Ich und Du: Zwei Welten begegnen sich …

Wenn Menschen sich verständigen wollen, ist es nicht selbstverständlich einander zu verstehen. Ein „Ich“ und „Du“ repräsentieren auch zwei Weltbilder oder Auffassungen des Weltverstehens. Was es heißt eine andere Welt zu verstehen, wollen wir im Folgenden betrachten.

Innen- und Außenwelt

Die Sprache ist das Medium, in dem wir unsere „Innenwelt“ für andere zum Ausdruck bringen. Sie übersetzt unsere Gedanken und Gefühle in Symbole und macht sie für andere zugänglich.

Sprachtraining Ich Du

Hätten wir unsere Sprache nicht, würden wir keine Anregungen, keinen Austausch und kein Feedback (‚Rückmeldungen‘) von anderen bekommen können.

Da Menschen soziale Wesen sind, d.h., sich durch den gegenseitigen Austausch und Kooperation mit anderen erst zu menschlichen Individuen entwickeln, ist die Sprache für uns im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig.

Warum sollte man sich mit Sprache beschäftigen? Als Mensch, der auf Kommunikation und damit Sprache angewiesen ist, hilft ein Verständnis von Sprache dabei, sie richtig einzusetzen.

Besonders dann, wenn man sich auch der Grenzen bewusst ist, was Sprache leisten kann. Veranschaulichen wir uns anhand einer einfachen Aufteilung in Sender und Empfänger, wie Kommunikation und Sprache zusammenhängen.

Ich (Sender) -> Umwelt -> Du (Empfänger)

Nehmen wir an, „ICH“ und „DU“ besuchen zusammen ein Museum und betrachten ein Kunstwerk. „ICH“ ist von seinem Erleben des Kunstwerkes ergriffen und will „DU“ sein Erleben (Innenwelt) mitteilen. Da „DU“ das Erleben von „ICH“ nicht direkt wahrnehmen kann – er sieht von „ICH“ ja nur die Oberfläche (Gesicht, Haltung, Bewegungen etc.) – muss „ICH“ sein Erleben in Sprache kleiden.

Was passiert dabei genau? „ICH“ transformiert seine Gedanken und Erlebnisse in ihm bekannte Symbole und nutzt die Umwelt, indem er z.B. mit seinen Stimmbändern die Luft in Schwingung bringt, welche „DU“ wiederum über seine Sensoren (Ohren) wahrnehmen kann. Man könnte auch sagen, „ICH“ sendet codierte Wellen aus, die an einen Empfänger (DU) gerichtet sind.

„DU“ kann über seine Sensoren diese Schallwellen wahrnehmen und sein Gehirn kann diese wiederum in Lautfolgen umsetzten. Beim Umsetzen dieser Lautfolgen verwendet „DU“ einen magischen Trick – er übersetzt die Luftschwingungen in seiner Innenwelt (Gehirn) und ordnet diesen eine Bedeutung hinzu.

Und zwar nicht irgendeine, sondern immer die eigene Bedeutung. Dies ist ein wichtiger Punkt, da in diesem Beispiel herauskommt, dass die Bedeutung einer Mitteilung nicht vom Sender, sondern vom Empfänger erzeugt wird.

Über die Bedeutung der Mitteilung entscheidet der Empfänger.

In systemtheoretischen Begriffen ausgedrückt, könnte man sagen, dass Menschen informationell geschlossene Systeme sind. Das mag unserer gewohnten Erwartung widersprechen – wie kann man das begründen?

Nehmen wir noch einmal die Aufteilung in Sender-Empfänger zu Hilfe. Der Sender sendet (im Falle der Sprache) genaugenommen „Schallwellen“, genauso, wie der Empfänger „Schallwellen“ empfängt. Weiterhin ist Information – also das, was zwischen Sender-Empfänger übertragen werden soll, Bedeutung.

Ob nun einer Schallwelle eine Bedeutung zugewiesen wird oder nicht, ist keine Eigenschaft der Schallwelle, sondern eine Interpretationsleistung des Empfängers. Es gibt keine Regel, welche angibt, welche Art von Schallwelle welche Bedeutung hat.

Ob das Räuspern vom Sender eine Kehlkopfverspannung ist oder eine Aufforderung, aufmerksamer zu sein, bleibt der Interpretation des Empfängers überlassen. Genauso verhält es sich mit allen anderen Sinneseindrücken, die Menschen wahrnehmen können.

Daran kann man sich verdeutlichen, dass keine Informationen den Besitzer wechseln. Ich kann nur die Umwelt des anderen so beeinflussen, dass dieser über seine Sensoren einen Input bekommt, welchen er interpretieren kann. Diese „Übersetzung“ von Sinneswahrnehmungen erfolgt systemintern, also im „ICH“ oder „DU“.

Informationell geschlossen heißt also, dass Bedeutungen von Wahrnehmungen immer nur systemintern geschaffen werden können. „ICH“ – als Sender – kann zwar eine bestimmte Bedeutung beabsichtigen, in welche Bedeutungen „DU“ jedoch seine Umweltwahrnehmungen übersetzt, darauf hat „ICH“ keinen direkten Einfluss.

„ICH“ hat nur die Möglichkeit, „DU“ zu beobachten und damit festzustellen, ob „DU“ eine hinreichend ähnliche Bedeutung des Gesendeten in wahrnehmbare Handlungen/ Reaktionen umsetzt. Hierbei vergleicht „ICH“ seine Erwartungshaltungen (wie müsste DU reagieren, wenn er mich verstanden hat) mit seinen Beobachtungen, was DU faktisch tut.

