Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie

Die Phänomenologie ist eine der grundlegendsten Wissenschaften überhaupt, denn sie untersucht und bestimmt, wie und welche Phänomene wir Menschen überhaupt als Realität erkennen können. Diese Reflektion über die Wurzeln unserer Realität ist inspiriert vom deutschen Philosophen Martin Heidegger.

Vorwort

Phänomenologie ist die Methode der Philosophie, die Martin
Heidegger in seinem Buch "Die Grundprobleme der Phänomenologie"
anschaulich vorführt. Es basiert auf einer Vorlesung, die
er im Sommersemester 1927 gehalten und damit eine "neue Ausarbeitung
des 3. Abschnitts des I. Teiles von Sein und Zeit" vorgenommen
hat. Er kristallisiert die grundlegenden, immer wiederkehrenden
Probleme der 2000jährigen Philosophiegeschichte in vier Thesen,
aus dessen phänomenologischer Analyse er die Grundlage für
eine mögliche Auflösung gewinnt.

Dieser Text versucht nur eine grobe Nachzeichnung des Buches.
Er entstand in der Absicht die phänomenologische Methode
selbst nach-zu-denken.


Einleitung

Was ist Phänomenologie? Heidegger nähert sich dem
Begriff, indem er die phänomenologische Methode anwendet.
Wenn wir einen Begriff interpretieren, bewegen wir uns im sogenannten
hermeneutischen Zirkel, der besagt, daß der Verstehende
immer schon eine Bedeutung voraussetzt, die er erst noch finden
will. Birgt der Bezug auf vorausgesetzte Bedeutungen nicht die
Gefahr in sich, an überholungsbedürftigen Konzepten
hängen zu bleiben? Diese Frage erscheint sinnlos, wenn wir
doch nicht anders können, als an Bekanntes anzuschließen.
Doch vielleicht ermöglicht uns gerade das Gehen mit diesem
Zirkel eine Klärung der großen philosophischen Fragen.
Heidegger wählt den Weg an den Ursprung zurückzuspringen
und die Grundthemen der Philosophie von dort neu aufzurollen.

Neben der Philosophie
als theoretischer Wissenschaft gibt es die Forderung, Philosophie
solle als praktische Deutung des Lebenssinnes eine Weltanschauung
bilden. Den Begriff "Weltanschauung" verwendet zuerst
Kant, der ihn noch als sinnliche Auffassung versteht und den Schelling
danach auf den Intellekt bezieht. Aber Kant unterscheidet nicht
– hier jetzt immer in der Auslegung Heideggers – zwischen Philosophie
als Wissenschaft und Philosophie als Weltanschauungsgründung.
Für ihn gibt es nur den wissenschaftlichen Begriff. Weltanschauung
erwächst aus der Erfahrung, hängt vom kulturellen und
umweltlichen Kontext ab und bezieht sich auf Seiendes in jeglicher
Form. Die Philosophie aber, wie sie Heidegger meint, ist nicht
auf Seiendes sondern auf Sein bezogen. Sein bezieht sich zwar
immer auf Seiendes, aber es ist nicht selbst Seiendes.

Philosophie ist also die Wissenschaft vom Sein – Ontologie.
"Sein" ist nicht zu fassen, da es nichts gegenständliches
ist, und dennoch gebrauchen wir es in fast jedem Satz. Das verleitete
die Philosophie dazu, Sein für das Allgemeinste, Selbstverständliche
und Undefinierbare zu halten. Eine Auslegung jedoch dem gesunden
Menschenverstand zu überlassen, dagegen hat sich schon Hegel
vehement ausgesprochen. Die Frage nach dem Sein zieht sich seit
jeher durch die Philosophie: Was ist Sein? Wie ist ein Verständnis
dessen möglich? Wie hängt Sein und Seiendes zusammen?

Anhand vier Thesen über das Sein will Heidegger mit einer
Auseinandersetzung dieser Fragen vertraut machen und die phänomenologische
Methode veranschaulichen:


  • Kant: Sein ist kein reales Prädikat.
  • Aristoteles/Scholastik: Zur Seinsverfassung eines Seienden
    gehören das Was-sein (essentia) und das Vorhandensein (existentia).
  • neuzeitliche Ontologie: Die Grundweisen des Seins sind das
    Sein der Natur (res extensa) und das Sein des Geistes (res cogitans).
  • Logik: Alles Seiende läßt sich unbeschadet seiner
    jeweiligen Seinsweise ansprechen durch das "ist"; das
    Sein der Kopula.

Sein wird durch Verstehen erschlossen, was jedem Verhalten
zu Seiendem zugrundeliegt. Dieses Verhalten ist eines von einem
besonderen Seienden, dem Dasein. Das Dasein zeichnet sich dadurch
aus, daß es ihm in seinem Sein um dieses Sein selbst geht.
Wenn wir es in seiner Seinsweise verstehen, so implizit auch das
Seinsverständnis.

