Johann Gottlieb Fichtes Religionsphilosophie

Johann Gottlieb Fichte arbeitete zwar keine systematische Religionsphilosophie aus, sorgte aber mit einigen kühnen Thesen über Religion, die Existenz Gottes etc. für reichlich Gesprächsstoff in seiner Zeit. Hier können Sie sich einen Überblick verschaffen, welche Meinungen Fichte zum Thema Religionsphilosophie vertrat.

Johann Gottlieb Fichte ReligionsphilosophieJohann Gottlieb Fichte (1762-1814) schrieb am 8. Juni 1790 an seine Geliebte und zukünftige Frau Johanna Rahn: "Verketzert werde ich immer werden, wäre es auch nur wegen meiner ketzerischen Nase; das ist nun einmal gewiß: und ein Procentchen auf und ab, thut immer nicht viel. Wie ich denke, weiß ich wohl; ich bin weder Lutheraner noch Reformirter, sondern Christ; und wenn ich zu wählen habe, so ist mir, da doch einmal eine Christengemeine nirgends existirt, diejenige Gemeine die liebste, wo man am freisten denkt und am tolerantesten lebt, und das ist die lutherische nicht, wie mir’s scheint" (Döring 34).

In seinem Brief vom 1. August 1790 an dieselbe Adressatin sprach er sich "für die reformierte Partei" aus, "weil sie […] in ihrer gegenwärtigen Gestalt der wahren christlichen Religion am nächsten kommt." Aber er fürchtete, daß die Intoleranz der Lutheraner "auch die Reformirten überhaupt anstecke." Denn "ein bornirter Reformierter muß ebenso intolerant sein als ein bornirter Lutheraner" (Döring 36).

Als "Reformierte" werden die "Anhänger der Kirchen oder Glaubensgemeinschaften" bezeichnet, "die auf die Reformation Zwinglis oder Calvins zurückgehen." Sie zeichnen sich dadurch aus, daß es (mit Ausnahme einiger osteuropäischer Kirchen) kein Bischofsamt gibt: "Eine Führergewalt gibt es in der Kirche nicht […]. Keine Gemeinde darf über eine andere herrschen. […] Gegen gottwidrige Tyrannei entwickelte die reformierte Theologie das geregelte Widerstandsrecht, sogar die Widerstandspflicht" (MEL 19/704f).


Wegen seiner "Beiträge zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution" und seiner "Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten" (beide 1793) galt Fichte als Freiheitsführer. "Die Reaktionären aber stempelten ihn ab mit dem damals noch recht peinlich klingenden Namen eines Demokraten" (Woldemar Oskar Döring, S. 92).


In Leipzig ging Fichte kaum in die Kirche. Das begründete er in einem Brief an Johanna so: "Pflicht gegen andere legt es mir in einer Lage, in der kein Mensch meine Existenz bemerkt, nicht auf, und die Pflicht gegen mich selbst räth es mir eher ab. […] Das Predigtwesen ist hier, was kein Mensch glauben sollte, der nicht Zeuge davon ist, schlecht bestellt. Aber den Sonntag der Selbstprüfung und Andacht zu widmen ist mir heilige Pflicht, die ich nie unterlasse" (27.12.1790, Döring 54).

Er glaubte an die göttliche Vorsehung, von der er sich abhängig fühlte, der er sich unterwarf und der er folgte. Wenn etwas nicht klappte, dachte er, Gott habe etwas anderes mit ihm vor oder wolle seine Kräfte stärken. Er war sich sicher, daß Gott für die Menschen sorgt und niemand im Stich läßt, der ehrlich ist. Als hauptsächliches Lebensziel betrachtete er die Ausbildung seines Charakters. Den Sinn des Lebens sah er nicht darin, glückselig zu werden, sondern sich des Glückes würdig zu machen. So bereitete er sich auf den Predigerberuf vor und sorgte sich nicht darum, ob er für ihn bestimmt war oder nicht. Als Alternative sah er die Universitätslaufbahn.


Seine mächtige Einbildungskraft zähmte Fichte mit dem Studium der Philosophie Kants. Er betrachtete dessen Spekulationen zwar als folgenlos für das praktische Leben, doch er schätzte Kants Moralphilosophie. Die Wahrheit zu sagen, galt ihm als erste Liebespflicht. Er dachte, daß jemand, der dem Liebespartner seine Unpäßlichkeit verschweige, der Liebe Unrecht zufüge. Wer schwach sei, werde leicht schlecht.


In der folgenden Passage aus seinem Brief an Johanna vom 6. Dezember 1790 faßte Fichte sein Verhältnis zur geistigen Welt und zum Jenseits, das er sich reich an Einsichten und Liebe vorstellte, zusammen:


"Unser Verstand ist so eben hinlänglich für die Geschäfte, die wir auf der Erde zu betreiben haben; mit der Geisterwelt kommen wir nur durch unser Gewissen in Verbindung. Zu einer Wohnung der Gottheit ist er [der Verstand] zu enge; für diese [die Gottheit] ist nur unser Herz ein würdiges Haus. Das sicherste Mittel, sich von einem Leben nach dem Tode zu überzeugen, ist das, sein gegenwärtiges [Leben] so zu führen, daß man es [ein Leben nach dem Tod] wünschen darf. Wer es fühlt, daß, wenn ein Gott ist, er gnädig auf ihn herabschauen müsse, den rühren keine Gründe gegen sein Dasein, und er bedarf keiner dafür. Wer so viel für die Tugend aufgeopfert hat, daß er Entschädigungen in einem künftigen Leben zu erwarten hat, der beweist sich nicht und glaubt nicht die Existenz eines solchen Lebens; er fühlt sie" (S. 52).

