Buchrezension: IRA – Opfer oder Täter?

Der Krieg der IRA ist vorbei, aber die Diskussion und Aufarbeitung was seit 1969 geschehen ist es noch lange nicht. Die Gründung der provisorischen IRA in Nordirland vollzog sich aus denselben Gründen, die eigentlich auch heute unverändert bestehen.

Die katholische Minderheit wird von gewalttätigen Unionisten brutal angegriffen, Kinder sind gefährdet die Schulen zu besuchen und benötigen massiven Polizeischutz. Solch brutale Gewalt und deren militärische Unterstützung Britanniens machten damals den organisierten bewaffneten Widerstand unvermeidlich.

Den Aktivisten, die in Widerstand traten, ging es nicht um historische irische Begebenheiten oder republikanische Ideen. Ihnen ging es einzig und allein darum sich zur Wehr setzen zu müssen. Es gab keinen wirklichen Einfluss der republikanischen Bewegung auf die entstandene Bürgerrechtsbewegung.

Diese radikalisierte sich ab dem berüchtigten „Bloody Sunday“, wo gezielt vom Militär eine der Bürgerrechtsdemonstrationen angegriffen wurde und 14 Zivilisten ums Leben kamen. Erst heute zeigt das Beweismaterial der Untersuchungskommission, dass das Töten auf höchster Ebene im britischen Parlament vorbereitet wurde.

Der lange Krieg hatte begonnen, die Spirale drehte sich in einem fort. Auf Tote der einen Seite folgten Tote auf der anderen Seite. Ein harter Guerilla-Krieg wurde geführt, der von der Bevölkerung unterstützt wurde.

Die IRA wurden in einen sektiererischen Kampf verwickelt, in dem sie dummerweise Protestantenbars in die Luft jagten. Eine Reaktion auf die vielen Katholiken, die von Protestanten getötet wurden. Jedoch entsprach das auch dem Plan der britischen Geheimdienstes.

Nach diesem Muster gingen die Briten in all ihren kolonisierten Ländern vor. Das Morden unschuldiger Katholiken entsprach einem Plan der Einschüchterung, damit sich die Bevölkerung aus Angst heraus von der IRA distanzierte. Es war konterrevolutionärer Terror.

Eine Veränderung in der Gewaltakzeptanz innerhalb der IRA erfolgte mit dem Hungerstreik inhaftierter IRA-Mitglieder. Bobby Sands und acht weitere wurden einfach sterben gelassen ohne auf irgendwelche ihrer Forderungen einzugehen.

Die IRA ging daraufhin nicht in gewohnter Weise in den Krieg, sondern verstand, dass der bewaffnete Kampf erfolglos bleibt. Die neue Strategie war Stärkung einer parlamentarischen Bewegung. Gerade weil die Briten sofort den Krieg erklärt hätten wenn die Teilung Irlands von 1921 aufgehoben würde und weil die Briten dafür bekannt für ihre Brutalität sind mit welcher sie in China wegen der Kontrolle des Opium-Krieges ganze Städte bombardierten oder in Indien wegen den Kronjuwelen massenweise die Inder abschlachteten lag die neue Strategie darin das Bewusstsein der englandtreuen nordirischen Bevölkerungsanteile verändern zu wollen.

Dies scheint dennoch fast aussichtslos, denn diese sehen sich ja nicht als Iren, sondern als Briten. Nordirland ist ein undemokratischer Staat, der mit harten Gesetzen radikal seine katholische Minderheit unterdrückt.

Den Briten gelang es sehr geschickt in der Weltöffentlichkeit diese Realität als Religionskrieg zu verkaufen. Das ist falsch und stimmt genauso wenig wie anzunehmen in Palästina würde wegen dem Talmud oder Koran gekämpft.

Es geht stattdessen immer um wirtschaftliche Interessen und Ausbeutung. Allerdings sehen sich die presbyterianischen Unionisten durchaus als auserwähltes Volk, sympathisieren deswegen mit Israel und finden ihre Machtherrschaft als göttlich vorherbestimmt.

Seit dem Friedensprozess akzeptieren die Republikaner auch die Realität des geteilten Irlands. Sogar Dublin hat im Karfreitagsabkommen Irlands in der Verfassung festgelegten Anspruch auf Nordirland aufgegeben. Aber ohne den bewaffneten Kampf wäre nie etwas erreicht worden.

