzierte Informationen zu erzeugen und zu verarbeiten bzw. Komplexität zu ignorieren.

Aufgrund von Anweisungen und Verhaltensregeln kann eine Person sowohl dazu orientiert werden, bestimmte Arten von Informationen zu bevorzugen und andere auszublenden, als auch dazu, ein Höchstmaß an zusätzlichen Informationen zu erzeugen.

Beispiel: Wenn in einer Diskussion ein Diskussionsleiter eingesetzt wird, können die übrigen Teilnehmer beispielsweise Informationen über die Reihenfolge der Diskussionspunkte unberücksichtigt lassen. Für den Diskussionsleiter selbst steigt die Umweltkomplexität, wenn er diese Aufgabe übernimmt, weil er der Diskussion nicht mehr nur folgen, sondern sie außerdem leiten muss.

Ist er sich selbst nicht im Klaren darüber, welches Verhalten die Aufgabe von ihm fordert oder kann er es nicht zeigen, steigt die Komplexität für ihn.

Dies ist ein Beispiel, wie man diesen Umstand konstruktiv nutzen kann. Ein negatives Beispiel ist dann gegeben, wenn der Lehrer von den Schülern erwartet, auf Fragen bestimmte Definitionen aus dem Gedächtnis herunter zu plappern. Hier wird der Schüler zum Papagei, der lediglich dumpf wiederzugeben hat, was der Lehrer hören will.

Im schlechtesten Fall werden Informationen nicht verarbeitet, sondern lediglich kurzzeitig memoriert, d. h., der Schüler ist nicht in der Lage, die neuen Informationen in den Kontext seiner Erfahrungen einzubinden und deren Wert und Bedeutung zu verstehen. Früher nannte man dies „dumpfes Pauken“, wobei der Lehrer in keiner Weise darauf achtet, ob der Schüler auch fähig ist, die neuen Informationen mit seinen Erfahrungen zu verknüpfen.

Was die Merkmale der Organisationsform betrifft, sind speziell in Bezug auf Gruppen folgende Faktoren wichtig:

  • die Anzahl von Personen, die bei der Bewältigung einer Aufgabe zusammenwirken,
  • das Ausmaß der erforderlichen Interaktionen,
  • das Ausmaß, in dem die Lösung einer Aufgabe entweder eine kooperative oder eine isolierte Arbeitsweise erfordert,
  • das Ausmaß, in dem organisatorische oder administrative Normen die Entwicklung unterschiedlicher Standpunkte fördern oder verbieten.

Aufgabe: Suchen Sie ein Beispiel für Situationen, in denen Sie standardmäßig mit der Lösung eines Problems, Bewältigen einer Aufgabe o. ä. konfrontiert werden. Überlegen Sie, wie obige Faktoren in diesen Situationen auf Ihre Komplexitätsverarbeitung wirken.

Allgemein kann man sagen, dass ein gewisses Maß an verbindlichen Verhaltensnormen dem Schüler helfen, sich besser auf den Lernstoff zu konzentrieren. Praktisch kann man dies durch ein bestimmtes Maß an Disziplin – z. B. nicht Schwätzen – aktiv zuhören lernen – auf den Beitrag des Vorredners eingehen etc. – fördern.

So stellt man dem Schüler eine Lernumgebung zur Verfügung, die es ihm erleichtert sich auf das Thema zu konzentrieren, damit er leichter komplexere Themen verstehen und verarbeiten kann.

Lehr-, Ausbildungs- und Trainingsmilieus

Lehr-, Ausbildungs- und Trainingssituationen können feinere Differenzierungen und neue Integrationen fördern oder unterbinden. Wie wir gesehen haben, hängt das Niveau der kognitiven Komplexitätsverarbeitung weitgehend von strukturellen Merkmalen der Lernumgebung ab. Entsprechend zentral ist sie für die Gestaltung einer Lehr- und Ausbildungssituation, innerhalb derer einem Menschen optimale Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, sein kognitives Niveau zu entwickeln.

