Honoré de Balzac: „Physiologie der Ehe“

Honoré de Balzac hat sich als französischer Schriftsteller, als Romantiker und Realist einen Namen gemacht. In dieser – heute als Satire erscheinenden Abhandlung – gibt er seine Ansichten zur Physiologie der Ehe preis. Diese historische Abhandlung zur Rolle der Frau und des Mannes zeigt eindrücklich, wie sehr sich unsere Ansichten geändert haben.

Balzacs „Physiologie der Ehe“

Thema der satirischen Abhandlung von Honoré de Balzac (1799-1850) ist nicht die Ehe, sondern der Ehebruch, dessen Notwendigkeit er statistisch nachweist: Bei jeder Ehefrau liegen drei Junggesellen auf der Lauer. Der autobiographische Hintergrund: Balzac betrog Monsieur de Berny mit dessen Frau, und er betrog Madame de Berny mit der Herzogin von Abrantès.

Unter den Typen der gehörnten Ehemänner unterscheidet Balzac diejenigen, die regelmäßig von zu Hause weg sind, die keine Zeit haben, einige vergeistigte Dichter und schließlich alle Männer mit Süchten (Schnupftabak, Rauchen) und Gebrechen: Schnupfen, barscher und galliger Charakter, zynisches, unsauberes Benehmen, „‚Bettwärmer'“ und Greise, „Plagegeister und Nörgler“, „Topfgucker und Haustyrannen“ (S. 79f).

Die Frauen vergleicht Balzac mit einem Musikinstrument, das man vorher spielen lernen muß, wenn es schön klingen soll. Sonst gleiche der Ehemann einem Orang Utan, der auf einer Geige herumkratze und sie schließlich zerstöre. Man müsse sich entweder für das Geld oder die Liebe entscheiden, beiden zugleich könne man nicht dienen.

Fortpflanzung und Liebe seien zwei Paar Stiefel. Eine Ehe dürfe man nicht mit einer Vergewaltigung beginnen. Nur der Seelengleichklang mache eine Ehe glücklich. Der Mann müsse seinen Körper, sein Temperament und seine Seele beherrschen lernen, wenn er seine Frau „erfolgreich gegen den Ansturm der Feinde […] verteidigen“ wolle (S. 100).

Nur wenn Geben und Nehmen ausgeglichen sind, sei eine Ehe glücklich. Wer zuviel gebe, bekomme zu wenig: „Undankbarkeit entsteht vielleicht aus der Erkenntnis, daß es einem unmöglich ist, eine Wohltat zu vergelten“ (S. 124).

Der folgende Lehrsatz ist Balzac so wichtig, daß er ihn nicht unter die durchnummerierten Aphorismen seines Werks einordnet: „Der Mensch gelangt von Abneigung zur Liebe; aber wenn er mit Liebe begonnen hat und von dieser zur Abneigung übergeht, kehrt er niemals zur Liebe zurück“ (S. 125).

Seine Auffassung, daß „die Ehe […] ein Kampf auf Leben und Tod“ ist und dem Sieger die Freiheit winkt (S. 30), untermauert Balzac mit Grundsätzen der „Ehemannspolitik“, die eigentlich erst greifen, wenn die Liebe vorbei und der Seitensprung der Frau bereits vollzogen oder doch in Sicht ist. In diesem Fall rät Balzac, seiner Frau nichts mehr zu glauben, „in den Geist ihrer Handlungen einzudringen“ und ihre Geschwätzigkeit (als Vertuschung) und Passivität (als energisches Handeln) richtig zu interpretieren (S. 169).

Was nun folgt, ist eine Abhandlung über den Ehekrieg mit allem, was dazugehört, angefangen von der Verstellung. Was das noch mit Ehe zu tun haben soll, wird nicht recht klar, da Balzac die Ehefrau mit einem Pferd vergleicht, das der Ehemann zähmen will, und mit einem Papagei, den er einsperrt.

Den eifersüchtigen Ehemann vergleicht er mit einer Spinne, deren Netz ihm Feinde und Beute ankündigt. Sein Haus ist sein „Beobachtungsposten“ (S. 232). Er beugt den Willen seiner Frau durch Diät, Blutegel, Bewegung, Arbeit, Tanz, Lektüre, Kinderkriegen, Geheimnistuerei, Bälle, Einkäufe usw. Er übertrumpft ihren Liebhaber und manipuliert ihn zu Dummheiten, so daß die Ehefrau ihm von sich aus den Laufpaß gibt.

