Annäherung an Schellings Philosophie

„Schelling
ist als Verkünder einer mit dem Religiösen
versöhnten Natur in unseren Tagen zunehmender
Technikkritik wieder hochaktuell“ (Matthias Kroß, in: Karlauf 52).

Schelling Philosoph Einführung in Leben und WerkWenn Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 –
1854) seine Vorlesungen hielt, hatte er bisweilen Zuhörer, die
später berühmt wurden: Sören Kierkegaard, Friedrich
Engels, Michail Bakunin … Während Bakunin in der letzten
Reihe still zuhörte und den Lehrer abends zusammen mit den
anderen Studenten feierte, schrieb Engels fleißig mit und
widerlegte das Gehörte am Abend. Kierkegaard hielt nicht lange
durch und blieb schließlich ganz fort. Seine Begründung: „‚Ich bin zu alt, um
Vorlesungen zu hören und Schelling ist zu alt, um Vorlesungen zu
geben'“ (zit. n. Schweizer 128).

Arthur Schopenhauer hielt überhaupt nichts von
Schelling und den beiden anderen deutschen Idealisten. In seiner „Skizze einer
Geschichte der Lehre vom Idealen und Realen“
(in: Parerga und Paralipomena I) meinte er abschätzig,
daß „meines
Erachtens Fichte, Schelling und Hegel keine
Philosophen sind, indem ihnen das erste Erfordernis hiezu, Ernst und
Redlichkeit des Forschens, abgeht. Sie sind bloße Sophisten:
sie wollten scheinen, nicht sein und haben nicht die Wahrheit,
sondern ihr eigenes Wohl und Fortkommen in der Welt gesucht.
Anstellung von den Regierungen, Honorar von Studenten und
Buchhändlern und als Mittel zu diesem Zweck möglichst viel
Aufsehn und Spektakel mit ihrer Scheinphilosophie – das waren
die Leitsterne und begeisternden Genien dieser Schüler der
Weisheit. Daher bestehn sie nicht die Eintrittskontrolle und können
nicht eingelassen werden in die ehrwürdige Gesellschaft der
Denker für das Menschengeschlecht“ (IV 32).

Schelling stammte aus einer pietistischen
Pfarrersfamilie in Leonberg. Am Tübinger Stift studierte er
zusammen mit Hölderlin und Hegel, mit denen er auf einem Zimmer
wohnte, Philosophie und Theologie. Die beiden Stubenkameraden waren
je fünf Jahre älter als er. Nachdem sie Tübingen
verlassen hatten, wechselten sie Briefe mit Schelling. Von den
Philosophen wurde er am meisten von Spinoza, Giordano Bruno und
Fichte beeindruckt, aber auch von Rousseau, Schiller und Kant.

„Die stärksten Impulse gingen wohl von der Französischen
Revolution aus […]. Hölderlin, Hegel und Schelling wurden
zu Wortführern der geistigen Revolte gegen die Universität,
die etablierte Ordnung in Staat und Gesellschaft, deren Fundamente
als morsch und erneuerungsbedürftig angesehen wurden“ (Kirchhoff 20). Im Gegensatz zu Hegel blieb Schelling „den
revolutionären Tendenzen seiner Frühzeit in erheblich
höherem Grade verbunden […], als dies auf den ersten
Blick erkennbar ist“ (ebd.).

1803 heiratete Schelling Caroline Schlegel (1763 –
1809), die „bedeutendste
Frauengestalt der deutschen Romantik“ (Wilpert 1190), 1812 „die
vierzehn Jahre jüngere Pauline Gotter, die Tochter eines
Jugendfreundes von Goethe, die auch Schellings erster Frau Caroline
freundschaftlich verbunden war“ (Kirchhoff 48). Die beiden hatten sechs Kinder.

Philosophische Notizen (1848)

Schellings Werk ist
nur schwer zugänglich. Deshalb beginne ich mit seinen
Bestimmungen der Philosophie in seinen philosophischen Notizen von
1848. Sie geben eine Vorstellung davon, was er überhaupt wollte.

„Die
Philosophie s u c h t den vollkommenen Gegenstand. Sie hat ihn mit
dem, was wir Definition genannt haben, noch nicht (diese muß
doch vorausgehen, da nicht aufs Geratewohl anzufangen ist. Denn wir
wissen nicht, was das Seiende ist. […] Also ist und bleibt die
erste Frage in der Philosophie: ti to on?
(S. 16)

Auf
deutsch: „was ist das Seiende?“ (S. 44, vgl. a. S. 27) Das
Adverb ti kann man
auch mit „Wie? Warum? Wozu? Weshalb? Inwiefern?“
übersetzen, to on ist
„das Seiende, Wirkliche, Wirklichkeit, Wahrheit, wahrer Verlauf“
(Menge-Güthling).

Wieder Schelling: Um
diese Frage zu beantworten, „gibt es überhaupt nur zwei
Methoden, 1) Deduktion, die hier nicht anwendbar ist, 2) Induktion“
(S. 17).