Heidegger hat "Sein und Zeit", worin er das Dasein
existenzial analysiert, mit den Fragen geschlossen: "Führt
ein Weg von der ursprünglichen Zeit zum Sinn des Seins? Offenbart
sich die Zeit selbst als Horizont des Seins?" Hier knüpft
er jetzt direkt an das offene Werk an und setzt die dort gemachte
Herleitung voraus: Das Sein des Daseins ist die Zeitlichkeit,
woraus sich die Zeit erst ableitet. D.h. das Seinsverständnis
gründet ebenfalls in der Zeitlichkeit. Die Unterscheidung
von Sein und Seiendem, die Heidegger ontologische Differenz nennt,
überschreitet (transzendiert) das Seiende, weshalb der Titel
transzendentale Wissenschaft gerechtfertigt ist. Und zwar im ursprünglichen
Sinne (im Unterschied zu Kant), was kein Seiendes hinter dem Seienden
konstruiert (Hinterwelt).

Die in dieser Einleitung grob skizzierte Thematik zum geplanten
dritten Teil dieses Buches wird Heidegger später nicht mehr
ausführen. Deshalb nur soweit: Das Sein gründet im Seienden,
nämlich im verstehenden Dasein. Ohne Dasein ist kein Sein.
D.h. die Ontologie hat ein ontisches Fundament. Dennoch ist das
Sein dem Seienden vorgelagert – apriori. Dieses "Früher"
kommt aus dem Transzendenten, also vor dem vulgären Zeitverständnis.
Die apriorische Erkenntnis macht die Phänomenologie aus,
die eine reine Methode ist.

Zu ihr gehört:


  • phänomenologische Reduktion, Rückführung vom
    Seienden zum Sein
  • phänomenologische Konstruktion, Entwerfen des vorgegebenen
    Seienden auf sein Sein
  • phänomenologische Destruktion, kritischer Abbau übernommener
    Begriffe und Strukturen (Konzepte)

Die These Kants

Sein ist kein reales Prädikat

Kant erwähnt die These in seiner Widerlegung des Gottesbeweises.
Der Beweis wird Anselm von Canterbury zugeschrieben:

Gott ist seinem Begriffe nach das vollkommenste Seiende.

Zum Begriff des vollkommensten Seienden gehört die Existenz.

—–

Also existiert Gott.


Kant bestreitet nicht die Konklusion, wohl aber mit seiner
These die zweite Prämisse. Er behauptet, daß Sein bzw.
Existenz gar keine Bestimmung des Sachgehaltes (reales Prädikat)
eines Dinges sein kann. Oder verkürzt: Existenz ist keine
Realität. Um das nachvollziehen zu können, müssen
wir seine Begriffe von "Realität" und "Existenz"
verstehen.

Realität ist für Kant eine Kategorie der Qualität
(Kategorientafel), während Existenz (Kant nennt es Dasein,
heutzutage wird es oft Wirklichkeit genannt, Heidegger bezeichnet
es als Vorhandenheit) eine Kategorie der Modalität ist. Realität
bezeichnet die Sache (lat. res), den Was-Gehalt, und kann als
Sachbestimmtheit gefaßt werden. Platon nannte das idea,
die ewigen und unveränderlichen Urbilder der Dinge. Zum Beispiel
unterscheiden sich 100 mögliche (vorgestellte) und 100 wirkliche
(auf der Hand liegende) Geldstücke nicht der Sache nach.

Das Sein
differenziert Kant in das Sein als Kopula, die er "bloße
Position" nennt, eine sprachliche Setzung, und Sein als Existenz,
Dasein (nicht zu verwechseln mit Heideggers Begriff von Dasein),
die er "absolute Position" nennt. Heidegger will diese
Interpretation von Sein als Position klarer fassen und sucht zuerst
bei Kant selbst eine nähere Bestimmung. Wichtig dabei ist,
die Begriffe eindeutig zu verstehen, wie der Verfasser sie gemeint
hat, und nicht mit selbstverständlich gedachten Erklärungen
zu versehen.

Gerade in der Philosophiegeschichte haben so zentrale Begriffe
wie Idee, Realität, Wahrheit, Subjekt, Objekt etc. einen
grundlegenden Bedeutungswandel erfahren. Ausgehend von Kants Aussage
"Die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriffe hergibt,
ist der einzige Charakter der Wirklichkeit", legt er drei
Bedeutungsmöglichkeiten von Wahrnehmung aus:


  • Wahrnehmen als Verhaltensweise, subjektive Erkenntniskraft
  • Wahrgenommenes wie bei "Die Wahrnehmung war schmerzlich"
  • Wahrgenommenheit, Entdecktheit im Wahrnehmen

Alle drei Interpretationen bleiben fragwürdig, was eine
grundsätzlichere Fassung der These notwendig macht.

Jeder Begriff hat seine Voraussetzungen und legt die Frage
nahe: "Was macht x möglich?". Und so fragt Heidegger,
was Kant bei der Wahl seiner Begriffe notwendig mitgedacht haben
muß. Kant bezieht sich auf ein psychisches Ich-denke (Ich-nehme-wahr)
und damit auf die Psychologie. Aber auch wenn Kant die heutigen
Erkenntnisse der Psychologie gehabt hätte, könnte sie
keine Grundlage bieten, auf der die Philosophie aufsetzen kann.
Denn keine positive Wissenschaft kann ihren Gegenstand der Untersuchung
selbst begründen. Unklar bleibt in Kants These weiterhin
die Seinsverfassung von Position und Wahrnehmung. Was fehlt, ist
eine Ontologie des Daseins. Denn, wenn Wahrnehmung vorausgesetzt
wird, muß klar sein, wer es ist, der da wahrnimmt.

