Kleine Einführung in die Philosophie von George Berkeley

George Berkeley (1685-1753) hat nicht nur philosophiert, sondern sich als (anglikanischer) Bischof von Cloyne in Südirland auch sozial engagiert. Man behauptet, dass er oft missverstanden und unterschätzt wurde. Lesen Sie hier eine kleine Einführung in seine Philosophie.

George Berkeley

George Berkeley (1685-1753) hat nicht nur philosophiert, sondern sich als (anglikanischer) Bischof von Cloyne in Südirland auch sozial engagiert: „Er bekämpfte die Arbeitslosigkeit, das Bettlerunwesen und die Trunksucht, verbesserte Boden und Wege und entwickelte auch schriftstellerisch höchst fortschrittliche Gedanken zur Sozialfürsorge, zur Steigerung der wirtschaftlichen Leistungs- und Kreditfähigkeit und zur finanziellen Sanierung. Auch für eine Verbesserung der politischen Beziehungen zwischen England und Irland, sowie für die Gleichberechtigung von Katholiken und Protestanten […] setzte er sich ein“ (Glockner 551f).

George Berkeley Philosophie Einführung

Als Philosoph wurde er „fast immer mißverstanden“ (Glockner 552). „Vor allem im deutschsprachigen Raum wurde BERKELEY immer wieder unterschätzt oder mißachtet“ (Breidert 1989, S. 9).

Friedrich Raab bildete sich ein, er habe Berkeley besser verstanden als dieser sich selbst: „Es soll nun weder behauptet werden, daß Berkeley die angeführten Gedanken […] in der Bestimmtheit bereits gedacht hätte, wie sie hier anzudeuten versucht sind. Darauf kommt es aber bei der Erfassung des philosophischen Gehalts einer Schrift auch gar nicht an. Es gilt dabei vielmehr gerade zu zeigen, wie der Philosoph gedacht haben müßte, wenn er bis zu der bei seiner Philosophie überhaupt möglichen Klarheitsstufe der Erkenntnis vorgedrungen wäre. […] Daß Berkeley die ihm an sich mögliche Klarheitsstufe nicht erklommen hat, ist vor allem eine Folge seiner […] kirchlichen Befangenheit“ (Einleitung zu Siris, S. XVII).

Beispiele für verschiedene Beurteilungen Berkeleys Philosophiegeschichtsschreibung:

Kant meinte, Berkeley habe die Gegenstände „zu bloßem Schein“ degradiert (III 94). Er betrachtete ihn als dogmatischen Idealisten, „der den Raum […] und […] auch die Dinge im Raum für bloße Einbildungen erklärt“ (III 254). Berkeley sei ein Mystiker und Schwärmer, der sich „Hirngespinste“ ausgedacht habe (V 157). Er habe „den Raum vor eine bloße empirische Vorstellung“ angesehen – im Gegensatz zu Kant selbst, der dachte, er könne den Raum a priori erkennen (V 253f).

Hegel hielt Berkeleys System für inkonsequent und ungenügend. Er mache Gott zum Lückenbüßer für die fehlende Antwort darauf, wie man nun Wahr und Falsch auseinanderhalten könne.

Bertrand Russell kritisierte, daß Berkeley gleichzeitig empirisch und logisch argumentierte, was unnötig und „ein Zeichen von Schwäche“ sei (PhA 661). „Die Grundthese der Philosophie Berkeleys ist, daß sein und wahrgenommen werden dasselbe sei. Diese Formel schien ihm derart selbstevident, daß er seinen weniger überzeugten Zeitgenossen nicht erklären konnte, was er damit eigentlich meinte“ (DA 298f).

Wolfgang Breidert hebt bei Berkeleys Philosophie die Spannung zwischen Empirismus und Religion mit „Bekämpfung des Skeptikertums, der Freidenkerei und der ihnen zuarbeitenden Wissenschaftsgläubigkeit“ hervor (S. 214).

Christoph Helferich denkt über Berkleys Eintrag Nr. 23 im „Philosophischen Tagebuch“ nach, was eine Welt ohne Menschen wäre: „Einigen mögen solche Gedanken nutzlos oder luxuriös erscheinen. Bei anderen können sie dazu führen, daß ein naiver Begriff von Wirklichkeit gründlich erschüttert wird“ (S. 196).

1. Philosophisches Tagebuch (1707/08)

Ich greife hier nur diejenigen Aussagen heraus, die für das Verständnis der im folgenden besprochenen Werke von Berkeley wichtig sind.