1. Aphorismen über Religion und Deismus (1790)

Die kleine Schrift ist in 18 Abschnitte gegliedert. Fichte kritisiert am Christentum, daß dessen Grunddogmen nicht hinterfragt werden. Gottes objektives Dasein, Jesu objektives Wesen, Freiheit, die Anrechnung von Jesu Gerechtigkeit (Imputation) und die Sündhaftigkeit des Menschen (Schuld, Strafe) würden innerhalb des Christentums nicht untersucht. Wer es versuche, gerate "in unendliche Schwierigkeiten und Widersprüche." Da das Christentum mehr das Herz als den Verstand anspreche, scheine es "eine Religion guter und simpler Seelen" zu sein (V 5).


Fichte beantwortet die offenen Fragen durch eigenes Nachdenken. Sein Ergebnis: Ein "ewiges Wesen" hat die Welt erschaffen und ist Ursache aller Veränderungen. Die Sünde resultiert aus der Beschränkung "endlicher Wesen" (V 7).

2. Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792, 21793)

Die Lektüre der "Kritik der praktischen Vernunft" krempelte Fichte völlig um: "Sätze, von denen ich glaubte, sie seien unumstößlich, sind mir umgestoßen; Dinge, von denen ich glaubte, sie könnten mir nie bewiesen werden, z. B. der Begriff einer absoluten Freiheit, der Pflicht u. s. w., sind mir bewiesen, und ich fühle mich darüber nur um so froher. Es ist unbegreiflich, welche Achtung für die Menschheit, welche Kraft uns dieses System gibt!" (1791, Döring 60)


Von seinem ersten Besuch bei Kant am 4. Juli 1791 war Fichte frustriert. Da er kein Empfehlungsschreiben hatte, schrieb er selber eines: "eine ‚Kritik aller Offenbarung’" (Tagebucheintrag, Döring 70). Er schickte die Schrift an Kant und wartete, bis dieser sie gelesen haben konnte. Dann suchte er ihn wieder auf. Diesmal war Kant gütig zu ihm "und schien sehr wohl mit der Abhandlung zufrieden" (Tagebucheintrag, Döring 72).


Im Anschluß an den Besuch überarbeitete Fichte seine Schrift. Wegen Geldsorgen bat er Kant um ein Darlehen. Kant vertröstete ihn zuerst und schlug dann vor, sein Manuskript einem Buchhändler zu verkaufen. Außerdem empfahl er Fichte als Hauslehrer. Das Darlehen verweigerte er.


Der "Versuch einer Kritik aller Offenbarung" erschien 1792 anonym und wurde von Philosophieinteressenten für ein Werk von Kant gehalten. Kant korrigierte diesen Irrtum in der "Allgemeinen Literaturzeitung" und gratulierte Fichte brieflich zu seinem Erfolg. Die von Fichte gewünschte Beurteilung der Schrift lehnte Kant mit der Begründung ab, er habe sie nur teilweise gelesen. Für die vollständige Lektüre habe er "bisjetzt weder die Zeit noch die Disposition, die einige Wochen her meinen Kopfarbeiten nicht günstig ist, […] gewinnen können" (12.5.1793, Döring 83). Fichte war trotzdem hocherfreut über Kants gütiges Wohlwollen.


Im folgenden fasse ich den Inhalt der Schrift zusammen. Wer sie nicht ganz lesen will, kann sich auf die Lektüre des § 15 beschränken, in dem Fichte eine Übersicht gibt. Die zweite, erweiterte und korrigierte Auflage (1793) widmete er dem Ober-Hof-Prediger Dr. Franz Volkmar Reinhard.

§ 1. Einleitung. Fichte will "aus Principien a priori […] der praktischen Vernunft" "den Begriff der Offenbarung" untersuchen: Woher kommt er? Was sind "seine Anmaassungen und Befugnisse"? Wie ist er zu beurteilen? (V 15)

§ 2. Theorie des Willens, als Vorbereitung einer Deduction der Religion überhaupt. Fichte unterscheidet äußeren und inneren Sinn. Die Urteilskraft ordnet unsere Sinneswahrnehmungen, der Verstand gibt die Regeln dafür. Das Begehrungsvermögen als Bewußtseinstatsache ist der Garant dafür, daß es einen Willen gibt. Das obere Begehrungsvermögen gibt sich das Objekt selbst, dem niederen Begehrungsvermögen ist das Objekt gegeben.

Das Gefühl der Selbstachtung deutet auf den Zusammenhang des Menschen "mit einer höheren Welt" hin (V 29). Daß die Nichtbefriedigung des sinnlichen Triebs, der nur auf Erscheinungen gerichtet ist, uns zufriedener macht als seine Befriedigung, "deutet auf unseren höheren Ursprung, und auf unsere geistige Abkunft – ist ein göttlicher Funke in uns" (V 30).

Der sinnliche Trieb steht dem sittlichen Trieb gegenüber, der uns frei macht. "Die Vernunft giebt sich selbst, unabhängig von irgend etwas ausser ihr, durch absolut eigene Spontaneität, ein Gesetz; das ist der einzig richtige Begriff der transscendentalen Freiheit […]. Diese transcendentale Freiheit […] ist jedem moralischen Wesen, folglich auch dem Unendlichen beizulegen" (V 32).