Wenn ICH die Absicht hat, einen liebevollen Scherz zu machen und DU plötzlich sauer wird, kann ICH annehmen, dass DU eine vollständig andere Bedeutung erzeugt hat, als ICH erwartet/beabsichtigt hatte. Das kann dazu führen, dass man „DU“ unterstellt: „“DU“ willst mich nicht verstehen!“ oder „“DU“ verdrehst mir absichtlich die Worte im Mund!“ – was zu Streit oder ähnlichem führen kann.

Dabei kann „DU“ gar nicht anders, als Bedeutungen selbst zu erzeugen. Eigentlich eine absurde Reaktion, da der Empfänger gar nicht anders kann, als die Bedeutung einer Mitteilung durch seine Erlebnisse und seinen Erfahrungshintergrund zu deuten.

Viele Menschen gehen komischerweise immer noch von der Möglichkeit der „Gedankenübertragung“ aus. D.h., sie nehmen selbstverständlich an, daß „DU“ beliebigen Worten dieselbe Bedeutung zuordnet wie „ICH“. Sie könnten mal den Versuch machen und andere Menschen fragen, was das Wort „Glück“ für sie bedeutet.

Ich wette, ihnen werden andere Erlebnisse und Erwartungen geschildert, als die, die sie selbst mit dem Begriff verbinden. Wenn nicht im Allgemeinen, so doch im Besonderen, d.h. wenn man konkreter nachfragt und über die Details der Bedeutung spricht.

Ein Mensch erzeugt Bedeutungen aufgrund seiner Erfahrungen

Ein Erfahrungshintergrund ist ein Sammelsurium von Verhaltensgewohnheiten, Erwartungshaltungen und Bewertungen, die wir uns im Laufe unseres Lebens angeeignet haben.

miteinander reden

Da Menschen unterschiedlich sozialisiert sind, d.h., ihre Bedeutungen aus bisherigen Erfahrungen schließen, wäre eigentlich viel naheliegender zu erwarten, dass „DU“ meine Mitteilungen so lange nicht hinreichend verstehen kann, bis wir gemeinsam einen ähnlichen Erfahrungshintergrund aufgebaut haben.

Hierbei kann es natürlich leicht vorkommen, dass ein und dieselbe Erfahrung für zwei Menschen vollkommen unterschiedliche Bedeutungen haben.

Wenn „ICH“ und „DU“ zusammen Bergtouren machen wollen, kann es leicht sein, dass Bergsteigen für „ICH“ ein Erleben ist, welches er mit sehr positiven Erinnerungen und Gefühlen verbindet, während „DU“ die anstrengenden Wanderungen (als Kind mit seinen Eltern) tierisch auf den Senkel gehen. Würden sie so über die Bedeutung von „Bergsteigen“ sprechen, gäbe es kaum Übereinstimmungen in der Bedeutung ihres Erlebens.

ICH und DU – die Begegnung zweier Welten

Um diesem Problem aus dem Weg zu gehen, suchen sich die meisten Menschen ein Gegenüber, von dem sie annehmen, dass das „DU“ ähnliche oder gleiche Bedeutungen erzeugt.

Bleibt man in der Betrachtung in einem sehr groben Rahmen, kann es „ICH“ evtl. nicht auffallen, dass „DU“ in einer vollkommen anderen Welt lebt.

Wird die Beziehung jedoch enger – man lernt „DU“ intensiver kennen – dann entdeckt man mit der Zeit immer mehr und feinere Differenzen zwischen seinem eigenen Erleben und dem Erleben von „DU“.

Natürlich mag man einwenden, dass es Konventionen gibt wie: „Bitte schließ das Fenster!“ die im deutschen Sprachraum von den meisten verstanden werden.

In diesem Fall weiß der Empfänger welche Art der Handlung der Sender von ihm erwartet. Keiner kann jedoch vorher sagen, welche Bedeutung diese Information für den Empfänger haben wird, d.h., ob er sie als Befehl, Orientierung, Beleidigung, Rücksichtnahme etc. auffassen wird.

Was können wir aus diesen Überlegungen folgern?

Jugend forscht …

Wenn wir davon ausgehen, dass das „DU“ eine selbstgeschaffene Welt von Bedeutungen ist, die auf seinem früheren Erfahrungshintergrund beruhen, können wir eine Art „Forscherperspektive“ einnehmen. Wir versuchen herauszufinden, welche Bedeutungen „DU“ ’seiner‘ Welt aufgrund bestimmter Erfahrungen zugewiesen hat.

Anstatt „DU“ bei Missverständnissen herabzuwürdigen, kann man versuchen zu verstehen, was das „DU“ verstanden hat und warum er auf das Verstandene so reagiert.

Wenn Sie auf einem anderen Planeten landen würden, würden Sie ja auch nicht annehmen, dass dort alles so wie auf der Erde ist. „DU“ ist eine fremde Welt, die man erst kennenlernen und verstehen muss.

Hat man das Glück, einen Menschen zu finden, der eine ähnliche Ansicht teilt, besteht die Chance, dass auch der Andere sich für Ihre Welt und Ihr Erleben interessiert bzw. Lust hat Sie kennenzulernen.

Tony Kühn