David Humes Erkenntnistheorie im „Traktat über die menschliche Natur“

Der berühmte Philosoph David Hume ist relativ schwer zu lesen. Daher finden Sie im folgenden Artikel eine Zusammenfassung der Erkenntnistheorie aus „Über den Verstand“. Außerdem werden noch Themen wie Stolz und Demut, Liebe und Hass, Begehren und Abscheu, Kummer und Freude, Hoffnung und Furcht, Wille und Wahrheitsliebe behandelt. Im letzten Abschnitt geht es um die Moral.

David Hume

David Humes (1711 – 1776) Treatise of Human Nature erschien 1739/40 anonym. „Das Hauptwerk Humes wurde von der Fachwelt zu seinen Lebzeiten ignoriert. Er hat daher den Inhalt der drei Bücher in popularisierter Form und unter Weglassung wichtiger Argumente und Thesen in den Philosophical Essays Concerning Human Understanding (1748), in den vier Dissertations of Passions (1757) und in der Enquiry Concerning the Principles of Morals (1751) veröffentlicht, die dann die erhoffte Beachtung fanden“ (Wilhelm K. Essler, in: Kindlers neues Literatur-Lexikon 8/200).

David Humes Erkenntnistheorie

Im folgenden gebe ich eine kurze Zusammenfassung der Erkenntnistheorie im Ersten Buch („Über den Verstand“) des fast 600 Seiten umfassenden Werks. Im Zweiten Buch behandelt Hume die Affekte: Stolz und Demut (von Lipps mit „Niedergedrücktheit“ übersetzt), Liebe und Haß, Begehren und Abscheu, Kummer und Freude, Hoffnung und Furcht, Wille, Wahrheitsliebe. Im Dritten Buch geht es um die Moral (Tugenden und Laster, Gerechtigkeit und Unrecht), wobei Hume sich zu einer Gesinnungsethik bekennt (S. 363).

Auf die Leser nimmt Hume keine Rücksicht: Obwohl er sich dessen bewußt ist, daß die meisten nur zum Vergnügen lesen, fordert er von seinen Lesern „einen irgendwie beträchtlichen Grad von Aufmerksamkeit“ (S. 456). Das ist noch sehr milde ausgedrückt: Man muß Hunderte von Seiten lesen, bevor man auch nur einen Boden unter die Füße bekommt.

In der Einleitung untersucht Hume die menschliche Natur, weil sie die Beantwortung aller philosophischer Fragen verspricht. Seine Erkenntnismittel sind Erfahrung (experience) und Beobachtung (observation).

Erster Teil. Von den Vorstellungen, ihrem Ursprung, ihrer Zusammensetzung, Verknüpfung, von der Abstraktion etc.

Erster Abschnitt. Hume unterscheidet Eindrücke (impressions: Sinnesempfindungen, Affekte, Gefühlserregungen) und Vorstellungen (ideas: schwache Abbilder der Eindrücke). Beide hängen voneinander ab, und zwar so, daß die Eindrücke die Vorstellungen verursachen. Ein Beispiel: Wie eine Ananas schmeckt (Vorstellung), erfahren wir dadurch, daß wir sie probieren (Eindruck). Man kann sich ausnahmsweise auch eine Vorstellung von etwas bilden, ohne einen Eindruck davon zu haben, etwa von einer fehlenden Farbe auf einer Farbskala. Außerdem gibt es Vorstellungen zweiter Ordnung von anderen Vorstellungen. Angeborene Vorstellungen gibt es nicht.

Eindrücke und Vorstellungen faßt Hume unter dem Oberbegriff Perzeptionen (perceptions) zusammen. Diese sind alles, was dem menschlichen Geist, der erkennen will, vorliegt. Zu den Perzeptionen gehören „alle die Tätigkeiten des Sehens, Hörens, Urteilens, Liebens, Hassens und Denkens“ (S. 456). Schon früher im Text hatte er folgende Perzeptionen unterschieden: „Liebe und Hass, Unlust und Lust, Gedanke und sinnliche Wahrnehmung“ (S. 295).

Daran knüpfte Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ an, als er schrieb, alle Erkenntnis setze sich aus Anschauung und Denken zusammen: „Unsre Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen des Gemüts, deren die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen (die Rezeptivität der Eindrücke), die zweite das Vermögen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen (Spontaneität der Begriffe; durch die erstere wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser im Verhältnis auf jene Vorstellung (als bloße Bestimmung des Gemüts) gedacht. Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unsrer Erkenntnis aus, so daß weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe, ein Erkenntnis abgeben können“ (A 50, B 74; III 97).

