Biographie: Hannah Arendt – Studienzeit einer Philosophin

Eine Philosophin und politische Theoretikerin „ganz auf Liebe eingestellt“

Hannah Arendt ist Studentin im siebten Semester. Es ist ihr drittes Semester in Heidelberg und sie schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit. Die Arbeit handelt vom „Liebesbegriff bei Augustin“. Gemeint ist der Kirchenvater Augustinus aus dem 4. bis 5. Jahrhundert. Hannah Arendt hat Augustinus nicht so sehr als Theologen, sehr wohl aber als Philosophen betrachtet und als solcher war er für sie interessant.

Auf das Thema brachte sie Martin Heidegger, ihr philosophischer Lehrer in den Marburger Anfangssemestern. Seither besteht zwischen ihr und dem jetzt 38-jährigen Familienvater eine besondere Liebesbeziehung. Die Beziehung ist der sehr attraktiven jungen Frau immerhin wichtig genug, um Anträge anderer Verehrer auszuschlagen.

Einer, der angehende Literaturwissenschaftler Benno von Wiese (24), wird noch in seinen Lebenserinnerungen schwärmen: „Das auffallendste an ihr war die suggestive Kraft, die von ihren Augen ausging. Man tauchte in ihnen geradezu unter und musste fürchten, nicht mehr nach oben zu kommen.“ Eine zeitlang ist Heidegger des Glaubens, seine Hannah habe sich mit von Wiese verlobt. Ihr Doktorvater Karl Jaspers (45) hat diesen Anschein seinem befreundeten Marburger Kollegen beiläufig in einem Brief mitgeteilt. Jaspers hat sich getäuscht, er sähe es nur gern.

Was er ebenfalls nicht sieht, sind Heideggers heimliche Treffen mit Hannah Arendt. Eines davon arrangieren die beiden just bei Gelegenheit einer Zusammenkunft im April 1928, zu der Heidegger von Jaspers nach Heidelberg eingeladen worden ist. Wenige Tage danach schreibt sie: „Ich liebe Dich wie am ersten Tag …“ Zugleich nimmt sie sich ein Rilke-Zitat zu Herzen: „Und wenn Gott es gibt, / Werd ich Dich besser lieben nach dem Tod.“

Was ihr noch langes Leben vor dem Tod angeht, so hat sie sich von ihrem unentschiedenen Geliebten freizuschreiben begonnen, gerade auch mit ihrer Augustinus-Dissertation. Dazu gibt ihr Karl Jaspers durch sein Beispiel wertvolle Impulse, und zu ihm wird eine tiefe geistige Freundschaft fortwähren. Diese stillt Hannah Arendts Hunger nach Kommunikation und einer liebenderen Philosophie – „Philosophie“ heißt ja Liebe zur Weisheit – weitaus mehr, als das ‚Geheimabkommen’ mit ihrem Martin, das ihr zunehmend Furcht vor der Isolation einjagt.

Unter anderem hat der Verfasser von „Sein und Zeit“ (1927) die Studentin mit dem „Liebes“-Spruch „Ich will, dass es Dich gibt“ in seinen Bann ziehen können, statt daran eine gebührende Verantwortung zu knüpfen. Das vorgebliche Zitat von Augustin („volo ut sis“) ist übrigens in Wahrheit das eines anderen mittelalterlichen Philosophen, über den Heidegger sich 1915 habilitierte: Johannes Duns Scotus.

Trotz unübersehbarer Spuren ihrer akademischen Vorbilder enthält Hannah Arendts „Augustinus“-Schrift bereits mehr als nur Ansätze zu einem eigenen Denkweg. Erwähnt sei zunächst ihre Dreigliederung des Liebesbegriffs: vom Lieben im Sinne von Begehren unterscheidet sie die Hingabe an Gott, um diesen Gegensatz schließlich im Begriff der Nächstenliebe aufgehoben zu sehen.

Als noch charakteristischer für ihren „philosophischen Glauben“ (eine Wendung von Jaspers) lässt sich ein anderes Motiv bei der Doktorandin herausstreichen. Damit tritt sie in Gegensatz zu einem Hauptstrom des Nachdenkens über das Wesen des Menschen seit der Antike. Für die meisten Vertreter der abendländischen Philosophie liegt nämlich eine starke Betonung auf der Sterblichkeit des Menschen. Dem großen Augustinus zumindest gewinnt Hannah Arendt indessen einen gegenläufigen Wesenszug des Menschen ab, auf den es im Leben vielleicht noch mehr als auf jenen ankommt: die Geburtlichkeit (auch: Gebürtlichkeit). Dieses augustinisch-arendtsche Daseinsverständnis widerstrebt gerade auch dem für Heideggers Existenz-Philosophie kennzeichnenden „Sein zum Tode“.

Wir sind jederzeit in der Lage zu einem neuen Anfang. Noch unser letztes Lebenszeichen kann eine Weichenstellung sein. Der Tod steht außerhalb des Lebens, ist kein Lebensinhalt, und kann allein deswegen auch kein letzter Inhalt, kein Ziel des Lebens sein und darum keinesfalls das letzte Wort haben.

Andererseits gehört zum „Natalismus“ (lateinisch „natus“ = geboren) das Bekenntnis zur Schöpfung aus dem Nichts, zur „creatio ex nihilo“. Ebenso, wie wir urplötzlich als je dieser Mensch auf einmal da gewesen sind, ebenso lässt sich dieses Da-sein jederzeit mit neuem Leben füllen. Mit neuem Zusammenleben zumal; denn die ethische Kreativität „ex nihilo“ gestattet es – biblisch gesprochen: sie gebietet es sogar –, dass wir auch mit unseren Mitmenschen immer wieder einen neuen Anfang – wagen. So sind die beiden Highlights der Hannah-Arendtschen Frühschrift – Nächstenliebe (einschließlich Feindesliebe) und Gebürtlichkeit – von derselben Lichtquelle gespeist.

Im Oktober 1928 nimmt Hannah Arendt letzte Korrekturen vor. Sie steht kurz vor ihrer Promotion und wird auch bald heiraten – allerdings einen ganz anderen. Am Ende dieses Ausschnitts aus Ihrem Leben sei erwähnt, daß Hannah Arendt am 14. Oktober 1906 geboren und 69-jährig am 4. Dezember 1975 gestorben ist. Sie kann mit Recht als große Philosophin bezeichnet werden, welche die Welt der großen Denker mit gestaltet hat.

Zenon