Deduktion ist die
logische Ableitung einer Aussage aus anderen Aussagen, die
Schlußfolgerung aus Prämissen, der Schluß vom
Allgemeinen aufs Besondere. Induktion ist umgekehrt der Schluß
von Einzelbeobachtungen auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten.

Beispiele: 1)
Deduktion: Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch.
Also ist Sokrates sterblich (bekanntes Beispiel aus der Logik, z.B.
in Bühler 17 und Kondakow 462). Oder: Jedes Ding hat seine
Ursache. Es muß eine erste Ursache geben, die selbst nicht
verursacht ist. Diese erste Ursache nennen alle Gott (sog.
Gottes“beweis“ aus dem 2. Kapitel des 2. Buchs der
„Metaphysik“ von Aristoteles). 2) Induktion: Ich beobachte
nach und nach über hundert weiße Schwäne und
schließe: Alle Schwäne sind weiß. In dem Augenblick,
in dem ich den ersten schwarzen Schwan sehe, muß ich mein
Induktionsergebnis abändern: Die meisten Schwäne sind weiß.
Oder: Es gibt weiße und schwarze Schwäne.

Beide Methoden sind
unzuverlässig: Das erste Deduktionsbeispiel ist zwar richtig,
doch man kann einwenden, daß die erste Prämisse (alle
Menschen sind sterblich) induktiv gewonnen wurde und falsch ist.
Tatsächlich lernte Carlos Castaneda während seiner Lehrzeit
bei Juan Matus einen indianischen Zauberer kennen, der schon nahezu
ewige Zeiten lebte und inzwischen seinen Körper in den einer
Frau verwandelt hatte. Man müßte die erste Prämisse
des ersten Beispiels also abändern – angenommen der
Zauberer, Juan Matus und Castaneda haben die Wahrheit gesagt: Die
meisten Menschen sind sterblich. Allgemein kann man gegen die
Deduktion einwenden, daß man durch sie nichts erfährt, das
nicht schon in den Prämissen enthalten ist.

Beim zweiten
Deduktionsbeispiel liegt der Widerspruch schon in den Prämissen:
Wenn jedes Ding seine Ursache hat, kann es kein Ding geben, das nicht
verursacht ist. Man könnte dagegen allerdings einwenden, die
erste Ursache sei kein Ding. Gegen die zweite Prämisse kann man
die Frage stellen: Warum? Und die Schlußfolgerung ist
eigentlich kein Schluß, sondern lediglich die Umbenennung von
etwas, bei dem weder klar ist, wie wir darauf gekommen sind, noch, ob
es das überhaupt geben muß. Von „Beweis“ also
keine Spur.

Mit Hilfe der
Induktion können wir bestenfalls Aussagen treffen, die
wahrscheinlich sind. Jederzeit müssen wir mit einer Beobachtung
rechnen, die unser Ergebnis widerlegt.

Als ob Schelling
beim Durchdenken der beiden Methoden ebenso unbefriedigt
zurückgeblieben wäre, kam er vermutlich wieder auf die
Frage nach dem Seienden zurück und notierte folgenden Satz in
Anführungszeichen: „‚Man kann die Philosophie nicht
anfangen ohne diese Idee.‘ Denn man kann sie nicht anfangen, ohne zu
wissen, womit sie sich beschäftigt“ (S. 17).

Weiter
unten schrieb er: „Es ist ziemlich allgemein angenommen, daß
n u r die Philosophie selbst ihren Begriff zu bestimmen habe, der
Begriff der Philosophie selbst nur philosophisch gefunden werden
könne. Und es ist dies einer der Hauptgründe, womit man
sich und anderen den Anfang der Philosophie schon zu machen gesucht
hat. Ich nenne indes diese Meinung ein Vorurteil, denn die
Philosophie ist nicht eine einzelne Wissenschaft wie andere, sondern
das Postulat aller Wissenschaften“ (S. 22), „allgemeine
Wissenschaft – die Wissenschaft schlechthin – oder prōtē
epistēmē
“ (S.
143), „erste Wissenschaft“.

„Unter den
Gegenständen aber, durch die sie hindurchgeht, wird sie nur
einen als den i h r e n erkennen – die anderen anderen
Wissenschaften überweisen – insofern Wissenschaft aller
Wissenschaften sein. Aber möglich ist zuerst, daß sie auch
keinen findet, der ihr eigener ist, und am Ende bloß
Wissenschaft der Wissenschaften ist. Dagegen wenn sie selbst eine
besondere Wissenschaft ist, so muß sie auch Wissenschaft ihrer
selbst sein (Charmides), und es haben insofern diejenigen Recht,
welche sagen, man könne den Gegenstand der Philosophie nur
wissen durch die Philosophie selbst“ (S. 143f).