Die dahinterstehende Philosophie ist widerlich: „Die Frau ist ein Eigentum, das man vertragsmäßüig erwirbt, und zwar ein bewegliches Eigentum, […] ein Anhängsel des Mannes; also behaue sie nur, beschneide sie, stutze sie zu – sie ist in aller Form Rechtens dein. Beunruhige dich nicht im geringsten um ihr Stöhnen, ihr Schreien, ihre Schmerzen: die Natur hat sie zu unserm Gebrauch geschaffen, damit sie alles trage: Kinder, Kummer, Prügel und Schmerzen um den Mann“ (S. 201).

Balzac bekennt, daß ihn ein Staatsrat auf seine Ehephilosophie gebracht hat, der seine Frau regiert wie ein König das Parlament: Die Rechte, die er zugesteht, nimmt er hinterrücks wieder zurück. Vornehmer ausgedrückt: Die theoretische Freiheit wird durch die Praxis einer totalen Überwachung wieder aufgehoben. Balzac versteht ihn: „‚wenn Sie Ihrer Frau eins der in der Hausverfassung ihr gewährleisteten Rechte eskamotieren wollen, so nehmen Sie eine sanfte und gemessene Miene an, verbergen den Dolch unter Rosen, bohren ihn ihr vorsichtig ins Herz und fragen dabei mit der Stimme eines besorgten Freundes: ‚Mein Engel, tut es dir weh?'“ (S. 244)

Im vorliegenden Buch geht es „um die Ehe und nicht um die Liebe“ (S. 191). Trotzdem hat auch Balzac (wie Paulus, 1 Kor 13,1-13) ein Hohes Lied der Liebe verfaßt:

„Die Liebe besteht fast nur aus Gesprächen. Bei einem Liebenden gibt es nur ein Einziges, was unerschöpflich ist: nämlich Güte, Anmut und Zartgefühl. Alles fühlen, alles erraten, alles schon im voraus tun; Vorwürfe machen, ohne die zärtliche Liebe zu betrügen; ein Geschenk ohne jeden Stolz darzubringen wissen; den Wert irgendeiner Handlung durch eine sinnreiche Form verdoppeln; mit Taten und nicht mit Worten schmeicheln; lieber sich selbst verständlich machen, als gar zu lebhaft auf das von der Frau Gesagte eingehen; zart berühren, nicht schlagen; mit dem Blick und sogar mit dem Klang der Stimme liebkosen; niemals in Verlegenheit bringen; unterhalten, ohne den guten Geschmack zu beleidigen; immer das Herz zu streicheln wissen; zur Seele sprechen – das ist es, was alle Frauen wünschen“ (S. 278f).

Doch die kalte Dusche kommt gleich hinterher: Das sei nur eine „lange Definition der Höflichkeit“, keine „Definition der Liebe“. Es sei lediglich „eine Empfehlung, deine Frau so zu behandeln, wie du den Minister behandeln würdest, der die von dir begehrte Stellung zu vergeben hat“ (S. 279).

Wie auch immer: Wenn das alle Frauen wünschen, und nun in der Ehe einen balzacischen Tyrannen erleben, getrieben von der Angst, seine Frau würde sich einen Liebhaber zulegen, dann wird eines Tages die Stunde der Wahrheit kommen: „Eines Morgens also entdeckt eine anständige Frau […] mit Adlerblick die geschickten Manöver, die aus ihr das Opfer einer teuflischen Politik gemacht haben“ (S. 281f).

Was nun? Die Frau „schweigt und verstellt sich. Ihre Rache wird geheimnisvoll sein. […] Du warst ihr gleichgültig; unvermerkt wirst du ihr unerträglich werden. Der Bürgerkrieg wird erst in dem Augenblick beginnen, wo ein Ereignis dich ihr verhaßt gemacht hat, wie ein Wassertropfen ein volles Glas zum Überlaufen bringt“ (S. 282f).

Die Frau entdeckt, daß ihr Mann eifersüchtig ist, und sagt es ihm auch. Sie zeigt ihm, daß sie ihn besser kennt, als er sich selbst, und sie macht ihm die Überflüssigkeit seiner Listen klar.

Laut Balzac beruht die Eifersucht auf mehreren Denkfehlern:

  • Entweder liebt die Frau ihren Mann, oder eben nicht. In beiden Fällen ist die Eifersucht überflüssig.
  • Falls die Eifersucht „die der Liebe beigemischte Furcht“ ist, ist sie nichts weiter als ein Zweifel des Ehemannes an sich selbst, den er auf seine Frau projiziert, in dem Sinne, daß er an ihr zweifelt.
  • „Eifersüchtig sein bedeutet gleichzeitig: den Gipfel der Ichsucht, den Bankrott der Eigenliebe und die Erregung einer falschen Eitelkeit“ (S. 287).

