Hypersensibilität: Was hochsensible Menschen wissen sollten

Hochsensibilität (oder allgemeinsprachlich „Überempfindlichkeit“) ist keine Krankheit, auch wenn es sich so anhören mag. Der Begriff der Hochsensibilität wurde 1995 von der Wissenschaftlerin Elaine Aron geprägt. Anhand ihres Buches „The highly sensitive person“ (deutsch: „Sind Sie hochsensibel?“) wollen wir hier erklären, was Hochsensibilität ist, wie sie wirkt und Anregungen geben, wie man damit umgehen kann.

Körperliche Merkmale von Hypersensibilität

Hochsensible Menschen reagieren intensiver auf Reize als die meisten anderen Menschen und verarbeiten sie anders. Dies betrifft ca. 15 bis 20 % aller Menschen. Da der Begriff der Hochsensibilität noch immer nicht sehr bekannt ist, wissen die meisten Menschen gar nichts von dieser besonderen Disposition ihres Nervensystems.

Hypersensibilität Überempfindlichkeit Tipps

Hochsensibilität ist ein sehr umfassendes Merkmal, das alle Lebensbereiche betrifft und diese auch beeinflusst.

Körperliche Merkmale sind:

  • Empfindlich auf alles reagieren, was sich in der Luft befindet (Gerüche, Dämpfe, Staub, Ozon, Rauch, Pollen etc.) 
  • Geräusche intensiv wahrnehmen
  • Sich schlechter an penetrante Geräusche gewöhnen
  • Auf intensiven Lärm stärker reagieren (z. B. Lärm als Schmerz empfinden)
  • Optische und akustische Eindrücke feiner wahrnehmen
  • Druck, Hitze und Kälte differenzierter wahrnehmen
  • Intensivere Schmerzwahrnehmung
  • Intensiv auf Kaffee und andere Stimuli reagieren
  • Tendenziell niedriger Blutdruck
  • Sich durch Hunger stark in der Befindlichkeit beeinträchtigt fühlen
  • Gute Feinmotorik
  • Sich leicht erschrecken
  • Verzögerte körperliche und psychosoziale Reife
  • Geringe Stressresistenz
  • Geringe Belastbarkeit (schnelle und häufige Erschöpfung)
  • Zu Erregungszuständen als Folge von körperlicher, emotionaler und gedanklicher Überstimulation neigen

Geistige Merkmale von Hypersensibilität

  • Sich selbst ablehnen
  • Sich gut konzentrieren können
  • Sich von Kunst, Musik und Natur stark bewegt fühlen
  • Bunte und intensive Träume
  • Ausgeprägte Intuition
  • Sich überfordert fühlen, wenn viel los ist (Bedürfnis nach Rückzug)
  • Bei der Bewertung von Eindrücken mehr Graustufen verwenden
  • Das Herstellen von inneren Querverbindungen
  • Verstehen wollen (z. B. welchen Sinn unser Leben hat)
  • Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn
  • Eine lebendige Vorstellungskraft (einschließlich zukünftiger Entwicklungen)
  • Hohe Reflexionsfähigkeit
  • Sich Entscheidungen nicht leicht machen (mögliche Konsequenzen, auch für andere, sehr sorgfältig abwägen)
  • In größeren Zusammenhängen denken
  • Sehr gewissenhaft arbeiten (gute Arbeit leisten wollen)
  • Nach Vollkommenheit streben (Fehler – eigene und die anderer – nicht tolerieren wollen)
  • „Nah am Wasser gebaut sein“
  • Ausgeprägte Lernfähigkeit bis ins hohe Alter
  • Phasen von Weltschmerz
  • Sich durch Veränderungen durcheinander fühlen

Soziale Merkmale von Hypersensibilität

  • Sich anderen stärker verbunden fühlen als umgekehrt
  • Gut zuhören können
  • Befindlichkeiten, Stimmungen und Beziehungsqualitäten von anderen intensiv wahrnehmen
  • Kindliche Naivität und Gutgläubigkeit
  • Sich nicht gut abgrenzen können
  • Die eigenen Bedürfnisse denen anderer unterordnen
  • Sich im Konfliktfall lieber zurückziehen (Harmoniebedürfnis, ein Konflikt ist ein Reiz!)
  • Durch Stimmungen anderer Menschen beeinflusst werden (die Gefühle anderer wie eigene wahrnehmen)
  • Starkes ethisches Empfinden (Idealismus als tiefes persönliches Anliegen)
  • Unter Beobachtung in Prüfungen schlechter abschneiden

Damit wir uns nicht falsch verstehen, Hochsensibilität bedeutet nicht gleich automatisch „schwieriges Leben“, aber es ist doch so, dass die meisten hochsensiblen Menschen in ihrem Leben einen ziemlich großen Leidensdruck haben, jedenfalls so lange sie nicht wissen, „was mit ihnen los ist“.

