Todeserfahrung: Tod als Brücke zum Sinn des Lebens

Der Tod / Todeserfahrung ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu-Thema. Keiner will sich mit seinem unausweichlichen Ende beschäftigen. Dabei kann der Tod auch als Brücke gesehen werden, der uns den Sinn des Lebens erst eröffnet. In diesem Artikel erfahren Sie, warum man sich mit der Todeserfahrung beschäftigen sollte und welche Wege sie zum erfüllten Leben eröffnet.

Tod als Mysterium

Der Tod gehört heute immer noch zu den großen Mysterien in unserem Leben. Schließlich weiß niemand aus erster Hand, was ihn auf der anderen Seite erwartet. Sicher gibt es bereits viele Bücher und dokumentierte Nahtoderfahrungen. Doch sie werfen nur ein schwaches Licht auf das Thema.

Immerhin sind die wenigen Auserwählten dem Tod nur für einige kostbare Minuten nahe gekommen. Sie waren nicht allzu lange "tot", kehrten wieder zurück, um uns von ihren Erlebnissen zu berichten. Dennoch prägen ihre Erfahrungen bislang ganz entscheidend die Forschungen über das Leben nach dem Tod.

Todeserfahrung

In früheren Zeiten, in denen die spirituelle Entwicklung der Menschen in den Ursprungsreligionen verankert war – wie z.B. dem Mitraskult bei den Azteken oder dem Urchristentum – galt es als Initiation, die verschiedenen Ebenen des Todes mental zu durchlaufen. Die damaligen Menschen unterhielten einen viel näheren Bezug zum Tod – er wurde studiert und in höheren Bewusstseinsebenen geschult.

Der damalige Mensch gab sich seinen Kulten, Riten und Göttern hin. Damit wollte er sich in die Lage versetzen, sein Bewusstsein so weit zu erweitern, dass er in direkten Kontakt mit den Mysterien des Todes kam.

Diese Fähigkeit ist im Laufe vieler Jahrhunderte zurückgegangen, denn die geistige Entwicklung verlagerte sich zunehmend auf das Gegenständliche. Die Ratio erfuhr ihren kometenhaften Aufstieg und verdrängte religiöse Methoden und Einsichten. Die Fähigkeit unser Inneres wahrzunehmen, sich mit dem Mysterium des Todes zu beschäftigen, verlor an Bedeutung und wurde ins Unterbewusste verdrängt.

Tod in der Moderne

Heute entwickelten die Menschen ein fest strukturiertes Gefüge – eine pragmatische Sicht auf ihre Umwelt. Der Intellekt steht in den Vordergrund und richtet sich immer mehr materiell aus. Alte Mythen verlieren langsam an Bedeutung und werden zu Märchen, denen niemand mehr wirklich Glauben schenkt. Es scheint gewinnbringender sich nur noch mit einer Seite der Wirklichkeit zu beschäftigen. Obwohl der Tod noch ein wichtiger Bestandteil des Lebens bleibt, mutiert er zu einer Bedrohung, die man zu verdrängen sucht.

Heute bekämpft man den Tod medizinisch, negiert ihn aus seinem Bewusstsein und unterdrückt seine eigene Hilflosigkeit und Angst gegenüber dem Unvermeidlichen. Tun wir uns damit einen Gefallen?

Ist es nicht ratsam sich jetzt schon mit seinen tief sitzenden Ängsten vor dem Tod auseinanderzusetzen? Oder sollen wir warten, bis sie mit aller Wucht über uns hereinbrechen und uns erst im letzten Moment mit Panik und Angst beschäftigen?

Umgang mit Todeserfahrungen

Bei den Mexikanern gehört der Tod beispielsweise so selbstverständlich zum Alltag, wie Essen, Trinken und Schlafen. Sie negieren ihn nicht, sondern leben mit ihm, in einer ganz ursprünglichen, offenen Natürlichkeit. Die Trauerfeste werden nicht nur für die Hinterbliebenen zelebriert, sondern ganz besonders für die Toten, deren Seelen weiterleben, was dort für jeden eine selbstverständliche Überzeugung ist.

Sie bedenken ihn mit Speisen, kleinen Gaben und rituellen Handlungen. Jedes Jahr wird der Tod gebührend gefeiert und in jedem wiederkehrenden Todesjahr des Verstorbenen wird der Ritus wiederholt. Was sie uns voraushaben, ist das Wissen, dass die Seelen der Verstorbenen weiterleben und dass sie sich irgendwann wieder begegnen. Und das macht den Tod für sie um ein Vielfaches erträglicher. Denn die schmerzliche Erfahrung einen geliebten Menschen zu verlieren, ist eine der größten Bürden den Tod anzunehmen.

Dieser Verlust auf beiden Seiten ist auch eine direkte Konfrontation mit unseren tief sitzenden Urinstinkten, wie Angst, Wut, Hass, Neid oder Ohnmacht. Wer will sich schon gerne diesen Gefühlen aussetzen? Aber sie gehören genauso zu unserem Wesen wie unser „lichtes“ Selbst. Gerade diese Konfrontation mit unseren Urinstinkten bewirkt eine grundlegende Wandlung.