Zweiter Abschnitt. Hume unterscheidet Eindrücke der Sinneswahrnehmung (impressions of sensation) und Eindrücke der Selbstwahrnehmung (impressions of reflexion). Letztere basieren zum großen Teil auf unseren Vorstellungen.

Dritter Abschnitt. Mit der Erinnerung (memory) wiederholen wir unsere Eindrücke, mit der Einbildungskraft (imagination) schwächen wir ihre Lebhaftigkeit ab, ändern ihre Reihenfolge und ihre Form. Beispiele für solche Veränderungen sind die fliegenden Pferde, Drachen und Riesen in den Märchen.

Vierter Abschnitt. Wir verbinden unsere Vorstellungen auf der Basis von Ähnlichkeit (resemblance), zeitlichem und räumlichem Zusammenhang bzw. Kontiguität (contiguity) sowie Ursache und Wirkung (cause and effect) bzw. Kausalität (causation). Auf der Basis von Spekulationen nach Ursachen zu suchen, lehnt Hume ab. Bei den zusammengesetzten Vorstellungen unterscheidet er Relationen (relations), Modi (modes) und Substanzen (substances).

Fünfter Abschnitt. Mit Relation (Beziehung) bezeichnet Hume zweierlei: 1. den Faktor, der der Verknüpfung von Vorstellungen dient (Ähnlichkeit, Gleichheit, Raum und Zeit, Menge, Ausmaß einer Eigenschaft, Gegensätzlichkeit, Ursache und Wirkung); 2. das Ergebnis unseres Vergleichs von Vorstellungen.

Sechster Abschnitt. Wenn wir einfache Vorstellungen von etwas Bekanntem vereinigen, nennt Hume das Modus, wenn wir einfache Vorstellungen von etwas Unbekanntem vereinigen, nennt er es Substanz.

Siebter Abschnitt. Auch bei abstrakten Vorstellungen (z.B. von einem Dreieck) haben wir einen konkreten Gegenstand (ein bestimmtes Dreieck) vor Augen. Bei zusammengesetzten Vorstellungen (z.B. Regierung, Kirche, Verhandlung, Eroberung) haben wir in der Regel nicht alle einzelnen Vorstellungen im Kopf, die ihnen zugrundeliegen. Gewöhnlich „begleiten wir unsere Vorstellungen mit einer Art Reflexion“ (S. 42).

Zweiter Teil: Von den Vorstellungen des Raumes und der Zeit

Erster Abschnitt. Unser Vorstellungsvermögen ist inbezug auf Größe und Kleinheit begrenzt.

Zweiter Abschnitt. Raum und Zeit sind nicht unendlich teilbar. Kleinste Einheit des Raums ist der Punkt, kleinste Einheit der Zeit der Augenblick. Der Raum enthält wegen unseres begrenzten Vorstellungsvermögens nur endlich viele Punkte, die Zeit nur endlich viele Augenblicke (vgl. a. den vierten Abschnitt weiter unten). Ein Beispiel aus dem ersten Abschnitt des dritten Teils: „Das Auge kann unmöglich erkennen, dass die Winkel eines Tausendecks gleich 1996 Rechten sind, noch könnten wir auf Grund der unmittelbaren Wahrnehmung auch nur annähernd dies Verhältnis erraten“ (S. 87).

Dritter Abschnitt. Hume behandelt einige Besonderheiten von Raum und Zeit. Beispiele: Im Schlaf oder bei konzentrierter Arbeit verlieren wir das Zeitgefühl. Eine kreisförmig schnell bewegte brennende Kohle sehen wir als Feuerkreis. Auch bei unseren abstrakten Vorstellungen von Punkt und Augenblick haben wir stets einen konkreten Punkt bzw. ein bestimmtes Zeiterlebnis im Auge.

Vierter und fünfter Abschnitt. Hume setzt sich ausführlich mit Einwänden gegen seine Theorie von der begrenzten Teilbarkeit von Raum und Zeit (vgl. oben, zweiter Abschnitt) auseinander.

Sechster Abschnitt. Beim Erkennen der Welt kommen wir nicht über unsere Eindrücke (impressions) und Vorstellungen (ideas) hinaus.

Dritter Teil. Über Wissen und Wahrscheinlichkeit

Erster Abschnitt. Von den sieben verschiedenen Arten philosophischer Relationen (seven different kinds of philosophical relation) sind vier durch die Natur der Vorstellungen bedingt: Ähnlichkeit (resemblance), Gegensätzlichkeit (contrariety), Grade der Qualität (degrees in any quality) und Verhältnisse der Quantität und Zahl (proportion in quantity or number). Die anderen drei Arten sind Gleichheit (identity), zeitliche und räumliche Beziehungen (relations of time and place) und Kausalität (causation). Letztere können sich verändern, ohne daß sich die betreffenden Vorstellungen ändern.