Hat uns die Differenzierung der Bedeutungsmöglichkeiten
von Wahrnehmung weitergeholfen? Gehört vielleicht diese Mehrdeutigkeit
zum Wesen der Wahrnehmung? Versuchen wir uns die Struktur der
Wahrnehmung möglichst vorurteilslos zu vergegenwärtigen.

Der Akt der Wahrnehmung ist auf etwas (das Wahrgenommene) gerichtet,
so daß es in seiner Wahrgenommenheit verstanden ist. Die
Phänomenologie verwendet dafür den Begriff Intentionalität,
die intentio (gerichtet auf) und intentum (worauf des Gerichtetseins)
impliziert. Es wäre aber ein Mißverständnis, würde
man von zwei Vorhandenen (Subjekt und Objekt) ausgehen, zwischen
denen eine Beziehung vorhanden ist. Die Intentionalität liegt
im Subjekt selbst und entsteht nicht erst dann, wenn ein Objekt
wahrgenommen wird (Bsp. Halluzination).

Sie ist "als der Verhältnischarakter des Verhaltens
eine Bestimmung des Subjekts". Daraus ergibt sich aber die
Frage, wie das Subjekt (von drinnen) zum Objekt (nach draußen)
kommt. In dieser Frage liegt das zweite Mißverständnis
verborgen, nimmt sie doch an, daß das intentum ebenfalls
in der subjektiven Sphäre ist. Aber wenn wir ohne Vorbehalte
unser Verhalten beobachten, sehen wir, daß wir auf die Gegenstände
in unserer Umwelt gerichtet sind und nicht nur auf Vorgestelltes.

Die Intentionalität ist also selbst das Transzendente,
das Überschreitende. Wie kann nun Wahrnehmung und das über
Intentionalität gesagte zusammengebracht werden? Ist sie
vielleicht ebensowenig subjektiv wie objektiv? Zur Wahrgenommenheit
gehört die vorherige Erschlossenheit (das Verstehen) der
Vorhandenheit. Damit kommt Heidegger zu einer geklärten Interpretation
von Kants These "Wirklichkeit ist gleich Wahrnehmung".
Kommen wir als nächstes zur der auf Aristoteles zurückgehende
These der mittelalterlichen Ontologie.

These der mittelalterlichen Ontologie

Zur Seinsverfassung eines Seienden gehören das Wassein
(essentia) und das Vorhandensein (existentia)

Das Kantische Problem ist in der mittelalterlichen Philosophie
verwurzelt (denn es ist bei ihm selbstverständliche Meinung),
wie zu sehen sein wird. In der Scholastik ist wieder Gott das
Ausgangsthema: Gott als das erste und vollkommene Seiende, aus
dem alles weitere als endliches Seiendes entspringt und worauf
es zurückkommt, ist die erste Unterscheidung vor allen weiteren
Kategorien.



























ens infinitum, deus

ens finitum, creatura

ens increatum, ungeschaffenes Seiendes

ens creatum, geschaffenes (geschöpfliches) Seiendes

ens a se, Seiendes, das von sich selbst her ist

ens ab alio, Seiendes, das von einem anderen her ist

ens necessarium, notwendig Seiendes

ens contingens, bedingterweise Seiendes

ens per essentiam, Seiendes, das aufgrund seines Wesens
existiert

ens per participationem, Seiendes, das nur durch Teilhabe
am eigentlich Seienden existiert

ens actus purus, Seiendes als reine Wirklichkeit

ens potentiale, Seiendes, das mit der Möglichkeit
behaftet ist

In der Scholastik hat der Begriff ens (sein), conceptus entis,
eine doppelte Bedeutung. Zum einen conceptus formalis, der Begriff,
das Begreifen, Seinsverständnis, etwas zum Wirklichen machen.
Die andere Bedeutung wird conceptus objectivus genannt und bezieht
sich auf die dem Seienden selbst innewohnende Bedeutung, auch
ratio. Aus sprachlicher Sicht kann das ens als Partizip oder als
Nomen verwendet werden. Im ersten Falle ist von der Weise des
Seins die Rede, ob bzw. daß etwas ist, existentia. Im zweiten
Falle geht es um die Sachheit, Realität, was etwas ist, essentia.

Der Begriff Realität (essentia) wird in verschiedenen
Bedeutungen verwendet: quidditas, definitio oder natura. Als quidditas
verweist das Reale auf das, was es schon war, bevor es sich verwirklichte.
Es geht um das eigentliche Wesen, was das Seiende an sich in erster
Linie ist. Als definitio ist das Reale die umgrenzte Form, das
Definierte, die Gestalt. Als natura (griech. eidos) ist das Reale
das Aussehen, das Gesetzte, die "Natur der Sache" als
inneliegende Ordnung. Diese Bedeutungen hängen zusammen und
beschreiben Realität aus verschiedenen Perspektiven.

Der Begriff Existenz (existentia) ist bei weitem nicht so genau
umgrenzt worden, obwohl er ursprünglicher ist. Sein ist actualitas,
Wirken (griech. energein), Wirklichkeit, eigenständig durch
die Verwirklichung, abgelöst von den Ursachen, Gestelltheit
der Sache außerhalb der Ur-Sache und des Nichts.

