Die Jenaer Systementwürfe von Hegel

Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist ein bekannter deutscher Philosoph und wichtiger Vertreter des deutschen Idealismus. Ein Eckpunkt seines Werks sind die sogenannten Jenaer Systementwürfe. In diesem Artikel finden Sie zu den Jenaer Systementwürfen eine Einführung, Reflektion und Würdigung.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) habilitierte sich am 27.8.1801 in Jena mit einer Arbeit De Orbitis Planetarum ("Über die Planetenbahnen"). Er hatte sie zuerst auf deutsch geschrieben und danach auf lateinisch zusammengefaßt. "Hegel versuchte darin, die Gesetzmäßigkeiten der Planetenabstände spekulativ zu begründen" (Helferich 31). "Man hat später Hegel vorgeworfen, er habe die Anzahl der Planeten aus dem Begriff deduzieren wollen, er habe damit willentlich den empirischen Forschungsstand der Zeit ignoriert" (Gessmann 49).

Wie gerechtfertigt dieser Vorwurf war, zeigt die erste seiner zwölf Habilitationsthesen, mit der er die Erkenntnistheorie auf den Kopf stellt: Contradictio est regula veri, non contradictio falsi, auf deutsch: "’Der Widerspruch ist Maßstab der Wahrheit, die Widerspruchslosigkeit der Falschheit’" (zit. n. Gessmann 50).



Tatsächlich ist es doch so: Darüber, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, entscheidet nicht, ob sie in sich widersprüchlich ist oder nicht, sondern, ob sie mit den Tatsachen übereinstimmt.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel Jenaer Systementwürfe

Helferich kommentiert, Hegels Thesen seien "bewußt paradox" formuliert (Helferich 31). Das steht schon bei Rosenkranz: "Ihre Fassung war zum Theil paradox, was aber nicht sowohl ein Tadel als ein Lob ist, denn Thesen sollen die Streitlust herausfordern, müssen also den Kitzel des Widerspruchs erregen" (S. 156).


Korrekt müßte Hegels erste These folgendermaßen lauten: Der Widerspruch ist kein Maßstab des Wahren, sondern des Falschen. Das bedeutet: Wenn eine Aussage einen Widerspruch enthält, ist sie falsch, enthält sie keinen, muß sie deshalb noch nicht wahr sein.


Den Satz des Widerspruchs hat Aristoteles als notwendiges Erkenntnisprinzip so formuliert: "Daß nämlich dasselbe demselben in derselben Beziehung […] unmöglich zugleich zukommen und nicht zukommen kann, das ist das sicherste unter allen Prinzipien; denn es paßt darauf die angegebene Bestimmung, da es unmöglich ist, daß jemand annehme, dasselbe sei und sei nicht" (Metaphysik 1005b).


Das heißt, wie schon oben gesagt: Wenn eine Aussage einen derartigen Widerspruch aufweist, ist sie falsch. Weist sie keinen derartigen Widerspruch auf, muß deshalb noch lange nicht wahr sein. Wahr ist sie nur, wenn sie mit den Tatsachen, von denen sie handelt, übereinstimmt. Der Satz des Widerspruchs von Aristoteles ist also kein hinreichendes Erkenntnisprinzip.


Rosenkranz interpretiert Hegels erste These folgendermaßen: Hegel habe nie bestritten, daß "Begriffe, welche sich selbst widersprechen, […] unwahr sein" müssen. Doch er habe "das Stehenbleiben" bei dieser Wahrheit "als einen Irrtum" bekämpft. "Der Begriff, daß etwas, in der Gleichheit mit sich, zugleich sein Entgegengesetztes, ist eben so wahr, als daß etwas, nur auf sich bezogen, sich nicht wiederspricht" (S. 156).


Es kommt noch doller: "Der gewöhnliche Satz der Identität und des Widerspruchs, daß A = A und daß A nicht zugleich B und die Negation von B sein könne, ist in seiner undialektischen Starrheit der Tod aller tieferen Erkenntniß." Anders ausgedrückt: "Daß […] dasselbe Subject nicht zugleich entgegengesetzte Bestimmungen in sich vereinigen könne, ist ganz falsch" (S. 157). Allerdings sei es absurd zu denken, Hegel habe "den Begriff der Auflösung des Widerspruchs, die Rückkehr der Identität aus der Negativität ihrer Entgegensetzung gegen sich" nicht gekannt (S. 157).


