John Stuart Mill: Einführung in den Utilitarismus 2

John Stuart Mill (1806-1873) wurde durch seinen Vater James Mill (1773-1836), der mit Jeremy Bentham befreundet war und bei den Philosophical Radicals eine führende Position innehatte, an die Werke von Bentham, Ricardo, Comte und Smith herangeführt.

1823 gründet Mill jun. die Utilitarian Society, die „für Redefreiheit und für die Ausdehnung des Wahlrechts auf die arbeitenden Klassen agitiert“. Erst im Alter von 30 Jahren befreit er sich von seiner „Fixierung auf den Vater“ und „wird sich […] der Grenzen des utilitaristischen Dogmas, der simplifizierenden Einseitigkeit seiner Denkschemata bewusst“ (Birnbacher 199).

1861 erscheint in Fraser’s Magazine mit Mills Utilitarianism „die philosophisch anspruchsvollste Verteidigung, die der utilitaristischen Ethik […] zuteil geworden ist“ (Birnbacher 198).

Allgemeine Bemerkungen

Mill hält den Sokrates in Platons Dialog Protagoras für einen Utilitaristen. Sokrates fragt Protagoras (zit. n. d. Übersetzung v. Otto Apelt): „Ist nun […] dasjenige gut, was den Menschen nützlich ist?“ Protagoras antwortet, er „nenne auch manches gut, was nicht für die Menschen nützlich ist“ (333de).

John Stuart Mill Utilitarismus

Nun fragt Sokrates: „Meinst du damit, was nur keinem Menschen nützlich ist, oder was überhaupt gar nicht nützlich ist? Und nennst du auch dergleichen gut?“ Protagoras verneint und fährt fort: „aber ich kenne vieles Gute, was für die Menschen nutzlos ist, Speisen, Getränke, Heilmittel und sonst tausenderlei anderes, daneben auch wieder solches, was ihnen nützlich ist, und noch anderes, was für sie keines von beiden ist, wohl aber nützlich für Pferde, anderes wieder nur für Rinder und wieder anderes für Hunde; einiges für keinen von allen diesen, wohl aber für die Bäume“ (333e-334a).

Nachdem er noch eine Weile in diesem Stil weitergemacht hat, faßt er zusammen: „Ja, das Gute ist so vielseitig und mannigfaltig, daß es auch beim Menschen zwar für die äußeren Teile des Körpers zuweilen gut ist, für die inneren aber wieder höchst schädlich“ (334bc). Die Zuhörer klatschen Beifall, doch Sokrates erbittet sich kürzere Antworten, wobei er Vergeßlichkeit vorschützt.

Mill fragt nach dem „Kriterium von Recht und Unrecht“, nach der „Grundlage der Moral“ (S. 7), und stellt fest, daß „das Prinzip der Nützlichkeit oder, wie Bentham es später genannt hat, das Prinzip des größten Glücks […] in vielen Anwendungsgebieten der Moral eine wesentliche und sogar vorrangige Rolle spielt“ (S. 13, 15).

Er will „versuchen, einen Beitrag zum besseren Verständnis und zur gerechteren Würdigung der utilitaristischen oder Glückseligkeitstheorie zu leisten und einen Beweis dieser Theorie zu geben, insoweit sie einen Beweis zulässt“ (S. 15, 17).

Was heißt Utilitarismus?

Mill setzt die Nützlichkeit mit der Lust gleich und beruft sich dabei auf „alle Autoren von Epikur bis Bentham, die die Nützlichkeitstheorie vertreten haben“ (S. 21).

Er nimmt für sich in Anspruch, „das Wort ‚utilitaristisch‘ als Erster in Umlauf gebracht“ zu haben (Anm. S. 23). Er habe es aus dem Roman Annals of the Parish (Edinburgh 1821) von John Galt (1779-1839) übernommen.

In diesem Roman bringt ein „etwas weltfremder“ Pfarrer „eine Chronik seiner Amtszeit und seiner Pfarrkinder […]. Ihn interessieren die Tätigkeiten von Schmugglern, Werbeoffizieren, der Armee, Steuereinnehmern, Soldaten, irischen Arbeitern und Jakobisten ebenso wie Geburt, Heranwachsen, Heirat und Tod der Mitglieder aller sozialen Schichten seiner Gemeinde“ (Jerôme von Gebsattel, in: KNLL 6/61).

Mill schreibt, daß das Wort „utilitaristisch“ in Galts Roman „beiläufig“ vorkomme. Er selbst habe es zusammen mit anderen eigentlich „aus wachsender Abneigung gegenüber allem, was sektiererischen Etiketten und Parolen ähnlich sah“, aufgegeben (S. 23).

Er bringt folgende Definition des Utilitarismus: „Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, dass Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken“ (S. 23).

