Dialogmethode: Reden – Hören – Verstehen

Die Dialogmethode ist eine besondere Art der Gesprächsführung, die von Martin Buber und dem Physiker David Bohm entwickelt wurde. Die Methode versucht Widersprüche aufzudecken und unterschiedliche Meinungen bestehen zu lassen. Sie eignet sich zum kreativen Ideensammeln oder um sich selbst im Gespräch kennenzulernen.

Einführung in den Dialog

Die wöchentliche Besprechung verlief ganz anders, als sonst. Statt langatmigen Redebeiträgen, bei denen wir uns gegenseitig ins Wort fielen, schien die Runde viel ruhiger, verlangsamt, verständnisvoll. Der Grund war der faustgroße Feldstein, den der Sprecher in der Hand hielt. Nur wer diesen Stein in der Hand hielt, durfte sprechen, die anderen hörten aufmerksam zu und warteten, bis der Stein an sie weitergereicht wurde.

Im Folgenden wird eine Methode der Gesprächsführung bzw. des Eingehens auf andere Menschen vorgestellt, die wir die Dialog-Methode nennen.

In unserer Zeit haben sich der Philosoph Martin Buber und der bekannte Quantenphysiker David Bohm im Bereich des Dialoges engagiert. Bohm, der als Quantenphysiker bekannt wurde, beschäftigte sich Zeit seines Lebens mit dem, was er den Dialog nannte. Angeregt durch die interdisziplinären Kontroversen zwischen den Wissenschaftszweigen verwendete er in seinen letzten Lebensjahren viel Zeit darauf, mit speziellen Gruppen den Dialog zu erforschen und zu üben.

Ein Dialog strebt im Gegensatz zu einem Diskurs keinen Konsens an. Er versucht vielmehr Widersprüche aufzudecken und unterschiedliche Meinungen nebeneinander bestehen zu lassen. Während sich der Diskurs durch Konvergenz auszeichnet, es also darum geht, aus verschiedenen Meinungen und Positionen einen Konsens zu erzielen, ist der Dialog durch Divergenz, d. h. dem Zulassen auseinandergehender Meinungen und Perspektiven mit dem Ziel der Erweiterung des Blickwinkels, gekennzeichnet.

Dialogmethode
Abb. 10: Konvergierendes und divergierendes Gespräch nach: L. Ellinor, G. Gerard, Der Dialog im Unternehmen, S. 30

In Situationen, wo es z. B. um eine schnelle Entscheidungsfindung geht, ist die Diskussion die angemessenere Form des Gesprächs, während der Dialog dort zum Einsatz kommt, wo es z. B. um Ideenfindung geht oder der Versuch einer Konsensfindung gescheitert ist.

Was ist das Besondere an der Dialog-Methode? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. Wir wollen versuchen, uns dem Kern der Sache über Umwege zu nähern über das, was wir in Dialogrunden tun können, um mehr über uns selbst und über andere Menschen im Dialog zu lernen.

Eine Dialogrunde besteht im Normalfall aus einer Gruppe von ca. 15 bis 30 Teilnehmern, die sich in einem Kreis gegenübersitzen und über ein Thema sprechen. Das Thema kann, muss aber vorher nicht festgelegt sein. Es kann sich in dem Gespräch auch darum drehen, welches Thema die Teilnehmer behandeln wollen. Das Wichtigste ist, dass wir in einer Dialogrunde die Möglichkeit haben, unser eigenes Gesprächsverhalten zu beobachten.

Vorurteile versus Offenheit

„In einem Dialog versuchen die Gesprächsteilnehmer nicht, einander gewisse Ideen oder Informationen mitzuteilen, die ihnen bereits bekannt sind. Vielmehr könnte man sagen, dass die beiden etwas gemeinsam machen, das heißt, dass sie zusammen etwas Neues schaffen.“ D. Bohm

Zunächst ist es wichtig, dass wir offen und lernbereit in den Dialog gehen. Viele Menschen treten tendenziell gerne als Wissende auf. Denn es gilt in vielen Kontexten als Schwäche, wenn man zugibt, dass man etwas nicht weiß und von anderen lernen will.

Wenn wir als Wissende auftreten, ist es schwer, offen für neue Erfahrungen zu sein, uns auf Neues einzulassen. Wenn wir zugestehen, dass wir nicht viel wissen, wird es für uns leichter, unsere alten Denk- und Verhaltensmuster infrage zu stellen.

Man kann sich dies als eine Haltung von Neugierde, Achtsamkeit und Bescheidenheit vorstellen, in der wir Fragen stellen, die uns berühren. Auf diese Weise unterstützen wir das gemeinsame Erkunden der ganzen Gruppe. So ist es möglich, miteinander etwas zu entwickeln, das vorher noch nicht da war und alleine nicht möglich gewesen wäre.