Für das Training kognitiver Kapazitäten ist das inhaltliche Lernziel, Thema eines Unterrichts oder einer Ausbildung nebensächlich. Um einen Überblick über klassische Lehr-, Ausbildungs- und Trainingsmilieus zu geben, habe ich folgende Aufstellung notiert.

Abschirmung

Eine Situation wird dann als abgeschirmt oder beschützt bezeichnet, wenn sie den Lernenden davor behütet, die Konsequenzen seines Handelns zu erleben. Dies ist dann der Fall, wenn der Lehrer großzügig über die Folgen möglichen Verhaltens informiert und auf diese Weise die Umweltkomplexität reduziert. Der Lernende braucht die Konsequenzen seines Handelns nicht mehr zu durchdenken (so weit das möglich ist).

Es werden drei Grundarten von Lehr-, Ausbildungs- und Trainingsmilieus unterschieden: unilaterale, permissive und interdependente. Sowohl unilaterale, als auch permissive und interdependente Milieus können zu einem gewissen Maße abgeschirmt sein.

Unilaterale Milieus

Unilateral (von lat. unus „einer, einzig“; latus „Seite“) bedeutet „einseitig“. In der Politik, speziell der Diplomatie, wird der Begriff für das Handeln eines Staates ohne Rücksichtnahme auf andere verwendet. Dieses Verhalten bedeutet, dass eine Nation keinerlei diplomatische Verständigungs- und Konfliktbewältigungsversuche unternimmt.

Als unilaterale Milieus werden solche Lehr-, Ausbildungs- und Trainingssituationen bezeichnet, in denen der Lehrer den Lernenden durch Vorgabe von Regeln und Normen sowie durch Belohnung und Strafen einseitig lenkt und orientiert. Je mehr Regeln ein Lernender in einer Situation zu befolgen hat, je eindeutiger und weniger veränderlich diese Regeln sind, desto weniger wird er angeregt, eine Fülle von Differenzen zu beobachten, neue Integrationen vorzunehmen, Konflikte zu erzeugen oder diverse Perspektiven hervorzubringen.

Hier handelt es sich um ein Lernprinzip, dem auch heute noch übermäßig „strenge“ und sehr autoritäre Lehrer anhängen.

Unilateraler Unterricht orientiert den Lernenden dazu, den Lernstoff bevorzugt anhand von festen und extern vorgegebenen Regeln vorzunehmen. Er maximiert die Entwicklung von auf Anpassung ausgerichteter Orientierung, die in externen und absolut gültigen Kontrollmechanismen verankert ist. Je mehr der Schüler für diese Art der Anpassung belohnt wird, umso eher kommt die Entwicklung seines kognitiven Niveaus zum Stillstand.

Lehr-, Ausbildungs- und Trainingsmethoden, deren Vorgehen darin besteht, eine Aufgabe in ihre Komponenten zu zerlegen, jede Komponente einzeln und ohne Störung durch andere Faktoren zu üben, ohne Integrationsregeln zu vermitteln, haben ähnliche Auswirkungen.

Sie reduzieren die Komplexität, die eine Situation in Bezug auf das Lernziel bietet. Im Schulunterricht kennen wir solche Lernmethoden, wenn dem Schüler alles „vorgekaut wird“ und dessen Aufgabe darin besteht, stumpf den Inhalt ohne eigene Denkleistung wiederzugeben.

Inhaltlich können bestimmte Lernziele zwar auch unter unilateralen Bedingungen erreicht werden, aber andere Unterrichtsmethoden, die auf übermäßige Vereinfachung verzichten, können zu schnelleren Lernerfolgen führen, wenn das vorrangige Ziel die effektive Aneignung von Wissen ist.

Permissivität

Permissiv bedeutet soviel wie durchlässig, nachgiebig oder wenig kontrollierend. Der Begriff wird für einen entsprechenden Erziehungsstil und eine „aufstiegsdurchlässige“ Gesellschaft verwendet. Milieus, die auf eine weitgehende Reduzierung vorgegebener Verhaltensnormen abzielen, werden als „permissiv“ bezeichnet. In permissiven Milieus liegt eine höhere Komplexität der Umweltbedingungen vor, als in unilateralen Milieus.