Zu den allerwichtigsten Dingen, die Menschen für ihre körperliche, seelische und geistige Gesundheit brauchen, gehören Verbindungen. Wir müssen spüren können, dass wir zu jemandem oder einer Gruppe gehören. Wir müssen wissen, dass wir für andere zählen, eine Rolle spielen. Für unsere Entwicklung ist es notwendig, eine Verbindung zu etwas oder jemandem außerhalb des eigenen Selbst herstellen zu können.

Was hochsensible Menschen hingegen erfahren (oft seit frühester Kindheit) ist das (oft sehr intensiv) empfundene Gefühl von Andersartigkeit. „Stell dich nicht so an“, „Das bildest du dir nur ein“, „Sei nicht so empfindlich“ etc. sind typische Sätze, die hochsensible Menschen oft nicht nur im Kindesalter zu hören bekommen. Sie prägen das Bild von sich selbst und der Welt nachhaltig mit: Ich bin nicht in Ordnung.

Ich bin nicht in Ordnung, weil ich die Dinge nicht so empfinde wie andere Menschen. Meine Wahrnehmung ist nicht in Ordnung. Ich bin nicht liebenswert. Die Welt ist feindlich (eine Überzeugung, die aus dem Übermaß an Reizen entstehen kann). Aus der Nicht-Zugehörigkeit kann so ein erheblicher Leidensdruck erwachsen.

Aus dem grundsätzlichen Gefühl, ich bin anders als alle anderen, entstehen wiederum andere Grundüberzeugungen, die sich häufig gegenseitig bedingen und verstärken, wie fehlende Selbstliebe und -achtung, mangelhafte oder unzureichend erlebte Bindungen und Bindungserfahrungen, schlechte Abgrenzungsfähigkeiten, eine grundsätzliche geringere körperliche und seelische Belastbarkeit, eine höhere Burn-out-Gefährdung und häufige Krankheiten.

Im Grunde genommen bereitet uns ja alles Stress, nicht nur der Körper, der nicht so will, wie wir das gerne hätten, sondern auch Nahrung, Schlaf, Wohnen, Arbeit, Liebe, soziale Kontakte, Freizeit, Sinnsuche und vor allen Dingen wir selbst! Wir selbst bereiten uns den größten Stress, weil wir nicht sind, wie wir oder andere uns haben wollen. Vielleicht lieben wir uns nicht. Viele der Schwierigkeiten, die in unserem Leben auftauchen, ergeben sich aus dieser fehlenden Selbstliebe, z. B. die mangelhaften oder fehlenden Bindungen.

Natürlich betrifft dies nicht alle hochsensiblen Menschen, aber einen nicht unerheblichen Anteil. Es scheint so zu sein, dass ca. 50 % aller Bindungen in Deutschland als „sicher“ erlebt werden. Daraus folgt der Umkehrschluss, dass die übrigen 50 % in Familien aufwachsen, deren Bindungsmuster als unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und unsicher-desorganisiert gelten. Hochsensible Kinder, die in einem schwierigen Familienumfeld aufwachsen, neigen dazu, sich an ihre Bezugspersonen anzupassen und alles zu tun, um diese zufriedenzustellen.

So lernen Sie im Laufe der Zeit, sich so auf die Bedürfnisse anderer einzustimmen, dass sie die eigenen Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnehmen, geschweige denn die eigenen Gefühle. Diese führen dann ein Eigenleben im „Untergrund“ und treten als Ängste, Krankheiten, Albträume, schlechtes Selbstwertgefühl und geringe Selbstliebe in Erscheinung.

Bislang gibt es immer noch keine „gesicherte“ wissenschaftliche Erklärung für Hochsensibilität. Vermutlich ist die Reizverarbeitung im Gehirn gestört durch eine grundsätzliche höhere Erregbarkeit des Gehirns.