In
der Stelle aus Platons Charmides,
auf die Schelling anspielt, geht es um die Besonnenheit (sophrosynē).
Sokrates stellt fest: „Wenn also die Besonnenheit darin besteht,
daß man etwas kennt, so ist sie offenbar eine Erkenntnis
[epistēmē]
und von etwas. Oder nicht?“ Kritias stimmt zu und ergänzt:
Die Besonnenheit ist die Erkenntnis „seiner selbst“ (165c),
entsprechend der Inschrift am Eingang des Apollontempels in Delphi:
„‚Kenne dich selbst‘ [Gnōthi sauton]“
(164e).

Sokrates
vergleicht die Besonnenheit nun mit anderen Disziplinen
(„Erkenntnissen“). Zum Beispiel geht es in der Medizin
(iatrikē) um die
Gesundheit, in der Architektur (oikodomikē)
um Häuser. Doch um was geht es bei der Besonnenheit? Kritias
beantwortet diese Frage nicht und wendet ein: „Aber Sokrates,
[…] du untersuchst nicht richtig. Denn diese Erkenntnis ist
ihrer Natur nach den übrigen nicht ähnlich, wie auch nicht
die übrigen alle untereinander, du aber führst deine
Untersuchung, als wären sie einander ähnlich“ (165e).
Als Beleg für diese Ansicht nennt er die Mathematik (logistikē
technē
) und die Geometrie
(geōmetrikē). Sokrates wendet ein, die Mathematik erkenne Gerade und Ungerade, die
Statik (statikē)
Schwer und Leicht, die Besonnenheit dagegen nur sich selbst.

Nun sagt Kritias:
„Das ist eben die Sache, Sokrates, […] nun bist du dem
auf die Spur gekommen, wodurch die Besonnenheit sich von allen
Erkenntnissen unterscheidet, du aber suchst bei ihr eine Ähnlichkeit
mit den übrigen. So ist es aber nicht, sondern die übrigen
alle sind eines anderen Erkenntnisse, sie allein aber ist wohl der
andern Erkenntnisse Erkenntnis als auch selbst ihrer selbst“
(166bc).

Zur Erinnerung,
weshalb wir diesen Ausflug zu Platon unternommen haben, nochmals
Schelling über die Philosophie: „Dagegen wenn sie selbst
eine besondere Wissenschaft ist, so muß sie auch Wissenschaft
ihrer selbst sein (Charmides)“ (S. 144).

Das ist typisch für
viele Philosophen: Sie machen etwas, können aber nicht einmal
mit Sicherheit sagen, was das ist. Sie suchen etwas zu erkennen,
können aber nicht einmal den Erkenntnisgegenstand eindeutig
bestimmen. Sie versuchen, das Alltagsbewußtsein auf alle
möglichen Arten zu überschreiten und scheitern doch
jedesmal dabei.

Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797)

Hegel schrieb in der
Einleitung zum zweiten Teil seiner „Enzyklopädie der
philosophischen Wissenschaften im Grundrisse“, „daß
die Naturphilosophie insbesondere
unter einer bedeutenden Abgunst liege.“ Sie sei „sowohl
von ihren Gegnern als von ihren Freunden breit und platt geschlagen
worden […]. Sie ist vielfältig, ja größtenteils
in einen äußerlichen Formalismus verwandelt und in ein
begriffloses Instrument für die Oberflächlichkeit des
Gedankens und eine phantastische Einbildungskraft verkehrt worden.
[…] Es ist dann nicht zu verwundern gewesen, daß
ebensowohl das sinnigere Naturanschauen als der rohe Empirismus, ein
durch die Idee geleitetes Erkennen sowohl als der äußere
abstrakte Verstand solchem ebenso barocken als anmaßenden Getue
den Rücken zugewendet haben, welches selbst rohen Empirismus und
unverstandene Gedankenformen, völlige Willkür der
Einbildung und die gemeinste Weise, nach oberflächlicher
Analogie zu verfahren, chaotisch vermengt und solches Gebräue
für die Idee, Vernunft, Wissenschaft, für göttliches
Erkennen, und den Mangel an aller Methode und Wissenschaftlichkeit
für den höchsten Gipfel der Wissenschaftlichkeit ausgegeben
hat. Durch solche Schwindeleien ist die Naturphilosophie, überhaupt
die Schellingsche Philosophie in Mißkredit gekommen“
(9/9).

Um Schellings
Naturphilosophie in Mißkredit zu bringen, braucht man ihn nur
selbst zitieren: „Indeß, da man doch von irgend etwas
ausgehen muß, setze ich indeß voraus, eine Philosophie
der Natur s o l l e die Möglichkeit einer Natur d. h. der
gesammten Erfahrungswelt aus Principien ableiten“ (Einleitung,
zit. n. Ausgewählte Schriften 1/249).

Bei einem Empiriker
schrillen hier schon sämtliche Alarmglocken, auch wenn er seinen
Kant im Hinterkopf behält, demzufolge unsere Wahrnehmung von der
Welt stets durch unsere Denkmuster mitbestimmt wird.