Reines Wollen bringt Vorstellung und Bestimmung "durch absolute Selbstthätigkeit" hervor. Unreines Wollen bringt nur eines von beiden hervor. Endliche Wesen haben kein reines Wollen, nur ein reines Begehrungsvermögen, das "unsere geistige Natur offenbart" (V 33f). "Nemlich der Glückseligkeitstrieb wird vors erste durch das Sittengesetz nach Regeln eingeschränkt; ich darf nicht alles wollen, wozu dieser Trieb mich bestimmen könnte" (V 34). "Aus dieser Gesetzlichkeit des Triebes entsteht der Begriff der Glückswürdigkeit" (V 37).

Anmerkung: Mir erscheint Fichtes Gedankengang wegen der Vermengung von Anthropologie (Psychologie), Erkenntnistheorie und Moralphilosophie etwas wirr. Sein Anspruch ist hoch: Er will nicht nur "unbemerkte Schwierigkeiten einer Offenbarungskritik […] heben", sondern auch "einige Dunkelheiten in der kritischen Philosophie überhaupt" aufklären (V 32). Dabei geht er mit Kant relativ frei um: "Der verehrt Kanten noch wenig, der es nicht am ganzen Umrisse und Vortrage seiner Schriften gemerkt hat, dass er uns nicht seinen Buchstaben, sondern seinen Geist mittheilen wollte; und er verdankt ihm noch weniger" (V 34).

Doch der große Bogen ist wohl folgender: Aus der Befriedigung, die wir aus der Beschränkung unseres Glücksstrebens ziehen, leitet Fichte die geistige Natur des Menschen, aus unserer Selbstachtung unsere Verbindung zur geistigen Welt ab.

Walter Schweidler faßt Fichtes Werk so zusammen: "Die apriorische Ableitung des Begriffs der Offenbarung erfolgt im Spannungsfeld zwischen dem sittlich aufgegebenen Zweck moralischer Vollkommenheit unseres Handelns und dem Streben nach höchster Glückseligkeit. Nur Gott vermag die Spannung aufzulösen und die Überwindung des Widerspruchs zu gewährleisten, indem er Wirkungen in der Sinnenwelt hervorbringt, mittels welcher er sich als moralischer Gesetzgeber ankündigt. Offenbarung erweitert also nicht unser theoretisches Wissen, sondern dient dem moralischen Bedürfnis, die Schwierigkeiten beim Erreichen vollkommener Sittlichkeit zu überwinden" (LphW 770).

§ 3. Deduction der Religion überhaupt. Das Sittengesetz kann nur über die Natur herrschen, wenn es Gott gibt. Er ist heilig, selig, allmächtig, gerecht, allwissend und ewig. Das muß man notwendig annehmen, "wenn die Vernunft gesetzgebend seyn soll. Ein solches Annehmen nun, zu dem die Möglichkeit der Anerkennung eines Gesetzes überhaupt uns nöthigt, nennen wir ein Glauben" (V 41).

Aus dieser Theologie wird dadurch Religion, daß "sie allein, durch Aufhebung des Widerspruches zwischen unserer theoretischen und unserer praktischen Vernunft, eine fortgesetzte Causalität des Moralgesetzes in uns möglich macht" (V 48f). Anders formuliert: Die "heilige Ehrfurcht vor Gott […] bestimmt […] unseren empirisch-bestimmbaren Willen", "das Recht […] wirklich in uns anhaltend und fortgesetzt hervorzubringen" (V 50f).

Das führt Fichte zu zwei Fragen:

1. "Giebt es eine Verbindlichkeit, dem Willen Gottes, als solchem, zu gehorchen, und worauf könnte sich dieselbe gründen?" (V 52) Antwort: Wer der Vernunft gehorcht, gehorcht Gott. "Die Bestimmung des Willens, dem Gesetze Gottes überhaupt zu gehorchen, kann nur durch das Gesetz der praktischen Vernunft geschehen, und ist als bleibender und dauernder Entschluss des Gemüths vorauszusetzen" (V 54). Wer die Vernunft nicht achtet, mißachtet sich selbst.

2. "Wie erkennen wir das Gesetz der Vernunft in uns als Gesetz Gottes?" (V 52) Mit anderen Worten: "Finden wir irgend einen Grund, Gott als die Ursache der Existenz des Moralgesetzes in uns anzusehen?" (V 58) Die Antwort auf diese Fragen steht erst in …

§ 4. Eintheilung der Religion überhaupt, in die natürliche und geoffenbarte. Sie lautet: Die Ordnung und Zweckmäßigkeit der Sinnenwelt zeigt uns, daß sie "nach Begriffen eines vernünftigen Wesens" entstanden ist. "Dieses Wesen ist Gott" (V 60). "Da nun Gott der Urheber dieser Einrichtung ["der sinnlichen Natur endlicher Wesen"] ist, so ist die Ankündigung des Moralgesetzes in uns durch das Selbstbewusstseyn, zu betrachten als Seine Ankündigung, und der Endzweck, den uns dasselbe aufstellt, als Sein Endzweck, den er bei unserer Hervorbringung hatte" (V 61). "Diese Ankündigung Gottes selbst geschieht nun durch das Uebernatürliche in uns" (V 62). Das nennt Fichte "Naturreligion". Außerdem zeigt sich Gott durch das Übernatürliche außerhalb von uns. Das nennt Fichte "geoffenbarte Religion" (V 63).

§ 5. Formale Erörterung des Offenbarungsbegriffes, als Vorbereitung einer materialen Erörterung desselben. Fichte charakterisiert die Offenbarung als "eine Art von Bekanntmachung" (V 65) und definiert sie anschließend zuerst als "eine Wahrnehmung, die von Gott, gemäss dem Begriffe irgend einer dadurch zu gebenden Belehrung (was auch immer ihr Stoff seyn möge), als Zwecke derselben, in uns bewirkt wird" (V 70f). Am Ende dieses Paragraphen grenzt er den Stoff ein: Er müsse "religiösen Inhalts seyn" (V 75).