Mill distanziert sich von der Unterstellung der Gegner der Epikureer, „dass Menschen keiner anderen Lust fähig sind als der, deren auch Schweine fähig sind“ (S. 25). Nachdem er auf den Unterschied zwischen Menschen und Tieren hingewiesen und auch allein unter den Menschen beträchtliche Unterschiede in der Vorstellung von Glück festgestellt hat, schreibt er: „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufriedenes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr“ (S. 33).

Die „Norm des Utilitarismus ist nicht das größte Glück des Handelnden selbst, sondern das größte Glück insgesamt“, fährt Mill fort. „Der Utilitarismus kann sein Ziel daher nur durch die allgemeine Ausbildung und Pflege eines edlen Charakters erreichen“ (S. 37).

Gegen die Meinung von Kritikern des Utilitarismus, den Menschen sei kein Glück beschieden, wendet Mill folgendes ein: „Dass ein Leben unbefriedigend ist, hat seine Ursache außer im Egoismus vor allem auch im Mangel an geistiger Bildung. Ein gebildeter Mensch […] findet Gegenstände unerschöpflichen Interesses in allem, was ihn umgibt“ (S. 45).

Mill ist der Meinung, „dass die wirklich großen Übel in der Welt prinzipiell ausrottbar sind“ (S. 47). Mit diesen Übeln meint er Armut, Krankheit und Schicksalsschläge. Er räumt allenfalls ein, daß der Erfolg sehr lange auf sich warten lasse. Außerdem werde beim „gegenwärtigen Zustand der Welt“ derjenige am glücklichsten, der bereit sei, „ohne Glück auszukommen“ (S. 51). Sich für das Glück anderer zu opfern, stehe durchaus im Einklang mit dem Utilitarismus, doch das Opfer selbst als Glück zu betrachten, nicht.

Jesus habe „den Geist der Nützlichkeitsethik“ mit der Goldenen Regel (Lk 6,31) und der Forderung der Nächstenliebe (Mt 22,39) „vollendet ausgesprochen.“ Damit habe er „die utilitaristische Moral in ihrer höchsten Vollkommenheit“ gepredigt (S. 53).

Von der fundamentalen Sanktion des Nützlichkeitsprinzips

Gemeint ist die Frage nach den Motiven, das Nützlichkeitsprinzip zu befolgen. Also: Warum ist es verpflichtend oder verbindlich? Konkret: „warum sollte ich verpflichtet sein, das allgemeine Glück zu fördern?“ (S. 81)

Mill meint, daß diese Frage für jede Ethik gilt, nicht nur für den Utilitarismus. Dasselbe trifft auf seine Antwort zu. Er nennt zuerst die „äußeren“ Motive: „die Hoffnung auf die Gunst und die Furcht vor der Ungunst unserer Mitmenschen und des Herrschers des Alls sowie Mitgefühl und andere Empfindungen, die wir den Mitmenschen gegenüber hegen, und Liebe und Ehrfurcht gegenüber Gott, aus der heraus wir seinen Willen tun, ohne an unseren eigenen Nutzen zu denken“ (S. 83).

Dazu kommt das „innere“ Motiv der Pflicht: „ein Gefühl in uns, eine mehr oder weniger starke Empfindung der Unlust, die sich bemerkbar macht, sobald wir unserer Pflicht zuwiderhandeln“ (S. 85). „Dieses Gefühl […] macht das Wesen des Gewissens aus“ (S. 85, 87).

Mill ist der Ansicht, daß „die moralischen Gefühle […] nicht angeboren, sondern […] erworben“ sind (S. 93). Die „Gemeinschaftsgefühle der Menschen“ sind ihm zufolge das „unerschütterliche Fundament“ für die Anerkennung des allgemeinen Glücks „als ethische Norm“ (S. 95).

Voraussetzung für das „Gemeinschaftsverhältnis“ ist die „Grundlage der gleichmäßigen Berücksichtigung der Interessen aller.“ Natürlich gilt das nur für eine „Gesellschaft von Gleichen“, also für eine Demokratie, nicht für eine Sklavenhaltergesellschaft (S. 95, 97).

Unter Berufung auf Auguste Comtes (1798-1857) zweites Hauptwerk Système de politique positive (Paris 1851-54, 4 Bände) meint Mill, „dass es möglich ist, auch ohne die Unterstützung eines Glaubens an Gott dem Dienst an der Menschheit die geistige Gewalt und die gesellschaftliche Wirksamkeit einer Religion zu verleihen“ (S. 101). Anders ausgedrückt: Mill stellt sich vor, „dieses Gemeinschaftsgefühl würde wie eine Religion gelehrt“ (S. 99). Gegen „das in diesem Buch dargelegte System der Moral und der Politik“ hat Mill allerdings „schwerwiegendste Bedenken“ (S. 101).

Comte vertritt im genannten Werk „eine positivistische Gesellschaftstheorie, die als Grundlage für eine atheistische Religion der Humanität dient. […] Das Werk förderte die Instaurierung der Soziologie als einer selbständigen Wissenschaft, konnte aber aufgrund seines mystischen Humanismus zu keiner dauerhaften philosophischen Wirkung gelangen“ (Joerg Monar, in: LphW 688).

