Philosophie: Über den Irrtum im Gottesglauben

Glaube ist Nicht-Wissen. Wir wissen bis heute nicht, ob es Gott gibt oder nicht. Wenn man die Welt anschaut mit ihren Übeln, meint man, es gibt ihn eher nicht. Der Verstand bestätigt es, indem er sagt: Du wirst irgendwann sterben, dann ist alles aus. Hört man hingegen in sich hinein, dann vernimmt man die Frage: Tod, was ist das?

Niemand kann sich vorstellen, jemals tot zu sein. Wenn man in schwerer Stunde meint, es geht nicht mehr, wünscht man sich vielleicht den Tod. Das absolute Nichts des Todes aber ist und bleibt abschreckend, unheimlich und unvorstellbar. Man kann sagen, aus dieser Urangst und dem Nichtwissen ist „Gott“ als Tröster und Retter in die Menschenseele hineingekommen. Da bleibt „ER“, solange der Verstand Gefühle der Hoffnung zulässt.

Gott (Götter), Schöpfung und Mensch sind seit Urzeiten im Glauben vereint. In diesem Sinne haben alle Völker und Weltkulturen ihre Mythen. Jede jüdisch-christlich geprägte Kultur hat ihren biblischen Schöpfungsmythos. Da ist der allmächtige Gott der Schöpfer der Welt. Wenn man diesen Schöpfungsmythos aus heutiger Sicht betrachtet, kommt etwas zum Vorschein, das bislang kaum beachtet wurde, nämlich eine Kraft, welche die göttliche Macht begrenzt und ihrer Vitalität entgegenwirkt.

So fängt der biblische Schöpfungsmythos (die Genesis) an: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“ (Moses 1, 1-5)

Bereits hier beginnt ein Missverständnis, das über den jüdisch-christlichen Kulturraum hinausgeht. Über zweitausend Jahre lang gab es keinen Grund diese Zeilen genauer anzusehen. Immer noch reichen sie für viele Menschen, um an den Schöpfergott und seine Allmacht zu glauben. Doch seit die Wissenschaft bis an die Grenzen der Welt vorgestoßen ist, können Details, die vorher kaum oder gar nicht beachtet wurden, deutlich ins Bewusstsein treten.

Wie jede alte Sprache ist die Bibelsprache bildhaft. Bilder und Gleichnisse ersetzen Worte, die wegen fehlendes Wissens nicht zur Verfügung standen. Folglich sind hauptsächlich Gefühle angesprochen. Heute, bei unserem Kenntnisstand können wir feststellen, dass die im jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos angesprochenen Gefühle erstaunlich nah an der Wahrheit dran sind.

Moses 1. 1-5 aus heutiger Sicht

„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Gott kann als Synonym für das Potenzial des Seins angesehen werden (wir wissen heute: Das Sein ist mehr als unser Universum). Himmel und Erde können für elementare Gegensätze stehen, sie bezeichnen das Oben und Unten, das in sich verschränkte Positiv und Negativ der physikalischen Schöpfungsskala. Himmel kann für freie Energie stehen und Erde für gebundene Energie beziehungsweise für Materie.

„Und die Erde war wüst und leer …“ Damit ist angedeutet, dass es ganz am Anfang keine materiellen Manifestationen gab, noch nicht einmal Elementarteilchen.

„… und es war finster auf der Tiefe“ Tiefe fixiert einen Punkt, der sich im extremen Gegensatz zur Höhe befindet. Finsternis herrscht, wenn Licht fehlt. Licht ist Strahlung beziehungsweise Aktivität. Der Finsternis mangelt es an Strahlung beziehungsweise an Aktivität. Das Ganze sagt dann, dass das an sich spannungsreiche Energiepotenzial nicht aktiviert war (die Physik nennt so einen Zustand Spannungsfelder im Vakuum.)

„Und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.“ „Gott“ im Sinne von realisiertem Sein, Gottes Geist ist dann die Kompression beziehungsweise die Abstraktion der totalen Realität. Wasser ist die Metapher für undifferenzierten Urstoff und auch Grundelement für Leben.