Schelling schränkt
seine Voraussetzung glücklicherweise gleich im nächsten
Satz ein: „Diesen Begriff aber werde ich nicht analytisch
behandeln, oder ihn als richtig voraussetzen und Folgerungen aus ihm
herleiten, sondern vor allen Dingen untersuchen, ob ihm überhaupt
Realität zukomme, und ob er etwas ausdrücke, das sich auch
a u s f ü h r e n läßt“ (ebd.).

Was er dann
tatsächlich unternimmt, schreibt er am Schluß dieser
Einleitung: „Das letzte Ziel unserer weiteren Nachforschung ist
daher diese Idee der Natur“, nämlich: „Die Natur soll
der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn“
(1/294).

Christian Schäfer
wendet dagegen ein: „Die Entwicklung der Fragestellungen der
Naturphilosophie aus denen der Erkenntnistheorie glückt
Schelling nicht reibungslos, und es bleibt unklar, was richtigerweise
als Gegenstand der Naturphilosophie anzusehen ist: das ‚Ob‘ oder das
‚Wie‘ des Seins der Natur“ (in: Kindlers neues
Literatur-Lexikon, 14/887).

Doch das stellt
Schelling schon klar. Es geht ihm um das „Wie“. Das „Ob“
bereitet ihm nicht einmal Kopfzerbrechen: „Wer in Erforschung
der Natur und im bloßen Genuß ihres Reichthums begriffen
ist, der fragt nicht, ob eine Natur und eine Erfahrung möglich
sey. Genug, sie ist für ihn da; er hat sie durch die T h a t
selbst wirklich gemacht, und die Frage, was möglich ist, macht
nur der, der die Wirklichkeit nicht in seiner H a n d zu halten
glaubt“ (1/250).

Die Frage ist nur:
Wenn Schelling durch seine Forschung die Natur wirklich gemacht hat,
entspricht sie dann der objektiven Natur, oder hat er nur ein
Phantasieprodukt geschaffen?

System
des transcendentalen Idealismus (1800)

Schelling geht hier aus von Kants Erkenntnistheorie und
Fichtes „Wissenschaftslehre“.
Was „Transscendentalphilosophie“
ist, definierte er schon ein Jahr vorher in der Einleitung zu dem
„Entwurf eines Systems der Naturphilosophie“ (1799): „das
Reelle überall auf das Ideelle zurückzuführen“
(1/339). Und was Idealismus ist, schreibt er im „System des
transcendentalen Idealismus“: Der Idealist macht „das
Wissen von uns selbst, oder das Selbstbewußtseyn […] zum
Princip der Philosophie“ (1/423).

Schelling will nun
„den transscendentalen Idealismus zu dem […] erweitern,
was er wirklich seyn soll, nämlich zu einem System des gesammten
Wissens, also den Beweis jenes Systems nicht bloß im
Allgemeinen, sondern durch die That selbst zu führen, d. h.
durch die wirkliche Ausdehnung seiner Principien auf alle möglichen
Probleme in Ansehung der Hauptgegenstände des Wissens, welche
entweder schon vorher aufgeworfen aber nicht aufgelöst waren,
oder aber erst durch das System selbst möglich gemacht worden
und neu entstanden sind“ (1/398).

In seinen „Bemerkungen bei der
Lektüre von Schellings transscendentalem Idealismus“
(1800) stellte Fichte fest: “ S c h e l l i n g hat freilich
einen andern Begriff von transscendentalem Idealismus als ich“
(Werke XI 369). „Da FICHTE Schellings Weg nicht anzuerkennen vermochte, vollzog Schelling 1801
den Übergang zum objektiven Idealismus“ (Horst Fuhrmans,
in: Kindlers neues Literatur-Lexikon, 14/886).

Bruno
oder Über das göttliche und natürliche Princip der
Dinge.

Ein
Gespräch (1802)

Zwischen 1801 und 1806 wollte Schelling „die
von ihm bis 1800 formulierten gegensätzlichen Standpunkte der
Natur- und der Transzendentalphilosophie auf einen Einheitspunkt
beziehen“ (Siegfried
Blasche, in: Mittelstraß 2/192).

Diesen „Einheitspunkt“
formulierte Schelling schon am Schluß der Einleitung zu den
„Ideen einer Philosophie der Natur“ (1797):

„Die Natur soll
der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn. H i e r
also, in der absoluten Identität des Geistes i n uns und der
Natur a u ß e r uns, muß sich das Problem, wie eine
Natur außer und möglich sey, auflösen“ (1/294).

Hegel war von dieser
absoluten Identität in seiner „Phänomenologie des
Geistes“ (1807) überhaupt nicht begeistert: „Dies eine
Wissen, daß im Absoluten alles gleich ist, der unterscheidenden
und erfüllten oder Erfüllung suchenden und fordernden
Erkenntnis entgegenzusetzen oder sein Absolutes für
die Nacht auszugeben, worin, wie man zu sagen pflegt, alle Kühe
schwarz sind, ist die Naivität der Leere an Erkenntnis“
(Werke 3/22).