Balzac empfiehlt nun dem Ehemann eine Änderung der Taktik: „Bisher suchtest du das Verbrechen zu verhindern. Jetzt gilt es, loszuschlagen“ (S. 283). Das bedeutet: Nun muß der Ehemann eine Rechtfertigung seiner bisherigen Tyrannei finden. Das bedeutet: Er muß die erste Lüge durch eine zweite ersetzen.

Wieder vergleicht Balzac das mit der Politik: „Ein Fürst ist auf dem höchsten Grad der Verstellungskunst angelangt, wenn er seinem Volk die Überzeugung beibringt, es schlage sich für sich selber, während er in Wirklichkeit es für seinen Thron abschlachten läßt“ (S. 287).

Die Anspielung auf Machiavelli ist beabsichtigt: Immer wieder bringt Balzac seine Ehemanns-politik mit ihm in Verbindung. (Daß Machiavellis Darstellung der politischen Methoden von Cesare Borgia als Kritik zu verstehen ist und Machiavelli eigentlich demokratisch gesinnt war, wußte Balzac offensichtlich nicht.)

Die erste Schwierigkeit dieses neuen Stadiums ist die Feststellung des Zeitpunkts, zu dem die Frau den Ehemann durchschaut. Woran soll er es merken? Er selbst lügt, sie lügt. Balzac durchtrennt diesen gordischen Knoten wie Alexander der Große mit einem einzigen Schwerthieb: „Du mußt in deiner Ehe Saturnalien einzurichten verstehen.“ Denn an den Saturnalien „entdeckten die Römer in zehn Minuten mehr über die Eigenschaften ihrer Sklaven, als sie sonst während des ganzen übrigen Jahres erfahren konnten!“ (S. 288)

„Noch in den letzten Tagen des Monats December wurde zu Rom im Tempel des Saturnus geopfert, ein Göttermahl, bei welchem Senatoren die Tafelsitze überzogen, und ein allgemeines Gastgebot angeordnet; in der ganzen Stadt wurde bei Tage und bei Nacht „S a t u r n a l i e n !“ gerufen, und das Volk, diesen Tag festlich zu begehen und ihn auch in Zukunft beizubehalten, befehligt“, schreibt Livius über die ersten Saturnalien (XX 1,19).

Sie wurden von da an am 17. Dezember gefeiert, dem Jahrestag der Gründung des Tempels von Saturnus, später mehrere Tage bis eine Woche lang. „Gerichte, Schulen und Sklaven hatten an den Saturnalien 1 Tag, später 3, 4, zuletzt 5 Tage Ferien; die Sklaven hatten Narrenfreiheit und aßen gemeinsam mit ihren Herren. Zu Haus zechte man und würfelte um Geld, was außerhalb der Saturnalien verboten war“ (WA 651).

Übertragen auf das Eheleben: Der Ehemann soll Balzac zufolge seine Frau zu all dem auffordern, was sie gerne machen will. Das mache sie mißtrauisch und verderbe ihr den Spaß. Balzacs Begründung: „In Revolutionszeiten ist es der allererste Grundsatz, das Übel, das man nicht verhindern kann, einem guten Ziel zuzulenken und durch Blitzableiter den Blitz anzuziehen, um ihn in einen Brunnen zu leiten“ (S. 289).

Balzac findet das alles übrigens lustig: „Und nun stehen wir endlich vor dem letzten Akt der Komödie“ (S. 289). Und das heißt: Der Liebhaber der Ehefrau taucht auf. Ihn bedenkt Balzacs gehörnter Ehemann mit allerlei Maßnahmen der „Ehepolizei“ (S. 294): dem Stellen von Fallen, der Überwachung der Korrespondenz (einschließlich dem Fälschen von Briefen), Morddrohung, Spionage (die laut Balzac gemein und dumm ist, da man Spionen nicht trauen kann), allerlei Verboten und einem Drittel des Vermögens als stiller, der Frau unbekannter Reserve. Die Frau bekommt eine Standpauke, von denen Balzac mehrere Kostproben gibt.

Er bekennt, daß er seine „Physiologie der Ehe“ auf den Rat des Teufels hin geschrieben hat.