„Und Gott sprach: Es werde Licht!“ Dieses Gotteswort kann als ein Impuls aus dem Zentrum des Seins gewertet werden, dadurch wurde ein im Fastgleichgewicht verharrendes Energiepotenzial aus dem Gleichgewicht gebracht und aktiviert. Hier kann Murray Gell-Mann (Physiknobelpreis 1969) zitiert werden. Er schreibt in

Das Quark und der Jaguar: „Das Universum wies in seiner Frühzeit eine Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie auf. Doch bald entstand eine spontane Verletzung der Zeitsymmetrie. Sie ist offenbar für das Übergewicht der Materie über die Antimaterie verantwortlich.“ Dieses Zitat wird von Messungen belegt, die 1969 erstmals anhand der kosmischen Hintergrundstrahlung gemacht wurden.

Sie zeigen, dass das Verhältnis zwischen der beim Urknall entstandenen Materie und Antimaterie fast gleich war. Lediglich ein winziges Ungleichgewicht, etwa 1.000.000.001 Teilchen auf 1.000.000.000 Antiteilchen bewirkte, dass ein Rest an Materie übrig blieb, der in unserem heutigen Universum feststellbar ist.

„Und Gott sah, dass das Licht gut war.“ Die Physik bestätigt: Das Verhältnis der aktivierten Gegensätze war so gut, dass daraus endlos Differenzierung und Komplexitätssteigerung erzeugt werden konnten. Stephen Hawking schreibt in seinem Buch: Eine kurze Geschichte der Zeit: „Warum sollte es so viel mehr Quarks als Anti­quarks geben? Warum gibt es nicht von jeder Sorte eine gleiche Anzahl? Jedenfalls können wir uns glücklich schätzen, dass die Zahlen ungleich sind, denn wären sie es nicht, hätten sich im frühen Universum fast alle Quarks und Antiquarks gegenseitig vernichtet und ein Universum voller Strahlung, aber fast ohne Materie zurückgelassen. Dann hätte es keine Galaxien, Sterne oder Planeten gegeben, auf denen sich menschliches Leben hätte entwickeln können.“

„Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“ Bemerkenswert ist: Die Nacht zwischen Abend und Morgen wird nicht erwähnt; erwähnt wird nur der Abend und der Morgen. Der Ablauf des Tages wird also vom Ende her gesehen. Das heißt so viel wie: Die Restdunkelheit der Vorschöpfung war durch den positiven Impuls wie von Sonnenstrahlen durchwirkt. Dieser Tag als erste aktive Vereinigung zwischen Negativ und Positiv ist der Anfang einer endlosen Entwicklungskette.

Gott und Teufel

Mit zwei entgegengesetzten Ur-Dispositionen beginnt der Schöpfungsmythos: mit der Aktivität des absoluten Seins und der Passivität nahe dem Nichtsein. Diese Gegensätze durchziehen den biblischen Schöpfungsmythos, wie auch die reale Schöpfungsgeschichte.

Wer an Gott glaubt, glaubt in der Regel auch an seinen Widersacher – den Teufel. Wenn Gott das absolute Alles verkörpert, dann müsste der Teufel eigentlich das Gegenteil davon sein, also – was absurd wäre – die Verkörperung des absoluten Nichts. Das Nichts kann nun mal nicht absolut sein, sonst gäbe es ja weder Gott noch sonst etwas.

Das Nichts kann es also gar nicht geben, sehr wohl aber ein Minimum des Seins als letzte Stufe vor dem Nichts. Als Personifikation wäre sie dann der Widersacher Gottes beziehungsweise der Teufel. Folglich sind Gott und Teufel personifizierte Pole der universalen Realität, als solche können sie als Verwandte ersten Grades bezeichnet werden.

In unterschiedlicher Weise sind diese Gegensätze überall drin; alle Dinge bestehen ja aus realem Sein (positiv) und potenzialem Nichtsein (negativ). Insofern herrscht in der Symmetrie des Urgrunds, wie von Murray Gell-Mann erwähnt, ein latentes Ungleichgewicht als Basis des realen Seins. Das Sein hat gegenüber dem Nichtsein immer den Vorzug real zu sein, wohingegen das Nichtsein immer fiktiv bleiben muss.