Offen und unvoreingenommen

„Der Punkt ist: der Dialog muss allen Zwängen auf den Grund gehen, die hinter unseren Annahmen stehen. Der Dialog befasst sich mit den Denkprozessen hinter den Annahmen, nicht nur mit den Annahmen selbst.“ D. Bohm DENN:

„Es steckt eine Menge Gewalttätigkeit in den Meinungen, die wir verteidigen. Sie sind nicht lediglich Meinungen, nicht lediglich Annahmen; sie sind Annahmen, mit denen wir uns identifizieren und die wir daher verteidigen, weil es ist, als würden wir uns selbst verteidigen.“ D. Bohm

Wenn wir offen und bereit sind, eigene Annahmen infrage zu stellen, entsteht dieser schwer zu fassende offene Raum, den wir für den Dialog brauchen.

Hierzu müssen wir die anderen Teilnehmer akzeptieren, ihnen einen radikalen Respekt entgegenbringen, damit ein gemeinsamer Vertrauensraum, in dem ein tief gehender Austausch stattfinden kann, entsteht.

All die Vorannahmen, die wir über andere Menschen, über ihr Äußeres, die Kleidung, Frisur, Redeart etc. haben, können uns daran hindern, dem Gesagten inhaltlich zu folgen und unser Gegenüber ernst zu nehmen und von ihm und damit mehr von uns selbst mitzubekommen.

Hören nach Innen und Außen

„Wer Ohren hat, um zu hören, soll hören!“ Thomas Evangelium

Wenn wir anderen wirklich zuhören wollen, dann müssen wir zuerst lernen, uns selbst zu beobachten und uns selber zuzuhören: Welche inneren Bewegungen, Gedanken und Bewertungen kommen in mir auf, wenn ich jemandem zuhöre?

Dialogmethode zuhören

Schon während jemand spricht, fangen wir an, innerlich zu argumentieren, eine Entgegnung vorzubereiten, zuzustimmen oder abzulehnen, zu bewerten. Nur zuhören tun wir nicht.

Erst wenn ich diese meine inneren Bewegungen wahrnehmen kann, ist es mir möglich, diese meine inneren Bewegungen beiseite zu stellen, um das, was ich höre, bei mir ankommen zu lassen. Das ist dann wirkliches Zuhören: eben dem anderen statt mir selber.

Auf diese Weise kommen wir in Kontakt zu unseren Annahmen, Glaubenssätzen und Interpretationen über das Leben und die Welt. Wir können dann ein Stück innere Distanz dazu einnehmen. Und anstatt uns von diesen Wirklichkeitskonstruktionen leiten zu lassen, können wir diese Annahmen oder Bewertungen sichtbar machen, sie veröffentlichen, sie dann vor uns ‚aufhängen‘, in der Schwebe halten und suspendieren: „Dies ist meine Meinung, meine Haltung zum Thema, und ich halte diese mal in der Schwebe und lasse mich weiter auf das ein, was da gesagt wird“.

Dialog verlangsamen

„Und wenn Sie einem anderen Teilnehmer zuhören, der eine Annahme hat, die in Ihren Ohren ungeheuerlich klingt, dann wäre die natürliche Reaktion vielleicht, in Wut zu geraten, aufgeregt zu sein oder auf irgendeine andere Art zu reagieren. Aber nehmen Sie einmal an, Sie würden diese Handlung in der Schwebe halten.

Vielleicht war Ihnen Ihre Annahme nicht einmal bewusst. Nur dadurch, dass der andere Teilnehmer die gegenteilige Annahme äußerte, stellen Sie fest, dass Sie eine haben. Vielleicht werden noch andere Annahmen aufgedeckt, aber wir halten sie alle in der Schwebe und sehen sie uns an, stellen fest, war sie bedeuten“ D. Bohm

Um uns in dieser Art selber beobachten zu können, ist es hilfreich, den gesamten Prozess zu verlangsamen. Dann können wir wahrnehmen, welche Ängste, Reflexe, Reaktionen, Wertungen, Gedanken und Erinnerungen auf eine Aussage einer anderen Person in uns ausgelöst werden. Diese Reaktionen laufen schnell ab und ist es im Normalfalle schwierig, sie zu beobachten.

In Dialogrunden wird ein Redestein oder -stab benutzt, um den Redefluss zu verlangsamen. Die Regel ist dann, dass ausschließlich die Person spricht, die den Stein in den Händen hält.

Inhalte und Prozesse im Dialog

Mitunter ist es im Gespräch wichtiger, die Prozesse zu beobachten, statt sich auf die Inhalte zu konzentrieren. Vor allem, wenn es um die inneren Bewegungen in mir selber geht oder um meine inneren Urteile, automatischen Reflexe, Reaktionen und Impulse, um meine Gefühle, Haltungen, Wertungen, die auf äußere Reize automatisch in mir ablaufen.