Mill bedauert, daß bei seinen Zeitgenossen das Gemeinschaftsgefühl im Gegensatz zum Egoismus kaum entwickelt ist. Doch schon ein bißchen davon würde das Konkurrenzdenken überwinden, meint er.

Welcherart Beweis sich für das Nützlichkeitsprinzip führen lässt

Die Frage lautet: Welche Kriterien muß der Utilitarismus erfüllen, um seinem „Anspruch zu überzeugen gerecht zu werden?“ Mills Antwort ist einfach: Daß „etwas wünschenswert ist“, kann man nur dadurch beweisen, „dass die Menschen es tatsächlich wünschen“ (S. 105).

Das setzt er in Analogie zu Sinneswahrnehmungen: „Der einzige Beweis dafür, dass ein Gegenstand sichtbar ist, ist, dass man ihn tatsächlich sieht. Der einzige Beweis dafür, dass ein Ton hörbar ist, ist, dass man ihn hört. Und dasselbe gilt für die anderen Quellen unserer Erfahrung“, also auch für unsere Wünsche (S. 105).

Das Streben nach Tugend, Geld, Macht, Ruhm, Musik oder Gesundheit ist für Mill dasselbe wie das Streben nach Glück. Denn sie sind „alle […] im Glück enthalten“ (S. 113). Fazit: „Wenn […] die menschliche Natur so beschaffen ist, dass sie nichts begehrt, was nicht entweder ein Teil des Glücks oder ein Mittel zum Glück ist, dann haben wir keinen anderen und benötigen keinen anderen Beweis dafür, dass dies die einzigen wünschenswerten Dinge sind“ (S. 115, 117).

Ob das so ist, ist eine empirische Frage, „die wie alle Fragen dieser Art von Erfahrungsevidenz abhängt. Sie kann nur durch geübte Selbstwahrnehmung und Selbstbeobachtung, unter Mithilfe der Beobachtung anderer, entschieden werden“ (S. 117). Mill überläßt diese Entscheidung dem Leser.

Über den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Nützlichkeit

Mill betrachtet die Gerechtigkeit „als eine Art oder einen Zweig der allgemeinen Nützlichkeit“ (S. 127).

Das begründet er so: Es gebe viele Auffassungen von Gerechtigkeit. Als „Grundelement bei der Entstehung des Gerechtigkeitsbegriffs“ betrachtet Mill „die Übereinstimmung mit dem Gesetz“ (S. 141). Er sieht keinen Unterschied zwischen der „Pflicht der Gerechtigkeit“ und der „moralischen Pflicht im Allgemeinen“ (S. 145).

Mill gliedert „das Gerechtigkeitsgefühl“ in „zwei wesentliche Bestandteile: den Wunsch nach Bestrafung desjenigen, der ein Unrecht getan hat, und das Wissen oder den Glauben, dass es ein bestimmtes Individuum oder bestimmte Individuen gibt, denen das Unrecht angetan worden ist“ (S. 153).

Den „Wunsch nach Bestrafung“, den Mill mit dem natürlichen „Bedürfnis nach Vergeltung oder Rache“ gleichsetzt (S. 155), betrachtet er als „das spontane Ergebnis […] des Triebs zur Selbstverteidigung und des Gefühls der Sympathie“ (S. 153). Es habe „keinen moralischen Gehalt. Das einzig Moralische an ihm ist, dass es ausschließlich den Gemeinschaftsgefühlen untergeordnet ist und nur durch diese geweckt wird“ (S. 155).

Zusammenfassung: „Der Begriff der Gerechtigkeit setzt zweierlei voraus: eine Verhaltensregel und ein Gefühl als Sanktion der Regel. Das eine, die Regel, muss der ganzen Menschheit gemeinsam sein und ihrem Wohl dienen. Das andere, das Gefühl, ist der Wunsch, dass die, die gegen die Regel verstoßen, bestraft werden. Hinzu kommt die Vorstellung einer bestimmten Person, die unter dem Verstoß leidet oder […] deren Rechte durch den Verstoß verletzt werden“ (S. 159).

Der Vergeltungstrieb „erhält seine Intensität – wie auch sein moralisches Recht – aus der […] Art von Nützlichkeit, die auf dem Spiel steht“, nämlich aus dem „Interesse an Sicherheit“ (S. 161), die unverzichtbar ist. Sie ist „nach dem Nahrungsbedürfnis“ das „unerlässlichste aller Grundbedürfnisse“ (S. 163).

Also: Die Gerechtigkeit ist eine Form der Nützlichkeit, weil sie aus dem Sicherheitsbedürfnis entspringt. Sie ist „der Name für bestimmte moralische Forderungen […], die […] auf der Skala der sozialen Nützlichkeit einen höheren Platz einnehmen […] als alle anderen“ (S. 189, 191). Alle „Fälle von Gerechtigkeit“ sind „auch Fälle von Nützlichkeit“ (S. 191).