Heidegger untersucht drei unterschiedliche scholastische Auffassungen
des Unterschiedes von essentia und existentia, die distinctio
realis von Thomas von Aquino, die distinctio formalis von Duns
Scotus und die distinctio rationis von Suarez. Die Unterscheidungen
beziehen sich bei allen auf das ens finitum, denn beim ens infinitum
fällt Existenz und Realität zusammen.

Bei Thomas von Aquino kommt die existentia als eigene Realität
zur essentia hinzu. Das ens creatum ist eine Komposition aus Realität
und Existenz, der Unterschied ist ein realer. Würde der Unterschied
kein realer sein, könnte man nicht von einem Geschaffensein
der Dinge sprechen. Bei Duns Scotus liegt die existentia in der
Sache, im Wirklichen selbst, hat aber keine eigene Realität.
Und Suarez behauptet, der Unterschied zwischen Wesen und Existenz
ist ein begrifflicher. Die Wirklichkeit gehört nicht zur
realitas, denn für sachhaltige Prädikate ist irrelevant,
ob etwas existiert. Wirklichkeit liegt im Wirklichen, an ihm selbst,
ohne selbst wirklich zu sein. Das liegt im Gegensatz zu der These
Kants, daß Wirklichkeit eine Beziehung ist zwischen Subjekt
und Wahrgenommenem.

Der Ursprung der Begriffe essentia und existentia und deren
Zusammenhang soll ergründet werden. Dafür ist es notwendig
den Horizont zu erfassen, in dem die Begriffe interpretiert wurden.
Existentia geht zurück auf das actus, agere, actualitas,
energein (handeln). Mit dieser begrifflichen Herleitung ist das
Herstellen der Horizont der Interpretation. Auch durch eine Untersuchung
der näheren Bestimmungen für essentia bestätigt
sich diese Annahme: morphe, eidos (forma), to ti in einai (das,
was ein Seiendes schon war, das Wesen), genos, physis (Natur),
oros, orismos (definitio), ousia. eidos (Aussehen) wurde ursprünglicher
als morphe (Gestalt) gedacht, nämlich als vorgestellte Idee
(idea), die der hergestellten Gestalt vorhergeht.

Wie schon bei der Kantischen These zeigt Heidegger nun die
intentionale Struktur des herstellenden Verhaltens auf. Jedes
herstellende Verhalten impliziert ein Verständnis der Seinsweise
des Herzustellenden und zielt darauf, dieses nach Fertigstellung
freizugeben, so daß es für sich selbst steht.

Wie ist aber die Konzentration auf Hergestelltheit zu erklären,
da doch die griechische Ontologie so zentrale Begriffe wie Kosmos
und Natur als ungeworden und unvergänglich beschreibt, also
gerade nicht hergestellt? Weil nur in dem Kontext von "Herstellung"
etwas herstellungsunbedürftiges gedacht werden kann. Auch
Begriffe wie Materie (Material), Stoff machen nur aus der herstellenden
Perspektive Sinn. Bei allen oberflächlichen Unterschieden
gehen Kant und die Antike auf die gleiche Wurzel, die Anschauung,
zurück. Kants absolute Setzung kann interpretiert werden
als Stehenlassen von etwas an ihm selbst, das, was die Griechen
mit noein bezeichneten.

Am Ende der Analyse stellt sich die Frage, ob die anfängliche
These gehalten werden kann. Ist alles Seiende Vorhandenes? Oder
muß nicht das Dasein, dem es in seinem Sein um sich selbst
geht, in einer anderen Seinsweise verstanden werden? Die These
muß entsprechend eingeschränkt werden, denn Dasein
ist von reinem Vorhandenem unterschieden.

Hier wird nicht die Was-Frage gestellt, sondern die Wer-Frage.
Nun sind wir also auch bei der zweiten These wieder auf die Verhaltungen
des Daseins zurückgeworfen.

Die These der neuzeitlichen Ontologie:

"Die Grundweisen des Seins sind das Sein der Natur (res
extensa) und das Sein des Geistes (res cogitans)"

Da wir immer wieder auf das Dasein zurückkommen, muß
dieses eine besondere Funktion innehaben. Seit Descartes ist das
Subjekt der einzig gewisse Ausgangspunkt der Philosophie, womit
eine 180-Grad-Wendung vollzogen wurde (Kopernikanische Wende).
Das führte aber nicht dazu, die andere Seinsweise des Daseins
zu untersuchen, sondern das Subjekt wurde gleichermaßen
als Vorhandenes gesehen. Die Wendung ist insofern nur scheinbar,
als sie die überlieferte Ontologie beibehält und als
Selbstverständlichkeit invisibilisiert. Heidegger untersucht
die Kantische Auffassung von Subjekt und Objekt, die von Descartes
beeinflußt ist und bis zu Hegel bestimmend gewirkt hat.