Dialogmethode verstehen

Und es ist hilfreich für den Dialog, wenn wir von dem sprechen, was uns bewegt. Wir vermeiden dabei intellektuelle Höhenflüge, abstrakte Abhandlungen und ellenlange Selbstdarstellungen, wo wir reden, um zu zeigen, wie viel wir wissen und wie genial wir sind.

Wenn die Mitglieder einer Gruppe auf diese Weise die Fähigkeit ausbauen, die eigenen Urteile zu hinterfragen und die der anderen ernst zu nehmen, Paradoxien auszuhalten, ergeben sich oftmals neue, kreative Anregungen. Man kann auf diesem Wege seine Flexibilität steigern und verliert eventuell Vorbehalte, auf ungewöhnliche Anregungen und Vorschläge der anderen Teilnehmer zu reagieren.

Im Rahmen der aufgezählten Perspektiven setzen die Teilnehmer an Dialogrunden sich Beobachtungsaufgaben und lernen so anhand der praktischen Erfahrung vieles über ihr Kommunikationsverhalten, das ihnen verborgen geblieben wäre.

Hindernisse beim Dialog

An dieser Stelle wollen wir einige Schwierigkeiten erwähnen, die bei der Anwendung der Dialog-Methode auftreten können. Zum einen stellt sich nach den Dialog-Runden, die in einem geschützten Rahmen stattfinden, das Problem des Transfers des Gelernten in den Alltag – eine Aufgabe, die behutsam angegangen werden muss.

Sachverhalte und Befindlichkeiten, welche in der geschützten Atmosphäre einer Dialogrunde thematisiert wurden, passen in dieser Form noch lange nicht in den Alltag. Es kann untereinander ein Misstrauen darüber entstehen, wie die anderen mit den Informationen, welche sie (während des Dialoges!) erhalten haben, umgehen.

„Es steckt eine Menge Gewalttätigkeit in den Meinungen, die wir verteidigen. Sie sind nicht Meinungen, nicht Annahmen; sie sind Annahmen, mit denen wir uns identifizieren und die wir verteidigen, weil es ist, als würden wir uns verteidigen.“ Bohm

Die Auflösung von vorher festen Grenzen und Meinungen während einer Dialog-Runde können verletzend wirken. Es fällt vielen Menschen nicht leicht, sich Fehler im eigenen Verhalten einzugestehen. Insofern ist eine kompetente Dialogbegleitung wichtig, wenngleich diese wenig zum Einsatz kommen sollte, sodass das Führen des Dialoges den Teilnehmern selbst überlassen bleibt.

Die Teilnahme an einem Dialog-Verfahren erfordert einen hohen Zeitaufwand. Viele der bisher durchgeführten Projekte liefen über mehrere Jahre. Und sie setzt eine Bereitschaft voraus, sich gegenüber anderen zu öffnen, sowie eine intensive Innen-Schau zuzulassen und die auftretenden Destabilisierungen auszuhalten.

Zudem ist diese Methode nicht für alle Gruppierungen und Thematiken geeignet. Aus diesen Gründen werden beispielsweise in der Unternehmens- und Führungskräfteberatung oftmals einzelne Elemente der Dialog-Methode, wie der Redestab, für spezielle Zwecke eingesetzt.

Ausblick – verständigungsorientierter Dialog

Hin und wieder kann die Reflexion der eigenen Verhaltensweisen im Dialog dazu verhelfen, die Welt neu zu sehen und ungeahnte Einblicke in die Welt, andere Menschen und sich zu erhalten.

Im Grunde kann der erste Schritt darin bestehen, das eigene Verhalten in Gesprächen zu beobachten und zu reflektieren. Die oben genannten Punkte können nacheinander als einzelne Perspektiven eingenommen werden. So kann eine Übung darin bestehen, seinen Gesprächspartnern zuzuhören, alle sonstigen Gedanken und Beobachtungen beiseite zu lassen und hinzuhören.

Ebenso kann man darauf achten, welche Vorannahmen man beispielsweise über seine Gesprächspartner, dessen Kleidung, Auftreten oder seine Sprechweise hat und wie diese das eigene Verhalten beeinflussen.

Abschließend noch ein paar weiterführende Lesetipps für Dialog-Interessierte:

D. Bohm – Der Dialog: ist eine Sammlung verschiedener Schriften zum Thema Kommunikation, unbedingt lesenswert!
Hartkemeyer et. al – Miteinander Denken – Das Geheimnis des Dialogs: besonders für Kommunikationsinteressierte – vom miteinander Reden zum Miteinander denken.
L. Ellinor, G. Gerard, Der Dialog im Unternehmen – ein Buch über Ergebnisse und Ausblicke der Anwendung der Dialog-Methode in der Unternehmens- und Führungskräfteberatung.

Lucie Baumgarten