Würdigung und Kritik

Ernst von Aster (1932) faßt zusammen: „Man sieht: der eigentliche Sinn aller Bewertung wird in eine Beurteilung der Folgen, nicht der Motive unserer Handlungen (die im Grunde ja immer dieselben sind) gelegt und das eigentliche Ziel, dem auch der Philosoph dienen will, ist die klug zweckmäßige Voraussicht jener Folgen und die Anpassung unseres Tuns an die Gesamtwirkung, die aus ihm resultiert“ (S. 351).

Bertrand Russell (1945) wirft Mill vor, er führe „ein so irriges Argument“ an, „daß man kaum begreifen kann, wie er es für beweiskräftig halten konnte. Er sagt: Lust ist das einzige, was erstrebt wird, daher ist Lust das einzig Erstrebenswerte. Er argumentiert: Nur sichtbare Dinge werden gesehen, nur hörbare gehört, desgleichen werden nur wünschbare Dinge gewünscht. Er bemerkt nicht, daß ein Ding ’sichtbar‘ ist, wenn es gesehen werden kann. Wünschenswert aber ist etwas, wenn es gewünscht werden sollte. Somit ist wünschenswert ein Wort, das eine ethische Theorie voraussetzt; aus dem, was gewünscht wird, können wir nicht folgern, was wünschenswert ist“ (S. 784).

Doch das ist noch nicht alles: „Wenn jeder Mensch tatsächlich und unweigerlich nur die eigene Lust verfolgt, dann ist es sinnlos zu sagen, er sollte etwas anderes tun. […] Wenn jeder Mensch stets die eigene Lust verfolgen muß, dann wird die Moral auf kluge Vorsicht beschränkt: Du wirst gut daran tun, die Interessen anderer zu fördern in der Hoffnung, daß sie dafür ihrerseits die deinen fördern werden“ (S. 784f).

Weiter: „Was ich auch wünschen mag, die Erfüllung meines Wunsches ist mit Lust verbunden […]. So verstanden bedeutet der Satz eine Binsenwahrheit.

Aber wenn damit gesagt werden soll, daß ich mir etwas der Lust wegen wünsche, die es mir vermitteln wird, so trifft das gewöhnlich nicht zu. […] Die wichtigsten Handlungen aller Menschen sind von Wünschen bestimmt, die der Bilanz von Lust und Schmerz vorausgehen“ (S. 785).

„Moralgesetze sind nötig, weil die Wünsche der Menschen nicht übereinstimmen“ (S. 785). „Der moralische Teil der utilitaristischen Lehre, der in keinem logischen Zusammenhang mit dem psychologischen Teil steht, besagt: Gut sind Wünsche und Handlungen, die tatsächlich das allgemeine Glück fördern. Das braucht nicht der Zweck einer Handlung zu sein, wenn es nur ihre Wirkung ist“ (S. 786).

Russell beanstandet außerdem, daß Mills Moral nur in einer Demokratie gelte (was Mill selbst ausdrücklich eingeräumt hat): „Die Demokraten werden sie wahrscheinlich anerkennen; wer aber eine mehr Byronsche Weltanschauung bevorzugt, kann nach meinem Dafürhalten nur durch die Praxis widerlegt werden, nicht durch Erwägungen, die sich nur auf Tatsachen berufen, die sich nicht mit Wünschen decken“ (S. 786).

George Gordon Lord Byron (1788-1824) ist für Russell der „aristokratische Rebell“ (S. 753), der „genug zu essen hat“ und deshalb „andere Gründe haben“ muß, um unzufrieden zu sein, als hungrige Menschen. Für aristokratische Rebellen gilt folgendes: „Vielleicht ist Liebe zur Macht die verborgene Quelle ihrer Unzufriedenheit; in ihren bewußten Gedankengängen jedoch üben sie Kritik am Weltregiment“ (S. 754).

„Wenn Byron sich auch Satan ebenbürtig fühlte, so wagte er es doch nicht ganz, sich selbst Gott gleichzusetzen. Zu diesem nächsten Schritt in der Entwicklung der Überheblichkeit kommt es erst bei Nietzsche“ (S. 756).

Dessen Ethik „unterscheidet sich von der utilitaristischen durch die Überzeugung, daß nur ein kleiner Teil der menschlichen Rasse moralische Bedeutung habe – auf das Glück oder Unglück der übrigen komme es nicht an“ (S. 786).

Bertrand Russell (1959) kritisiert, daß Mill in seiner Philosophie „fast völlig aus zweiter Hand“ lebe. In seinem Essay Utilitarianism gebe es „wenig, was über Bentham hinausgeht. Wie Epikur, der als der erste Utilitarier angesehen werden könnte, schätzt auch Mill letzten Endes bestimmte Lustgefühle höher als andre. Es gelingt ihm aber nicht, genügend zu erklären, was unter qualitativ wertvollerer Lust gegenüber der bloß quantitativ unterschiedlichen Lust gemeint sei“ (S. 360).

