Veden Reinkarnation: Wiedergeburt aus vedischer Sicht

In diesem Artikel soll das Thema Reinkarnation aus Sicht der indischen Veden betrachtet werden. Mit Veda (Sanskrit „Wissen“) werden im Hinduismus die heiligen Schriften bezeichnet. Den Kern des Veda bilden die Texte der Shruti. Das sind von Rishis (Weisen) „gehörte“ Texte, also Offenbarungen. Sie wurden als heilige Texte betrachtet und lange Zeit nur mündlich überliefert. Die frühesten Funde der ersten schriftlichen Aufzeichnungen lassen sich auf etwa 500 n.Chr. datieren. Vorher durfte das Wissen nur an auserwählte Schüler weitergegeben werden. Die Bedeutung des Veda ist auch heute unter Hindus noch sehr groß.

Zu den Veden zählen die Rigveda, die Samaveda, die weiße und die schwarze Yajurveda und die Atharvaveda. Manche zählen auch die Agamas darunter, aus denen sich später das Tantra entwickelt hat.

Der Begriff "Veda" wird in Indien im weiteren Sinne auch als "Wissen" verstanden, welches sich nicht in religiösem Wissen erschöpft, sondern auch weltliches Wissen umfasst.

Der Begriff „Reinkarnation“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Wiederverkörperung" und bezeichnet daher auch die Lehre von der Wiedergeburt der Seele. Als Synonyme verwendet man häufig auch Seelenwanderung und Wiedergeburt. Als verwandtes Wissensgebiet kann die Thanatologie genannt werden, welche die "Sterbeforschung" zum Thema hat, wobei die Nahtoderlebnisse reanimierter "Toter" untersucht werden.

Der Glaube an Reinkarnation

Jeder vierte Europäer glaubt an Reinkarnation. So entwickelt sich allmählich ein neues Bewusstsein für das Sterben, den Tod und die Wiedergeburt. Als Lehre verspricht sie in der postmaterialistischen Gesellschaft ein Glaubenskern zu werden, eine kulturübergreifende Einheitsreligion, die alles in Einklang zu bringen verspricht (Ost-West, Religion-Wissenschaft, Mystik-Aufklärung).

Als alternatives Konzept zum christlichen Paradies bezieht es gleichfalls unser ganzes Leben mitein. Es soll helfen das Leben intensiver wahrzunehmen und in einem tiefen Verständnis des Seins über seinen Sinn und Zweck münden. In Religion, Philosophie, im Spiritismus und Okkultismus wird Reinkarnation jedoch sehr unterschiedlich dargestellt. Häufig wird hier die Frage aufgeworfen, ob Wiedergeburt wirklich nur ein Thema des Glaubens ist oder ob sich Beweise hierfür finden lassen.

Falls Reinkarnation für alle Menschen gilt, dann sollte es auch Gesetzmäßigkeiten dafür geben. Diese können aber in einer empirisch-analytisch ausgerichteten Wissenschaftsgesellschaft nicht gefunden werden, wenn keine entsprechende Wissenschaft dafür vorhanden ist.

Dabei sollte gerade bei der Beantwortung von zentralen Existenzfragen wie: "Wer bin ich?" – "Woher komme ich?" – "Wohin gehe ich?" oder auch: "Welchen Sinn und welches Ziel hat mein Leben?" eine Beantwortung über den philosophisch-spekulativen (Ontologie) und den theologischen Bereich hinausgegangen werden.

Nach dem amerikanischen Sozialtheoretiker Ernest Becker (1924-1974; Gewinner eines Pulitzerpreises) resultieren alle Phobien und Neurosen des Menschen auf einer tief verwurzelten Angst vor dem Tode, die mit der Beantwortung der eben gestellten Fragen, wegfallen würde. Woher wissen wir nun von dem Glauben bzw. Wissen von Reinkarnation?

Archäologie und Ethnologie zeigen uns durch Grabfunde und Höhlenmalereien auf, dass unsere Vorfahren in Europa durch Ehrung von Toten, Grabgaben und Jagdzauber an eine Wiedergeburt glaubten. Weiterhin kennen wir "Totenbücher", wie das des Islams, der Maya oder das der Ägypter. Sie geben eine genaue Beschreibungen dessen, was nach dem Tode kommt.

In der griechischen Philosophie findet man diese Idee in Platons „Politeia“und die christliche Mystik (z.B. Origines 185-254 u.Z.) zeugt davon noch bis 554 u.Z. (Konzil in Konstantinopel). Jedoch die ältesten überlieferten Schriftwerke, die genaue Kunde hiervon geben, sind die Veden.

Ansichten über den Tod

Ein zentrales Element für die These der Reinkarnation ist das Verständnis dessen, was wir als "Tod" bezeichnen. Dieser Begriff kann hier sehr viele unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Sehen wir den Tod zunächst aus der Perspektive der Thanologie, als der Wissenschaft vom Tod an. Hier wird unterschieden zwischen:

a) klinischem Tod
b) Hirntod
c) Irreversiblem Tod, d.h. Tod als Unmöglichkeit der Wiederbelebung

Mit Eintritt von Zustand c) gibt es wiederum drei weitere Möglichkeiten, was „danach“ kommt.

1. Gar nichts.
2. Die Seele lebt ewig in einem ‚Reich’ weiter (Himmel, Hölle, Garten) und
3. die Seele inkarniert.

Der letzte Fall ist natürlich besonders für die Theorie der Reinkarnation interessant. Um diesen Fall genauer zu untersuchen, wollen wir uns mit den Umständen nun näher befassen.