Zweiter Abschnitt. Hume trifft zwei Feststellungen hinsichtlich der Kausalität: 1. Die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung findet in einem räumlichen und zeitlichen Zuammenhang statt. 2. Die Ursache ist früher als die Wirkung.

Dritter Abschnitt. Daß Kausalität notwendig ist, d.h. daß jedes Ding, das zu existieren anfängt, seine Existenz einer Ursache verdankt, ist „weder intuitiv noch demonstrativ gewiss“ (S. 94). „In der Tat setzt jede Wirkung notwendig eine Ursache voraus, weil nämlich Wirkung und Ursache korrelate Begriffe sind. Dies beweist aber nicht, dass jedem Beginn eines Daseins eine Ursache vorausgehen müsse, ebenso wenig wie daraus, dass jeder Ehemann notwendig eine Frau hat, folgt, dass jeder Mann verheiratet sein müsse“ (S. 97).

Vierter Abschnitt. Wir können nicht unbegrenzt schlußfolgern. Irgendwann müssen wir uns auf eine konkrete Wahrnehmung beziehen, an die wir uns erinnern oder die wir mit Hilfe unserer Sinne machen. Ein sog. Beweis (demonstration) beruht darauf, daß wir Vorstellungen vergleichen.

Fünfter Abschnitt. Hume bespricht die Entstehung von Vorstellungen aus Eindrücken. Eindrücke können auf ein Ding zurückgehen (dann sind sie zutreffend), von uns selbst erzeugt werden (dann handelt es sich um Täuschungen) oder von Gott kommen. Vorstellungen können aber auch auf Erinnerungen und Einbildungen beruhen. Erinnerungen können an Deutlichkeit verlieren, so daß sie für Einbildungen gehalten werden. Umgekehrt kann die ständige Wiederholung einer Einbildung jemand glauben machen, es handle sich um eine Erinnerung. Dementsprechend glauben Lügner ihre eigenen Lügen, wenn sie sie nur oft genug wiederholen.

Sechster Abschnitt. Aufgrund vergangener Erfahrungen können wir von der einen Vorstellung (z. B. Feuer) auf eine andere schließen (Wärme). Da wir uns in der Natur Änderungen solcher Zusammenhänge vorstellen können, sind sie „nicht absolut unmöglich“. „Die Vorstellung der Ursache und Wirkung stammt aus der Erfahrung“ (S. 105). Doch es gibt keinen vernünftigen Grund, über das tatsächlich Beobachtete hinaus ein Verhältnis von Ursache und Wirkung anzunehmen. Außer durch die Kausalität assoziieren wir ja Einzelvorstellungen auch aufgrund von Ähnlichkeit und Kontiguität, d. h., weil sie räumlich und zeitlich verbunden auftreten.

Siebter bis zehnter Abschnitt. Hume befaßt sich mit dem Glauben, der „nichts ist als ein energischer und sicherer Vollzug […] irgend einer Vorstellung, derart, dass die Vorstellung in gewissem Maße dem unmittelbaren Eindruck sich nähert“ (S. 113). Der Glaube fügt zur Vorstellung nichts hinzu, sondern macht sie nur „stärker und lebhafter“ (S. 119).

Elfter und zwölfter Abschnitt. Da Hume unter Zufall „eine unbekannte und verborgene Ursache“ versteht, untersucht er die „Wahrscheinlichkeit der Ursachen“ (S. 151). Im dreizehnten Abschnitt behandelt er die „unphilosophische […] Wahrscheinlichkeitserkenntnis“. Darunter versteht er den „Schluss aus allgemeinen Regeln“ (S. 172).

Vierzehnter und fünfzehnter Abschnitt. Hume entwickelt seine Auffassung, daß Vorstellungen wie Kraft, Notwendigkeit, Ursache und Wirkung u. a. nicht in den Gegenständen, sondern in unserem Geist beheimatet sind.

Der sechzehnte Abschnitt handelt von der „Vernunft der Tiere“ (S. 197). Hume schreibt ihnen zum Teil menschliche Eigenschaften zu, arbeitet aber auch die Unterschiede heraus: „Die Tiere nehmen sicherlich niemals irgendeine reale Verknüpfung zwischen Gegenständen wahr. […] Also wirkt die Erfahrung auf sie allein durch Vermittlung der Gewohnheit“ (S. 199).