Wir fallen auf den Grund unserer Seele, die sich einer Dimension öffnet, die wir nicht einmal ahnten. Damit kommen wir mit Kräften in Berührung, die äußerst fundamental und tiefgreifend sind. Wir begegnen einem Teil von uns selbst, der weit in die Vergangenheit zurückreicht. Denn diese Gefühle waren in der Evolution bestimmend, als es für uns noch um das nackte Überleben ging.

Damit erhält man die Möglichkeit sich mit dem kollektiven Unterbewusstsein der Menschen zu verbinden, welches nicht personell, sondern übergreifend, direkt und unausweichlich ist. In diesem Schattenreich begegnen wir dem Drachen unserer Ängste, unserer Wut und dem Hass.

Todeserfahrung als Transformation

Dennoch liegt darin auch etwas Lichtes und Klares verborgen. Es hat die Kraft alles zu transformieren, was unwichtig und banal ist, was uns abgelenkt von den tieferen Dimensionen des Erlebens. Damit bekommen wir die Chance, uns auf die wichtigen Werte im Leben zu besinnen.

Diese Transformation hat die Macht neue Sicht- und Verhaltensweisen hervorzubringen und unserem Leben eine andere Richtung zu geben. Doch ein Erwachen aus dem "Schlaf der Belanglosigkeiten" geht oft mit tiefen Krisen einher, die unsere Sicherheiten und Gewohnheiten grundsätzlich in Frage stellen. In solchen Zeiten können wir uns selbst begegnen und uns der dunklen Aspekte unseres Wesens und des Lebens bewusst werden. Es ist ein Transformationsprozess, denn Leben ist immer ein steter Prozess von Weiterentwicklung und Veränderung. Der Tod markiert hier nur den Höhepunkt, da er die größte Transformation darstellt, die wir kennen.

Der Sterbende soll – im besten Fall – durch jene dunklen Aspekte seines Wesens hindurch gehen, um am Ende in einen Zustand des Friedens zu gelangen. Er soll seine Anhaftungen loslassen und damit den Reinigungsprozess der Seele vollenden. Um in einen solchen Zustand zu gelangen, muss er sich mit seinem eigenen Tod konfrontieren und versuchen seine "Gefühlsknoten" zu lösen. Dadurch bereitet er sich zum Sterben vor.

Dieses Loslassen befreit uns von den Anhaftungen im Leben, zu unseren Lieben, zu unseren alltäglichen Dingen und Gewohnheiten. Und so werden wir im gewissen Sinne frei, frei von tief sitzenden Ängsten, Begierden und den Schattenseiten unseres Wesens. Wir können durch sie hindurch gehen und sie transformieren. Diese kurze Beschreibung ist natürlich nur eine Zusammenfassung. Loszulassen kann im Leben viele Jahre dauern und schließt manche Krisen mit ein.

Krisen können wie "kleine Todeserfahrungen" wirken, denn im gewissen Sinne stirbt ein Teil unserer Überzeugungen, um in einer neuen Bewusstseinshaltung wiedergeboren zu werden. Meist erkennen wir den positiven Sinn einer Krise erst sehr viel später. Erst wenn wir nicht mehr im tosenden Sturm der Gefühle stehen, tritt hervor, welchen Sinn die Krise für uns hatte.

So ist jede Krise eine Chance etwas völlig Neues zu beginnen. Auch die Art, wie wir mit unseren Krisen umgehen, gibt einen implizierten Hinweis darauf, wie wir später mit unserem eigenen Tod umgehen werden.

Leider haben wir unser Leben meist so eingerichtet, dass wir unsere Angst vor dem Tod mit ständiger Aktivität verdrängen. Wir vergeben die Möglichkeit zu lernen, wie wir uns dem Tod gegenüber verhalten können. Meist schieben wir diese Konfrontation so lange vor uns her, bis das Unvermeidliche über uns hereinbricht.

Was bedeutet für uns Tod / Sterben?

Was heißt Tod? Das Lexikon beschreibt ihn als ein Zustand nach dem Sterben. Dies würde voraussetzen, dass noch etwas da ist, das einen Zustand einnehmen kann. Doch was soll ein derartiger Zustand sein, wenn wir nicht mehr existieren?

Einige Pioniere haben auf diesem Gebiet erstaunliche und revolutionäre Erkenntnisse aus ihren Forschungsarbeiten zusammengetragen. So können wir zwar über das Thema diskutieren, aber dessen Wirklichkeit als Erfahrung bleibt uns weiter verschlossen.

Wir halten die Illusion der Kontinuität durch unser "Ich" aufrecht, das scheinbar eine solide Basis in unserem Leben bildet. Wir sind einfach da. Dass wir irgendwann „ausgelöscht“ werden, erscheint uns absurd und unvorstellbar.

Doch im gewissen Sinn werden wir durch den Tod tatsächlich vollkommen ausgelöscht: Unser menschliches Leben ist – mit allem was dazu gehört – unwiderruflich zu Ende. Wir kommen nackt in die Welt und gehen nackt zurück. Letztlich verlieren wir wieder alles, was Bedeutung für uns hatte – unsere Beziehungen, unsere Sicherheiten und unsere materiellen Besitztümer. Verständlich, dass dieser Verlust Ängste in uns auslöst.