Man kann die Offenbarung an folgendem Merkmal erkennen: Die entsprechende Wahrnehmung "muss nach physischen Gesetzen nicht erklärbar seyn" (V 72f). Beweisen lasse es sich nicht, daß es sich um eine Offenbarung handle. Man könne nur auf sie schließen, meint Fichte und setzt dabei (unausgesprochen) voraus, daß man den Offenbarenden (unendlicher Geist, Dämon, Zauberer, Gespenst, Kobold) nicht sehen kann.

§ 6. Materiale Erörterung des Offenbarungsbegriffs. Da sich alle "religiösen Begriffe […] nur a priori von den Postulaten der praktischen Vernunft ableiten" lassen, hat man den Offenbarungsbegriff "im Felde der reinen praktischen Vernunft aufzusuchen" (V 75). "Es muss also gezeigt werden, dass dieser Begriff vernunftmässig nur a priori möglich sey" (V 76).

§ 7. Deduction des Begriffs der Offenbarung aus Principien der reinen Vernunft a priori. Natur- und Sittengesetz widersprechen einander. "Wenn endliche moralische Wesen […] nicht gänzlich unfähig werden" sollen, "so muss ihre sinnliche Natur selbst durch sinnliche Antriebe bestimmt werden, sich durch das Moralgesetz bestimmen zu lassen" (V 79). "Der einzige rein moralische Antrieb ist die innere Heiligkeit des Rechts. Diese ist […] in Gott in concreto (folglich der Sinnlichkeit zugänglich) […] dargestellt worden" (V 80). Nur er kann die innere Heiligkeit des Rechts auf sinnlichem Weg dem Menschen zukommen lassen. "Der deducirte Begriff ist wirklich der Begriff der Offenbarung, d. i. der Begriff von einer durch die Causalität Gottes in der Sinnenwelt bewirkten Erscheinung, wodurch er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt" (V 81).

§ 8. Von der Möglichkeit des im Begriffe der Offenbarung vorausgesetzten empirischen Datums. Gott ist der stärkste Antrieb zur Moral. "In ihm erblicken wir die Uebereinstimmung mit dem Gesetze nicht mehr bloss als etwas, das seyn soll, sondern als etwas, das ist; in ihm erblicken wir die Nothwendigkeit, so zu seyn, dargestellt" (V 88). Die Neigung ist gegen Gott, da er sie beschränkt. Umso mehr wird die Vernunft ihn beweisen wollen.

Wenn Menschen und Völker möglich sind, die so amoralisch sind, daß Hopfen und Malz verloren sind, wenn man ihnen einen Pflichtbegriff beibringen will, kann man zeigen, daß eine Offenbarung notwendig ist. Da es laut Fichte solche Menschen und Völker gibt, ist die Offenbarung notwendig.

Von Gott als Schöpfer kann man auf ihn als Geber der Moral schließen. Vom "Begriff eines moralischen Endzwecks der Welt" kann man auf die Notwendigkeit der Offenbarung schließen (V 93). Da Gott heilig ist, muß man ihm gehorchen (vgl. Lev 19,2).

Einwand: Wer ein sittliches Bedürfnis in sich trägt, braucht keine Offenbarung. Ist es nicht vorhanden, ist auch keine Offenbarung möglich. Auflösung: "Ein vernünftiges Aufnehmen einer gegebenen Offenbarung, als göttlich, ist nur aus Gründen a priori möglich, aber a posteriori können, und müssen in gewissen Fällen, Gelegenheitsursachen gegeben werden, um diese Gründe zu entwickeln" (V 101).

§ 9. Von der physischen Möglichkeit einer Offenbarung. Kann Übernatürliches überhaupt innerhalb der Natur wirken? Fichtes Antwort: Ja, denn in jedem Menschen ist das obere Begehrungsvermögen übernatürlich. "Die ganze Welt ist für uns übernatürliche Wirkung Gottes" (V 109). Gott vereinigt in sich Natur- und Moralgesetz. "Ihm ist also nichts natürlich, und nichts übernatürlich, nichts nothwendig, und nichts zufällig, nichts möglich, und nichts wirklich" (V 108f). Er steht über diesen Gegensätzen.

§ 10. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung ihrer Form nach. "Da der Begriff einer Offenbarung a priori möglich ist, so ist es dieser Begriff selbst, an den wir eine a posteriori gegebene Offenbarung halten müssen, d. i. von diesem Begriffe müssen sich die Kriterien ihrer Göttlichkeit ableiten lassen" (V 112).

Fichte nennt folgende "Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Rücksicht auf ihre äussere Form" (V 115): Eine Offenbarung, von der man zeigen kann, daß bei ihrem Auftreten ein Verlangen nach ihr da war, ist von Gott. Eine Offenbarung mit unmoralischen Inhalten ist nicht von Gott. Dasselbe gilt für einen Gesandten, der unmoralische Mittel einsetzt, z.B. den Betrug. Er ist nicht von Gott. Denn jeder Betrug kann entdeckt werden. Das diskreditiert entweder die Offenbarung oder erlaubt den Betrug, was jeder Moralität und Religion widerspricht. Eine Offenbarung, die den Menschen nicht frei läßt, sondern zwingt, ist nicht von Gott.

Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Rücksicht auf ihre innere Form: Nur eine Offenbarung, die auf Gott als moralischem Gesetzgeber basiert, ist von Gott. Nur eine Offenbarung, die uns Gott verehren und achten lehrt, ist von Gott. "Jede Offenbarung also, die uns durch andere Motive, z. B. durch angedrohte Strafen, oder versprochene Belohnungen, zum Gehorsam bewegen will, kann nicht von Gott seyn, denn dergleichen Motive widersprechen der reinen Moralität" (V 115).

§ 11. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht ihres möglichen Inhalts (materiae revelationis). "Das Wesentliche der Offenbarung überhaupt ist Ankündigung Gottes als moralischen Gesetzgebers, durch eine übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt. […] Wird uns aber ausser diesem noch mehr gesagt, so ist dies der Inhalt der Offenbarung" (V 116). Ein solcher Inhalt kann nur "ein Moralgesetz, und die Postulate desselben" sein (V 122).

§ 12. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht der möglichen Darstellung dieses Inhalts. – Eine Offenbarung kann ihre Moral in Form von Erzählungen geben.- Sie "hat die Vernunftideen, Freiheit, Gott, Unsterblichkeit darzustellen." 1. Da jeder sich frei fühlt und die Freiheit Voraussetzung für die "Möglichkeit aller Religion und aller Offenbarung" ist, ist die "Darstellung dieser Idee für die sinnlich bedingte Vernunft […] kein Geschäft für eine Offenbarung" (V 132). 2. Nur wenn sie "einen anthropomorphosirten Gott nicht als objectiv, sondern bloss für subjectiv gültig giebt", ist kann sie "göttlichen Ursprungs" sein (V 136). 3. Da der "Begriff der Unsterblichkeit der Seele" auf einer Abstraktion beruht, ist in der Offenbarung von Wiederauferstehung und Jüngstem Gericht die Rede. "Aber sie darf diese Bilder nicht als objective Wahrheiten aufstellen" (V 136f), sondern "nur als subjectiv […] gültig" geben (V 138).- "Mit theoretischen Beweisen hat eine Offenbarung es überhaupt nicht zu thun, und sobald sie sich auf diese einlässt, ist sie nicht mehr Religion, sondern Physik" (V 138).

§ 13. Systematische Ordnung dieser Kriterien. Fichte wendet vier Kategorien aus Kants Kategorientafel auf den Begriff der Offenbarung an (Qualität, subjektive Quantität, Relation, Modalität).

§ 14. Von der Möglichkeit, eine gegebene Erscheinung für göttliche Offenbarung aufzunehmen. Die Anwendung von Fichtes Kriterien ermöglicht nur die Feststellung, "dass irgend etwas eine Offenbarung seyn könne" (V 146), nicht, ob es sich tatsächlich um eine Offenbarung handelt. Darüber hinaus meint Fichte dargetan zu haben, daß man niemals beweisen könne, ob etwas eine Offenbarung sei. Nur Gott wisse darüber Bescheid, und wenn er uns Auskunft geben würde, wäre das wiederum selbst eine Offenbarung.

Fichte vertritt den dogmatischen Standpunkt, daß "die Existenz Gottes […] nie Gegenstand der Erfahrung werden" könne (V 153) – obwohl ihn da alle Mystiker und Propheten Lügen strafen.

Das Ergebnis von Fichtes Untersuchung geht nicht über das hinaus, was in der Bibel steht, sondern bleibt weit dahinter zurück. Unter dem Strich bleibt die Unterscheidung von Gut (kommt von Gott) und Böse (ist Teufelswerk) übrig. Die Anwendung von Kants Philosophie auf das Thema ist nutz- und sinnlos – das gilt auch für die Anwendung der vier oben genannten Kategorien Kants auf den Begriff des Glaubens in diesem Paragraphen.

Fichte selbst gibt sich bescheiden: Er habe nur die "Einsicht in die völlige Möglichkeit einer Offenbarung sowohl überhaupt, als insbesondere durch eine bestimmt gegebene Erscheinung" aufgezeigt (V 151) – das wußten wir schon immer. Nur verschrobene Materialisten und fanatische Atheisten können sich einreden, daß bestimmte Gedanken und innere Bilder lediglich ein Produkt ihrer eigenen Phantasie seien, obwohl sie selbst nie auf die Idee kämen, dergleichen zu denken oder sich vorzustellen.

Den Pessimismus Fichtes inbezug auf die Unmöglichkeit einer Beweisführung teile ich nicht. Was wir im Hinblick auf die physische Welt unter Beweis verstehen, läßt sich ohne weiteres auf das Übersinnliche übertragen. In der physischen Welt verlassen wir uns auf unsere sinnlichen Wahrnehmungen und versuchen, sie angemessen zu denken. Dasselbe ist inbezug auf innere Wahrnehmungen möglich. Die Konsensbildung hinsichtlich der physischen Welt ist ebenso hinsichtlich der geistigen Welt möglich – vorausgesetzt, es gibt eines Tages einen offenen, unbefangenen, ehrlichen Austausch über innere Wahrnehmungen.

Daß das bisher nicht möglich ist, ist an sich das stärkste Indiz dafür, daß es in der geistige Welt eine Fraktion gibt, die diesen Austausch verhindern will. Die Methoden sind mannigfaltig: Der atheistische oder materialistische Standpunkt wird verabsolutiert (obwohl es keinerlei vernünftigen Grund dafür gibt). Die Mitteilung innerer Wahrnehmungen wird pathologisiert. Menschen, die offen über ihre inneren Wahrnehmungen reden, werden diskriminiert und verleumdet. Kurz: Intellektuelle und sittliche Unredlichkeit sind die Haupthindernisse beim Fortschritt einer wissenschaftlichen Untersuchung der geistigen Welt. Doch diese Hindernisse lassen sich überwinden von Menschen, die guten Willens sind.