Aus Nr. 312: „Körper existieren wirklich, selbst wenn sie nicht von uns wahrgenommen werden“ (S. 40). Dieser Satz ist wichtig, um dem Mißverständnis vorzubeugen, Berkeley habe die Realität der äußeren Welt geleugnet.

Aus Nr. 378: „Alle Vorstellungen kommen von außen oder von innen“ (S. 48). Das heißt, die einen Vorstellungen werden durch die Wahrnehmung der Sinne gewonnen, die anderen gewinnen wir aus der Tätigkeit unseres Geistes.

Aus Nr. 429: „Existenz ist percipi [wahrgenommenwerden] oder percipere [wahrnehmen]“ (S. 54). Dieser Satz bedeutet nicht, daß es die Welt nicht mehr gibt, wenn keiner sie wahrnimmt, denn auch wenn es keine Menschen gibt, ist immer noch Gott da. Man kann den Satz existentialistisch verstehen: Ein Mensch fühlt sein Dasein dadurch, daß er von anderen (von Menschen oder von Gott) wahrgenommen wird, und dadurch, daß er die Welt wahrnimmt.

Nr. 779: „Ich stimme folgendem Axiom der Scholastiker zu: ‚Nihil est in intellectu quod non prius fuit in sensu [nichts ist im Verstand, was nicht vorher in der sinnlichen Empfindung war].‘ Ich wünschte, sie hätten sich daran gehalten. Es hätte sie niemals die Lehre von den abstrakten Vorstellungen lernen lassen“ (S. 105f). Berkeley outet sich hier als Empiriker und kritisiert die Scholastiker dafür, daß sie den Empirismus nicht konsequent durchführten. Hätten sie das getan, hätten sie niemals darüber diskutieren können, wieviele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben. Daß Berkeley weltfremde Spekulationen ablehnte, sieht man nicht zuletzt an seiner erfolgreichen seelsorgerischen Tätigkeit als Bischof.

Berkeley nahm sich vor, wegen der Kirche vorsichtig zu sein (Nr. 715). Er vertrat den kosmologischen Gottesbeweis, d.h. er schloß von seiner Wahrnehmung der Welt auf Gott (Nr. 838). Beides bedeutet doch, daß man seine metaphysischen Aussagen als Zugeständnis an die Kirche werten muß. Das muß man im Hinterkopf behalten, wenn man die Vorwürfe von Georg Mende zu den „Drei Dialogen zwischen Hylas und Philonous“ liest, die darauf hinauslaufen, Berkeley habe unredlich argumentiert (s.u.).

2. Versuch einer neuen Theorie der Gesichtswahrnehmung (1709)

Gleich mit dem ersten Satz gibt Berkeley eine Zusammenfassung seiner weitgehend physikalischen Schrift:

„Der Zweck meiner Arbeit ist darzutun, wie wir mit Hilfe des Gesichtssinnes Entfernung, Größe und Lage von Gegenständen wahrnehmen, ferner auch den Unterschied zu betrachten, der zwischen den Wahrnehmungen des Gesichtssinnes und denen des Tastsinnes besteht, und zu untersuchen, ob es eine Idee [hier = Vorstellung] gibt, die beiden Sinnen gemeinsam ist“ (S. 1).

Das Ergebnis der Schrift ist, daß wir die Ergänzung des Tastsinnes brauchen, wenn wir uns aufgrund dessen, was wir sehen, ein wahres Bild machen wollen. Wir sehen eigentlich nicht nur mit den Augen, sondern wir konstruieren die Wirklichkeit mit unserem Geist. Berkeleys Frage, ob ein Geist ohne Körper in der Lage ist, die Geometrie zu verstehen, ist für uns Menschen schwer zu beantworten, da bei uns Gesichts- und Tastwahrnehmungen eng miteinander verbunden sind.

Das Wichtigste: Abstraktionen wie Raum oder Außenwelt sind keine Objekte, die man sehen kann. Es handelt sich um Ideen, die unsichtbar sind. Dasselbe gilt für die Bewegung: Wir können nur Bewegungen in bestimmte Richtungen sehen: auf und ab, hin und her u.a. Der Begriff „Bewegung“ ohne Richtungsangabe ist eine unsichtbare Abstraktion.