Grundsätzlich stört also bereits qualitatives Ungleichgewicht die Basis des Seins. Fraglos tritt aber in der realen Welt das Negative in der Form passiver Materie deutlicher in Erscheinung, als das Positive in der Form aktiver Energie. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass das Positiv absolut ist und das Negativ relativ. Folglich ist zu erwarten, dass die Expansion der Materie einen Tiefpunkt erreichen wird, wo sie, der Energie gehorchend, umkehren muss. Dieses Prinzip trifft auf alle Bereiche des Seins zu. Auf die Gegenwart angewendet, kann man dann sagen: Der materiellen Ära wird eine geistige folgen.

Die Grenzen der Wissenschaft und der Gesunde Menschenverstand

Etliche respektable Theorien über den Anfangs- und Vorschöpfungszustand gibt es. Keine gibt wirklich Antwort auf die Frage nach dem Geheimnis des Seins, und erst recht nicht über das des Lebens. Davon abgesehen entmutigt ihre Kompliziertheit wissbegierige Laien. Wissenschaftlich sucht man eine vereinheitlichende Theorie, die alles erklärbar machen soll. Fraglich ist, ob auf wissenschaftlichem Weg allein die Wahrheit gefunden werden kann. Denn an der Basis des Seins sind keine physikalischen Experimente möglich. Die Klärung dieser Lage wäre aber angesichts der bedrohlichen Zustände in der Welt außerordentlich wichtig.

Vielleicht kann hier der gesunde Menschenverstand etwas zur Klärung beitragen. Es gibt ja Fakten, die leicht einsehbar sind – und schließlich ist der Mensch das leibliche Kind der Schöpfung.

Fakt ist, den Ur-Impuls gab es. Fakt ist auch, er kam aus dem totalen Sein (das mehr ist als unser Universum). Das impliziert, dass es außer dem Vorschöpfungsvakuum auch Kräfte gab, die aktiv waren. Dafür spricht, dass das beobachtbare Universum nur etwa 4% darstellt, der Rest ist dunkle Energie und dunkle Materie.

Fakt ist auch, dass die universale Masse einschließlich ihrer denkbaren und undenkbaren Manifestationen als die absolute Realität bezeichnet werden muss, und dass diese Realität unvorstellbar mehr ist als unser Universum. Philosophisch kann es als das Sein, religiös als der Gott, und allgemein als die Wahrheit bezeichnet werden. Dass in diesem unendlichen Sein ein partiell bestehendes Vakuum von einem Impuls (den man „Gottes Wort“ nennen darf) aufgebrochen werden konnte, ist in Anbetracht des heutigen Wissens nicht weit hergeholt.

Obzwar in dieser Sache von der Wissenschaft nicht die letzte Klarheit zu erwarten ist, so muss doch anerkannt werden, dass dank ihrer Leistungen so eine Spekulation gewagt werden kann.

Ist Gott eine Person?

Bei den zwei Worten „Gott sprach“ denkt man spontan an eine allmächtige Person. Man kann sich darunter aber auch ganz nüchtern die Allgegenwart und Zeitlosigkeit des totalen Seins vorstellen. Am absoluten Sein zweifelt niemand, wohl aber daran, dass es eine Person sei. Merkwürdig ist nur, dass in der Welt nicht nur physikalische Kräfte am Werk sind, sondern auch geistige.

Wäre dem nicht so, dann gäbe es uns nicht. Folglich kann man davon ausgehen, dass das absolute Sein nicht nur physikalisch ist, sondern auch lebendig, und dass es über einen freien Willen verfügt. Wenn man aber kritisch ist, reicht es trotzdem nicht um Gott als empfindende Person zu definieren. Am meisten sprechen das Elend und die ungesühnt bleibenden Ungerechtigkeiten dagegen.