Wie funktioniert die Reizverarbeitung eigentlich?

Rezeptoren im Nervensystem nehmen Informationen auf (sie sind jeweils nur für bestimmte Reize/Bereiche zuständig). Die Reize bewirken, dass in den Nervenzellen elektrische Impulse entstehen, eine sog. „Erregung“ oder „Aktionspotenzial“. Die Impulse werden an das zentrale Nervensystem gesendet. Dort werden sie gesammelt, verarbeitet und verknüpft. Anschließend werden sie an verschiedene Organe im Körper geleitet, wo sie Reaktionen auslösen. Dabei spielen Botenstoffe (sog. Neurotransmitter) eine wichtige Rolle.

Vermutlich werden durch Anomalien im Gehirnstoffwechsel nicht genügend Neurotransmitter produziert oder zu schnell aufgenommen. Dadurch wird die Informationsverarbeitung gestört. Die Verbindung einzelner Teile des Gehirns, sowie die Regulation der Aufmerksamkeit im Stammhirn, wird dadurch beeinträchtigt.

Dadurch, dass die Fähigkeit fehlt, wichtige von unwichtigen Reizen zu unterscheiden, werden mehr Reize aufgenommen als verarbeitet werden können.

Hypersensibilität - hochsensible Menschen

Da der Körper sehr viel mehr Reize verarbeiten muss als andere, ermüdet er schneller und braucht mehr Regeneration. Solange das nicht in die eigene Lebensplanung und -gestaltung mit einbezogen wird, wird die Hochsensibilität immer schwierig bleiben (davon bin ich überzeugt).

Dass Stress gesundheitsschädlich ist, davon haben Sie vermutlich eine Vorstellung. Aber wussten Sie auch, dass einmal ärgern ausreicht, damit Sie für bestimmte Erkältungsviren anfälliger werden? Oder dass einmal ärgern ausreicht, gerade frisch gebildete Hirnzellen wieder absterben zu lassen? Das haben Forscher in verschiedenen Studien herausgefunden.

Die Stressreaktion ist allerdings höchst individuell und hängt von unseren jeweiligen Lebenserfahrungen ab. Warum?

Unser Gehirn ist so aufgebaut, dass wir von Anfang an lernen (noch vor der Geburt). Reize/Informationen, die auf uns zukommen, werden bewertet, verglichen, abgespeichert, in Nervenzell-Netzwerken verknüpft oder fallen gelassen (wie es der Fall ist, wenn wir etwas vergessen).

Emotionen spielen dabei eine tragende Rolle. Ereignisse, die mit starken emotionalen Empfindungen verknüpft sind, prägen sich besonders tief ins Gedächtnis ein.

Ursprünglich hat die Stressreaktion dem Überleben unserer Art gedient: Sie wissen schon, der Säbelzahntiger, dem wir in der Vergangenheit vielleicht gegenüber standen. In dieser Situation werden Stresshormone ausgeschüttet, Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskeln spannen sich an – Schlafen, Essen, Sex – alles wird bedeutungslos. Jetzt zählt nur noch Angriff oder Flucht.

Kurzfristiger Stress kann durchaus eine stimulierende Wirkung haben. Wir beschäftigen uns hier aber mit chronischem Stress im Zusammenhang mit der Hochsensibilität.

Es ist vielleicht noch nicht bei den meisten Ärzten und Krankenkassen angekommen, aber die jahrhundertelange verfochtene Überzeugung der Trennung zwischen Körper und Geist ist falsch. Man weiß heute, dass Gehirn-, Immun-, Hormon- und Nervensystem eng miteinander verbunden sind. So finden sich zum Beispiel Gehirnzellen auch im Darm! Man nennt das auch Psycho-Immun-Endokrines Netzwerk.

Was geschieht bei Stress im Körper?

Bei Stress werden zwei verschiedene Systeme im Körper aktiv. Handelt es sich um kontrollierbaren Stress, werden über das zentrale Nervensystem Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. Handelt es sich jedoch um unkontrollierbaren und chronischen Stress, schüttet der Körper über die sog. HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinden-Achse) Cortisol aus (wovon hochsensible Menschen laut Elaine Aron eher zu viel haben).