Was bedeutet Sicherheit für uns? Sicherheit ist die Illusion von "Festigkeit im Leben", indem wir uns an Dinge klammern, die uns vertraut sind und die wir kennen. Nur den Tod kennen wir nicht. Sicher haben einige Menschen Erfahrungen mit dem Tod gesammelt, beispielsweise durch einen Sterbefall innerhalb der Familie oder wir sind selbst schon einmal schwer krank gewesen. Doch selbst den Tod eines geliebten Menschen erlebt zu haben, heißt noch lange nicht, sich selbst mit dem Thema zu konfrontieren.

Vielleicht beschreiben wir ihn "von Außen" als einen großen Verlust, aber ein Großteil des eigenen Lebens bleibt noch unberührt. Dies ändert sich natürlich, wenn es uns selbst betrifft. Was haben Sie zu verlieren? Es sind nicht nur die Beziehungen und Gewohnheiten, sondern auch das Anhaften an das Leben, an Dinge und Menschen, die uns ein Gefühl von Beständigkeit vermitteln. Wenn Sie nicht gerade einem Glauben anhängen, der mit vielen Versprechungen verbunden ist, sind alle Sicherheiten verloren.

In der Auseinandersetzung mit dem Sterben lösen Sie im Idealfall solche Anhaftungen auf. Dies erfordert die Fähigkeit loslassen zu können und sich dem Vertrauen hinzugeben, dass es etwas "Größeres" gibt, das Sie auf der anderen Seite empfängt. Ein Mensch, der nur an seine Endlichkeit glaubt – ohne jeden höheren Sinn und Zweck – kann hier nur in tiefe Depressionen verfallen.

Was sollen wir tun, wenn wir keine Möglichkeit mehr haben, alte Probleme zu lösen oder fehlgeschlagene Beziehungen zu korrigieren? Bei vielen Menschen sind derart ungelöste Probleme die Quelle der Unruhe. Sicher kann man nicht alle Probleme und Beziehungen im Leben klären – gewisse Sachen bleiben immer ungelöst.

Beim Sterbevorgang kann man verschiedene psychologische Zustände benennen, die wir alle mehr oder weniger durchlaufen. Zunächst sind es unsere eigenen Schattenseiten wie Ängste, Zorn oder Hass, die in unser Bewusstsein treten werden. Akzeptieren Sie diese Gefühle als ein Teil von Ihnen, dann fällt es Ihnen leichter loszulassen. Denn die Schattenseiten gehören genauso zu unserem Wesen, wie unsere Stärken.

Nur durch bewusste Integration beider Anteile werden wir vollständig. Wir können lernen sie in unserem Wesen auszubalancieren und deren Sinn und Zweck zu verstehen.

Wer diese Herausforderung besteht, wird davon sehr profitieren. Warum nicht jetzt schon damit anfangen, die "Gefühlsknoten" zu lösen, die Vergangenheit zu "heilen" und liebgewonnene Anhaftungen zu lockern? Das mag nicht einfach sein, ist aber auf jeden Fall möglich.

Im gewissen Sinne sind unsere Anhaftungen auch normal und notwendig, denn wir müssen uns im Leben stets auf etwas beziehen können, um unsere Identität zu festigen. Aber ist es nötig an negativen Erlebnissen anzuhaften und sich schon im Leben von ihnen verfolgen zu lassen?

Was gibt uns eigentlich Beständigkeit? Ist es die Art und Weise, wie wir im Leben und in Beziehungen eingebunden sind? Sind es unsere Gewohnheiten, alltäglichen Rituale oder Glaubensbekenntnisse, mit denen wir unser "Ich" zu festigen suchen? Was ist, wenn wir alledem entrissen werden? Was, wenn es nichts mehr gibt, an dem wir uns festhalten können? Wenn Sie diese existentiellen Fragen ernsthaft an sich heranlassen, können Sie vielleicht erahnen, wie sich ein Sterbender fühlt.

Eine weitere Bürde kann das schlechte Gewissen sein. Im Leben kann man vieles verdrängen oder auf die lange Bank schieben. Aber wenn wir sterben, bricht es mit Wucht und Intensität über uns herein. Manchen ergreift dann die Panik vor dem Tod. Sich mit seinem Gewissen auseinander zu setzen ist sehr wichtig, wenn man beim Sterben in den eigenen Spiegel sehen muss.

Wenn Sie im Leben lernen, Ihre Vergangenheit zu "heilen", Gefühlskonflikte zu lösen oder Gewohnheiten zu ändern, machen Sie den ersten Schritt hin zum inneren Frieden. Fragen Sie sich, welchen Dingen oder Menschen Sie anhaften. Mit so einer Klärung haben Sie viel gewonnen und können schon jetzt freier von Ihren Konditionierungen werden und dem Tod gelassen, vielleicht sogar interessiert, entgegen sehen.

Jamina Diley