Wenn es Gott gäbe, meint man, dann würde er nicht so viel Elend und Ungerechtigkeiten zulassen. Umgekehrt kann argumentiert werden: Ohne Unrecht gäbe es kein Recht; was ebenso logisch ist wie, ohne Leben gäbe es keinen Tod. Leben und Unrecht sind zwar gegensätzliche Werte, intelligentes Leben jedoch kann Unrecht (als Ausdruck der Lebensfeindlichkeit) erkennen und daran wachsen (wachsen im Sinne von einer Realitäts- und Bewusstseinserweiterung).

Gott, das personifizierte Sein, muss nicht wachsen, weil in ihm die Extreme des Seins maximal vereint sind. In unserer Persönlichkeit sind die Extreme weitgehend unrealisierte Potenziale, an denen gearbeitet werden muss. Insofern sind wir eingeschränkte Persönlichkeiten, während Gott die Persönlichkeit per se ist.

Die Grenze der göttlichen Macht

Wie gesagt, in jeder Persönlichkeit stehen sich reales Sein und potenziales Nichtsein gegenüber. So wie unsere Persönlichkeit den Kosmos mit seinen realen Gegensätzen verkörpert, so verkörpert Gottes Persönlichkeit das absolute Sein und damit auch das potenzielle Nichtsein. Das potenzielle Nichtsein begrenzt aber seine Allmacht, weil es unauslöschbar ist.

Somit muss er die Gegensätzlichkeiten zulassen, weil es sonst keine Dynamik und keine Komplexitätssteigerung gäbe. Folglich kann er nicht alles machen, was er will. Er kann aber (ähnlich wie wir) das Negative nutzen, um mehr oder weniger langfristig zu realisieren, was er will. „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber trefflich“, sagt der Volksmund.

Diese Fakten mögen einleuchtend sein, sie reichen aber nicht, um Gottes Existenz vorbehaltlos akzeptieren zu können. Unser eingefleischtes Weltbild ist hierbei das größte Hindernis.

Untaugliches Weltmodell

Jeder weiß: Die Spannweite des absoluten Seins reicht vom abstrakten Alles bis um „Nichts“ („Nichts“ in Anführungszeichen, weil Nichts nicht absolut sein kann.) Beide Extreme sind zwar unterschiedliche Abstraktionen, wertmäßig aber sind sie wie die Null und das Unendliche in der Zahlenreihe. Quasi verbinden die Extreme die Skala des Seins zum endlosen Kreis.

Nikolaus von Kues (1401-1464) beschreibt diesen Kreis folgendermaßen:

„Man kommt bei der Zahl in aufsteigender Richtung auf kein absolut Größtes. Bei der absteigenden Richtung kommt man auf ein Kleinstes, das nicht kleiner sein kann, dies ist die Einheit. Als das schlechthin Kleinste ist sie mit dem schlechthin Größten identisch. Diese Einheit kann nicht selbst Zahl sein, wohl aber ist sie das Prinzip aller Zahl, weil das Kleinste und das Ende aller Zahl das Größte ist. Diese Einheit hat keinen Gegensatz. Sie ist nicht der Vervielfältigung fähig, weil sie alles ist, was sein kann. Sie kann aber selbst nie Zahl werden.“

Was Nikolaus von Kues hier als Gottesbeweis bringen wollte, trifft zwar auf das Universum und das Sein zu, sagt aber nichts über das System des Seins. Der Astrophysiker Hubert Reeves macht es in seinem Buch Schmetterlinge und Galaxien deutlich, indem er zur Krümmung des Universums sagt:

„In einem in sich geschlossenen Universum würde dieses über seine Krümmung auf sich selbst zurückgeführt, denn aufgrund der großen Materiedichte würden die Raumbahnen Kreisläufe darstellen. Das Universum würde dennoch immer unbegrenzt (kreisförmig) bleiben.“ Für Gott wäre da kein Platz.