Seele und Karma

Wie soll man sich eine Seele, die wieder inkarnieren kann, vorstellen? Die charakteristischen Merkmale der Seele sind nach der "Bhagavad Gita", einem Teil der Veden, wie z.B. auch die Upanishaden oder das Mahabharata, folgende:

  • eine der Materie übergeordnete Energie
  • eine individuelle Bewusstseinsquelle im Körper (grob- und feinstofflicher)
  • sie ‚ist’ ewig, wurde nie geschaffen und wird nie vernichtet
  • kann weder altern noch zerfallen
  • sie unterscheidet sich vom Körper, dessen sie sich bewusst ist und dessen sie sich bedient.
  • sie besitzt eine eigene, selbstleuchtende Energie (Bewusstsein)
  • sie hält sich im Herzen des Menschen auf und verbreitet ihre Energie über den ganzen Körper

Tritt nun beim Menschen der Tod ein, verlässt die Seele zusammen mit dem feinstofflichen Körper den grobstofflichen oder materiellen Körper. Nach dem Verlassen des Körpers ist die Ausrichtung des Bewusstseins entscheidend dafür, um die Seele in einen nächsten Körper tragen.

So lässt sich Reinkarnation definieren als: „fortgesetzte Wanderung der spirituellen Seele, gemeinsam mit ihrem feinstofflichen Körper, von einem grobstofflichen Körper zum nächsten und zwar gemäß ihrem individuellen Karma.“

Jetzt haben wir einen neuen Begriff eingeführt (Karma), der ebenfalls aus dem Sanskrit kommt und in die deutsche Geistesgeschichte durch Madame Blavatsky (1831 – 1891) eingeführt und durch Rudolf Steiner bekannt wurde.

Der Begriff "Karma" leitet sich aus der Wurzel Kri = wirken / machen ab und bedeutet wörtlich „Tat, Handlung, Wirken“.

Karma wird fälschlicherweise oft mit Schicksal gleichgesetzt. Es ist jedoch vielmehr ein Kausalgesetz, ein Gesetz von Aktion und Reaktion und beinhaltet einmal, dass es individuell nach dem Verursacherprinzip wirkt und zweitens auch Raum für den freien Willen des Handelnden beinhaltet. Dieser freie Wille ist jedoch nicht uneingeschränkt, sondern verläuft parallel zur Vorherbestimmung. In anderen Worten – durch unsere jetzigen Handlungen schaffen wir Möglichkeiten für unsere späteren karmischen Reaktionen.

Eine karmische Kettenreaktion kann man sich wie folgt vorstellen:

  • Wunsch/freier Wille (spirituelle Seele)
  • Gedanke (feinstofflicher Körper)
  • Handlung (grobstofflicher Körper)
  • Karmische Reaktion

Insofern kann man Karma eher als einen Lernprozess und weniger "als Strafe" begreifen, der sich in vier Phasen (Wunsch, Entschluss, Handlung, Reaktion) vollzieht. Dabei kann es zu drei verschiedenen Arten von Karma kommen (Karma, Vikarma, Akarma)

Inkarnation der Seele

Wie stellt man sich nun die Inkarnation einer Seele vor? Eine Seele inkarniert in der Regel unmittelbar nach dem körperlichen Tod und tritt im Augenblick der Empfängnis in einen sich neu bildenden Körper ein. Das kann nach vedischer Lehre sowohl ein Menschen, als auch ein Tierkörper sein. Aus vedischer Sicht sind beide qualitativ und quantitativ gleich beschaffen und nur im individuellen Ausdruck verschieden.

Neben Anthroposophen lehnen auch verschiedene andere spirituelle Strömungen den Gedanken einer Devolution entschieden ab. Zwar sind nach vedischer Wissenschaft auch Pflanzen beseelt, aber von ihnen aus gesehen evolutionieren sie nur. Entscheidend ist der Stand bzw. eine Qualität des Bewusstseins, welches auf die Reise geht. Und die Qualität – oder der Stand – eines Bewusstseins spiegelt sich im konkreten Verhalten des Menschen wieder.

Insofern mag es verständlich sein, dass bei Menschen, die an diese Art von Reinkarnation glauben, auch ein Bewusstsein für moralische Werte vorhanden ist. Ein solches moralisches Verständnis ließe sich mit der Idee: "Was du nicht willst, dass man dir tu, füg auch keinem anderen zu!" begründen. Die Konsequenzen einer solchen Reflektion lassen sich bis in die Ernährungsgewohnheiten hinein übertragen. So essen beispielsweise viele Vegetarier kein Fleisch, um das Leid von lebendigen Wesen auf ein Mindestmaß beschränken.

Prinzipiell wäre eine Inkarnation nach dieser Vorstellung ebenso auf einem anderen Planeten möglich oder in einem anderen Geschlecht. Hier ist nach der Vorstellung der Veden die Seele "transzendental" und damit jenseits aller Dualitäten der materiellen Welt. Letztlich sehen die Veden jedoch das Ziel, dem Rad des Karmas zu entkommen und so die Befreiung vom materiellen Dasein zu realisieren.

Literatur zum Thema:

Ronald Zürrer: „Reinkarnation“, Govinda Verlag, 1. Auflage, Zürich, 1989.
Harald Wiesendanger: „Wiedergeburt – Herausforderung für das westliche Denken“, Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1991 [= Sachbuch Fischer Nr. 10031]
Walter Abendroth: „Reinkarnation“, Fischer-Verlag, Frankfurt/Main, 1986, [Reihe Perspektiven der Anthroposophie Nr. 5572, hrsg. von Johannes Mayer und Wolfgang Niehaus]

Martin Dembowsky