Biographie: Der buddhistische Zenmeister Thich Nhat Hanh

Buddhistischer Mönch, Schriftsteller und Vertreter eines engagierten Buddhismus: der Vietnamese Thich Nhat Hanh gehört, neben dem Dalai Lama, zu den angesehensten zeitgenössischen buddhistischen Lehrmeistern. Im Jahre 1926 geboren, ist Thich Nhat Hanh wahrlich nicht mehr einer der jüngsten Vertreter buddhistischer Lehrmeister.

Buddhistischer TempelDennoch wird er niemals müde, für einen Buddhismus einzustehen, der sowohl spirituelle als auch gesellschaftliche und soziale Belange vereint.

Als Autor zahlreicher Bücher, wie zum Beispiel „Schlüssel zum Zen“ oder „Das Glück, einen Baum zu umarmen“, die heute zum Standardrepertoire vieler Buddhisten gehören, hat sich Thich Nhat Hanh auch in den Geist und die Herzen derjenigen geschrieben, die dem Buddhismus noch nicht aktiv angehören oder lediglich ein rein intellektuelles Interesse daran verfolgen.

Mit seiner Art, selbst die kompliziertesten Sachverhalte verblüffend einfach darzustellen, hebt er sich löblich von vielen anderen Autoren ab, die heutzutage im Buddhismus zu Hause sind. In der mittelvietnamesischen Stadt Hue wurde Thich Nhat Hanh im Tu Hieu Tempel zum buddhistischen Mönch ordiniert.

Zu diesem Zeitpunkt war er 16 Jahre alt und hatte bereits Interesse, sowohl an verschiedenen buddhistischen Strömungen, wie zum Beispiel der Mahayana- und Theravada-Tradition, als auch an den Schriften abendländischer Denker und Philosophen.

Im Jahre 1961 kam er das erste Mal mit den USA in Kontakt, als er ein Forschungsstipendium an der Universität Princeton annahm. Seit den frühen 1960er Jahren pflegte Thich Nhat Hanh einen regen Austausch mit Offiziellen aber auch Religionswissenschaftlern in aller Welt, besonders aber in Europa und den USA.

Welch einschneidenden Einfluss diese Freund- und Partnerschaften haben können, erlebte der buddhistische Mönch im Vietnamkrieg. Während dieser Zeit engagierte er sich in der „Schule für Jugend und Soziale Dienste“ (SYSS), welche aus der „Vereinigten Buddhistischen Kirche von Vietnam“ hervorging, die Thich Nhat Hanh mitbegründet hatte.

Diese Organisation, die aus Mönchen und Laien bestand, half Krankenhäusern, Schulen und anderen sozialen Diensten während des Krieges in allen erdenklichen Bereichen. Die Mitglieder der SYSS gerieten immer wieder zwischen die Fronten und nicht wenige Aktive starben bei dem Versuch, Hilfe zu leisten.

1967, nachdem Thich Nhat Hanh den Tiep-Hien-Orden gründete, kam der Zenmeister mit Martin Luther King in Kontakt, der von dem Treffen mit dem Buddhisten so beeindruckt war, dass er ihn nicht nur für den Friedensnobelpreis vorschlug, sondern sich auch kurze Zeit später das erste Mal offiziell gegen den Vietnamkrieg aussprach.

Tempel in VietnamThich Nhat Hanh engagierte sich als Mitglied der buddhistischen Delegation 1969 ebenfalls bei den Friedensgesprächen für Vietnam in Paris.

Die kommunistische Regierung Vietnams entschied sich Ende der 1960er Jahre dazu, Thich Nhat Hanh die Einreise in sein Heimatland zu verwehren.

Erst im Jahre 2005, nach beinahe 40 Jahren im Exil, reiste Thich Nhat Hanh wieder in sein Vaterland, um dort Vorträge und Retreats zu halten.

Während all der Jahre, fernab seiner Heimat, gönnte sich Thich Nhat Hanh nur wenig Ruhe und setzte sein soziales Engagement weiter fort.

Das konzentrierte sich vor allem in Frankreich, wo der buddhistische Mönch eine Heimat finden konnte. 1971 gründete er in der Nähe der Ortsschaft Fontvannes die Landkommune „Les Patetes douces“ und einige Jahre später das Praxiszentrum „Plum Village“.