So stellt denn
Siegfried Blasche am Schluß seines Artikels über die
Identitätsphilosophie fest, daß sie „philosophiehistorisch
[…] Episode geblieben“ sei (in: Mittelstraß 2/193).

Vorbild für
Schellings „Gespräch“ über die
Identitätsphilosophie war Giordano Brunos (1548 – 1600)
Schrift „Über das Unendliche, das Universum und die Welten“
(1584), in der dieser feststellte, daß die „Geschichte der
Natur […] in uns selbst geschrieben ist“ (S. 23). Bruno
wollte „die Unendlichkeit des Alls […] beweisen“ (S.
7) und zeigen, daß der Himmel unendlich viele Welten umfasse
(S. 15).

Am 16. März
1802 schrieb Goethe an Schiller: „Schelling hat ein
Gespräch geschrieben: Bruno oder über das göttliche
und natürliche Princip der Dinge. Was ich davon verstehe oder zu
verstehen glaube ist vortrefflich und trifft mit meinen innigsten
Überzeugungen zusammen. Ob es uns andern aber möglich seyn
wird dieser Composition durch alle ihre Theile zu folgen und sie sich
wirklich als im Ganzen zu denken, daran muß ich noch zweifeln“
(109/55).

„Das Werk ist
vor allem eine Auseinandersetzung mit den Einwänden Fichtes, der
Schelling in dem Gespräch (in der Figur des Anselmo) vorwirft,
das endliche Bewußtsein, das immer relativ zum Gegenständlichen
ist, zu überspringen und überdies aus der Emphase des
Absoluten umgekehrt nicht zum endlichen Bewußtsein zurückkehren
zu können. Für Schelling ist dies in der Tat das
entscheidende Problem; er wirft umgekehrt Fichte vor, durch die
Gleichsetzung des endlichen Bewußtseins mit Bewußtsein
überhaupt die Frage nach der Herkunft des endlichen Bewußtseins
zu umgehen“ (Jörg Jantzen, in: Volpi/Nida-Rümelin 58).

Das Gespräch
zwischen Anselmo, der auch Aussagen von Polyhymnio vom Vortag
referiert, Lucian, Alexander und Bruno ist recht hölzern. Es
beginnt mit einer platonischen Interpretation der Begriffe Wahrheit
und Schönheit: Beide sind bei einem Gegenstand oder einer
Aussage gegeben, wenn eine Übereinstimmung mit dem
zugrundeliegenden Urbild (der Idee) gegeben ist. Während die
Kunst nur exoterisch ist, ist die Philosophie esoterisch. In den
Mysterien werden die Menschen zur Schau der Urbilder geführt.
Das Ergebnis dieser Schau bringt dann Bruno, der Ausführungen
über die Einheit verschiedener Gegensätze macht, z.B.
Endliches – Unendliches, Reelles – Ideelles, Leib –
Seele, Denken – Sein, Natur – Gott, Differenz –
Indifferenz, Akzidens – Substanz, Realismus – Idealismus,
Allheit – Einheit, relative und absolute Ichheit. Auch eine
„Drei-Einigkeit des Endlichen, Unendlichen und Ewigen“ wird
von Bruno aufgestellt (S. 81), der übrigens nicht mit „Jordanus
Brunus“ (S. 97) identisch zu denken ist, auch wenn er sich von
dessen Philosophie hat inspirieren lassen.

Philosophie
der Kunst (1802/03)

Dieses Manuskript zu
einer Vorlesungsreihe erschien erst 1859 im Druck. Schelling nennt
folgende Motivation seiner Kunstbetrachtung: „Fühlen wir
uns unaufhaltsam gedrungen, das innere Wesen der Natur zu schauen,
[…] wie viel mehr muß es uns interessiren, den Orgnismus
der Kunst zu durchdringen, in der aus der absoluten Freiheit sich die
höchste Einheit und Gesetzmäßigkeit herstellt, die
uns die Wunder unseres eignen Geistes weit unmittelbarer als die
Natur erkennen läßt“ (2/185f).

Was versteht
Schelling unter Kunst? Er findet, sie sei „ein ganz von
Wissenschaft durchdrungenes Handeln, oder umgekehrt ein ganz zum
Handeln gewordenes Wissen, d. h. sie ist Indifferenz beider“
(2/208f). „Die unmittelbare Ursache aller Kunst ist Gott“ (2/214).

Für Schellings
Alterswerk ist wichtig, welche Bedeutung er bereits hier der
griechischen Mythologie zumißt: In ihr sind „in der That
alle Möglichkeiten, die in dem Ideenreich liegen, wie es von der
Philosophie construirt wird, […] vollkommen erschöpft“
(2/228). Sie hat „die ganze Richtung auch der griechischen
Philosophie bestimmt“ (2/245).

Philosophie
und Religion (1804)

Das Verhältnis
der beiden in der Geschichte faßt Schelling zu Beginn der
Einleitung so zusammen: Am Anfang waren Religion und Philosophie
einträchtig in den Mysterien verbunden.