Vierter Teil. Von den skeptischen und anderen Systemen der Philosophie

Erster und zweiter Abschnitt. Hume unterscheidet zwei Arten von Skeptizismus, je nachdem, ob er auf die Vernunft oder die Sinne gerichtet ist.

Im dritten und vierten Abschnitt charakterisiert er die alte und moderne Philosophie.

Fünfter Abschnitt. Hume behandelt metaphysische Fragen. Seine Einstellung faßt er folgendermaßen zusammen: „Die Erkenntnis der geistigen Welt leidet freilich an endlosen Dunkelheiten; aber sie verwickelt uns nicht in solche Widersprüche wie die der Natur. Was wir von ihr wissen, stimmt in sich überein; und was sich unserer Kenntnis entzieht, müssen wir eben ruhig dahingestellt lassen“ (S. 249).

Im sechsten Abschnitt über „persönliche Identität“ (personal identity) kommt Hume zu „dem Ergebnis, dass es unmöglich ist, alle die feinen und spitzfindigen Fragen über die persönliche Identität zu entscheiden, da es sich dabei zuletzt viel eher um Fragen des Sprachgebrauchs, als um philosophische Fragen handelt“ (S. 277).

Wir sehen schon, worauf das hinausläuft und fühlen uns bestätigt von Humes Ausführungen im siebten Abschnitt, in dem er sich als Skeptiker darstellt, der sich auf seine Erfahrung und auf die Gewohnheit verläßt: „Die Erfahrung ist das Prinzip, das mich davon in Kenntnis setzt, dass Gegenstände in der Vergangenheit miteinander verbunden waren. Gewohnheit ist das andere Prinzip, das mich veranlasst, in Zukunft die gleiche Verbindung zu erwarten“ (S. 279).

Daraus, daß gewisse Gegenstände miteinander verbunden sind, dürfen wir allerdings nicht auf ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis schließen. Wer das trotzdem tut, bildet sich lediglich etwas ein, und das ist für die Vernunft das Gefährlichste, was es gibt. Fazit: „Es bleibt uns also nur die Wahl zwischen falscher Erkenntnis oder gar keiner“ (S. 282).

Hume gibt hier auch noch Auskunft über die Quelle seiner Philosophie: Sie beruht auf Gedanken, die von alleine in seinem Bewußtsein auftauchen (S. 284). Und er spezifiziert seinen Skeptizismus: „Ein richtiger Skeptiker wird seinen philosophischen Zweifeln ebenso sehr misstrauen, wie seiner philosophischen Überzeugung, er wird aber zugleich die unschuldige Befriedigung, die sich ihm, sei es aus dem Zweifel, sei es aus seiner positiven Überzeugung ergibt, nicht abweisen“ (S. 286).

***

Im zweiten Abschnitt des Zweiten Teils im Zweiten Buch bekennt sich Hume zur Korrespondenztheorie der Wahrheit, d.h. er betrachtet die „volle Übereinstimmung der Wirklichkeit mit unseren Schlussfolgerungen“ als überzeugenden „Beweis für die Zuverlässigkeit der Hypothese, die wir [unseren Darlegungen] zu Grunde legten“ (S. 355).

Im zehnten Abschnitt des Dritten Teils im Zweiten Buch unterscheidet Hume zwei Arten von Wahrheit: „sie besteht entweder in der Entdeckung einer Beziehung der Vorstellungen an sich betrachtet, oder in der Übereinstimmung unserer Vorstellungen von den Dingen mit deren wirklicher Existenz“ (S. 446) – die erste Art bezieht sich auf die Mathematik (Arithmetik und Geometrie; die Logik erwähnt Hume hier nicht), bei der zweiten handelt es sich wieder um die Korrespondenztheorie.

Daraus machte Kant die reinen Erkenntnisse a priori (allein auf Begriffsbasis) und die empirischen Erkenntnisse a posteriori (auf der Basis von Anschauungen und Begriffen): „Anschauung und Begriffe […] sind entweder rein, oder empirisch. Empirisch, wenn Empfindung (die die wirkliche Gegenwart des Gegenstandes voraussetzt) darin enthalten ist; rein aber, wenn der Vorstellung keine Empfindung beigemischt ist. […] Nur allein reine Anschauungen oder Begriffe sind a priori möglich, empirische nur a posteriori“ (A 50f, B 74f; III 97).