Mills „Analogie zwischen dem Sichtbaren und dem Wünschenswerten“ sei „oberflächlich […]. Bereits Hume hat ja nachgewiesen, daß ein ’soll‘ nicht aus einem ‚ist‘ abgeleitet werden kann“ (S. 361).

Trotz aller Einwände könne aber „die utilitaristische Ethik die Quelle tatsächlicher sozialer Anstrengungen sein. Denn was sie als ethische Doktrin verkündet, ist, daß das Gute im größten Glück der Mehrzahl aller Menschen liegt. Diese These kann aufrechterhalten werden, ganz unabhängig davon, ob die Menschen wirklich auch immer so handeln, daß dieses universale Glück gefördert wird. Die Funktion des Gesetzes wäre, dafür zu sorgen, daß das größte Glück auch erreicht wird“ (S. 361f).

Die Schaffung „wirksamer Institutionen, die den Bürgern auch tatsächlich ein gewisses Maß an Glück verschaffen“, sei „wahrhaft“ demokratisch. „Im Gegensatz zu Bentham war Mill ein leidenschaftlicher Verfechter der Freiheit.“ In seiner Abhandlung On Liberty (1859) „verteidigt er vehement die Meinungsfreiheit, schlägt eine Beschneidung des Rechts des Staates zu Eingriffen in das Leben der Bürger vor und bekämpft besonders die Ansprüche des Christentums, Inbegriff alles Guten zu sein“ (S. 362).

„Trotz der Kritik, die das Werk [Utilitarianism] in einigen Punkten erfuhr, gehörte es im 19. Jahrhundert zu den einflußreichsten, allerorten gelesenen moralphilosophischen Schriften“, schreibt Otfried Höffe (1975).

Die „bedeutsamste Veränderung“ gegenüber dem „‚orthodoxen‘ Utilitarismus Benthams […] findet sich in der These vom qualitativen Hedonismus. Mit ihr will Mill dem Einwand begegnen, es gäbe einen besseren und edleren Gegenstand des Strebens als Freude bzw. Glück“ (S. 16). „Problematisch ist jedoch Mills Übernahme des traditionellen dualistischen Schemas ‚körperliche-geistige Freuden‘ und die Bewertung der beiden Arten als niedrigere und höhere“ (S. 17).

Jan Rohls (1991) betrachtet „Mills Ethik als Sozialethik, die nun gerade angesichts der industriellen Revolution für eine soziale Reform eintritt. […] Wohl geht es ihm darum, die Minoritäten vor einer zur Tyrannei entarteten Herrschaft des Mehrheitswillens zu retten. Aber er ist darüber hinaus daran interessiert, die Arbeiterschaft in den politischen und ökonomischen Entscheidungsprozeß zu integrieren. […] Und schließlich plädiert er für eine Reduktion der Arbeit durch Rationalisierung und eine Vermehrung des Reichtums in den Händen aller“ (S. 488).

„Mill propagiert gerade keinen Laissez-faire-Liberalismus, der den Staat als Störenfried aus dem sich selbst regulierenden Markt der kapitalistischen Gesellschaft heraushält. Vielmehr soll der Staat die Arbeitszeit seiner Bürger überwachen, um Ausbeutung und gesundheitliche Schäden zu verhindern“ (S. 488).

„Da aber die Regierung selbst ungerecht sein kann, muß sie für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden können, und das ist am ehesten möglich in einer repräsentativen Demokratie, in der das Volk die Regierung abwählen kann. Bei alledem geht es Mill jedoch um die Verteidigung der individuellen Freiheit gegen jede staatliche Einschränkung und den Terror der öffentlichen Meinung“ (S. 488f).

Zur Weiterentwicklung des Utilitarismus

Thomas Green (1836-1882) hält der Ethik von Bentham und Mill „die Frage entgegen, ob sich denn wirklich Lustfolgen gegeneinander aufrechnen lassen, ob Lust und Lust, Schmerz und Schmerz nicht qualitativ so verschieden sind, daß von einer allgemeinen ‚Lustsumme‘ gar nicht gesprochen werden kann“ (Aster 351).

Henry Sidgwick (1838-1900) „will intuitiv erkannte, unmittelbar einleuchtende moralische Gebote und Wertaxiome annehmen, die sich nicht auf gewohnheitsmäßig gefestigte Erfahrung der ‚Nützlichkeit‘ des Gebotenen und Gewerteten zurückführen lassen“ (Aster 351).

Er plädiert für den „empirischen Hedonismus“ als „wissenschaftliche Methode“, die seiner Meinung nach der „gemeine Menschenverstand“ schon immer „angewandt oder gesucht“ hat „zur Regulierung des Strebens nach dem, was unsere älteren Ethiker ’natürliches Gute‘ nannten, das heißt nach allem, was an sich begehrenswert ist außer Tugend oder Sittlichkeit“ (zit. n. Höffe 84).