„In den
späteren Zeiten wurden die Mysterien öffentlich und
verunreinigten sich mit dem Fremdartigen, das nur dem Volksglauben
angehören kann. Nachdem dieß gechehen war, mußte die
Philosophie, wollte sie in ihrer Reinheit sich erhalten, von der
Religion zurücktreten und im Gegensatz mit ihr esoterisch
werden. Diese, welche gegen ihre ursprüngliche Natur mit dem
Realen sich vermengt hatte und eine Aeußerlichkeit geworden
war, mußte ferner auch überhaupt eine äußere
Macht zu werden und, da sie jeden freien Aufschwung zum Urquell der
Wahrheit in sich selbst verloren hatte, denselben auch außer
sich gewaltsam zu hemmen suchen.

Daher kam es, daß
der Philosophie jene Gegenstände, welche sie im Alterthum
behandelt hatte, allmählich durch die Religion ganz entzogen,
und sie auf dasjenige beschränkt wurde, was für die
Vernunft keinen Werth hat“ (3/26).

Philosophische
Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und
die damit zusammenhängenden Gegenstände (1809)

Beeinflußt von
Jakob Böhme (1575 – 1624) und Franz von Baader (1765 –
1841), wird in dieser Schrift „die Identitätslehre zur
Religionsphilosophie“ transformiert, „an der Schelling bis
zum Tod 1854 arbeitet. Der Kern der […] Freiheitsschrift ist
der Versuch, das Verhältnis Gott/Schöpfung als Entwicklung
absoluter und nicht endender Identität zu denken. Sie ist indes
Selbstentfremdung Gottes in die Schöpfung, und so wird
Schellings Frage nach der Ankunft des Endlichen (‚Was war ich, ehe
ich zu Bewußtsein kam?‘) zur Frage nach der Herkunft des Bösen,
die der ‚tiefen, unzerstörlichen Melancholie alles Lebendigen‘
entspringt“ (Jörg Jantzen, in: Volpi/Nida-Rümelin
560).

Ueber
den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt.

Ein
Gespräch. Fragment (wohl zwischen 1809 und 1812)

In diesem Dialog zwischen Clara, einem Arzt, einem
jungen Geistlichen und einem Pfarrer soll „nur
der wissenschaftliche Uebergang aus dem Gebiet der Natur in das der
geistigen Welt erzeigt werden“ (4/101).

Der Pfarrer, gleichzeitig der Erzähler des
Gesprächs, fragt nach langem Hin und Her: „Muß
also nicht […] jene andere oder geistige Welt in ihrer Art
ebenso physisch seyn, als diese gegenwärtige physische Welt in
ihrer Art auch geistig ist?“ Clara freut sich darüber und fragt zurück, warum er das
nicht schon früher gesagt hat. Doch nun will sie es genau
wissen: Was ist denn physisch am Jenseits? Der Pfarrer geht in
Reserve: Sobald ihn jemand über den physischen Himmel aufklären
kann, will er seine „Geistesaugen
nach dem Unsichtbaren […] wenden“ (4/190).

Dann schildert er seinen eigenen Erkenntnisprozeß
und kommt auf Swedenborg zu sprechen, der allerlei über „das
Geschlecht der vernünftigen Wesen“
„auf allen andern Weltkörpern“ wußte, modern
gesprochen: über Außerirdische. „Ueberhaupt
seyen die Einwohner der verschiedenen Welten als verschiedene Glieder
eines größten Menschen anzusehen, unter denen der Mensch
unserer Erde den natürlichen oder äußerlichen Sinn
vorstelle“ (4/205).

Die
Weltalter (1811, 1813, 1814/15?)

Dieses Werk, von dem
drei Fassungen vorliegen, erschien wahrscheinlich in der dritten
Fassung erst 1861. Es waren drei Bücher geplant, doch Schelling
hat nur das erste vollendet. Vom zweiten gibt es lediglich
Fragmente.

Die
Weltalter
sind ‚die
tiefste und rätselvollste Schöpfung Schellings‘
(M.
Schröter [Der Ausgangspunkt der Metaphysik Schellings entwickelt
aus seiner ersten philosophischen Abhandlung „Über
die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt“,
München 1908]). […] Ihre philosophische und
wissenschaftliche Auswertung ist noch kaum recht unternommen. […]
Die in den Weltaltern aufgeworfene Fragestellung entwickelte er in
der Philosophie der Mythologie und
in der postum erschienenen Schrift Philosophie der
Offenbarung
fort“
(Christian Schäfer, in: Kindlers neues Literatur-Lexikon,
14/894).