Der Lehrer interveniert weder bezüglich der Komplexität der Informationen noch der sekundären Bedingungen. Er zwingt zwar keine Schemata auf, die zu einer Komplexitätsreduktion der Umweltbedingungen führen würden, überlässt es dem Lernenden aber andererseits auch, selbst ein ausreichendes Maß an Komplexität und Interesse zu entwickeln.

Ein permissives Niveau unterstützt den Lernenden nicht darin, Motivation zu entwickeln, schränkt ihn aber auch in keiner Weise ein. Daher wird die Komplexität der Umweltbedingungen nur dann für eine Entwicklung des kognitiven Niveaus ausreichen, wenn von Seiten des Lernenden bereits ein ausreichendes Interesse vorliegt.

Interdependenz

Ein interdependentes Milieu ist eine vom Lehrer zur Verfügung gestellte Situation, die dem Lernenden selbst die Anreize zu ihrer Erforschung bietet, d. h. Anreize dazu, eigenständig neue Integrationen zu entwickeln.

Ein interdependentes Milieu setzt ein gewisses Maß einschränkender Normen voraus, die die Voraussetzungen des Unterrichts gewährleisten. Andererseits lässt es dem Lernenden innerhalb dieser Regeln einen größtmöglichen Freiraum, eigene Interpretationen und Schemata zu entwickeln.

Die Entwicklung eines höheren kognitiven Niveaus hängt vor allem davon ab, inwieweit die Bedingungen Gelegenheit und Anreiz bieten, wechselweise verschiedene und aus ihrem Zusammenhang herausgelöste Regeln zu entdecken und diese Regeln miteinander in Beziehung zu setzen. Die Umgebung muss dazu mit einer ausreichenden Menge Informationen ausgestattet und so geplant sein, dass sie Anhaltspunkte bereitstellt, anhand deren sich neue Integrationsregeln entwickeln lassen.

Das interdependente Milieu eignet sich am ehesten dazu, die Möglichkeiten des Lernenden zu optimieren, sich eine größere Fähigkeit zu Differenzierung und flexiblen Integrationen sowie eine Orientierung auf Entwicklung und Anwendung selbstentwickelter Regeln anzueignen.

Skalierung der Lehr- und Ausbildungsmilieus

Die verschiedenen Lehr- und Ausbildungsmilieus lassen sich auf einer Skala anordnen, an deren einem Ende unilaterale Bedingungen ein extrem suboptimales Maß an Komplexität zur Verfügung stellen und die Entwicklung eines niedrigen kognitiven Niveaus begünstigen. Am anderen Ende der Skala stellt das interdependente Milieu die Möglichkeit zur Verfügung, aufgrund optimaler Bedingungen höhere kognitive Niveaus zu entwickeln.

Diese Skala könnte wie folgt aussehen:

  • beständig unilaterale Milieus
  • unbeschützt permissive Milieus
  • optimal beschützt permissive und beschützt interdependente Milieus
  • unterfordernde interdependente Milieus
  • optimal interdependente Milieus

Allgemein gilt: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Mensch zu einem höheren kognitiven Niveau weiterentwickelt, ist dann am höchsten, wenn der Umweltstress den Punkt optimaler Informationsverarbeitung zeitweise übersteigt.

Ähnlich wie bei der Steigerung der Fähigkeit zur Konzentration oder dem Muskelaufbau beim Bodybuilding müssen die kognitiven Kapazitäten überfordert werden, damit ein höheres strukturelles Niveau erreicht werden kann. Es muss ein Anreiz bestehen, die alten Bahnen des Denkens zu verlassen und nach neuen Wegen zu suchen, die sich dann langsam etablieren können. Das funktioniert nach dem gleichen Prinzip, wie der Muskel beim Bodybuilding dazu gezwungen werden muss, auch sämtliche normalerweise inaktiven Muskelfasern zu benutzen, um ihn zum Wachstum anzuregen.