Die moralische Intuition muß Sidgwick zufolge „vier Kriterien“ erfüllen: „sie muß selbstevident sein und sich in klarer und präziser Form darstellen lassen; sie darf anderen grundlegenden Wahrheiten nicht widersprechen und muß unter den Fachleuten allgemeine Zustimmung finden“ (Höffe 19).

Außer dem Moralprinzip gibt es nach Sidgwick noch „das Prinzip des rationalen Selbstinteresses“. Wenn Gott „jeden belohnt, der das Moralprinzip befolgt, und jeden straft, der von ihm abweicht“, liegt es „im rationalen Selbstinteresse“, das „Moralprinzip zu befolgen“ (Höffe 19).

George Edward Moore (1873-1958) eröffnet seine „Grundprobleme der Ethik“ (1912) mit einer utilitaristischen Theorie, nicht „weil ich mit ihr einverstanden bin, sondern weil sie mir den Unterschied zwischen einigen der grundsätzlichsten Themen der ethischen Diskussion besonders klar zum Ausdruck zu bringen scheint“ (S. 36).

Er unterscheidet bei dieser Theorie zwei Teile:

  • „In diesem ersten Teil behauptet sie nur, das Hervorbringen eines Maximums an Lust sei eine Eigenschaft, die de facto allen richtigen freiwilligen (wirklichen oder möglichen) Handlungen, und zwar nur den richtigen Handlungen, zukam und zukommen wird“ (S. 38).
  • Der zweite Teil dieser Theorie besteht in der Behauptung, „daß freiwillige Handlungen, wenn sie richtig sind, deshalb richtig sind, weil sie ein Maximum an Lust hervorbringen“ (S. 42). Das bedeutet, „daß eine Handlung, die ein Maximum an Lust hervorgebracht hat, immer richtig sei ohne Rücksicht darauf, wie sich ihre Folgen in anderen Hinsichten im Vergleich mit den Folgen anderer möglicher Alternativen ausnehmen könnten“ (S. 43).

Anschließend bringt Moore Einwände gegen diese Theorie vor. Am Schluß des vorletzten Kapitels kommt er zu dem Ergebnis, „daß eine Handlung dann und nur dann richtig ist, wenn der Handelnde nicht etwas anderes getan haben könnte, das bessere Folgen hervorgebracht haben würde“ (S. 132).

Doch es gibt ein Problem, auf das Moore im Schlußkapitel eingeht: „vollzogene Handlungen haben in dieser Welt so ungeheuer viele indirekte und mittelbare Folgen, die wir nicht aufspüren können, daß man unmöglich mit Gewißheit sagen kann, wie sich die gesamten Folgen zweier Handlungen hinsichtlich ihres Wertes in sich oder hinsichtlich der Menge an Lust, die sie enthalten, miteinander vergleichen lassen“ (S. 139).

Wir sehen: Moore setzt hier den „Wert in sich selber“ gleich mit der „Menge an Lust“. Doch so ist es nicht: „Es scheint jedenfalls ganz klar zu sein, daß der einem Ganzen immanente Wert in sich selber nicht immer der Menge an Lust entspricht, die es enthält.“ Das führt zu der Frage: „Doch wenn wir diese Theorie ablehnen, wodurch […] können wir sie ersetzen?“ (S. 144)

Klar ist nur, „daß es immer Pflicht eines jeden Handelnden ist, das Bessere dem Schlechteren vorzuziehen“. Deshalb sei es „eine der lohnendsten Aufgaben der Ethik“ herauszustellen, „welche Arten von Dingen in sich gut oder schlecht sind, welche besser oder schlechter als andere sind“ (S. 145).

Moore stellt fest, „daß es zwei wichtige Eigenschaften zu geben scheint, die schlechthin allen in sich guten Dingen gemeinsam, jedoch nicht spezifisch zukommen“, nämlich „ein Gefühl als auch eine andere Form von Bewußtsein“, wobei „unter diesen Gefühlen immer ein gewisses Maß an Lust sein muß. Zweitens hat es den Anschein, als müsse jede in sich gute Sache ein komplexes Ganzes sein, das sehr viele verschiedene Bestandteile enthält – als könne etwas so Einfaches wie z. B. Lust allein, so intensiv sie auch sein mag, niemals ein Gut sein“ (S. 145f).