Die entscheidenden
Fragen Schellings in der Einleitung zum ersten Buch lauten
folgendermaßen:

„Warum kann das
Gewußte auch der höchsten Wissenschaft nicht mit der
Geradheit und Einfalt wie jedes andere G e w u ß t e erzählt
werden? Was hält sie zurück die geahndete goldne Zeit, wo
die Wahrheit wieder zur Fabel und die Fabel zur Wahrheit wird?“
(4/216)

„Was wäre
alle Historie, wenn ihr nicht ein innrer Sinn zu Hlfe käme? […]
Wer kann die Möglichkeit einer […] Versetzung des
Menschen in sein überweltliches Princip und demnach einer
Erhöhung der Gemüthskräfte ins Schauen schlechthin
läugnen?“ (4/218)

„Kann nie
wieder die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden, daß
die Wissenschaft, da sie der Sache und der Wortbedeutung nach
Historie ist, es auch der äußern Form nach seyn könnte,
und der Philosoph, dem göttlichen Platon gleich, der die ganze
Reihe seiner Werke hindurch dialektisch ist, aber im Gipfel und
letzten Verklärungspunkt aller historisch wird, zur Einfalt der
Geschichte zurückzukehren vermöchte“? (4/220)

Philosophie
der Offenbarung (1841/42)

Dieses
Vorlesungsmanuskript wurde erst 1858 gedruckt. Doch schon früh
wurden die Mitschriften von Hörern veröffentlicht (J.
Frauenstädt: Schellings Vorlesungen in Berlin. Darstellung und
Kritik, 1842; H. E. G. Paulus: Die endlich offenbar gewordene
positive Philosophie der Offenbarung, 1843).

„Im Verlauf des
an diesen Publikationen sich entzündenden Streits trat der
enttäuschte Schelling von seiner Berliner Professur zurück“
(Christian Schäfer, in: Kindlers neues Literatur-Lexikon,
14/889). „Ihre Gedanken überstiegen so sehr die
Fassungskräfte des Zeitalters, daß sie damals kaum
aufgenommen wurden“ (ebd. 14/890).

Schelling bricht
eine Lanze für die „königliche Wissenschaft“,
nämlich die Metaphysik (I 28). Er versteht darunter „die
Wissenschaft, welche auf diejenigen Gegenstände sich bezieht,
die über das bloß Physische und Natürliche
hinausreichen. Insofern könnte sie betrachtet werden als die
Wissenschaft, die sich vorzugsweise mit Uebernatürlichem und
Uebersinnlichem beschäftigt. In der That war dieß auch der
Hauptgegenstand der ehemaligen Metaphysik. Gott an sich und in seinem
Verhältnisse zu der Welt – die Welt selbst […] –
Anfang und Endabsicht der Welt – der Mensch als das Band
zwischen der physischen und einer höheren Welt – Freiheit
des menschlichen Willens – Unterschied zwischen Gut und Bös,
Ursprung dieses Unterschieds, Entstehung des Uebels überhaupt,
Geistigkeit der menschlichen Seele, Fortdauer derselben nach dem Tode
– dieß machte allerdings den Hauptinhalt der Metaphysik
aus“ (I 34f).

Erkenntnisquellen
für die Metaphysik sind laut Schelling der Verstand (intellectus), die innere und äußere Erfahrung sowie die Vernunft
(ratio), „als das Vermögen zu s c h l i e ß e
n “ (I 35ff).

Philosophie
der Mythologie (1842 und 1845/46)

Auch hier handelt es
sich um ein Vorlesungsmanuskript, das erst 1856/57 veröffentlicht
wurde.

Schelling definiert
die Mythologie als Lehre von den Göttern (5/17). Sie wirft
folgende Fragen auf: „Wie habe ich dieß zu nehmen? Wie ist
es gemeint? Wie also entstanden?“ (5/18) Die erste Frage
präzisiert Schelling so: „Habe ich es zu nehmen als
Wahrheit oder nicht als Wahrheit?“ (5/20)

Fast 100 Seiten
später gibt Schelling folgende Antwort: Die Mythologie ist „aus
wirklicher Erinnerung geschöpft, […] eine R e m i n i s
c e n z – aus der mythischen Zeit allerdings, aber eines
wirklichen Ereignisses derselben“ (5/112).

Ein
Blick in die Sekundärliteratur

Während die neueren Darstellungen von Gulyga,
Kirchhoff und Weischedel unbedenklich sind, werfen die älteren
Bücher von Habermas (1954), Lukács (1954) und Jaspers
(1955) Probleme auf.

Jürgen Habermas (geb. 1929) schrieb seine
Dissertation über „Das
Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in
Schellings Denken (Bonn 1954). Er liest hier „Schelling
– insbesondere das unvollendete Werk Die Weltalter – mittels einer Begrifflichkeit, die zum guten Teil Heideggers Sein und Zeit entnommen
ist. Schellings Werk ab 1809 stellt nach Habermas den Versuch dar,
mit der Subjektphilosophie der Neuzeit zu brechen, um ein neues
Paradigma zu begründen – einen solchen Versuch unternahm
auch Heidegger mit Sein und Zeit“ (Pinzani 31).