Wie die Zahlenreihe, hat die zum Kreis gekrümmte physikalische Skala einen Punkt, wo das Größte auf das Kleinste trifft: das Kleinste in der entmaterialisierten Materie und das Größte in der Unendlichkeit der Raum-Zeit. Die Extreme treffen sich im zeitlosen „Punkt“. Raum- und zeitlos heißt: Der Verbindungspunkt des physikalischen Kreises ist überall und immer gegenwärtig – eine wahrhaft göttliche Eigenschaft!

Der Haken an diesem Bild ist: Es passt nicht ganz zur universalen Realität. Fortschritte, die in der Welterkenntnis seit der Antike erzielt wurden, waren immer eine kontinuierliche Erweiterung des kreisförmigen Weltmodells. Heute wird das Kleinste im Materieteilchen gesucht und das Größte in der Gesamtmasse des Seins (als wäre zwischen beiden Extremen wertmäßig ein Unterschied).

Wären diese Kriterien ermittelt, dann, so meint man, wäre endlich die Welt erklärbar. Theoretisch sind die Extreme des Seins längst ermittelt. Die Raumzeitlosigkeit im Materieteilchen ist, seit es die Quantenmechanik gibt, unbestritten, und man weiß, dass die in unserem Universum feststellbare Materie nicht die ganze Materiemasse des Seins sein kann.

Trotz dieser beindruckenden Erkenntnisse kann man weder die Ursache der Dynamik finden noch das Geheimnis des Lebens lüften. Daran kann auch eine, gigantische Technik wie der Teilchenbeschleuniger CERN bei Genf nichts ändern. Es wäre aber viel gewonnen, wenn die Forschung einer Theorie von einem besseren Weltmodell zum Durchbruch verhelfen könnte. Jedenfalls sollte man sich jetzt, wo der Zustand der Welt so bedrohlich geworden ist, vom kreisförmigen Weltmodell verabschieden können.

Taugliches Weltmodell

Wie gesagt, das kreisförmige Weltsystem, wie es seit der Antike den Weltbildern zugrunde liegt, bietet keinen Anhaltspunkt, um die Ursache von Dynamik und Leben erklären zu können. Dieser Mangel verhindert nicht nur den Glauben an einen Gott, sondern auch den Zugang zur Welterkenntnis.

Den Gottgläubigen mag paradox erscheinen, wenn man sagt: Gäbe es einen allmächtigen Gott, dann gäbe es die Welt nicht. Tatsache aber ist: Dynamik, Energie, Materie, Geist und Leben setzen ein System voraus, das nicht nur Gegensätzlichkeiten enthält, sondern sie auch erzeugt und außerdem noch die Fähigkeit hat Gegensätze zu verbinden.

Der Kreis kann so etwas nicht bieten; zwei Kreise aber, die miteinander verknüpft sind und schleifenförmiges Fließen erlauben, sind dazu in der Lage. Die Schleifenform, die gewissermaßen aus zwei Kreisen besteht, erfüllt bestens die Voraussetzungen für ein dynamisches System. Am Kreuzungspunkt treffen und trennen sich Hinfließen und Wegfließen, um am Zenit wiederum die Richtung zu wechseln.

In dieser Weise verwandeln sich Fließrichtungen immer wieder in ihr Gegenteil. Expansion und Konteraktion wechseln so einander ab. Dieses schleifenförmige Bild passt sowohl zu Elementarteilchen wie auch zur Welt. Das Sein verfügt in dieser Weise über eine unendliche Vielzahl von Schleifen in unendlich vielen verschiedenen Dimensionen. Diese unendliche Realität ist ein Sein, in dem ständig Universen entstehen und vergehen können.

Neueste Forschung bestätigt dies mit der Schleifen-Quantengravitation. Abhay Ashtekar und seine Kollegen an der Pennsylvania State University haben diese Theorie, die eigentlich die Wechselwirkungen zwischen Elementarteilchen beschreiben soll, auf das gesamte Universum angewandt. Auf dem Weg in die immer fernerer Vergangenheit haben die Formeln zunächst zu ähnlichen Ergebnissen geführt wie die klassische Kosmologie. An dem Punkt aber, wo alle anderen Gleichungen versagten, hat die Schleifentheorie gehalten.