James O. Urmson (1915-2012) gibt Mills „wirkliche Ansicht“ in vier Sätzen wieder:

  • „Eine einzelne Handlung ist als richtig gerechtfertigt, wenn man zeigen kann, daß sie mit einer moralischen Regel übereinstimmt. Sie erweist sich als falsch, wenn man zeigen kann, daß sie eine moralische Regel verletzt.“
  • „Eine moralische Regel erweist sich als korrekt, wenn man zeigen kann, daß die Anerkennung dieser Regel das letzte Ziel befördert“ (zit. n. Höffe 89).
  • „Moralische Regeln können nur im Hinblick auf Angelegenheiten gerechtfertigt werden, in denen das allgemeine Wohlergehen mehr als geringfügig betroffen ist.“
  • „Dort, wo keine moralische Regel anwendbar ist, stellt sich die Frage der Richtigkeit oder Falschheit bestimmter Handlungen nicht, doch kann der Wert der Handlungen auf andere Weise beurteilt werden“ (zit. n. Höffe 90).

Höffe beanstandet an Urmsons Interpretation, „daß Mill den Regelutilitarismus nicht so klar und konsistent vertreten hat, wie es Urmson glaubt; dies schon deshalb nicht, weil er zwischen den beiden Arten des Utilitarismus [dem Handlungs- und Regelutilitarismus] als solchen gar nicht unterschieden hat“ (Höffe 23).

„Urmson beruft sich in seiner Neuinterpretation unter anderem darauf, daß Mill von Handlungstendenzen spricht und daß man von Tendenzen – im Unterschied zum tatsächlichen Resultat – nur dann sinnvoll reden kann, wenn man nicht eine einzelne Handlung, sondern eine Klasse von Handlungen meint“ (Höffe 23).

Höffe überzeugt das „nicht voll“, da Mill mit dem „Ausdruck Tendenz“ nur meinen könnte, „daß jede Handlung in der Regel weder nach ihrem Resultat noch nach dem Wert des Resultates für die Betroffenen mit Sicherheit vorherzubestimmen ist. Dann aber wäre der Ausdruck Tendenz auch auf eine einzelne Handlung und nicht notwendig auf eine Klasse von Handlungen zu beziehen“ (Höffe 23).

Jedenfalls will Urmson nicht sagen, „Mill habe eine schlechthin korrekte Darstellung dieser Probleme gegeben, die gegen jegliche Kritik gefeit ist; ich habe lediglich den Versuch unternommen, eine wohlwollende Darstellung ohne zustimmende oder ablehnende Kritik zu liefern. Allerdings behaupte ich, daß die gängigen Interpretationen von Mills ‚Utilitarismus‘ so wenig wohlwollend und so ungenau sind, daß die meisten Kritiken, die tatsächlich auf ihnen basieren, unwesentlich und wertlos sind“ (zit. n. Höffe 95).

John Rawls (1921-2002) „dagegen interessiert sich gerade für die Notwendigkeit der Unterscheidung und die Richtigkeit des Regelutilitarismus. Anhand von zwei Beispielen, die häufig gegen den Utilitarismus ins Feld geführt werden, anhand der Institution der staatlichen Kriminalstrafe und der Verpflichtung, Versprechen zu halten, erläutert er die Bedeutung der genannten Unterscheidung, um dann einen Regelutilitarismus zu begründen, der gegen viele der traditionellen Einwände gefeit ist“ (Höffe 24).

Der von Höffe (Höffe 24f) ausführlich zusammengefaßte Vortrag von Rawls vom 30.4.1954 (in: Höffe 96-120) stellt nur ein Durchgangsstadium seines Philosophierens dar. In „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ (1971) hat Rawls „eine Alternative zum utilitaristischen Denken im allgemeinen und damit zu allen seinen Schattierungen“ ausgearbeitet (S. 40).

John J. C. Smart (1920-2012) unterscheidet zwischen extremem und eingeschränktem Utilitarismus. Der extreme Utilitarist bricht eine Regel, wenn der Regelbruch mehr Gutes bewirkt als die Einhaltung der Regel. Der eingeschränkte Utilitarist überlegt lediglich, ob eine bestimmte Handlung „unter eine bestimmte Regel fällt oder nicht.“ Er überprüft nicht die „Richtigkeit einer Handlung“ durch Abschätzung ihrer Konsequenzen (zit. n. Höffe 122).

Bemerkenswert an seinen Ausführungen über den Bruch eines Versprechens oder eines Verbots ist sein Hinweis auf die Wirkung, die dieser Bruch auf den jeweils Handelnden hat:

  • „Ohne Zweifel wird mein Charakter als der eines Menschen, der seiner Gewohnheit nach Versprechen einhält, Einbuße erleiden, und überdies wird es in mir zu seelischen Spannungen kommen, wenn man mich fragt, was ich jenem Mann versprechen mußte“ (zit. n. Höffe 128).
  • „Hier wird es in mir zu seelischen Spannungen kommen. Mein geheimes Wissen von meinem Bruch der Regel wird es mir schwer machen, andere zu ihrer Einhaltung anzuhalten. Diese psychologisch nachteiligen Wirkungen in mir brauchen nicht unbeträchtlich zu sein: Direkt und indirekt können sie einen Schaden bewirken, der zumindest rangmäßig dem Glück gleichkommt“, das der Regelbruch bewirkt hat (zit. n. Höffe 129).