Kant differenziert Ich/Subjektivität in:


  • personalitas
    transcendentalis – Ich-denke. Das Ich als Grund alles Seins (substantia,
    hypokeimenon, das Zugrundeliegende). Kant sagt nicht nur nichts
    aus über die Seinsart des Ich-denke, er begründet sogar,
    weshalb nichts ausgesagt werden kann: die (für Kant einzig
    möglichen) Kategorien wurden vom Ich aufgestellt und können
    nicht auf das sie Bedingende angewendet werden. Außerdem
    implizieren die Kategorien die (für Kant) sinnlichen Formen
    von Raum und Zeit, womit das Ich-denke als Naturding bestimmt
    wäre.
  • personalitas psychologica – Ich-Objekt, empirisches Ich,
    Grund der Animalität, des Lebens überhaupt
  • personalitas moralis – Personalität des Menschen, Verfassung
    seines Personseins, moralisches Selbstbewußtsein, Achtung,
    Selbstverantwortung. "Ich unterwerfe mich in der Achtung
    vor dem Gesetz mir selbst als dem freien Selbst. (…) Dem Gesetz
    [das ich mir als freies Wesen selbst gebe, Anm. SU] mich unterwerfend,
    unterwerfe ich mich mir selbst als reiner Vernunft, d.h. aber
    in diesem mich mir selbst Unterwerfen erhebe ich mich zu mir
    selbst als dem freien, mich selbst bestimmenden Wesen."
    (S.192) Achtung faßt Kant (Kritik der praktischen Vernunft)
    als Gefühl, das aber nicht durch sinnliche Erfahrung (Lust/Unlust)
    vermittelt ist, sondern durch Vernunft. Die formale Grundstruktur
    des Gefühls ist: Gefühlhaben-für, Sichfühlen
    und dieses Sichfühlen als Modus des Sich-selbst-Offenbarwerdens.

Durch diese Analyse stellt sich der Mensch als Zweck seiner
selbst heraus, auf dessen Basis Kant seinen Kategorischen Imperativ
formulieren kann. Er geht zwar von einer allem zugrundeliegenden
Vorhandenheit (res) aus, differenziert aber Person (Subjekt, res
cogitans) und Sache (Objekt, res extensa) so grundlegend, daß
er für jedes eine eigene Ontologie aufstellt: die Metaphysik
der Natur und die Metaphysik der Sitten. Was die Analyse aber
auch zeigt, ist, daß die Einheit des Ich in diesen drei
Bestimmungen unbestimmt bleibt.

Der antike Auslegungshorizont ist das Herstellen. Auch Kant
kommt darauf wieder zurück: Seiendes steht in Wechselwirkung
(commercium) zu anderem, d.h. außer der Spontaneität
muß es gleichursprünglich Rezeptivität sein, um
Wirkungen von anderem zu erfahren. Das andere "Seiende an
sich" wird nie erfahren, das kann nur der Schöpfer des
jeweiligen Seienden. So kommt Heidegger zu der Deutung (was Kant
selbst nicht explizit so formuliert): "Sein eines Seienden
bedeutet nichts anderes als Hergestelltheit."

Nach der Skizzierung der Kantischen Auffassung und der ihr
innewohnenden Probleme kennzeichnet Heidegger nun die Richtung,
in der wir das Sein des Daseins denken können.

"Die Philosophie muß vielleicht vom ‚Subjekt‘
ausgehen und mit ihren letzten Fragen in das ‚Subjekt‘ zurückgehen
und darf gleichwohl nicht einseitig subjektivistisch ihre Fragen
stellen." (Heidegger aus Sein und Zeit S.220)

Ein Subjekt fordert notwendig ein Objekt und umgekehrt. Aber
nicht alles Seiende ist notwendig ein Objekt, nur dann wenn es
vom Subjekt vergegenständlicht wird. Gehört zur Seinsweise
eines Subjekts, daß es bei anderem Seienden ist? Jeder versteht
sich aus den alltäglich begegnenden Dingen, d.h. nicht so,
wie wir eigentlich sein könnten, sondern von dem her ‚reflektiert‘
wem oder was wir begegnen.

Die nächsten
Dinge nennt Heidegger Zeug. Es ist nie ein einzelnes Zeug gegeben,
sondern immer schon ein Zeugzusammenhang, der in der praktischen
Umsicht begegnet, nicht thematisch erfaßt, sondern immer
schon mit da. Jedes Zeug hat ein wozu, wird für etwas gebraucht,
man sagt auch, es hat eine bestimmte Bewandtnis. Das Dasein ist
nicht in diesem Bewandtniszusammenhang mitvorhanden sondern zeichnet
sich gegenüber Tisch, Stuhl etc. dadurch aus, daß es
in-der-Welt-ist.

Welt ist hier nicht gefaßt als die Summe alles Seienden,
sondern als wesenhafte Seinsart des Daseins, das die Welt als
einen Bedeutungszusammenhang im vorhinein annimmt. Dasein ist
notwendig immer schon In-der-Welt-sein, dagegen ist Innerweltlichkeit
eine mögliche Bestimmung, die der Natur zukommen kann, nämlich
dann, wenn sie entdeckt wird. Die Innerweltlichkeit kommt der
Kultur immer zu, weil diese durch Dasein geschaffen wurde. Heidegger
nennt das Sein des Daseins Existenz, von ex-sistere, wörtlich
übersetzt aus-stehen, im Sinne von herausragen, hervortreten,
aus sich herausstellen. Dasein ist um seiner selbst willen, es
ist nicht nur einfach Vorhandenes. Es hat in einer gewissen Weise
nur sich selbst und kann nur deshalb sich verlieren. Dieses Worumwillen
gehört zum Dasein genauso wie das In-der-Welt-sein (vgl.
Kants Rede vom Zweck).