§ 15. Allgemeine Uebersicht dieser Kritik. In Stichworten: Begriffsbestimmung – Feststellung der Zuständigkeit der praktischen Vernunft für die Untersuchung – Ergebnis: Die Anwendung des Begriffs der Offenbarung auf eine vorliegende Erfahrung ist nicht "immer nur willkürlich", sondern kann unter bestimmten Voraussetzungen "vernunftmässig" sein (V 161).

Schlussanmerkung. Fichte kann "nicht mehr hoffen durch Hülfe einer Offenbarung in das Reich des Uebersinnlichen einzudringen, und von da, wer weiss welche Ausbeute zurückzubringen", er kann aber auch nicht "weiter hoffen andere zu unterjochen", d.h. seine religiösen Offenbarungen zu glauben. Stattdessen müsse sich jeder einzelne auf seine "eigenen Geschäfte einschränken" (V 166).

Er bittet "jeden, sich vor seinem Gewissen die Frage zu beantworten, zu welcher Absicht er eigentlich eine Religion haben wolle; ob dazu, um sich über andere zu erheben, und sich vor ihnen aufzublähen, zur Befriedigung seines Stolzes, seiner Herrschsucht über die Gewissen, welche weit ärger ist, als die Herrschsucht über die Körper; oder dazu, um sich selbst zum besseren Menschen zu bilden" (V 170).

3. Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798)

Fichtes Laufbahn als Professor in Jena (ab Mai 1794) begann rundum erfreulich. Er hatte nach eigener Aussage keine Feinde. Die Studenten waren begeistert, der Herzog von Sachsen-Weimar Karl August war ihm zugetan, Goethe zeigte sich ihm gegenüber freundschaftlich.

Der Sonntagsstreit. Zu den ersten Differenzen kam es, als Fichte aus zeitlichen Gründen seine Vorlesung "Über die Bestimmung des Gelehrten" auf den Sonntagvormittag legte, zeitgleich mit dem Gottesdienst. Er hielt das nicht für weiter schlimm, da er laut seinem Rechtfertigungsschreiben an den Prorektor der Universität der Auffassung war, "daß durch die christliche Religion der jüdische Sabbat zugleich mit dem ganzen Ceremonialgesetze abgeschafft, daß die christliche Sonntagsfeier eine bürgerliche Einrichtung sei, und daß wir in Rücksicht auf sie n i c h t unter den sie betreffenden jüdischen, sondern unter den dahin gehenden Gesetzen desjenigen Staates stehen, in welchem wir leben" (Döring 122).

Den Geist der den Sonntag betreffenden Gesetze verstand Fichte so, "daß dieser Tag von allen Beschäftigungen, die auf dieses Erdenleben und auf die besondern Verhältnisse desselben Beziehung haben, gänzlich frei erhalten, lediglich der Ausbildung der uns allen gemeinschaftlichen Menschheit, mithin insbesondere dem Nachdenken über unsere höhere Bestimmung und über unsern besondern moralischen Seelenzustand gewidmet werde. Der Sonntag schien mir das Fest der höhern reinen Humanität " (Döring 122).

Aus diesem Grund hielt Fichte am Sonntag keine wissenschaftlichen Vorlesungen. "Meine moralischen Reden aber sind überhaupt nicht wissenschaftlich und gehen gar nicht auf eigentlichen Unterricht, sondern auf Bildung des Herzens zur Tugend . […] Es schien mir demnach, daß die Haltung dieser Reden am Sonntage nicht nur kein durch das Gesetz verbotenes , sondern vielmehr durch dasselbe ausdrücklich anempfohlenes Geschäft sei" (Döring 122f).

Im übrigen seien auf deutschen Universitäten schon immer am Sonntag Vorlesungen gehalten worden. Um den Streit beizulegen, erkläre er sich bereit, seine Vorlesung um eine Stunde zu verschieben, so daß "der Gottesdienst meistentheils schon ganz geendigt ist" (Döring 124). Würde ihm das nicht erlaubt, so müßte die Vorlesung ausfallen, da es keinen anderen Termin gebe.

Der akademische Senat vertraute zwar Fichte und teilte seine Auffassung, "daß eine zweckmäßige moralische, nicht auf Mittheilung wissenschaftlicher Kenntnisse, sondern lediglich auf Bildung des Charakters abzielende Vorlesung, an sich betrachtet, keine mit der Bestimmung des Sonntags in Widerspruch stehende Beschäftigung ist". Aber er hielt es trotzdem "für äußerst bedenklich, daß dem Professor Fichte die fernern sonntäglichen Vorlesungen erlaubt werden" (Döring 125).

Der Herzog entschied laut seinem Dekret an den akademischen Senat schließlich, "daß dem […] Professor Fichte die Fortsetzung seiner moralischen Vorlesungen am Sonntage äußerstenfalls nur in den Stunden nach geendigtem Nachmittagsgottesdienste gestattet sein solle" (Döring 126).