Richard B. Brandt (1910-1997) vertritt „die Theorie des ‚idealen Moralkodex'“. Ein Moralkodex ist „‚ideal‘ […], wenn seine Geltung in einer bestimmten Gesellschaft mindestens ebensoviel Gutes pro Person (das gesamte Gute geteilt durch die Anzahl der Personen) hervorbringen würde wie die Geltung irgendeines anderen Moralkodex“ (zit. n. Höffe 142).

Die „Theorie des idealen Moralkodex“ besteht „in der Behauptung der folgenden These: Eine Handlung ist dann und nur dann richtig, wenn sie nicht von dem für die Gesellschaft idealen Moralkodex verboten würde; und ein Handelnder ist für eine Handlung moralisch zu tadeln (zu loben), wenn und in dem Ausmaß, in dem der für diese Gesellschaft ideale Moralkodex ihn dafür verurteilen (loben) würde“ (zit. n. Höffe 142).

Brandt meint, seine Theorie sei „der von J. S. Mill in ‚Utlitarismus‘ vertretenen Ansicht sehr ähnlich“ (zit. n. Höffe 152), doch „ein optimaler Moralkodex“ enthalte keine „utilitaristische Regel“ (zit. n. Höffe 153).

Er schreibt: „Es ist jedenfalls zweifelhaft, ob der beste Moralkodex viele Dinge sehr streng verbieten soll, denn strenge Verbote wirken sich ernsthaft auf Kosten des Menschen aus: durch die Last von Schuldgefühlen, durch die Traumata, deren Ursache die strenge Kritik anderer ist, die Teil der einem Kodex innewohnenden starken Verfügungsgewalt ist, sowie durch die Risiken, die mit jedem Lernprozeß verbunden sind, der zur Internalisierung von strengen Verboten führt usf.“ (zit. n. Höffe 149).

David Lyons (geb. 1935) ist der Ansicht, „daß das Fairneß-Prinzip auf Überlegungen beruht, die elementarer sind als die utilitaristischen. Die Fairneß-Problematik hat es mit dem fundamentalen Gegensatz von sozialem zu unsozialem Verhalten zu tun; fair sein heißt, sich als verantwortliches Mitglied einer Sozietät, heißt, sich überhaupt als soziales Wesen zu verhalten“ (Höffe 30).

Peter Singer (geb. 1946) neigt in seiner „Praktischen Ethik“ (1979) „zu einer utilitaristischen Position, und bis zu einem gewissen Grade kann man das Buch für einen Versuch halten nachzuweisen, wie ein konsequenter Utilitarismus eine Reihe umstrittener Probleme behandeln würde. Aber ich werde den Utilitarismus nicht als die einzige erwägenswerte ethische Position betrachten. […] Auf diese Weise werden die Leser in der Lage sein, zu ihren eigenen Schlußfolgerungen zu gelangen im Hinblick auf die relativen Vorzüge der utilitaristischen und nicht-utilitaristischen Ansätze sowie hinsichtlich der Bedeutung von argumentierender Vernunft im Bereich der Ethik“ (S. 25).

Im Nachwort zu dem Buch stellt Jean-Claude Wolf fest, daß Singer den Utilitarismus verfeinert und erweitert. In seinem Aufsatz Is Act-Utilitarianism Self-Defeating? (1972) habe er sich „noch zum Handlungs-Utilitarismus bekannt“, der „alle Handlungen nach ihren Konsequenzen“ beurteile (S. 321).

„Unter dem Einfluß des Oxford-Philosophen Richard Mervyn Hare stützt er sich nun auf eine Position, die man als Zwei-Stufen-Theorie und als Präferenz-Utilitarismus bezeichnen kann.“ Auf der „Stufe des kritischen […] moralischen Denkens […] werden […] Probleme der kritischen Rechtfertigung“, auf der „Stufe des intuitiven moralischen Denkens“ werden „Probleme der Motivation behandelt“ (S. 321f).

Fazit

Otfried Höffe (1975) kritisiert den Utilitarismus grundsätzlich: Er sei, „selbst im Rahmen einer normativen Ethik, keine zureichende moralphilosophische Position. […] Handlungen wie Selbstmord, Lügen oder auch das Brechen von Versprechen können nicht allein unter dem Aspekt des kollektiven Wohlergehens, sondern auch unter dem der persönlichen Vollkommenheit auf ihre sittliche Richtigkeit hin untersucht werden, ohne daß man sich mit solchen Untersuchungen von vornherein in einen Widerspruch mit den durchschnittlichen sittlichen Überzeugungen stellt. […] Glücklich wird man im eigenen Vollzug des Lebens. Die Regeln eines Moralkodex und auch die von sozialen und politischen Institutionen können nicht das Glück selbst, sondern allenfalls seine limitierenden Bedingungen und Voraussetzungen sicherstellen“ (Höffe 30f).

© Gunthard Rudolf Heller, 2023

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Gunthard Heller