Anhang: Komplexitätsverarbeitungs-Test

Begleitmaterial zum Kurs „Kognitive Komplexität“

Das kognitive Niveau eines Menschen zu bestimmen, ist eine Aufgabe, die eigene Forschungen notwendig machte, um Methoden zu finden, die einigermaßen konstante und aussagekräftige Ergebnisse für alle Niveaus liefern. Hier werden wir Ihnen das Know-How für ein Baukastensystem vermitteln, mit Hilfe dessen Sie selbst einen Komplexitätsverabeitungs-Test entwickeln können.

Eine solche Methode ist der Absatzergänzungs-Test, der relativ leicht realisierbar ist. Er kann als Übung in den Unterricht integriert werden und bietet die Möglichkeit, Schemata zu generieren, anhand derer die kognitive Komplexität zumindest geschätzt werden kann, die einer Aussage zugrunde liegt.

Für unsere Zwecke dürfte eine 4-Punkte-Skala, die die vier kognitiven Niveaus beschreibt, ausreichen.

Durchführung

Die Versuchspersonen müssen zu Satzanfängen Ergänzungen im Umfang von zwei oder drei Sätzen verfassen, in denen jeweils ihre Überzeugungen zum Ausdruck kommen. Für jeden Satzanfang steht eine eigene Seite zur Verfügung. Die Zeit für die Niederschrift der Ergänzungen ist auf 100 bis 120 Sekunden begrenzt.
Die für diesen Test verwendbaren Satzanfänge lassen sich wie folgt klassifizieren:

  • Satzanfänge, bei welchen das Vorhandensein von Alternativen, Ungewissheit oder ein Mangel an Strukturiertheit vorausgesetzt wird („Wenn ich im Zweifel bin …“, „Verwirrung …“)
  • Satzanfänge, bei denen eine Orientierung an externen Standards vorausgesetzt wird („Regeln …“, „Eltern …“)
  • Satzanfänge, bei denen Konflikte zwischen Personen vorausgesetzt werden („Wenn ich kritisiert werde …“)

Die gegebenen Antworten werden von mindestens zwei voneinander unabhängigen Beurteilern anhand folgender Kriterien bewertet:

1 – Niedriges kognitives Niveau

Der Wert 1 wird vergeben, wenn eine Antwort durch eine einzige fixierte Regel (Leitsatz) hervorgebracht worden ist, alternative Interpretationen nicht berücksichtigt worden sind und eine subtile Veränderung der Kontextbedingungen keine nennenswerte Änderung der Antwort zur Folge haben würden.

Beispiel: „Regeln … sind aufgestellt worden, damit man sie befolgt. Sie geben einem Vorgaben oder dem Leben oder irgendetwas anderem die Richtung. Man sollte sie nur unter extremen Bedingungen durchbrechen.“

Typisch für einfache Strukturen sind schnelle Antworten, bei denen ein Ereignis mit einem hohen Grade an Gewissheit einer (und nur einer) Kategorie zugeordnet wird, sowie die Beschränkung auf eine einseitige Betrachtung des Problems, bei der Unterschiede und Ähnlichkeiten zu anderen Betrachtungsweisen ignoriert werden. Konflikte, Ungewissheit oder Mehrdeutigkeit werden als unangenehm angesehen.

2 – Gemäßigt niedriges kognitives Niveau

Der Wert 2 wird vergeben, wenn klar zum Ausdruck kommt, dass es für die Interpretation eines Ereignisses alternative Regelstrukturen gibt, die miteinander nicht oder nur sehr rudimentär integriert werden können.

Beispiel: „Regeln … sind gewöhnlich in der Absicht erlassen worden, irgendjemand oder der Gesellschaft etwas Gutes anzutun. Mit der Zeit werden sie jedoch oft entstellt und sinnlos und nützen zu wenigen Menschen. Wenn sie in solchen Fällen nicht leicht durchzusetzen sind, werden sie faktisch nicht mehr beachtet.“

Es muss sorgfältig unterschieden werden zwischen:

  • polarisierenden Antworten, denen nur eine Regel zugrunde liegt,
  • alternativ interpretierenden Antworten, denen verschiedenen Regelstrukturen zugrunde liegen.

