Wie kommt es zu einer Massenpanik?

Massenevents üben auf viele Menschen eine große Faszination aus. Doch jedes Jahr sterben immer wieder Menschen aufgrund der verheerenden Folgen der Massenpanik, die sich in großen Menschenansammlungen schnell entwickeln kann. Lesen Sie im folgenden Artikel, wie es zur Massenpanik kommt und wie man sich in solchen Situationen verhalten sollte.

Was fasziniert Menschen an Massenevents?

Die jüngsten Ereignisse auf der Love-Parade in Duisburg (Stand Juli 2010) zeigen uns deutlich, dass es keine Bombendrohung braucht, um Menschen in Panik zu versetzen. Aus einem Freudenfestival wurde ein Drama mit 21 Toten und über 500 Verletzten. Leider ist die Tragödie in Duisburg kein Einzelfall. Es gibt viele Beispiele von Massenpaniken bei Großveranstaltungen.

Massenevents wie Sportveranstaltungen, z. B. Fußballspiele, Konzerte oder religiöse Veranstaltungen, z. B. Pilgerfahrten erfreuen sich einer großen Beliebtheit. Große Ansammlungen von Menschen ziehen weitere Menschen an, was sich nicht mit dem Thema des Events alleine erklären lässt.

In einer Menschenmasse fühlen sich Menschen geborgen. Oft wird von einem Gemeinschafts- oder Zusammengehörigkeitsgefühl berichtet, das Glücksgefühle auslöst. Hinzu kommt die Anonymität in der Masse. Die persönliche Verantwortung wird schnell abgegeben. Die Freude und Euphorie anderer Menschen wirkt ansteckend, es kommt zu einem kollektiven Rausch.

Wie entsteht eine Massenpanik?

Die Atmosphäre auf einem Massenevent wird oft mit der eines Festivals verglichen. Menschen besuchen ein Event, um zu feiern und sich von der ausgelassenen Stimmung anderer Menschen anstecken zu lassen. Dass sie dabei Abstriche an ihre Bewegungsfreiheit machen, nehmen sie in Kauf. Beim Feiern werden Gefahrensituationen leicht ausgeblendet oder falsch eingeschätzt. Man ist vorwiegend mit sich und der Stimmung beschäftigt. Der Genuss von Alkohol oder anderen Drogen unterstützt diesen Effekt. Die Nähe zu den Menschen wird noch als angenehm empfunden.

Es muss keine äußere Katastrophe passieren, z. B. die englische Tragödie in Sheffield (1989), wo mehrere hundert Fans gegen den Zaun am Spielfeldrand gedrückt wurden, damit es zur Massenpanik kommt.

Nimmt die Enge in der Menge zu und passiert irgendetwas Unvorhersehbares – und dazu reicht z. B. ein lauter Schrei, ein Gerücht, ein Regenschauer oder das Stolpern von Jemanden, kann die allgemeine Stimmung abrupt umschlagen. Plötzlich wird die Enge um einen herum als bedrohlich wahrgenommen. Dieses Phänomen wird häufig wie ein Aufwachen beschrieben – man fragt sich „wo bin ich hier eigentlich?“

Geraten Menschen dann in Panik, versuchen sie sich primär Freiraum zu schaffen mit Einsatz von Ellenbogen, Schieben und Drücken. Das hat eine Art Kettenreaktion zur Folge, denn auch andere beginnen nun ebenfalls zu drücken und zu schieben. Das setzt sich in einer Art Wellenbewegung fort, bis der Platz so eng wird, dass Menschen nicht mehr ausweichen können. Sie verlieren die Kontrolle über ihre eigenen Bewegungen, was mehr als nur beunruhigt. Sie beginnen zu stolpern, hinzufallen. Andere fallen über sie hinüber. Die Panik beginnt sich auszubreiten. Durch den Platzmangel und das Geschiebe wird über gestürzte Menschen hinweggetrampelt. Andere, die nicht ausweichen können, werden erdrückt.

Welche Bedingungen fördern das Ausbrechen der Massenpanik?

Nur weil sich Menschen auf engem Raum befinden, muss es noch lange keine Massenpanik geben. Das gilt empirisch als gesichert. Natürlich bleibt das Risiko für Massenpaniken bei Großveranstaltungen bestehen, doch die Veranstalter und Verantwortlichen können im Vorfeld die bekannten Risikofaktoren möglichst klein halten.