Ab dem Wintersemester 1801/02 hielt Hegel Vorlesungen an der Universität Jena. Am 13.8.1806 eroberte Napoleon die Stadt. Hegel floh. Die plündernden Soldaten brachten seine Manuskripte durcheinander. Am 5.2.1807 gebar ihm die Frau seines Vermieters einen unehelichen Sohn.

Am 20.2.1807 nahm Hegel das Angebot von Friedrich Immanuel Niethammer an, Redakteur der Bamberger Zeitung zu werden. Bis Ostern 1808 galt er in Jena als beurlaubt und bezog weiterhin sein geringes Gehalt, das ihm ab Juli 1806 bewilligt worden war. Die Arbeit als Redakteur gefiel Hegel nicht, vor allem wegen der Zensur.


Da schlug Niethammer ihm vor, Rektor am Nürnberger Gymnasium zu werden. Hegel fühlte sich nicht degradiert, sondern war froh, wieder Wissenschaft treiben zu können. Am 15.11.1808 wurde er "’zum Rektor des Gymnasiums dahier und zum Professor der philosophischen Vorbereitungswissenschaften bei demselben allergnädigst ernannt’" (zit. n. Wiedmann 38).



"Hegel in Jena, das ist Hegel auf dem Weg zum System. […] Nirgends konnte so frei doziert und diskutiert werden" (Gessmann 46f). "Jena strotzte von jungen Männern, welche in der Philosophie eine Laufbahn machen wollten" (Rosenkranz 149).


Wie Hegels Vorlesungen auf die Studenten wirkten, faßte Andreas Gabler 1840 so zusammen: "’Übrigens aber war für uns und die meisten die neue Philosophie damals noch ein großes wirres Chaos, in dem alles noch erst sich ordnen und gestalten sollte, ein allgemeiner Schwindel und Taumel, in welchen alles hineingerissen wurde’" (zit. n. Helferich 37).

1. Rosenkranz‘ Darstellung von Hegels ursprünglichem System

Um den Einstieg zu erleichtern, referiere ich zunächst die Darstellung von Hegels ursprünglichem System, die Karl Rosenkranz in seiner Hegel-Biographie (1844) gegeben hat (S. 99-141).


Rosenkranz denkt, daß Hegel nicht von vornherein ein System im Auge hatte, sondern erst nach und nach danach gestrebt habe. Es sei "Philosophie des Geistes in dem Sinn, daß bei ihm der Begriff des Geistes allein auch den der Natur und der Idee als logischer erst möglich macht" (S. 100). "Der Unterschied der reinen Idee, der Natur und des Geistes als des geschichtlichen ist in der totalen Totalität des in ihnen gegenwärtigen absoluten Geistes aufgehoben" (S. 103).


Hegel habe sich für alles interessiert, besonders aber für Geschichte und Religion als Ausdruck des Geistes. Was der Geist sei, könne man sich nicht vorstellen. Geist sei jedenfalls ein tieferer Ausdruck für Gott als die Liebe. Religiös ausgedrückt kann man also Hegels System so zusammenfassen: Der Mensch erkennt sich in Gott und Gott erkennt sich im Menschen.


"Die Philosophie war ihm das Selbsterkennen des Processes des Absoluten, welches als reine Idealität von dem Wechsel der quantitativen Differenz des Werdens, der dem Endlichen angehört, nicht afficirt wird" (S. 103).


Als historische Vorbilder von Hegels System nennt Rosenkranz v.a. Platons Philebos und Timaios, indirekt die Politeia. Er wird nicht müde, die Unterschiede zwischen Hegel und Schelling zu betonen.


Die logische Idee. Hegel unterschied Logik (= Logik des Verstandes) und Metaphysik (= Logik der Vernunft).



Die Verstandeslogik gliederte er in


1. die Lehre vom Sein als Qualität,
2. die Lehre vom Verhältnis als Substantialität, Kausalität und Wechselwirkung,
3. die Lehre von der Proportion (Methode) als Definition, Einteilung und Beweis.