Das, was wir sehen können, betrachtet Berkeley als „eine Weltsprache des Schöpfers […], durch die wir darüber unterrichtet werden, wie wir unsere Handlungen einzurichten haben, um uns die Dinge zu verschaffen, deren wir zur Erhaltung und zum Wohlbefinden unseres Leibes bedürfen, ebenso auch um die Dinge zu vermeiden, welche ihm Schaden bringen und ihn verletzen könnten“ (S. 89).

Beim Vorliegen vieler Vorurteile reicht es nicht, einfach die Wahrheit zu sagen. „Wir müssen auch versuchen, auf die Einwendungen einzugehen, die viele zugunsten einer vorgefaßten Meinung bereit haben; wir müssen zeigen, woher der Irrtum kommt, wie er sich verbreitet hat, und jene falschen Ansichten, die ein frühes Vorurteil in die Seele gepflanzt hat, sorgfältig ausroden und vernichten“ (S. 84).

Die Fehlinterpretation, Berkeley meine, es gebe keine Außenwelt, bekommt durch folgenden Abschnitt Nahrung: „Auch haben wir schon bewiesen, daß die eigentlichen Gesichtsobjekte nicht außerhalb des Geistes existieren. Hieraus folgt natürlich, daß die Bilder, welche auf den Augenhintergrund gewissermaßen gemalt sind, nicht Abbilder von Außendingen sein können“ (S. 70).

Ich denke, daß dahinter nicht ein Versuch steckt, die Realität der physischen Wirklichkeit abzustreiten, sondern lediglich das etwas unbeholfene Bemühen, darauf hinzuweisen, daß sich das, was in uns aufgrund von sinnlichen Wahrnehmungen und geistiger Tätigkeit entsteht, von der physischen Wirklichkeit unterscheidet.

Man kann die Stelle auch als Vorform von Berkeleys Ansicht in der „Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis“ interpretieren, „daß Realität in nichts anderem bestehe als im Wahrgenommenwerden“ (Breidert 1989, S. 26).

Berkeley erwartet nicht, daß man ihm glaubt, was er schreibt. Er fordert den Leser ausdrücklich auf, daß er seine Aussagen anhand eigener Erfahrungen daraufhin prüfen soll, ob sie wahr oder falsch sind.

3. Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis (1710)

In diesem seinem Hauptwerk betrachtet Berkeley den Geist als die Ursache der Ideen und der Dinge. Er behauptet, es gebe keine Materie bzw. körperliche Substanz (das ist richtig: Materie ist lediglich eine Abstraktion, also ein Gedanke; tatsächlich können wir mit den fünf gewöhnlichen Sinnen nur allerlei materielle Dinge wahrnehmen).

Doch das ist Berkeley zu platt. Er behauptet: Was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, seien „Ideen […], die nicht unwahrgenommen existieren können“ (S. 49; auch das ist nicht ganz falsch: tatsächlich bauen wir die Wirklichkeit aus unseren Wahrnehmungen und unserem Denken zusammen).

Wieder Berkeley: „Daß Körper kein Dasein außerhalb des Geistes haben, darf nicht so verstanden werden, als wäre dieser oder jener einzelne Geist gemeint; was ich sagte, gilt für alle Geister, welche es auch sein mögen“ (S. 49). Das heißt: Auch Gott gehört dazu. Die Frage, ob die Welt noch da ist, wenn es keine Menschen mehr gibt, die sie wahrnehmen können, beantwortet Berkeley also so: Ja, die Welt ist trotzdem noch da, denn Gott sieht sie ja.

4. Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous (1713)

Der erste Dialog ist ein einziger Alptraum. Es kommt nichts dabei heraus. Der Materialist Hylas (v. griech. hylē = Materie) wird von dem Geistesfreund Philonous (v. griech. philein = lieben, nous = Geist) so durcheinandergebracht, daß er die einzige Stelle, an der Philonous etwas Vernünftiges sagt, als Ablenkung empfindet: Die Gegenstände existieren außerhalb von uns, doch unsere Vorstellungen nicht.

Der sozialistische Herausgeber Georg Mende macht sich in den Anmerkungen die Mühe, Berkeleys Fehler nachzuvollziehen: Er unterstellt den Materialisten und Atheisten Meinungen, die sie nicht haben, verleumdet sie also. Für seine Schlüsse verwendet er falsche oder halbwahre Prämissen und gelangt dadurch zu Unwahrheiten. Er stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Er bringt die einzelnen Bestandteile des Erkenntnisprozesses (Wahrnehmung und Denken) durcheinander. Er verwechselt die Begriffe.