Korrigiertes Gottverständnis

Um über Gott reden zu können, genügt es nicht, sich der Wissenschaft zu bedienen; wie früher muss man auch heute zur bildhaften Sprache greifen. Dann hört sich das Schöpfungsszenario so an: Weil das negative Extrem des Seins – das „Nichts“ – niemals absolut sein kann, will es wenigstens Absolutheit vortäuschen, indem es an seiner Urpassivität festhalten will.

Um es aus diesem Zustand herauszubringen, muss es vom lebendigen Sein (von Gott) provoziert werden. Wenn das gelingt, muss der Provokateur (Gott) quasi in Judotechnik die provozierte Kraft des Gegners auffangen und zum eigenen Vorteil, nämliche der Aufwertung des Seins, umlenken.

Da es um Elementares geht, ist das ein nie endendes Ringen der Extreme: Die Urpassivität verkörpert im Teufel fiktiv den ewigen Tod, die Uraktivität hingegen in Gott real das ewige Leben. Weil ewiges Nichtsein, was ja ewiger Tod wäre, nicht realisiert werden kann, ist die Urpassivität (der Teufel) als Widersacher Gottes in negativer Weise lebendig. Das heißt, er verteidigt permanent seinen Existenzstatus am untersten Level des Seins (so wie es die Kriminalität auch tut). Insofern finden in der Schöpfung auf allen Ebenen ständig Kämpfe zwischen dem Sein und dem Nichtsein statt. Die Menschheit hat hierbei das schwere Amt, dem Sein als Elitetruppe zu dienen.

Das Szenario zeigt, dass die Welt, die zwischen Sein und Nichtsein besteht, etwas Unfertiges ist, und wir in dieser Welt nur Erfüllung finden, wenn wir unsere Pflicht tun. Das lässt mit einiger Berechtigung vermuten und hoffen (vielleicht auch, wenn wir meinen unsere Pflicht nicht erfüllt zu haben, befürchten), dass unser Leben in einer anderen Dimension weitergeht.

Sinn der Schöpfung

Das in der Schöpfung eindeutig feststellbare Streben nach Komplexitätssteigerung kann nur als Streben nach einer Wiederherstellung der verlorenen Ganzheit auf einer anderen Seinsebene verstanden werden. Denkbar wäre da ein Duplikat des universalen Seins. In uns Menschen ist ein deutlicher Ansatz dazu zu finden. Wir verkörpern die Naturgesetze, somit sind wir mit dem physikalischen Ordnungssystem des Universums eng verbunden, und wir können das Nichts und das Alles denken, was uns mit dem Multiversum verbindet.

Aus dieser Sicht könnte das Schweigen Gottes gedeutet werden. Wie ein guter Erzieher lässt er uns unsere Erfahrungen selber machen. Das heißt aber nicht, dass er uns nicht warnt. Wenn wir die im Kontext des natürlichen Selbst und des allgemeinen Seins stehende Realität missachten, haut er uns auf die Finger, entweder sofort oder später. Dem können wir vorbeugen, indem wir nicht nur auf den eigensinnigen Kopf hören, sondern auch auf die leise Stimme aus unserem tiefsten Inneren. Wie jeder gute Erzieher kann Gott auch verzeihen, vorausgesetzt wir sind lernwillig.

Er will, dass wir als autonome Wesen am Leid, dem wir in dieser Welt nicht ganz entgehen können, wachsen. Wachsen in diesem Sinn heißt, sich bedingungslos der Realität stellen und nicht in Scheinwelten flüchten, sondern sich bemühen Negatives als Teil der universalen Realität erkennen zu wollen und es dann – wie Gott – konstruktiv zu nutzen.

Mythen

Zum Schluss ein Lob an alte Mythen. Sie kommen aus tiefster Seele, sind für viele Auslegungen offen. Jedes Zeitalter, jeder Mensch kann für sich etwas darin finden. Wirklich zu ergründen sind sie nie.

Von Heinz Altmann

Heinz Altmann