Die Metaphysik gliederte er in

1. ein System von Grundsätzen, mit dem er die üblichen Denkgesetze kritisierte,
2. die Lehre von Seele, Welt und Gott (= Objektivität),
3. die Lehre von der selbstbewußten Subjektivität.

"Die Subjectivität erst hebt alle Gleichgültigkeit der Differenz, alles halbe Beziehen auf, so daß die Einzelheit mit der Allgemeinheit absolut Eines ist" (S. 111).

Die Natur. Hegel leitete die Existenz der Natur aus dem Begriff des Geistes ab: "Der Geist nun, indem er sein Anderes als sich selbst anschauet und dasselbe für sein Selbsterkennen als Anderes an sich setzt, ist die Natur" (S. 113). Hegel "setzte den absoluten Geist als Aether, der nicht blos Alles durchdringt, sondern es selbst ist" (S. 116).

Die Naturphilosophie teilte er in Sonnensystem (Raum und Zeit als Bewegungsmomente) und Erdensystem (Mechanik, Physik, Organik) ein.

Der Geist. "Die Philosophie des Geistes arbeitete Hegel damals, bevor er zur Phänomenologie gelangte, nur als System der Sittlichkeit aus. In der Ankündigung für die Studirenden nannte er es später Naturrecht" (S. 124). Kunst und Religion berücksichtigte er nur am Rand, Anthropologie und Psychologie ließ er beiseite.

Die Sittlichkeit unterteilte Hegel in

1. "die Naturpotenz des sittlichen Geistes" (S. 124f),
2. das Verbrechen (als
3. die absolute Sittlichkeit, "wie sie ihrem Begriff vollkommen gemäß ist" (S. 127), unterteilt in

  • Stände (a: Greise und Priester als Gesetzgeber, b: Kaufleute und Händler, c: Bauern) und
  • Regierung (a: Wirtschaft, b: Rechtswesen und Verfassung, c: Pädagogik als Bildung, Zucht und Kolonialpolitik).

"Den Abschluß der Philosophie des Geistes zum Schluß des Systems der Philosophie selbst machte Hegel zunächst dadurch, daß er die Nothwendigkeit der Philosophie in einem Volk als ideale Ergänzung des Krieges darzuthun suchte" (S. 132).

Aus didaktischen Gründen modifizierte Hegel sein System später dahingehend, daß er es popularisierte. Rosenkranz kommentiert, der Unterschied zwischen Hegels System und dem Bewußtsein seiner Studenten sei einfach zu groß gewesen.

"Er arbeitete den Begriff des Unterschiedes der Verfassungen weiter aus und bestimmte den Stand der Freien für die Monarchie als den Adel, insofern derselbe der Majestät im stummen, die Form des Gehorsams tragenden Kampfe gegenüberstehe. Besonders aber führte er in einer durch ihre Einfachheit und Verständlichkeit ausgezeichneten Weise den Begriff des religiösen Cultus weiter aus, als in welchem ein Volk zum höchsten Selbstgenuß komme" (S. 133).

Hegel unterschied


1. Naturreligion (Götterglaube),
2. Niedergang der Religionen unter der Herrschaft der Römer,
3. Christentum.

Er glaubte, daß nach Katholizismus und Protestantismus "aus dem Christenthum durch die Vermittelung der Philosophie eine dritte Form der Religion sich hervorbilden werde" (S. 140).

2. Das System der spekulativen Philosophie – Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Philosophie der Natur und des Geistes(1803/04)

Diese Jenaer Systementwürfe "stammen vermutlich aus einem durchgehenden Entwurf des Systems der Philosophie. Es finden sich jedoch eine Reihe von Überschneidungen, die erkennen lassen, daß Hegel mehrfach angesetzt hat, um bestimmte Abschnitte oder Teile des Gesamtsystems zu entwerfen." Die Herausgeber Klaus Düsing und Heinz Kimmerle haben diese Fragmente "nach dem sachlichen Aufbau des Systems" angeordnet und "zu bestimmten Gruppen zusammengefaßt" (JS I/XI).