Georg Lukács (1885 – 1971) untersuchte in
seinem dreibändigen Werk „Die
Zerstörung der Vernunft“ den „Weg Deutschlands
zu Hitler auf dem Gebiet der Philosophie“,
d.h., er wollte Schellings Philosophie als eine der „gedanklichen
Vorarbeiten zur ’nationalsozialistischen Weltanschauung‘ […]
entlarven, mögen sie – scheinbar – noch so weit vom
Hitlerismus abliegen, mögen sie – subjektiv – noch
so wenig derartige Intentionen haben. Eine der Grundthesen dieses
Buches ist: es gibt keine ‚unschuldige Weltanschauung'“ (I 10).
Außerdem wollte Lukács zeigen, „daß die
verschiedenen Etappen des Irrationalismus als reaktionäre
Antworten auf Probleme des Klassenkampfes entstanden sind“ (I
14).

Die Tendenz ist
klar: Ein Marxist bedauert (fälschlicherweise) das Fehlen einer
marxistischen Philosophiegeschichtsschreibung (I 18) – Ernst
Bloch hielt seine Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der
Philosophie von 1950 bis 1956 – und bürstet Schelling mit
dem Kamm von Marx und Engels. Lukács betrachtet „die
historische Dialektik als Zentralfrage der Philosophie“ (I 116)
und meint mit Marx, der junge Schelling habe auf der Basis von
„‚Imagination'“, „‚Eitelkeit'“, „‚Opium'“
(gemeint ist die Religion) und einem irritablen weiblichen
Rezeptionsvermögen seine Philosophie verwirklicht (I 119; Lukács
zitiert hier aus der I. Abteilung der Marx-Engels-Gesamtausgabe, Bd.
I,2, Seite 316). Schellings Jugendphilosophie sei elitär (I
132), „antidemokratisch“ (I 133) und tendiere zum
„Aristokratismus“ (I 136).

Die spätere
Philosophie von Schelling sei im Widerspruch zu seiner
Jugendphilosophie reaktionär (I 138, 145, 169) und mystisch (I
142, 171). Marx und Engels hätten deren „demagogische
Unwahrhaftigkeit […] sofort durchschaut“ (I 151).
Schelling habe „es vorgezogen, die Vernünftigkeit der
Philosophie zu leugnen“ (I 152), „der sich in theologischer
Mystik verlierende Gipfel der neuen Philosophie Schellings“ sei
laut Engels „purer Irrationalismus, reine Vernunftwidrigkeit“
(I 153). Schelling wolle „seine irrationalistischen Dekrete
stets durch pseudo-vernünftige oder angeblich ‚erfahrungsmäßige‘
Argumente unterbauen“ (I 171).

Außerdem habe
Schelling „geradezu einen Lieblingsgedanken des modernen
Existentialismus von Heidegger und Jaspers“ vorweggenommen,
nämlich „den Gedanken der prinzipiellen Unerkennbarkeit des
Menschen“ (Anm. 2, I 157). Im Widerspruch zu dieser
Unerkennbarkeit habe Schelling andererseits mit seiner Behauptung,
daß die Unterschiede zwischen den Menschen schon im Geistigen
(in der Welt der Ideen) angelegt seien, Gobineau und dem Rassismus
Vorschub geleistet.

Karl Jaspers (1883 –
1969) kritisiert bei Schelling, daß er seine Gedanken im
Gegensatz zu Hegel zu keinem „System“ zusammengeschlossen
hat. „Er scheint immer wieder von vorn anzufangen, planend,
entwerfend, versuchend.“ Doch das sei noch der beste Teil seiner
Philosophie. „Wo er unwahr wird, da überläßt er
sich den Schematiken, von denen einige ermüdend wiederholt
werden und ihre Leerheit um so fühlbarer werden lassen. […]
Seine Texte können […] wie ein Dschungel wirken, in dem
man nicht vorankommt und keinen Boden findet“ vor lauter
„Wucherungen des Intellekts und der kritiklosen Phantasie“,
mit denen Schelling die „Lücken“ seiner
„systematischen Darstellungen“ ausfüllt. „Man
kann sich festlesen, ohne zu verstehen, wird ärgerlich und meint
ein Mogeln mit Gerede und ungedachten Konstruktionen zu beobachten“
(S. 49).

Man fragt sich,
wieviel Jaspers denn nun von Schelling verstanden hat, und inwieweit
er ihn nur als Steinbruch für seine eigene Philosophie benutzt
hat. Bei der Lektüre seines Buchs konnte ich Schelling
(abgesehen vom Biographischen) kaum wiederfinden. Deshalb mein Tip:
Wer sich die Bücher von Lukács und Jaspers zu Gemüte
führen will, präpariere sich vorher mit ein paar tausend
Seiten Lektüre von Schellings Werken – einfach deshalb,
damit sein Geist nicht verdorben wird.

© Gunthard Rudolf Heller

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berücksichtigt)

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    (bei den Zitaten habe ich um der besseren Lesbarkeit willen spitze
    Klammern, senkrechte Striche und in Klammern eingefügte
    Buchstaben weggelassen; griechische Zitate habe ich in Umschrift
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Gunthard Heller