Der Ordensstreit. Da die Burschenschaften über die Stränge geschlagen hatten, machte ihnen Fichte laut seiner "Rechenschaft an das Publikum" (1795) "Vorstellungen über die schädlichen Einflüsse dieser Verbindungen selbst bei den besten Absichten und drang in sie, dieselben aufzugeben und zu zerstören" (Döring 128). Zwei der Ordensverbindungen wurden mit Zustimmung der Studenten und Zusicherung der Straffreiheit aufgelöst. Doch die Mitglieder der dritten verleumdeten Fichte, er habe eine Illuminatenloge gegründet und die vertraulichen Ordensunterlagen der Burschenschaften weitergegeben statt vernichtet. Außerdem beschimpften sie Fichtes Frau und wurden gewalttätig, ohne daß sie zur Rechenschaft gezogen wurden. Fichte fühlte sich vom Senat im Stich gelassen, der versprochen hatte, ihn zu schützen. Unter diesen Voraussetzungen wollte er seine Professur niederlegen und zum Selbstschutz greifen. Da er sich und seine Familie bedroht fühlte, zog er vorübergehend nach Weimar. Herder überredete ihn zur Rückkehr nach Jena.

Der Atheismusstreit drehte sich um Karl Friedrich Forbergs Schrift "Entwickelung des Begiffes der Religion" und Fichtes Abhandlung "Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung". Fichte verstand letztere "keinesweges für eine Ueberführung des Ungläubigen, sondern für eine Ableitung der Ueberzeugung des Gläubigen" (V 178).

Die Frage war für ihn: "wie kommt der Mensch zu jenem Glauben?" (V 179) Vom kosmologischen Gottesbeweis, also vom Schluß von der Welt auf ihren Schöpfer, hielt Fichte nichts. Denn er betrachtete die Welt nur als "Wiederschein unserer eigenen inneren Thätigkeit. Aber was nicht ist, nach dessen Grunde kann nicht gefragt werden; es kann nichts ausser ihm angenommen werden, um dasselbe zu erklären" (V 180).

Stattdessen meinte Fichte: "Durch unseren Begriff einer übersinnlichen Welt sonach müsste jener Glaube begründet werden. […] Ich selbst und mein nothwendiger Zweck sind das Uebersinnliche" (V 181). "Ich muss schlechthin den Zweck der Moralität mir vorsetzen" (V 184). Aus dem "Rechtthun" wird "der wahre Glaube" konstruiert. Er ist "das Resultat einer moralischen Weltordnung" (V 185). "Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott" (V 186).

In einer anonymen Schrift wurden Forberg und Fichte des Atheismus beschuldigt. Die kursächsische Regierung verbot Fichtes "Philosophisches Journal", in dem die beiden Aufsätze erschienen waren. Die weimarische Regierung verständigte den Senat der Universität. Fichte wehrte sich und drohte mit seiner Kündigung, falls er einen öffentlichen Verweis bekomme. Der Herzog begnügte sich mit einem privaten Verweis und erklärte sich mit Fichtes Kündigung einverstanden.

4. Appellation an das Publicum gegen die Anklage des Atheismus (1799)

Fichte wehrt sich gegen den Vorwurf des Atheismus, denn die "Beschuldigung der Gottlosigkeit ruhig ertragen, ist selbst ein der ärgsten Gottlosigkeiten. Wer mir sagt, du glaubst keinen Gott, sagt mir: du bist zu dem, was die Menschheit eigentlich auszeichnet, und ihren wahren Unterscheidungs-Charakter bildet, unfähig; du bist nicht mehr als ein Thier. Ich lasse ihn bei diesem Gedanken; und sage ihm dadurch: du bist unfähig über dergleichen Gegenstände zu urtheilen, und unwürdig, dass man dich darüber urtheilen lehre; dergleichen Gegenstände sind für dich gar nicht vorhanden; und ich mache ihn dadurch zum blossen Thiere" (V 194).

Er schreibt, um nicht als Verächter seines Zeitalters dazustehen, um seinen Wirkungskreis nicht zu verlieren, um seine Existenz, seine Freiheit und sein Leben nicht zu gefährden und um die Intrigen und Verleumdungen gegen seine Person aufzudecken. Er fühlt sich als Märtyrer der Wahrheit in der Reihe der großen Propheten. Er kämpft für Geistes-, Gewissens-, Presse-, Lehr- und Forschungsfreiheit. Er nimmt kein einziges Wort seines Aufsatzes zurück, aber paraphrasiert das dort Gesagte.

Wem die Lektüre der ganzen Schrift zuviel ist, kann sich auf die Zusammenfassung Fichtes (V 228) beschränken: Der Gegensatz zwischen ihm und seinen Gegnern sei der zwischen übersinnlicher Welt und Sinnenwelt, reiner Pflicht und Genuß.

5. Gerichtliche Verantwortung gegen die Anklage des Atheismus (1799)

Diese Schrift ist an den Prorektor der Universität gerichtet. Fichte bekennt sich zu dem angegriffenen Aufsatz und wirft zwei Fragen auf: 1. Darf man religionskritische oder gar atheistische Schriften drucken? Fichtes Antwort: ja. 2. Ist sein Aufsatz atheistisch? Fichtes Antwort: nein.

Anschließend arbeitet er die Intrigenküche auf. Sie begann mit dem Aufsatz "Schreiben eines Vaters an seinen Sohn über den Fichteschen und Forbergschen Atheismus" (V 277). Für den Verfasser wurde Dr. Gabler aus Altdorf gehalten oder ausgegeben, der sich aber von dem Aufsatz distanzierte und ihn ähnlich wie Fichte beurteilte: als Machwerk eines verleumderischen Ignoranten. Fichte legte den Aufsatz seiner Verteidigung bei (V 304-326).