Der Ertrag der ersten Lektüre, also das, was man mitnehmen kann, ist gering. Im folgenden versuche ich lediglich, einen einigermaßen adäquaten Eindruck zu verschaffen. Immerhin erfahren wir, daß Hegel auch selbst experimentiert hat, nicht nur spekuliert. Über das Verhältnis von Geist und Materie schrieb er: Die Materie ist "das, was für sich ist; die Beziehung / auf ein anderes aber ist das Nicht-Fürsichsein, das Ideelle" (JS I/115).

Naturphilosophie. Hegel will "die Idee einer ERDE" (JS I/3) und deren "Mechanismus […] konstruieren". Durch diese Konstruktion geht der Mechanismus in Chemismus über (JS I/9).

Das wiederum führt zu Betrachtungen über die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Ein Beispiel: "Als Totalität aber ist die Luft die Auflösung der Individualitäten der ganzen Erde in ihre Allgemeinheit" (JS I/62).

Hegel berücksichtigt auch eine andere Elementeneinteilung: "Mercurius, Salz, Schwefel und Erde" (JS I/78). Sie sind nicht als Stoffe zu verstehen, sondern als Prinzipien: Mercurius = Metallität, Salz = Neutralität, Schwefel = Verbrennlichkeit, Erde = die Einheit der andern drei. "Die Metallität ist die individualitätslose einfache Einheit; die zwar selbst eine bestimmte ist, aber diese Bestimmtheit nicht als Einzelnheit oder Individualität an sich hat" (JS II/292).

Selbstverständlich schreibt Hegel auch über das, was wir unter chemischen Elementen verstehen, beginnend mit Stickstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff. Alle werden eingewoben in ein Hegelsches Gedankenkonstrukt:

"Diese absolute Passivität oder Sich-nur-auf-sich-selbst-Beziehen des Stickstoffs löst sich auf in den Gegensatz oder die Realität, welche sich ebenso wieder im Gegensatze als Sich-auf-sich-selbst-Beziehen und Gegensatz verhält, jenes, Stickstoff im Gegensatze, ist Wasserstoff, dieses der Gegensatz im Gegensatze, das formale kometarische Moment, der Sauerstoff; jenes der Stickstoff als Base, dies das Differente derselben" (JS I/31f).

Auch die Metalle kommen dran. Wer meint, er wisse, was ein Metall ist, lasse sich von Hegel eines Besseren belehren:

"Das Metall ist die irdische Darstellung der Idee des Prozesses, der Prozeß in ihm selbst, der Körper, der aus der spezifischen Schwere in die Wärmeleitung und Veränderung der spezifischen Schwere in ihm übergeht, diesen Prozeß aber nur ideell als Übergang von gestaltloser, starrer Flüssigkeit zur fließenden Flüssigkeit werden läßt und in sein erstes Sein zurückfällt, diesen Prozeß so ideell erhält, ohne zu Oxyd nach dem Prozesse, bleibender Veränderung der spezifischen Schwere zu werden, kein andres Moment in seinem Prozesse an sich setzt, der Erdigkeit überhaupt entgegengesetzt; es ist wesentlich sich selbst gleicher Ton, Flüssigkeit, und in seinem Starrsein ebenso eine sich selbst gleiche Flüssigkeit als durchaus edel, eigentlich ohne Bruch gestaltet sowie ohne Kristallisation" (JS I/82f).

Edelsteine sind "feinere Durchdringungen, Extreme des Ineinander-Aufhebens aller Differenzen. Die Metalle aber sind die Abstraktionen der Erde" (JS I/92).

Das Innere der Erde hält Hegel für "wüst und leer, ungebildet, weder ein metallischer noch ein Granitkern, nichts, was der Bildung angehört". Die Erdrinde ist das "wahrhaft Befruchtete" (JS I/89f).

Das Organische betrachtet er als "Reflexion, die die Natur auf sich, wie sie im chemischen Prozesse ist, selbst macht" (JS I/118). "Das Organische schaut sein Anderssein, sich dort als die Totalität des unorganischen Prozesses an, unbewußt, daß es dieselbe Totalität ist; dieses Anderssein wird ihm dazu, daß dies andre es selbst wird oder daß sein Anderssein dasselbe organische Wesen ist, und diese Differenz verkehrt sich wieder in die erste" (JS I/127).