Die These der Logik:

"Alles Seiende läßt sich unbeschadet der jeweiligen
Seinsweise ansprechen und besprechen durch das "ist";
das Sein der Kopula"

Das "Sein" als Kopula ist die Verbindung zwischen
Subjekt und Prädikat in der Aussage. Aristoteles sagt, das
"Sein" ist kein Seiendes wie Subjekt und Prädikat,
sondern ist das im Denken als Verbundenheit (synthesis) Gedachte.
Es ist im Denken, kein vorkommendes Ding.

Thomas Hobbes führt das "Sein" als Vertreter
eines extremen Nominalismus auf die Aussage zurück. Der frühere
Name (Subjekt) ist im späteren (Prädikat) enthalten,
was durch die Kopula verkoppelt wird. Sie verweist auf den Grund
der Identifikation von Subjekt/Prädikat und Ding. Sein ist
Was-sein. Wahr sind Aussagen – und nur Aussagen – in denen Subjekt
und Prädikat sich auf die gleiche Sache beziehen. Wahrheit
liegt nicht in den Dingen.

John Stuart Mill geht zuerst vom Nominalismus aus, den er aber
in der praktischen Anwendung nicht halten kann, da sich Sätze
auf reale Tatsachen beziehen. Sein bedeutet Existieren. Dieser
Zweideutigkeit begegnet Mill mit einer Unterscheidung in wesentliche
(wörtliche, analytische) und zufällige (wirkliche, synthetische)
Sätze, d.h. in Definition und Existenzaussage. Hermann Lotze
geht von einer Doppelung des Urteils aus, d.h. er sieht einerseits
die Verbindungsfunktion der Kopula (Hauptgedanke) und weiterhin
dessen Wahrsein (Nebengedanke).

Wir haben damit vier Interpretationen von "ist",
die die vielfältige Struktur verdeutlichen:


  • Wassein (essentia)
  • Existenz (existentia)
  • Wahrsein (Geltung)
  • Verbindungsfunktion (Prädizierung)

Schon Aristoteles hat in seiner Bestimmung des Logos vielfältige
Zusammenhänge aufgezeigt, die über eine vorhandene Wortfolge,
die vorhandene Dinge bedeutet, weit hinausreicht. Dennoch hat
sich bis in die heutige Zeit eine Fragestellung erhalten, die
von einem Wort- auf einen Vorstellungszusammenhang schließt
und den Bezug zu objektiven seienden Dingen problematisiert.

"Wie
kann eine Übereinstimmung zwischen subjektivem Denken und
objektiv Seiendem funktionieren?" lautet die Frage, die von
grundverkehrten Annahmen ausgeht. Aussagen sind intentionales
Verhalten des Daseins, was ein Seinsverständnis impliziert,
auf das sich die Intention bezieht. Die Aussage gründet im
In-der-Welt-sein, in dem Welt schon enthüllt (verstanden)
ist, d.h. die Aussage hat eine sekundäre Erkenntnisfunktion,
da Seiendes schon enthüllt sein muß, damit eine Aussage
darüber möglich ist. Für die Kopula bedeutet das,
daß die Verbindungsfunktion nicht im Satz gründet sondern
aus der Verbundenheit des Seins des Seienden herrührt.

Wenn wir Aristoteles‘ Aussage prüfen wollen, daß
Wahrheit nicht unter den Dingen ist, sondern im Verstand, müssen
wir klären, was Wahrheit und Verstand bedeutet – womit wir
wieder beim Dasein wären.

Das Wahrsein einer Aussage meint den enthüllenden Charakter
– was die Grundfunktion der Aussage ist – für einen Verstehenden.
Der Begriff Enthüllen bezieht sich auf die griechische Wurzel
a-letheia, Un-verborgenheit, aus der Verborgenheit herausholen,
offenbarmachen, enthüllen. Insofern Dasein immer schon in
einer erschlossenen Welt ist, läßt sich sagen, daß
Dasein in der Wahrheit existiert. Damit soll allerdings nicht
gesagt werden, daß Wahrheit im Subjekt vorhanden sei, genausowenig
wie sie im Seienden, im Objekt, vorhanden ist. Wahrheit ist als
Enthüllen ein Verhalten des Daseins, was sich auf ein Seiendes
als Enthülltes bezieht. So genommen ist Wahrheit weder im
Subjekt noch im Objekt, sondern dazwischen, in diesem Sinne transzendent.

Das Problem der ontologischen Differenz

Nachdem wir bei jeder einzelnen These immer wieder auf die
Verhaltensweise des Daseins verwiesen wurden, nimmt Heidegger
nun eine Analyse des Daseins vor, das er aus der Zeitlichkeit
heraus interpretiert. Zuerst untersucht er den heutigen Begriff
der Zeit, den er aus seinem Ursprung her ergründet. Er skizziert
die Entwicklung des Zeitbegriffs bei Aristoteles, dessen Analyse
das vulgäre Zeitverständnis die letzten 2000 Jahre geprägt
hat.