Dazu paßt seine Anforderung an „alle Ehemänner“: sie müssen „imstande sein […], in ihrem Hause Angst und Schrecken zu verbreiten“ (S. 333). Sie müssen zu folgendem fähig sein: „In jedem Augenblick für die Lüge reden, um die Wahrheit zu erfahren – für die Wahrheit, um die Lüge zu entdecken“ (S. 356).

Auch seine Nonsens-Begründung für seine Meinung, Jean de La Bruyère (1645-1696) habe sich geirrt, paßt dazu: Es handelt sich um wild durcheinander gewirbelte Buchstaben, die zum Teil auf dem Kopf stehen. Damit wollte Balzac folgendes widerlegen: „‚Frömmigkeit und Galanterie gegen einen Ehemann verbündet, das ist zu viel: eine Frau sollte sich beschränken und nur eins von den beiden Mitteln wählen'“ (S. 383).

La Bruyère gehört zu den französischen Moralisten. Er war Anwalt, Schatzmeister und Erzieher des Herzogs von Bourbon. Sein Hauptwerk: „Die Charaktere oder die Sitten im Zeitalter Ludwigs XIV.“ (1688).

Balzac wendet sich gegen die zitierte Stelle, wie es einer seiner tyrannischen Ehemänner tun könnte: mit bloßer Gewalt, ohne jeden Sinn und Zweck, länger als zwei Seiten Buchstabensalat. Natürlich kommt ein solches Verhalten bei den Frauen nicht gut an: „Im allgemeinen bilden alle Frauen einen Bund gegen einen der Tyrannei beschuldigten Ehemann […]. Sie hassen sich, aber sie beschützen sich“ (S. 348).

Die Quellen der „Physiologie der Ehe“ sind nicht nur Balzacs eigene ehebrecherischen Aktivitäten, sondern vor allem Gespräche, denen er aufmerksam gelauscht und die er getreulich wiedergegeben hat. Das heißt: Viele der von ihm erzählten Anekdoten sind wahr. Allerdings hat er nur einen einzigen Ehemann getroffen, der seinem Ideal des Machiavellisten entspricht, und auch mit dem wurde seine Frau fertig. Vielleicht ist das der Grund, warum das Buch vor allem bei den Frauen gut ankam.

© Gunthard Rudolf Heller, 2021

Literaturverzeichnis

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  • Gobseck / Das Haus zur „Ballspielenden Katze“, Frankfurt am Main/Leipzig 1996
  • Das Bankhaus Nucingen – Erzählungen, Zürich 1977
  • Das verfluchte Kind – Historische Erzählungen, Leipzig/Weimar 1987
  • Physiologie der Ehe – Eklektisch-philosophische Betrachtungen über Glück und Unglück in der Ehe, Leipzig 1920
  • Frauenbriefe – Roman, Berlin o. J.
  • Die Bauern, Zürich 1977
  • Die Lilie im Tal, München 1986
  • Seraphita, Hamburg o. J.
  • Louis Lambert, Wrocław 2018

DIE BIBEL – Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes, Freiburg/Basel/Wien 201976

CURTIUS, Ernst Robert: Balzac, Frankfurt am Main 1985

KINDLERS NEUES LITERATUR-LEXIKON, hg. v. Walter Jens, 21 Bände, München 1996

DER KLEINE PAULY – Lexikon der Antike in fünf Bänden, München 1979 (KP)

KLINGER, Edwin: Kleine Geschichte der französischen Literatur, Düsseldorf 1990

LAATHS, Erwin: Geschichte der Weltliteratur, München/Zürich 1953

LIVIUS, Titus: Römische Geschichte, acht Bände, Stuttgart 1840

MAUROIS, André: Das Leben des Honoré Balzac, Zürich 1985

MEYERS ENZYKLOPÄDISCHES LEXIKON, 25 Bände, Mannheim/Wien/Zürich 91980/81

SCHMÖLDERS, Claudia (Hg.): Balzac – Leben und Werk, Zürich 1993

WILPERT, Gero von: dtv-Lexikon der Weltliteratur, vier Bände, München 1971

  • (Hg.): Lexikon der Weltliteratur Band II – Hauptwerke der Weltliteratur in Charakteristiken und Kurzinterpretationen, Stuttgart 31993

WÖRTERBUCH DER ANTIKE, hg. v. E. Bux, W. Schöne, Hans Lamer und Paul Kroh, Stuttgart 81976 (WA)

ZWEIG, Stefan: Baumeister der Welt – Balzac · Dickens · Dostojewski · Hölderlin · Kleist · Nietzsche · Casanova · Stendhal · Tolstoi, Stuttgart o.J.

  • Balzac – Eine Biographie, Frankfurt am Main 1988

Gunthard Heller