Im folgenden schreibt Hegel über Pflanzen und Tiere. Letztere empfinden, verdauen und schlafen. "Im Gesicht ist das Tier bis zur letzten ihm möglichen Abstraktion der Natur gedrungen" (JS I/161f).

Philosophie des Geistes. Hegel befaßt sich mit Bewußtsein, Sprache, Gedächtnis, Empfindung, Begierde, Besitz, Familie, Volk, Fortpflanzung, Erziehung, Sittlichkeit, Bildung und Arbeit (Massenproduktion schmälert ihren Wert und macht die Arbeiter stumpf).

Zum Nachdenken:

"Die Beleidigung ist notwendig, nur indem ich den andern in seinem erscheinenden Sein störe, kann er sein Ausschließen eines andern wirklich machen, er sich als Bewußtsein darstellen, daß dies sein Sein, die Einzelnheit indifferent, daß dies Äußerliche in ihm selbst ist" (JS I/219).

Fragen: Hat Hegel gelesen, was Schopenhauer über ihn schrieb ("Scharlatan", "Sophist", "Unsinnschmierer", "Windbeutel"; vgl. Register V 865)? Hat es ihm geholfen, sich als Bewußtsein darzustellen? Hat es ihm bewußt gemacht, daß in ihm selbst etwas lauerte, das all seine Konstruktionen für Unsinn hielt?

"Der Geist des Volkes muß sich ewig zum WERKE werden, oder er ist nur als ein ewiges Werden zum Geiste. Zum Werke ist er sich geworden, indem Tätigkeit in ihm gesetzt ist, die hiemit gegen ihn; und diese Tätigkeit gegen ihn ist unmittelbar das Aufheben ihrer selbst" (JS I/224).

Frage: Schreibt Hegel hier über seine eigenen Erfahrungen mit der Inspiration, die zeitweise versiegt ist?

"Barbaren wissen nicht zu sagen, was sie meinen, sagen es nur halb oder das gerade Gegenteil dessen, was sie sagen wollen" (JS I/226).

Frage: Welche persönlichen Erfahrungen Hegels stecken dahinter?

3. Logik, Metaphysik, Naturphilosophie – Fragment einer Reinschrift (1804/05)

Logik. Laut Rosenkranz nannte Hegel "die Logik auch schlechthin Idealismus, auch blos speculative Idee, oder speculative Philosophie u. dgl. m." (S. 179) Worum es in dem Text geht, zeigt das Inhaltsverzeichnis: Einfache Beziehung (Quantität, Unendlichkeit) – Verhältnis (des Seins und Denkens) – Proportion (Definition, Einteilung, Erkennen).

Wirklich verstehen kann man den Text nur an denjenigen Stellen, an denen Hegel konkret wird. Sie zeigen, daß Hegels Text durch eine Abstrahierung von der Wirklichkeit zustandegekommen ist. Wenn man das nicht berücksichtigt, wirkt er als reine Begriffsdichtung, die man wie ein Gedicht genießen kann (oder eben auch nicht).

Beispiele:

  • Anhand der Wassertemperatur illustriert Hegel die "Verschiedenheit des bloß quantitativen Unterschiedes und der Veränderung der Sache selbst" (JS II/23).
  • Was Kausalität ist, zeigt Hegel anhand des Regens, der den Boden naß macht.

Wissenschaftstheoretisch interessant sind die Stellen, an denen Hegel über das Erkennen schreibt. Beispiele:

  • Er definiert den Idealismus als "Konstruktion aus entgegengesetzten Tätigkeiten" und "Logik des Verstands" (JS II/3f). Letztere charakterisiert er im zweiten Teil über Metaphysik (s.u.) so: sie sei "das Unendliche" als "Beziehung des Geistes auf sich selbst, das an ihm selbst zugleich das andre seiner selbst ist" (JS II/175f).
  • Das "wahre Erkennen des Absoluten" sei nicht nur der Erweis, allein das sei absolut, "daß das Eine und Viele Eins ist", sondern auch, "daß an dem Einen und Vielen selbst das Einssein eines jeden mit dem andern gesetzt ist" (JS II/35).
  • Etwas zu erklären bedeute lediglich, ein Kausalitätsverhältnis zu postulieren. Es handle sich um das Erstellen einer Tautologie, z.B. daß die Kälte "vom Entweichen der Wärme" oder "der Regen vom Wasser" kommt (JS II/49).