Jedes Jahr reisen Tausende von Menschen zu dem Zentrum, welches sich in der Nähe von Bordeaux befindet, um dem dort stattfindenden Retreat beizuwohnen. Obwohl die sozialen und gesellschaftlichen Ziele, die Thich Nhat Hanh verfolgt, sehr oft in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit gelenkt werden, so sind es doch gerade seine Fertigkeiten in der buddhistischen Lehre, die ihn erst dazu befähigen, Derartiges zu leisten.

Thich Nhat Hanh ist Zenmeister der 42. Generation der Linji-Line des Rinzai-shu Pfades, der eine Lehrtradition des Zen-Buddhismus darstellt. Die Rinzai-shu ist heute die zweitgrößte Zen-Schule Japans und alleine dort gibt es etwa 6.000 Tempel, die dieser Tradition folgen. Die buddhistische Lehre, die Thich Nhat Hanh heute verfolgt, ist eine Symbiose aus den traditionellen Schulen, wie zum Beispiel dem Theravada und zahlreichen offenen Konzepten, die auch westlichen Prinzipien gegenüber durchaus aufgeschlossen sind.

Vielen traditionell buddhistischen Meistern geht gerade diese Offenheit zu weit, doch Thich Nhat Hanh betont stets, dass selbst Siddhartha Gautama, der historische Buddha, seinen Schülern riet, Lehrer und Konzepte infrage zu stellen, um somit immer offen für Wandel, Fortschritt und Neues zu sein.

Trotz all den Fortschritten, die sich Thich Nhat Hanh zu eigen gemacht hat, ist es doch vor allem die buddhistische Praxis, die der Zenmeister an erster Stelle sieht. Getreu den Fundamenten der Zen-Tradition ist es seiner Ansicht nach in erster Linie eine konstante Praxis, die zur Erleuchtung führen kann. Dabei legt er besonderen Wert auf die buddhistische Gemeinschaft, die als Stütze jedes Lernenden dient.

In diesem Kontext prägte Thich Nhat Hanh auch den Begriff „Interbeing“, der im Deutschen am besten mit „Intersein“ übersetzt wird. Hinter diesem Konzept versteht Thich Nhat Hanh das Verbunden- und Verwoben-sein von allen Dingen, allen Elementen. Alles entsteht und existiert nur durch dieses komplexe Verwoben-sein und unterliegt vielfachen Bedingungen.

Damit geht der Zenmeister noch einen Schritt weiter, als beispielsweise mit der reinen Lehre des Karma oder der Theorie des Bedingten Entstehens, wie sie schon lange im Buddhismus bekannt sind. In diesem Kontext sind auch die „14 Regeln des Intersein Ordens“ zu sehen, die Thich Nhat Hanh 1966 veröffentlichte. In dieser Schrift geht der vietnamesische Mönch auf die eigenen Glaubensgrundsätze ein, die jederzeit kritisch hinterfragt werden müssen, um zu erkennen, dass auch die buddhistischen Lehrmeinungen keine absoluten Wahrheiten darstellen.

Vor allem mit diesem Werk erhält Thich Nhat Hanh eine kritische Distanz zu seinen eigenen Überzeugungen aufrecht und zeigt damit, welche tiefgründige Weisheit und reflektorisches Niveau in der buddhistischen Lehre liegt. Auch äußerte sich Thich Nhat Hanh, anders als viele andere buddhistische Meister, zum Thema Terror und Krieg. In einem offenen Brief, den er aus Shanghai schrieb, sagt der Zenmeister Folgendes:

„Hass und Gewalt wohnen im Herzen des Menschen. Ein Terrorist ist ein Mensch mit Hass, Gewalt und Unverständnis in seinem Herzen. Indem wir ohne Verständnis handeln, aus Hass, Aggression und Angst, tragen wir dazu bei, noch mehr Terror zu säen, Terror in das Zuhause Anderer zu bringen – und Terror zurück in unser eigenes Zuhause.

Ganze Gesellschaften leben ständig in Furcht und unsere Nerven werden Tag und Nacht angegriffen. Das ist das hauptsächliche Opfer, das wir zu beklagen haben, als Resultat unseres irregeleiteten Denkens und Handelns. Ein solcher Zustand der Verwirrung, Furcht und Ängstlichkeit ist extrem gefährlich. Er kann einen neuen Weltkrieg von gewaltiger Zerstörungskraft mit sich bringen.“

Andreas Schnell