In unserem Körper tobt also ein chemischer Cocktail, aber vor uns steht gar kein Säbelzahntiger, sondern bloß unser Vorgesetzter, unser Kind oder unser Partner. Was nun? Im Idealfall sorgt der Parasympathikus, der Entspannungsnerv unseres zentralen Nervensystems, wieder für Entspannung und alles ist „wieder gut“.

Wird der Stress aber chronisch, pendelt sich der Körper auf ein erhöhtes Erregungsniveau ein. Die Botenstoffe, die durch die Stressreaktion ausgeschüttet werden, richten sich dann gegen den Körper selbst. Dann können wir unter Migräne, Schwindel, Herzrasen, Tinnitus, Verdauungsbeschwerden, Reizdarm, Reizhusten, Rückenschmerzen etc. leiden.

Eingangs habe ich gesagt, dass einmal ärgern ausreicht, um für bestimmte Erkältungsviren anfällig zu werden. Damit ist es aber noch nicht vorbei. Der erhöhte Cortisolspiegel kann auch die Bildung von Immunbotenstoffen und eine Fieberreaktion unterdrücken, das heißt, wir sind dann weder richtig krank, noch richtig gesund.

Grundsätzlich sind Krankheiten, die mit Stress in Verbindung gebracht werden: Herz-Kreislauf-Beschwerden, Magengeschwüre, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, Angst-, Ess- und Schlafstörungen. Die WHO befürchtet in naher Zukunft einen dramatischen Anstieg an stress- und angstbedingten Erkrankungen in den Industrieländern. Das liegt natürlich an der zunehmenden beruflichen Belastung. Viel wichtiger sind aber noch die fehlenden Kompetenzen zur Stressbewältigung.

Dazu gehören beispielsweise:

  • Selbstregulation (wie gut kann ich mich selbst wieder „runterbringen“?)
  • Selbstreflexion (nehme ich mir die Zeit, um über mich selbst nachzudenken?)
  • Habe ich eine Vorstellung von Selbstwirksamkeit (oder bin ich ein Opfer)?
  • Geringe Frustrationstoleranz („wie schnell schmeiße ich die Flinte ins Korn?“)
  • Mangelnde Flexibilität (muss alles genau so gehen, wie ich will?)

Dazu kommen noch:

  • Ein hoher Erwartungsdruck
  • Unrealistische Vorstellungen
  • Ein Mangel an Sinn spendender Lebensorientierung
  • Ein Mangel an Konfliktlösungskompetenzen
  • Ein Mangel an konstruktiver Beziehungsgestaltung
  • Falsche Bewältigungsstrategien (z. B. neigen Menschen dazu, wenn der Cortisolspiegel erhöht ist, mehr zu rauchen, mehr zu trinken und mehr zu essen).

Meine Ausführungen zum Thema Stress gelten natürlich für alle Menschen gleichermaßen. Für hochsensible Menschen gelten sie doppelt und dreifach.

Über eine gute Stressbewältigung können wir einen sehr positiven Einfluss auf unser Leben nehmen. Wir sind selbst verantwortlich für unsere Gesundheit! Studien belegen, dass das Erregungsniveau auch wieder gesenkt werden kann. Zwar kann man die Hochsensibilität an sich nicht verändern, wohl aber die eigene Einstellung dazu.

Durch das Auflösen von negativen Glaubenssätzen können z. B. sehr viele Stressquellen eliminiert und durch andere positive Erfahrungen und Glaubenssätze ersetzt werden. Man weiß heute auch, dass Gene und Umwelterfahrungen einander bedingen und ergänzen. Es ist also häufig sehr viel mehr möglich, als wir denken.

Mir hat dabei die Meridian-Klopftechnik EFT (Emotional Freedom Techniques) (Link zum Artikel auf philognosie.net) sehr geholfen. Mit dieser Technik kann ich Folgendes erreichen:

  • Direkt Selbstwirksamkeit erfahren
  • Alleine arbeiten
  • Sofort akuten Stress auflösen
  • Mich konstruktiv mit belastenden Situationen auseinandersetzen
  • Thematisch arbeiten und Glaubenssätze auflösen (und damit einen vorhandenen „Stress-Berg“ abtragen)

Natürlich sind aber auch andere Stressbewältigungstechniken wie Yoga, Sport, Meditation etc. genauso gut geeignet. Hauptsache, Sie unternehmen etwas, um Ihr erhöhtes Stresslevel konsequent zu senken.

Monika Richrath