Metaphysik. Hegel schreibt über Erkenntnis aus Prinzipien heraus, Seele, Welt, Gott als Schöpfer (höchstes Wesen, dem als Negation die Finsternis gegenübersteht), Bewußtsein, Ich und absoluten Geist.

"Die Metaphysik ist das Moment des Geistes, der sich selbst gefunden, an sich ist, in seinem andern sich selbst findet; das dem Erkennen Entgegengesetzte wird selbst Erkennen, der Inhalt des Geistes, wird selbst Geist; und so hat sich der Geist in seinem anders, für sich selbst gefunden" (JS II/176).

Über den absoluten Geist:

  • Er "ist die einfache oder sich auf sich selbst beziehende Unendlichkeit", "das sich selbst Gleiche, das sich nur auf sich selbst bezieht". "Im absoluten Geiste ist Konstruktion und Beweis absolut eins" (JS II/174).
  • Das absolute Wesen "ist nur als absoluter Geist. Es ist dieses, daß er aus seiner Beziehung auf sich selbst sich ein anderes wird; die Beziehung auf sich selbst ist für ihn, d. h. für diese Beziehung selbst, das Unendliche; für uns, d. h. für das Erkennen, den zu sich selbst kommenden Geist ist es das anders; und der Geist der so Geist ist, im Unendlichen sich selbst findet, ist nur auf sich bezogen; oder er ist sich selbst gleich, er ist wieder sein erstes Moment, und in sich vollkommen zurückgekehrt" (JS II/176).
  • "Das Erkennen, als das An-sich-Sein; indem es das in sich geschlossene ist, ist im absoluten Geiste realisiert" (JS II/165). Es "ist als in die Metaphysik übergehend das Aufheben der Logik selbst, als der Dialektik, oder des Idealismus" (JS II/127). "Das Erkennen ist die Idee des An-sich, oder die Idee überhaupt" (JS II/168).

Naturphilosophie. Hegel betrachtet die Natur philosophisch. Der Unterschied zur gewöhnlichen Denkweise ist, daß diese "sich bloß an jene Verhältnisse der unreflektierten Unendlichkeit hält" und für sie "die Natur aus Ganzen und Teilen in quantitativen Unterschieden besteht", "eine Menge von Diesen ist." Philosophisch oder besser hegelianisch gesehen ist dagegen die Existenz der Natur "das Werden des Erkennens zum Selbsterkennen" (JS II/180). Sie "ist der sich auf sich selbst beziehende absolute Geist", "der absolute Geist als das andre seiner selbst" (JS II/179). Denn die Philosophie "betrachtet die Idee, nicht die Idee von diesem und jenem" (JS II/184).

I. System der Sonne. Das Verhältnis von Gott und absolutem Geist bestimmt Hegel folgendermaßen: "Der absolute Geist muß sich als absoluten Geist selbst erkennen; er muß, daß er als lebendiger Gott sei, sich als absoluter Geist ein anderes werden, und sich in diesem finden, oder er ist nur lebendiger Gott, als er sich als das andre seiner selbst, ebenso absolut sich gleich ist" (JS II/187).

Näheres erfahren wir aus Hegels Bestimmung des Äthers, der nicht alles durchdringt, sondern selbst alles ist:

Er "ist der absolute Geist, als die Seite seiner absoluten Sichselbstgleichheit, oder er ist es, insofern der Geist als reine Beziehung auf sich selbst ist, und darum dem sich selbst erkennenden Geiste, als Bestimmtheit der Sichselbstgleichheit gegenübersteht. Der Äther ist nicht der lebendige Gott; denn er ist nur die Idee Gottes; der lebendige Gott aber ist der, der aus seiner Idee sich selbsterkennend [ist] und in dem anders seiner selbst sich als sich selbst erkennt. Der Äther aber ist absoluter Geist, der sich auf sich selbst bezieht, sich nicht als absoluten Geist erkennt. […]

Der lebendige Gott als der sichselbstgleiche absolute Kreis der sich in sich selbst reflektierenden Totalität hat die Sichselbstgleichheit selbst zum Momente seiner selbst" (JS II/188).