Auch Kants Einteilung der Philosophie in theoretische Philosophie („Kritik der reinen Vernunft“) und praktische Philosophie („Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, „Kritik der praktischen Vernunft“, „Die Metaphysik der Sitten“) geht auf Hume und seine Vorgänger zurück. So heißt es im ersten Abschnitt des Ersten Teils im Dritten Buch des „Traktats über die menschliche Natur“: „Man teilt die Philosophie gewöhnlich in spekulative und praktische; und die Sittlichkeit wird dabei immer dieser letzteren zugerechnet“ (S. 456).

Die Sittlichkeit ist für Hume allerdings „kein Gegenstand der Vernunft“, sondern „Gegenstand des Gefühls“ (S. 467). Denn unter Vernunft verstand er „die Erkenntnis von Wahrheit und Irrtum. Wahrheit und Irrtum aber besteht in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung entweder mit den wirklichen Beziehungen der Vorstellungen oder mit dem wirklichen Dasein und den Tatsachen“ (S. 457). Das kennen wir inzwischen bereits als Erkenntnis a priori und a posteriori.

Bei der Erkenntnis geht es um das Sein oder Nichtsein, bei der Sittlichkeit um das Sollen oder Nichtsollen. Letzteres ist „nicht in der bloßen Beziehung der Gegenstände begründet“ und wird „nicht durch die Vernunft erkannt“, sondern durch den „moralischen Sinn“ (moral sense). Er bewirkt, daß die Tugend einen angenehmen, das Laster aber einen unangenehmen Eindruck in uns hinterläßt (S. 468). Davon handelt der zweite Abschnitt des Ersten Teils im Dritten Buch.

Auch der dritte Teil von Kants philosophischem System (die „Kritik der Urteilskraft“) ist bereits bei Hume vorgegeben, wenn er (noch im ersten Abschnitt des Ersten Teils im Dritten Buch) schreibt, daß „die Vernunft im eigentlichen und philosophischen Sinne unser Handeln nur in zweierlei Weise beeinflussen“ kann: „Entweder sie ruft einen Affekt ins Dasein, indem sie uns über die Existenz eines seiner Natur entsprechenden Gegenstandes belehrt; oder sie zeigt uns die Mittel, irgendeinen Affekt zu betätigen, indem sie den Zusammenhang von Ursachen und Wirkungen aufdeckt. Dies sind die einzigen Arten von Urteilen, die unsere Handlungen begleiten können, und von denen man in gewissem Sinne sagen kann, dass sie dieselben erzeugen“ (S. 458).

© Gunthard Rudolf Heller, 2013

Literaturverzeichnis

HUME, David: A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to Introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects, London 1739/40, Nachdruck Oxford 1968

  • Traktat über die menschliche Natur – Ein Versuch, die Methode der Erfahrung in die Geisteswissenschaft einzuführen. 1. bis 3. Buch (A Treatise of Human Nature: Being an Attempt to Introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects, 1739/40), vollständig neu bearbeitete Ausgabe der Übersetzung von Theodor Lipps gemäß der 3. Auflage 1912, hg. v. Wolfgang Sohst, Berlin 2004
  • Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral (An Enquiry concerning the Principles of Morals, 1751), übersetzt und herausgegeben von Gerhard Streminger, Stuttgart 32002
  • Die Naturgeschichte der Religion – Über Aberglaube und Schwärmerei – Über die Unsterblichkeit der Seele – Über Selbstmord (Four Dissertations. I. The Natural History of Religion. II. Of the Passions. III. Of Tragedy. IV. Of the Standard of Taste, 1757), übersetzt und herausgegeben von Lothar Kreimendahl, Hamburg 22000
  • Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand (Philosophical Essays Concerning Human Understanding, 1748; An Enquiry Concerning Human Understanding, 1758), übersetzt und herausgegeben von Herbert Herring, Stuttgart 2002
  • Dialoge über natürliche Religion (Dialogues Concerning Natural Religion, 1779), übersetzt und herausgegeben von Norbert Hoerster, Stuttgart 1999

KANT, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft (11781, 21887), hg. v. Wilhelm Weischedel, Werkausgabe Band III, Frankfurt am Main 11974 (bei Stellenangaben wird die erste Auflage mit A, die zweite mit B abgekürzt; Sperrdruck habe ich mit Kursivdruck wiedergegeben)

LEXIKON DER PHILOSOPHISCHEN WERKE, hg. v. Franco Volpi und Julian Nida-Rümelin, Stuttgart 1988

STREMINGER, Gerhard: David Hume mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt, Reinbek bei Hamburg 1986

KINDLERS NEUES LITERATUR-LEXIKON, hg. v. Walter Jens, 21 Bände, München 1996

Gunthard Heller