Indizien für dieses Niveau sind:

  • die Spezifikation von mindestens zwei verschiedenen Sichtweisen des angesprochenen Ereignisses,
  • das Aufzählen von Ähnlichkeiten oder Unterschieden verschiedener Sichtweisen, ohne deren Zusammenhang untereinander zu berücksichtigen,
  • Aussagen über Wahrscheinlichkeiten des Auftretens von Ereignissen,
  • die grundsätzliche Ablehnung absoluter Aussagen.

3 – Gemäßigt hohes kognitives Niveau

Der Wert 3 wird vergeben, wenn in der Antwort deutlich wird, dass nicht nur alternative Interpretationen vorhanden sind, sondern außerdem Vergleichsregeln angewandt werden, durch die auch Ähnlichkeiten und Unterschiede verschiedener Sichtweisen erfasst werden können.

Da in diesem Test nur wenig Platz zur Verfügung steht, verzichten Versuchspersonen auf diesem Niveau in der Regel darauf, die verschiedenen möglichen Interpretationen auszuführen, und benennen nur die Ergebnisse des Vergleichs.

Beispiel: „Regeln sind für das reibungslose Funktionieren einer Gesellschaft notwendig. Regeln sollten jedoch nicht so strikt eingehalten werden, dass ihre Veränderung unter veränderten Umständen unmöglich gemacht wird. Der Zweck bzw. die Auswirkungen der Regeln sind wichtiger als die Regeln selbst.“

Indizien für dieses Niveau sind:

  • die Integration von untereinander widersprüchlichen Interpretationen, die den Konflikt nicht ausblendet, sondern aufrecht erhält,
  • die Ableitung verschiedenartiger Bedeutungen (Folgen) alternativer Interpretationen (z. B. verschiedene Bedeutungen der Feststellung, dass über eine Person widersprüchliche Interpretationen bestehen),
  • die Erörterung verschiedener Ursachen für unterschiedliche Interpretationen desselben Ereignisses,
  • Hinweise auf die Fähigkeit, Absichten oder Perspektiven anderer Personen in Rechnung zu stellen und Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Interpretationen mehrerer Personen zu erfassen.

4 – Hoher Integrationsindex

Der Wert 4 wird vergeben, wenn in der Antwort alternative Vorstellungen über die Art von Wechselbeziehungen verschiedener Standpunkte erörtert werden. Widersprüchliche Komponenten werden als Bestandteile einer übergreifenden Problem-Rekonstruktion betrachtet.

Solche Antworten kommen bei diesem Test nur sehr selten vor, was daran liegen kann, dass derart komplexe Regeln für die Verarbeitung von Informationen außerhalb des Einflussbereichs der Wissenschaft und der Philosophie nur von sehr wenigen Menschen angewandt werden.

Beispiel: „Regeln sind zwar für jedermann erlassen, können aber in mancherlei Weise interpretiert werden. Ihre Auslegung hängt vom jeweiligen Standpunkt des Interpreten ab. Gerade durch diesen Prozess der Interpretation bleibt eine Gesellschaft dynamisch, verändert und entwickelt sich.“

Indizien für dieses Niveau sind:

  • Antworten, bei denen untereinander im Widerspruch stehende Alternativen als Grundlage neuer Organisationsformen und Informationen betrachtet werden,
  • das Weiterverfolgen offener Fragen auf der Grundlage von alternativen Ausgangspositionen, in der Absicht neue Informationen zu gewinnen,
  • die Verknüpfung von Alternativen zu funktionalen Zusammenhängen,
  • die Erörterung von Zusammenhängen zwischen den Ähnlichkeiten und Unterschieden verschiedener Seiten eines Problems oder einer Frage und die Entwicklung von Zusammenhängen zwischen unterschiedlichen Gründen für solche Unterschiede und Ähnlichkeiten,
  • die Herstellung einer starken wechselseitigen Abhängigkeit zwischen Alternativen aufgrund der Ursachen.

Tony Kühn