Noch zum Äther: Er "erkennt sich; er ist unendlich, als sich aussprechend, sich bewegend, und beruhigt diese Unendlichkeit, als sich in seiner Selbstgenügsamkeit erhaltend. Wie er sich absolut gleich ist, so wird er sich absolut gleich. Dies Werden zu sich selbst ist seine Bedeutung, die er sich für sich selbst gibt, die Auslegung seines Wesens für ihn selbst. Sein Werden zu sich selbst ist seine Unendlichkeit, oder der absolute Begriff; er begreift in seiner Unendlichkeit seine Sichselbstgleichheit, denn sie ist eine solche, die sich in der Unendlichkeit in der absoluten Unruhe wird und ist; er begreift hierin ebenso seine Unendlichkeit; denn sie ist als das anders seiner auch das anders ihrer selbst, oder die Sichselbstgleichheit" (JS II/190).

"Das Sichselbstgleiche ist das Vernehmen der Unendlichkeit" (JS II/190). "Die Momente des unmittelbar als wahrhaft unendlich sich aufschließenden Äthers sind Raum und Zeit, und die Unendlichkeit selbst ist die Bewegung, und als Totalität, ein System von Sphären oder Bewegungen" (JS II/192).

Hier können wir kurz sehen, daß das eigentliche Thema das Sonnensystem ist, das Hegel als "Einheit von vier Bewegungen" betrachtet (JS II/225):

  • Achsendrehung (einfache Bewegung der Sternensphäre) – gemeint ist der Umlauf des Frühlingspunkts (= Schnittpunkt der Ekliptik mit dem Himmelsäquator) durch den Tierkreis aufgrund der Präzession (= Drehbewegung der Erdachse), der ca. 25800 Jahre dauert (= platonisches Jahr);
  • Achsendrehung + Umkreisung eines anderen Mittelpunkts (doppelte Bewegung der Erde),
  • exzentrische Bewegung der Kometen,
  • passive Umkreisung des Monds (der der Erde stets dieselbe Seite zuwendet).

II. Irdisches System. Hegel schreibt über Mechanik (Körper und Hebel), Materie (idealer und realer Prozeß/Chemismus) und Physik (die Erde).

4. Zwei Anmerkungen zum System (1803-1804/05)

In diesem kurzen Text (in JS II/343-347) behandelt Hegel zwei Thesen: 1. Am Anfang der Philosophie steht eine Idee. 2. Man kann das Erkennen nicht vom Objekt der Erkenntnis trennen.

5. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes– Vorlesungsmanuskript zur Realphilosophie (1805/06)

Naturphilosophie. Den Äther charakterisiert Hegel hier folgendermaßen: Er "durchdringt also nicht Alles, sondern er ist selbst Alles, denn er ist das Sein; er hat nichts außer ihm, und verändert sich nicht; denn er ist das Auflösen von Allem, und ist die reine einfache Negativität, die flüssige und untrübbare Durchsichtigkeit" (JS III/3).


Über das Wasser: Es "besteht nicht aus Sauer- und Wasserstoff, als aus Teilen, – auch drücken sich die Chemiker nur in diesen Worten aus, unterscheiden aber sehr gut zwischen mechanischer und chemischer Zusammensetzung" (JS III/69).


Über die Materie: Sie ist "das vollkommen Durchdrungene, das sich aus allem Gegensatze und der Realität desselben zur absoluten Idealität des Raumes und der Zeit geläutert und gereinigt hat; als dieses Selbst- und Substanzlose bezieht es sich allein auf das Licht, und die physische Realität ist allein die Einheit des Lichtes und der Finsternis, oder die Materie ist nichts für jenes als Finsternis. – Die Finsternis ist nichts, wie Raum und Zeit nicht sind, – wie überhaupt alles Nichts ist" (JS III/77).


Philosophie des Geistes. Bei der Besprechung der Stände schreibt Hegel über sich und seine Kollegen: "dem Gelehrten ist die Eitelkeit seines Selbsts das Wichtigste" (JS III/243). Die Moralität charakterisiert er als "das unerfüllte, individualitätslose Wissen der Pflicht als solcher" (JS III/250f).