Als tatsächlichen Verfasser hatte Fichte einen Unglücklichen im Verdacht, "der, ich weiss nicht, ob zur Strafe für etwas schon vorher verübtes, oder durch ein unseliges Verhängniss, sich mit Schande und mit dem allgemeinen Hasse bedeckt hat" (V 280). Er wende "seine übrige Zeit dazu an, in seiner Schande zu wühlen, um andere zu bespritzen, damit er sich doch in der menschlichen Gesellschaft nicht mehr so gar sehr zu schämen habe." Er habe bereits so gut wie alle verleumdet und sei deshalb in Prozesse verwickelt worden, habe sich aber "jedesmal durchgelogen. […] Sein böser Geist treibt ihn, jeden Menschen, der nur ein wenig bemerkt wird, anzufeinden" (V 281).

Besonders Fichte habe dieser Mann aufs Korn genommen, seit er in Jena Professor geworden sei. Er sei ein "Ignorant der ersten Klasse, […] dem es an Verstande fehlt, einzusehen, wovon er nichts verstehe" (V 282). Da Fichte keinen "vor Gerichte gültigen Beweis" vorbringen konnte, nannte er den Namen dieses Mannes nicht (V 283). Er zog sogar in Betracht, daß dieser Mann seine Verfasserschaft leugnen und sich (fälschlich) ein anderer dazu bekennen würde.

"Ein solcher Mann also konnte es seyn, ein solcher Mann war es wahrscheinlich, der durch ein solches Mittel sechs Regierungen gegen mich in Bewegung setzte" (V 283). Das rührt Fichte: "Es bedarf eines kleinen Zufalls, und der erste beste verächtliche Mensch macht sie zum Werkzeuge seiner niedrigsten Leidenschaft, seines pöbelhaftesten Muthwillens!" (V 283f)

Wie konnte das geschehen? Fichte nennt die Dinge beim Namen: Er galt diesen Regierungen als Demokrat und Jakobiner: "Von einem solchen glaubt man jeden Gräuel ohne weitere Prüfung. Gegen einen solchen kann man gar keine Ungerechtigkeit begehen. Hat er auch diesesmal nicht verdient, was ihm widerfährt, so hat er es ein andermal verdient. Recht geschieht ihm auf jeden Fall; und es ist politisch, die das wenigste Aufsehen erregende, die populärste Anklage zu ergreifen, um seiner habhaft zu werden" (V 286). "Es ist nicht mein Atheismus, den sie gerichtlich verfolgen, es ist mein Demokratismus. Der erstere hat nur die Veranlassung hergegeben" (V 287).

Da die Verteidigung gegen einen nur vorgeschobenen Grund unnütz ist, wehrt sich Fichte nun "gegen das, was sie bloss im Herzen denken." Zum Beweis, daß er kein Demokrat sei, führt er seine "Grundlage des Naturrechts" (1796) an, in der er sich entschiedenst und bestens begründet "gegen die demokratische Regierungsform, als eine absolut rechtswidrige Verfassung, erklärt habe" (V 287).

6. Rückerinnerungen, Antworten, Fragen (1799)

Fichte erklärt in dieser unvollendeten Schrift das Verständnis des Systems des transzendentalen Idealismus zur Voraussetzung des Verständnisses seiner Religionsphilosophie. Diese sei keine "Religionslehre", sondern "allein die Theorie" des "religiösen Sinnes" (V 345).

Daraus leitet er folgende pädagogischen Folgerungen ab:- Der Religionsunterricht muß mit der Herzensbildung beginnen.- Man soll nicht Religion, sondern religiöses Bewußtsein lehren.- Man soll keine dogmatischen Aussagen über Gott machen, sondern nur "von seinen Thaten […] reden", den Glauben an sie bestärken und sie im Bewußtsein halten (V 371).

7. Aus einem Privatschreiben (1800)

Fichte verteidigt hier abermals seinen Aufsatz "Ueber den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung" gegen den Vorwurf des Atheismus oder "doch wenigstens Pantheismus" (V 380).

8. Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre (1806)

Eine Inhaltsangabe dieses Vorlesungszyklus erübrigt sich, da am Ende eine ausführliche "Inhalts-Anzeige" abgedruckt ist (V 575-580). Fichte charakterisiert "in allgemeinverständlicher Form das Wesen der Religion gemäß den Prinzipien seiner Wissenschaftslehre" (Walter Schweidler, in: LphW 28). Die Religion ist ihm nun "eine Wirklichkeit […] vor aller Erfahrung und Konstruktion durch das Ich" (Hans-Horst Henschen, in: KNLL 5/539).

Der Inhalt der Vorlesungen in Kurzfassung: "Die Wahrheit […] ist zu finden in dem einzigen wahrhaftigen Leben, das identisch ist mit der Liebe" (Walter Schweidler, in: LphW 28).

© Gunthard Rudolf Heller, 2017

Literaturverzeichnis

DIE BIBEL – Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes, Freiburg/Basel/Wien 201976


DÖRING, Woldemar Oskar (Hg.): Der Mann der Tat – Eine Fichtebiographie in Briefen und anderen Lebensurkunden, Lübeck 1926


FICHTES WERKE, hg. v. Immanuel Hermann Fichte, Band V – Zur Religionsphilosophie, Berlin 1971


JACOBS, Wilhelm G.: Johann Gottlieb Fichte mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Reinbek bei Hamburg 1984


KINDLERS NEUES LITERATURLEXIKON, hg. v. Walter Jens, 21 Bände, München 1996 (KNLL)


LEXIKON DER PHILOSOPHISCHEN WERKE, hg. v. Franco Volpi und Julian Nida-Rümelin, Stuttgart 1988 (LphW)


MEYERS ENZYKLOPÄDISCHES LEXIKON, 25 Bände, Mannheim/Wien/Zürich 91980/81 (MEL)

Gunthard Heller