Es gibt einen großen Risikofaktor, der bei der Love-Parade in Duisburg ignoriert wurde. Bei Großveranstaltungen sollen räumliche Engpässe, sogenannte Nadelöhre vermieden werden. Das ist hinreichend bekannt und durch ähnliche Tragödien in der Vergangenheit belegt. In Duisburg war ein Engpass der einzige Zugang zum Gelände, der Bereich des Tunnels. Es sollen genügend Auswege rechts und links vorhanden sein, wo die Menschen ausweichen können, wenn sich die Menge zu sehr verdichtet und es zum Gedrängel kommen wird. Das war in Duisburg leider nicht der Fall.

Was geschieht währenddessen im Körper?

Im Körper werden Stresshormone ausgeschüttet, der Puls steigt und der Atem wird flach. Der Körper schwitzt. Den Geruch des Angstschweißes nehmen auch andere Menschen wahr. Der Verstand wird völlig ausgeschaltet. Es gibt nur noch einen Automatismus: Flucht, um sich in Sicherheit zu bringen. Dabei werden ungeheure Energien im Körper frei, denn jetzt geht es nur noch um das eigene Überleben.

Wie oben beschrieben, kann schon ein Schrei der Auslöser sein, dass es zur Angst und Panikreaktionen kommen kann. Der Schrei kann tief liegende Reaktionen und reflexhaftes Weglaufen auslösen, ohne die Ursache des Schreis kennen zu müssen, doch Fluchtmöglichkeiten gibt es nicht. In anderen Situationen, wo es Fluchtmöglichkeiten gibt bzw. wo sie auch schnell erreicht werden können, kann Weglaufen durchaus die richtige Reaktion sein. Wegzulaufen bewerten Wissenschaftler als einen normalen und gesunden Egoismus.

Da es aber keinen Fluchtweg gibt, zumindest keinen, der auf die Schnelle zu erreichen ist, müsste man seinen Verstand aktivieren, um eine andere Lösung zu finden. Der ist aber bei den betroffenen Menschen, wie wir oben gesehen haben, ausgeschaltet. Die soziale Kompetenz funktioniert nicht mehr. Man nimmt keine Rücksicht mehr auf andere. Zum anderen aber wirken auch Kräfte, die tatsächlich lebensbedrohlich sind. Daher stellt sich die Frage:

Welche Verhaltensmöglichkeiten gibt es für Betroffene, wenn die Stimmung kippt?

Wenn die Panikschwelle überschritten ist, gibt es keine Interventionsmöglichkeiten für die Betroffenen. Denn Panik ist die letzte Verhaltensmöglichkeit des Menschen, wenn die Situation ausweglos erscheint. Es wirken Kräfte von mehreren Tausend Menschen – man wird in die Bewegung der Masse mitgenommen und kann sich nicht dagegen wehren oder einen anderen Weg einschlagen, vor allem wenn die Verdichtung der Menschen zunimmt. Nur Veranstalter und Sicherheitskräfte haben hier noch die Möglichkeit weiteren Zustrom von Menschen abzuriegeln und die Menge per sachlichen Anweisungen versuchen zu orientieren.

Doch bevor sich eine Massenpanik ereignet, lässt sich einiges tun, wenn man aufmerksam bleibt und das Kippen der Stimmung wahrnimmt. Bekommt man z. B. mit, dass in der näheren Umgebung jemand schreit oder es jemanden schlecht wird, sollte umgehend der Kontakt zu ihm aufgenommen werden. Man sollte ruhig und langsam mit ihm sprechen und das Gefühl vermitteln, ihn ernst zu nehmen und dass sich die Situation positiv entwickeln wird. Auch Tipps tief durchzuatmen, können für den Verängstigen sehr hilfreich sein. Manchen hilft es, wenn sie in den Arm genommen werden.

Andere Menschen um einen herum, sollten in die Pflicht genommen, also an ihre Verantwortung appelliert werden, z. B. indem man sie bittet, die Betroffenen gemeinsam zu beruhigen. Denn Menschen, die sich für andere verantwortlich fühlen (z. B. für ihre Kinder), geraten nachweislich seltener in Panik. Kinder sind im Gedrängel besonders gefährdet – sie brauchen Menschen, die sich um sie kümmern und bei Bedarf aus dem Gedrängel heraushalten.

Sinnvoll ist es, sich über Risiken und Verhaltensmöglichkeiten im Vorfeld zu informieren. Das gilt für das Besuchen von Großveranstaltungen genauso, wie für die Teilnahme am Straßenverkehr. Denn die Zahl an Großveranstaltungen ist in den vergangenen Jahren gestiegen und sie wird künftig weiter steigen. Massenevents werden weiterhin eine enorme Anziehungskraft auf viele Menschen ausüben, was Wissenschaftler mit der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen parallelisieren: weniger Halt in einer intakten Familie aber dennoch ein großes Bedürfnis nach gemeinschaftlichen Erfahrungen und Erleben.

Cassandra B.