Aristoteles greift die traditionelle Auffassung "Zeit
ist Bewegung" auf und untersucht sie systematisch. In Stichworten
kurz skizziert: Zeit ist nicht Bewegung, weil sie nicht nur im
Bewegten ist sondern überall – Zeit ist etwas an der Bewegung
– Zeit ist "ein Gezähltes der im Horizont des Früher
und Später begegnenden Bewegung" – Was bedeutet "in
der Zeit", bzw. Innerzeitigkeit? – Die Einheit in der Zeitabfolge
ist das Jetzt – Ist Zeit etwas subjektives, weil das Zählen
ein Verhalten des Daseins ist? – Wie kann Gleichzeitigkeit entstehen?
Was bedeutet "Zeit ist an der Bewegung"? Sie haftet
nicht am Gegenstand, schreitet voran, wenn der Gegenstand still
steht und ist nicht mit durchlaufenen Orten verkoppelt.

Bedenken wir: Zeit ist das Gezählte an der Bewegung. Auch
wenn wir an der physikalischen Geschwindigkeit Zeit mit berechnen
können, so fehlt uns eine Anschauung für die Zeit an
sich als reine Stetigkeit, unabhängig vom Räumlichen.
Wir nehmen Bewegung nur am Bewegten wahr. Wenn wir eine Ortsveränderung
nachvollziehen, dann nicht durch ein beliebiges Nebeneinanderliegen
der Orte, sondern durch den Vollzug "von dort her" bis
"hier hin" – indem wir also das vergangene und zukünftige
in Zusammenhang sehen. Jedes Jetzt ist einerseits dasselbe (Wassein,
essentia) wie jedes andere Jetzt, andererseits nie dasselbe (Wiesein,
existentia). Es ist selbst der Übergang. Als Gezähltes
nehmen wir das Jetzt zwar an Seiendem wahr, aber ohne daß
das Jetzt den Charakter des Seienden annimmt. Die Zeit (Jetzt)
ist auch nicht selbst in der Zeit, sondern umgreift (umhält)
das innerzeitig Seiende.

Für
das vulgäre Zeitverständnis ist die Uhr von zentraler
Bedeutung. Aber weder die Uhr als Gegenstand noch die Zeit als
solche thematisiere ich, wenn ich auf die Uhr schaue, um die Zeit
abzulesen. Vielmehr suche ich, wieviel Zeit mir noch bis zu einem
bestimmten Zeitpunkt bleibt. Ich bin nicht auf die Zeit – auf
das Jetzt – an sich bezogen, sondern als Zeit, um zu…. Wenn
ich auf die Uhr schaue, denke ich implizit ‚jetzt‘. Was ist dieses
Jetzt, wenn ich es nicht als etwas Vorhandenes greifen kann? In
jedem Jetzt liegt mit ein Nachher und ein Vorher. Ein isoliertes
Jetzt ist nicht denkbar. Um zu verstehen, wie die Jetzt-Zeit aus
der Zeitlichkeit entspringt, gilt es ihre volle Struktur zu erfassen,
um daraus abzuleiten, was in der Zeit ausgesprochen wird:


  • Bedeutsamkeit – Jedes Jetzt ist Zeit, um das und das zu tun
    oder gerade nicht zu tun. Als Weltzeit bezieht sich jedes Jetzt
    auf eine Zeit, zu…, was das künftige Worumwillen genauso
    impliziert wie das Selbstverständnis aufgrund der eigenen
    Gewesenheit.
  • Datierbarkeit – Zeit ist auf Seiendes bezogen, von woher
    sie datiert wird. Das jetzt, da bezieht sich immer auf ein Seiendes
    aus der Gegenwart bzw. damals, als auf eines aus der Gewesenheit
    oder dann, wann auf eines aus der Zukunft, von woher sich das
    Jetzt datiert.
  • Gespanntheit – Zeitpunkte sind jeweils über eine gewisse
    Dauer erstreckt. Jeder Jetztpunkt geht über in ein jetzt-noch-nicht
    und kommt aus einem jetzt-nicht-mehr, impliziert als einzelner
    schon den Übergang, was nichts anderes bedeutet als daß
    er in Zukunft und Gewesenheit hinein erstreckt ist.
  • Öffentlichkeit – Das ausgesprochene "Jetzt"
    ist für jedermann verständlich. Wenn ich Jetzt sage,
    dann versteht das, abgesehen von der konkreten Auslegung, jeder
    Mensch. Aufgrund des Außer-sich-seins der Zeitlichkeit
    ist sie für jedermann erschlossen im gemeinsamen In-der-Welt-sein.

Dasein ist immer gewärtig, auf ein Seinkönnen in
der Zukunft ausgerichtet, egal wie weit der Horizont in die Zukunft
reicht. Dasein ist immer schon gewesen und versteht sich aus den
gemachten Erfahrungen, die nicht einfach weg und vorbei (vergangen)
sind, sondern in der Gegenwart und auf die Zukunft weiter wirken.
Dasein lebt zudem immer gegenwärtig, indem es sich auf Seiendes
und Mitseiendes bezieht. Diese drei Momente sind als gleichursprüngliche
Einheit zu verstehen und als solche außer sich (ekstasis).
Sie bilden die ursprünglichere Zeit, die Zeitlichkeit.