Kurz: Berkeley führt vor, wie ein Lump einen Idioten durcheinanderbringt. In den beiden folgenden Dialogen entwickeln sich beide: Philonous wird redlicher, Hylas wird gewitzter und übermütiger. Er unterliegt weiterhin.

Im zweiten Dialog faßt Berkeley die Aussagen seiner „Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis“ zusammen:

1. Gott muß alles wahrnehmen, deshalb muß es ihn geben. Georg Mende hält diese Art von Gottesbeweis für doppelt grotesk: Berkeley schließe vom Menschen auf Gott. Da er alles auf Vorstellungen reduziere, könne er nicht einmal beweisen, daß es Menschen gebe.

2. Philonous behauptet, es gebe keine Materie, weil Hylas nichts Sinnvolles darüber aussagen kann.

Der dritte Dialog bringt Berkeleys Argumente gegen Skeptizismus und Materialismus sowie ein religiöses Bekenntnis.

Hylas stellt den Skeptizismus so dar: „Es gibt nicht ein einziges Ding in der Welt, dessen wirkliche Natur, oder was es an sich selbst ist, wir erkennen können“ (S. 137). „Alles, was du erkennst, ist, daß du solch eine bestimmte Vorstellung oder Erscheinung in deinem eigenen Geiste hast“ (S. 138).

Philonous wendet dagegen ein, daß das praktische Leben unter der Annahme, die Dinge seien ihnen bekannt, doch ganz gut funktioniert. Hylas gesteht das zu; „aber du weißt ja, das praktische Leben verlangt keine Schärfe der spekulativen Erkenntnis. […] Philosophen wissen es besser“ (S. 139).

Schon hier merkt man, daß er bereits verloren hat. Philonous charakterisiert das bessere Wissen der Philosophen so: „Du meinst, sie wissen, daß sie n i c h t s w i s s e n .“ Hylas stimmt wieder zu und bezeichnet diese Erkenntnis als den „Gipfel und die Vollendung der menschlichen Erkenntnis“ (S. 139).

Philonous fragt extra nach, ob Hylas auch ernst meint, was er sagt. Statt nun zurückzurudern, setzt dieser noch eins drauf: „Ja, mehr noch, wir sind nicht nur in Ungewißheit über die wahre und wirkliche Natur der Dinge, sondern auch selbst über ihr Dasein“ (S. 139). Philonous hält das für seltsam und übertrieben und fragt, ob Hylas durch seinen Materialismus in seine Verstiegenheit hineingeraten ist. So wendet sich der Dialog nun zum zweiten Thema.

Berkeleys Verhältnis zur Materie wird deutlich:

Philonous leugnet „irgendein ungeistiges S u b s t r a t der sinnlichen Gegenstände“ und „irgendeine materielle Substanz“. Die Existenz sinnlich wahrnehmbarer Körper gesteht er zu (S. 153). Doch er bestreitet deren absolute Existenz (S. 185). Was er damit genau meint, erläutert er nicht. Er findet, „daß die Annahme einer Materie […] nicht dazu dienen kann, uns irgend etwas begreiflich zu machen“ (S. 179). Vielmehr befördere sie „den verderbten Hang des Geistes zum Atheismus“ (S. 189).

Außerdem bringt Berkeley eine Art existentialistischen Gottesbeweis.

Philonous sagt: „Aus meinem eigenen Dasein und aus der Abhängigkeit, die ich in mir selbst und in meinen Vorstellungen entdecke, ziehe ich dann notwendig einen Vernunftschluß auf das Dasein eines Gottes und aller erschaffenen Dinge im Geist Gottes“ (S. 144). Aus der Wahrnehmung seiner selbst schließt er auf ein Seelenwesen.

5. Alciphron oder der Kleine Philosoph (1732)

Berkeleys umfangreichstes Werk besteht aus sieben Dialogen und richtet sich gegen die Freidenker, die er dafür verantwortlich machte, daß aus seinem Missionierungsprojekt auf den Bermudas nichts wurde. Außer der Titelfigur Alciphron (v. griech. alkiphrō= kriegsmutig, streitbar) kommen noch drei weitere Dialogpartner und der Erzähler Dion (= Berkeley) vor, der fast nur zuhört.

6. Die Theorie der Gesichtswahrnehmung verteidigt und erläutert (1732)

Diese Abhandlung ist Berkeleys öffentliche Antwort auf einen anonymen Brief. Dessen Verfasser kritisierte u.a., daß Berkeley im „Alciphron oder der kleine Philosoph“ „die Gesichtswahrnehmung“ als „alleinige Sprache Gottes“hinstellte (S. 102). Berkeley fand keinen Grund, seinen Standpunkt im “ Versuch einer neuen Theorie der Gesichtswahrnehmung“ zu ändern.