Über Kunst, Religion und Philosophie: "Die absolute Kunst ist die, deren Inhalt der Form gleich ist" (JS III/254). "Die Kunst in ihrer Wahrheit vielmehr RELIGION" (JS III/255). "Der Inhalt der Religion ist wohl wahr; aber dies Wahrsein ist eine Versicherung – ohne Einsicht –
Diese Einsicht ist die Philosophie, absolute Wissenschaft – derselbe Inhalt als der der Religion – aber Form des Begriffs" (JS III 260f).


"Adam gab allen Dingen einen Namen [vgl. Gen 2,19f], dies ist das Majestätsrecht und erste Besitzergreifung der ganzen Natur, oder das Schaffen derselben aus dem Geiste" (JS III/175).

6. Würdigung


Rolf-Peter Horstmann faßt den Inhalt der Jenaer Systementwürfe Hegels so zusammen:


"Bei aller Verschiedenheit nicht nur im Detail, liegt ihnen allen eine sich durchhaltende Auffassung von dem zugrunde, was Philosophie zu leisten hat. Dieser Auffassung zufolge ist es die (einzige) Aufgabe der Philosophie, historisch bedingte Entzweiungen, existierende Gegensätze im Denken aufzuheben und die diesen Gegensätzen zugrunde liegende Einheit wiederherzustellen. Betrachtet man die den verschiedenen Gegensätzen zugrunde liegende allgemeine Form, so kann man sie nach Hegel alle kennzeichnen als Fälle des Gegensatzes zwischen Subjekt und Objekt. Aufheben der Entzweiung im Denken und Herstellung von Einheit bedeutet deshalb für Hegel ‚die Entgegensetzung der festgewordenen Subjektivität und Objektivität aufzuheben‘ ["Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie", W 2/22] und die sie ermöglichende Einheit als das Absolute zu rekonstruieren. Hegels verschiedene Jenaer Systementwürfe können daher verstanden werden als verschiedene Versuche der begrifflichen oder denkenden Überwindung des Gegensatzes zwischen Subjekt und Objekt durch die Erkenntnis ihrer Einheit" (JS III/Xf).



© Gunthard Rudolf Heller, 2018

Literaturverzeichnis

ARISTOTELES: Metaphysik, Griechisch-Deutsch, in der Übersetzung von Hermann Bonitz, hg. v. Horst Seidl, 2 Bände, Hamburg 21982/84


ENZYKLOPÄDIE PHILOSOPHIE UND WISSENSCHAFTSTHEORIE, hg. v. Jürgen Mittelstraß, 4 Bände, Stuttgart/Weimar 2004


GESSMANN, Martin: Hegel, Freiburg/Basel/Wien o.J.


HEGEL, Georg Wilhelm Friedrich: Jenaer Systementwürfe I – Das System der spekulativen Philosophie. Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Philosophie der Natur und des Geistes, hg. v. Klaus Düsing und Heinz Kimmerle, Hamburg 1986 (JS I)
– Jenaer Systementwürfe II, hg. v. Rolf-Peter Horstmann und Johann Heinrich Trede, Hamburg o.J. (JS II)
– Jenaer Systementwürfe III, hg. v. Rolf-Peter Horstmann, Hamburg 1987 (JS III)
– Jenaer Schriften 1801-1807, Werke 2, Frankfurt am Main 11986 (W 2)


HELFERICH, Christoph: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Stuttgart 1979


LEXIKON DER PHILOSOPHISCHEN WERKE, hg. v. Franco Volpi und Julian Nida-Rümelin, Stuttgart 1988


MEYERS ENZYKLOPÄDISCHES LEXIKON, 25 Bände, Mannheim/Wien/Zürich 91980/81


ROSENKRANZ, Karl: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben (1844), Darmstadt 1977


SCHOPENHAUER, Arthur: Sämtliche Werke, 5 Bände, Frankfurt am Main 11986/21989


WIEDMANN, Franz: Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Reinbek bei Hamburg 1986


(Bei den Zitaten habe ich Sperrdruck durch Kursivdruck wiedergegeben. In der von mir verwendeten Ausgabe von JS II wurde die Rechtschreibung und Zeichensetzung Hegels nicht modernisiert. Dort stammt die Modernisierung von mir. Die Schreibweise von Rosenkranz habe ich belassen.)

Gunthard Heller