Das impliziert eine Offenheit, wohin die Ekstase entrückt
ist. Warum ist dem Dasein diese ursprüngliche Zeit verborgen?
Warum hat es in über 2000 Jahren Philosophiegeschichte diese
ursprüngliche Struktur nicht erkannt? Weil das Dasein an
das Seiende verfallen ist. Es versteht sich aus dem Seienden,
das es als vorhandenes interpretiert und sich selbst als ebenso
vorhanden (Subjekt, Substanz) sieht, sowie die Zeit als vorhandene
Folge isolierter Jetztpunkte.

Seinsverständnis liegt allem Verstehen von Seiendem zugrunde.
Verstehen bedeutet, sich als wesentliches Verhalten des existierenden
Daseins auf Möglichkeiten zu entwerfen, so daß das
Dasein selbst diese Möglichkeiten ist. Verstehen vollzieht
sich als uneigentliches vom Seienden her und aus dem, was die
Anderen sagen, als eigentliches erwächst es aus dem eigensten
Dasein.

Entwurf eines In-der-Welt-seins impliziert Mitsein und Sein-bei.
Außerdem bedarf es eines Lichtes, um das Entworfene sehen
zu können; das Licht der Sonne für das sinnliche Sehen
und die Idee des Guten (Plato) für das wissenschaftliche/philosophische.
Die Idee des Guten führt Heidegger nicht weiter aus, deutet
nur an, daß sie Wahrheit ermöglicht und mit der griechischen
Idee des Herstellens zu tun hat, die idea agatho ist nichts anderes
als der demiurgos, der Hersteller schlechthin.

Verstehen ist als Entwurf primär zukünftig. Entschlossen,
eigentlich existierend, kommt das Dasein aus seinen Möglichkeiten,
in die es vorgelaufen ist, auf sich selbst in den Augenblick zurück
und holt sich aus seiner Gewesenheit wieder in sein Seinkönnen
hinein.

Unentschlossen, d.h. uneigentlich existierend, wartet das Dasein
die Zukunft ab (gewärtigen), hat seine eigene Vergangenheit
vergessen und läßt sich in der Gegenwart vom umgebenden
Seienden oder von dem, was andere sagen, bestimmen. Die Grundverfassung
des Daseins ist das In-der-Welt-sein, womit auch die Transzendenz
des Daseins thematisiert wird, da es doch in diesem In-sein über
sich hinausweist.

In-der-Welt-sein ist Seinsverständnis. Das Dasein muß
im Umgang mit dem nächsten Seienden, dem Zeug, immer schon
den Zusammenhang mit anderem Seienden, den Bewandtnisbezug, entworfen
haben, d.h. es gewärtigt das Wozu. Welt im ontologischen
Sinne ist das Ganze dieser Bezüge. Dasein hat sich im Verstehen
der Welt auch selbst verstanden, und gleichursprünglich ebenso
das Mitsein und das Sein-bei Zuhandenem. Da Selbst und Welt zusammengehören,
d.h. Welt nur solange ist, wie Dasein existiert, ist das Dasein
selbst das Transzendente. Die Transzendenz ermöglicht erst
das Seinsverständnis und wird selbst vom ekstatischen Charakter
der Zeit ermöglicht.

Wie ist Zuhandenheit zeitlich zu verstehen? Heidegger versteht
Zuhandenheit aus dem Grundphänomen der Praesenz heraus. Praesenz
ermöglicht erst An- und Abwesenheit, somit kann etwas zuhanden
oder abhanden gekommen sein. Praesenz meint nicht das gleiche
wie Gegenwart, hängt aber damit zusammen: Gegenwart ist eine
der drei Ekstasen der Zeitlichkeit und Praesenz ist das Woraufhin
des Entwurfs der Gegenwart, der Horizont der Ekstase der Gegenwart.
Auf die anderen beiden Horizonte, den der Zukunft und den der
Gewesenheit, geht Heidegger hier nicht weiter ein. Die Horizonte
sind das Ende der Zeitlichkeit, hinter die Heidegger nicht weiter
zurückfragt, und der Ausgang jeglicher Möglichkeit des
Entwerfens.

Zeitlichkeit ist die Bedingung der Möglichkeit von Transzendenz,
die wiederum Intentionalität ermöglicht. Das Dasein
– als Einheit von Selbst, Mitsein und Sein-bei – gründet
in den drei Ekstasen der Zeitlichkeit, Gegenwart, Zukunft und
Gewesenheit. Diese ermöglichen mit ihren jeweils zugehörigen
Horizonten erst das Seinsverständnis. Seinsverständnis
bezieht sich immer auf Seiendes, nie auf das Sein an sich. Und
zwar nicht nur im alltäglichen Verständnis. Auch die
Philosophie erklärt bislang das Sein aus dem vorhandenen
Seienden her. Seinsverständnis und solche Phänomene
wie In-der-Welt-sein, Transzendenz oder Welt sind verdeckt, was
nicht einfach nur an mangelnder Scharfsinnigkeit liegt, sondern
in der Geschichtlichkeit des Daseins gründet.

Verstehen kann nur in einem Prozeß errungen werden, der
die Interpretationsmöglichkeiten in allen Konsequenzen durchdenkt.
So geht es Heidegger auch in diesem Buch um den Prozeß des
Denkens und des Weiterdenkens, in der Gewißheit, daß
es keinen Endpunkt markiert, sondern selbst nur einen möglichen
Weg beschreibt.

Sabrina Ulbrich