Er empfand seine Philosophie als offen. Das sieht man daran, daß er feststellte, die Ideen hätten eine andere Ursache als uns oder sich selbst. Doch diese dritte Ursache bestimmte er nicht näher. Außerdem empfahl er den Lesern, selbst weiterzudenken und ihre Ergebnisse zu seinen Aussagen hinzuzufügen.

Berkeley legte größten Wert auf die Selbständigkeit des Denkens: „Kein Freund der Wahrheit und des Wissens wird also auch dem Denken irgendwelche Beschränkung auferlegen oder nicht jedermann zum Denken ermutigen“ (S. 144).

7. Siris (1744)

Der Titel bedeutet wörtlich „Kette“ (v. griech. seira oder bei Xenophon seiris). Gemeint ist eine lose Aneinanderreihung von 368 Paragraphen, die vom Teerwasser bis zu Gott handeln. Berkeley bezieht sich mit dem Titel auf Iamblichos, der „in Anlehnung an die Pythagoräer und Platoniker“ lehrt, „daß es in der Natur keine Lücke gäbe, sondern eine Kette oder Stufenleiter von Wesen, die sich in sanfter, ununterbrochener Abstufung vom niedrigsten zum höchsten erhöbe, und in der jede Natur durch den Anteil einer höheren vervollkommnet und vollendet werde“ (S. 79).

Das Teerwasser setzte Berkeley zuerst zur Vorbeugung gegen Blattern ein, später dann als Allheilmittel. Über die Art seiner Wirkung schrieb er: „Das Teerwasser […] ist sowohl harn- wie schweißtreibend, scheint aber seine hauptsächlichste Wirkung darin zu haben, daß es der Lebenskraft durch seine verändernde und stärkende, kräftigende Natur beisteht; durch einen Zuwachs an verwandtem Geist das assimiliert, was durch ihre eigene Kraft nicht assimiliert werden könnte und so den fomes morbi [Brennstoff der Krankheit] ausrottet“ (S. 51).

Berkeley erzeugte damit einen regelrechten Teerwasserboom. Aus heutiger Sicht wirkt es zwar antiseptisch, reizt aber die Nieren und kann zu Krebs führen.

Hinsichtlich der Lebenskraft bezog sich Berkeley auf den Äther der Antike, den er mit Licht und Feuer gleichsetzte: „Er durchdringt alle Körper […], ist überall gegenwärtig“ (S. 55), „wenngleich zuweilen nur latent und unbeobachtbar, bis irgendein Zufall es zur Tätigkeit weckt und es in seinen Wirkungen sichtbar macht“ (S. 25). Er wird „durch einen Verstand aktualiter bewegt und regiert“ (S. 75).

Eine weitere Stelle: „Aber die unmittelbare, mechanische oder wirkende Ursache, die alle Teile bewegt und beseelt, ist das reine elementare Feuer oder der Weltgeist. Der feinere und zarteste Teil, der Geist, soll die Eindrücke von dem ersten Beweger erhalten und sie an die gröberen wahrnehmbaren Teile der Welt mitteilen. […]

Der reine Äther oder das unsichtbare Feuer enthält Bestandteile verschiedener Art, die verschiedene Kräfte besitzen, verschiedenen Gesetzen der Bewegung, Anziehung, Abstoßung und Ausdehnung unterworfen und gegenüber anderen Körpern mit mancherlei unterschiedlichen Verhaltungsweisen begabt sind“ (S. 26).

Wer damit nichts anfangen kann, tröste sich mit den folgenden Feststellungen von Berkeley:
„Und […] so hat es sich doch als sehr schwierig erwiesen, um nicht zu sagen, als für denkende Menschen unmöglich, zu begreifen und zu erklären, was diese Kräfte sind, die in den Körpern wohnen, ihnen eingeflößt, in ihnen vervielfacht und geteilt und von dem einen Körper einem anderen mitgeteilt werden, und die die Körper wie abstrakte Geister oder Seelen beleben sollen“ (S. 67).

„Gegenüber dem All der Dinge gleichen wir ohne Zweifel in diesem sterblichen Zustande Menschen, die in Platos Höhle [vgl. Politeia 514a-518b, Anfang des 7. Buchs] erzogen sind, nur auf Schatten blicken und ihren Rücken dem Licht zuwenden“ (S. 73).