Die IRA hat gegenwärtig allen Grund misstrauisch zu sein. Im Grunde hat sie tatsächlich verloren, seit 1921 hatten sie keine solche Niederlage mehr erlitten. Die Sinn Fein hat sich dazu verpflichtet britische Herrschaft zu verwalten und die Briten demonstrieren diese Herrschaft eindrucksvoll, in dem sie ständig immer mal wieder kurzfristig die Exekutive des nordirischen Parlaments einfach außer Kraft setzen.

Was der Sinn Fein zugestanden wird hängt von der Laune der Briten ab. Alles verläuft nach britischem Plan und leider berichten die internationalen Medien über Nordirland nur, wenn es eine größere Operation der IRA gab. Was dort jetzt geschieht wird ignoriert.

Es hat sich in 30 Jahren nichts verändert, die Oranier marschieren und schlagen ihre Trommeln, stellen ihren bewaffneten Oranier-Staat groß heraus. Die IRA gab ihre Waffen ab ohne militärisch besiegt zu sein, was es in der 200jährigen Geschichte des militanten irischen Republikanismus noch nie gegeben hatte.

Das Ziel nach 22 Jahren bewaffnetem Kampf bleibt so unerreichbar wie je. Die Entwaffnung geschah auf Druck internationaler Ereignisse. Im August 2001 wurden drei ehemalige IRA-Mitglieder, die wohl einfach nur Urlaub in Kolumbien machten, wegen angeblicher Unterstützung der dortigen Guerilla-Bewegung verhaftet.

US-Präsident Bush schickte verärgert einen Sondergesandten zur Sinn Fein nach Nordirland um Druck auszuüben und mitten in den ersten Gesprächen fanden zum 11.September 2001 die Anschläge von New York und Washington statt. Der internationale Kampf von Bush gegen den Terrorismus drohte sich auch auf Nordirland auszudehnen.

Um das zu verhindern gab es keine Alternative mehr zur Entwaffnung. Immerhin brachte das wahlpolitische Veränderungen. Die Sinn Fein ist bereits seit Juni 2001 die stärkste politische Kraft im Norden und seit Mai 2002 errang sie auch den wahlpolitischen Durchbruch im Süden Irlands.

Sobald sie parlamentarisch beide „Länder“ führt gäbe es die Hoffnung auf ein vereintes Irland. Seit Juni 2002 ist erstmals auch ein Republikaner Bürgermeister von Belfast. Ebenso ist seit Juni 2002 offiziell bestätigt worden, dass es eine jahrelange Zusammenarbeit zwischen der Polizei und loyalistischen Paramilitärs gab, mit dem Ziel, politisch missliebige Personen auszuschalten. Aber dennoch werden heutzutage Katholiken und ihre Kinder von den radikalen Unionisten gewalttätig angegriffen.

Es herrscht kein wahrer Frieden in Nordirland, die Iren galten in der Geschichte schon immer als besiegt und sind doch wieder aufgestanden. Noch gibt es die Real IRA, die aber immer isoliert war, weil sie gegen alles kämpfte – nur nicht gegen den Feind, die Briten.

Seit ihrem Anschlag auf das Einkaufszentrum in Omagh, wobei zu viele unschuldige Menschen starben, gibt es keinerlei Sympathie für sie. Die Republikaner sind müde geworden. Die gleichen alten Lügen Woche für Woche. Die Briten aus Nordirland zu verdrängen war nicht das eigentliche Ziel, sondern ein gerechtes sozio-ökonomisches System zu errichten.

Seit dem Friedensprozess hat sich der Graben zwischen Arm und Reich um das Fünfzehnfache vergrößert. Die Ungleichheit ist größer denn je. Gerechtigkeit lässt sich nicht unterdrücken, der Kampf um die Freiheit wird eines Tages wieder von Neuem beginnen.

Das unten erwähnte Buch erzählt die Geschichte der IRA von Innen. Mitglieder der IRA, die 30 Jahre lang aktiv mit der Waffe kämpften, beschreiben den Konflikt. Aus ihren Erzählungen wird deutlich, dass es sich nicht um einen mythologisch hergeleiteten nationalen Instinkt handelte und dass sie die IRA nicht als kriminelle Vereinigung sehen.

Buch zum Artikel:

Kevin Bean / Mark Hayes (Hg.)
Republican Voices
Stimmen aus der Irisch-Republikanischen Bewegung

152 S., Pb., UNRAST 2002
ISBN 3-89771-011-0

Berthold Röth