Wertvoll sind Berkeleys erkenntnistheoretische Hinweise. Induktion und Deduktion beschrieb er folgendermaßen: „Es ist aber etwas anderes, zu allgemeinen Naturgesetzen von einer Betrachtung der Erscheinungen aus zu gelangen; und wiederum etwas anderes, eine Hypothese zu bilden, und von ihr aus die Erscheinungen zu deduzieren“ (S. 56).

Erkenntnis setzt sich, kantisch ausgedrückt (III 97), aus Anschauung und Denken zusammen: „Wahrnehmung und Erfahrung machen uns mit dem Laufe und der Verwandtschaft der Erscheinungen oder der natürlichen Wirkungen bekannt. Denken, Vernunft und Intellekt führen uns in die Erkenntnis ihrer Ursachen ein“ (S. 74).

Vor einem Mißbrauch der Logik warnte er: „Und wenn wir schon aus den Prämissen einen Schluß ziehen können, so folgt doch nicht, daß wir umgekehrt schließen und aus dem Schluß die Prämissen ableiten dürfen“ (S. 56).

Seine Naturerkenntnis baute er auf dem Prinzip von Sympathie und Antipathie auf: „Die Natur scheint durch Anziehungen und Abstoßungen besser erkannt und erklärt zu werden, als durch andere mechanische Prinzipien, wie Größe, Gestalt und ähnliche, d. h. besser durch Newton als durch Descartes“ (S. 64).

Er suchte nach Naturgesetzen: „Es gibt eine gewisse Analogie, Beständigkeit und Gleichförmigkeit in den Phänomenen oder Naturerscheinungen, die eine Grundlage für allgemeine Regeln bilden. Und diese sind eine Grammatik für das Verständnis der Natur oder für jene Reihen von Wirkungen in der sichtbaren Welt. Durch sie sind wir befähigt, vorauszusehen, was in dem Naturverlauf der Dinge geschehen wird“ (S. 68f).

Zur Hermeneutik: „Wir kennen ein Ding, wenn wir es verstehen; und wir verstehen es, wenn wir es erklären können, oder sagen, was es bedeutet“ (S. 69).

Berkeleys Ansicht darüber, was eine Erklärung sei, ist theologisch gefärbt: „Alle Dinge sind im Hinblick auf das höchste Gut geschaffen, alle Dinge streben nach diesem Ziel; und wir dürfen sagen, daß wir dann etwa erklären können, wenn wir zeigen, daß es so am besten ist“ (S. 72).

Das höchste Gut ist Gott. Er ist die „verborgene Kraft, welche vereint, verbindet und alle Dinge zusammenhängen und sich in Harmonie bewegen läßt, – die Orpheus und Empedokles Liebe nannten – dieses Prinzip der Vereinigung ist kein blindes Prinzip, sondern handelt mit Verstand. Diese göttliche Liebe und dieser göttliche Intellekt sind an sich unserem Blick nicht zugänglich und nur in ihren Wirkungen erkennbar. Der Verstand erleuchtet, die Liebe verbindet und das höchste Gut zieht alle Dinge an“ (S. 72).

Die Auseinandersetzung zwischen Theisten und Atheisten gab es schon in der Antike: „Die größten Dichter und Theologen Griechenlands und des Ostens glaubten, daß die Erzeugung der Dinge am besten einer göttlichen Ursache zugeschrieben werde, während die ‚physici‘ [„Physiker“: antike Naturphilosophen] sie natürlichen Ursachen zuschrieben, die einer göttlichen untergeordnet seien und von der sie regiert würden. Hiervon machen nur einige Materialisten und Mechanisten eine Ausnahme, die vergebens vorgaben, eine Welt ohne einen Gott zu erschaffen“ (S. 71f).

Zwischen Gott und Natur steht die Seele: Sie „ist das, was die Natur unmittelbar beeinflußt und belebt“ (S. 76). „Die Natur scheint nicht anders von der Weltseele unterschieden zu sein, als es das Leben von der Seele ist […]. Aber Leben ist Tätigkeit der Seele und scheint selbst wahre Natur und nicht selber das Prinzip, sondern das Ergebnis eines anderen und höheren Prinzips zu sein, da es ein Leben ist, welches sich so aus der Seele ergibt, wie das Denken aus dem Intellekt“ (S. 81).

© Gunthard Rudolf Heller, 2017

Literaturverzeichnis

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Gunthard Heller