Interview: Community-Building am Beispiel von Philognosie

Wie erschafft man aus dem Nichts eine Community? Der Journalist Paul Herbig von Sagmal.de – der Internetseite mit „Machern“ des World Wide Web – hat hierzu den Chefredakteur von Philognosie befragt. Anhand dieses paradigmatischen Werdegangs können sich auch andere Homepage-Besitzer – von der Konzeption bis zur Umsetzung dieser Web-Präsenz – inspirieren lassen.

Tony Kühn,
– 1966 in Landshut geboren
– 1982 Ausbildung zum Lacklaboranten
– bis 1992 Abteilungsleiter für Effektlacke bei HP-Pulverlack
– 1992 bis 1996 freier Seminarleiter der TCC-Martial Arts
– 1997 bis 2000 selbständiger Webdesigner und stellvertretender Leiter des Kampfkunst Institutes in Kerkou
– ab 2000 Mitgründer und Chefredakteur von Philognosie Interessensgebiete: Philosophie, Kampfsport, Computer, Musikproduktionen, Yoga, Meditation und Webdesign. Tony Kühn ist Mitglied des Philognosie-Teams von www.philognosie.net
sagmal.de:
Tony, Philognosie ist so ein Wort, das nicht jedem sofort geläufig ist. Was bedeutet es und warum steht es für eure Community?
Tony Kühn:
Philognosie ist ein vom Philognosie-Team erdachtes Kunstwort (Philo: Liebe – Gnosis: Erkenntnis, Wissen), das soviel wie „Liebe zum Wissen“ bedeutet. Es beschreibt sozusagen eine Lebenseinstellung, die wir anderen Menschen schmackhaft machen wollen. Leider kommt gerade diese „Liebe zum Wissen“ in der heutigen Gesellschaft viel zu kurz. Schlimmer noch – viele verbinden, aufgrund ihrer schulischen Erfahrung, Lernen mit Streß, Prüfungsangst, sinnentleertem Pauken usw. – man lernt, weil man lernen „muß“. Auf der anderen Seite ist uns allen bewußt, daß wir unsere Welt über unser Wissen gestalten. Das Wissen bestimmt den Horizont unserer Möglichkeiten. Aber diese Abneigung gegen das Lernen ist kein Naturgesetz, sondern eine längst überfällige Kritik gegenüber den Bildungsinstitutionen. Sie vermitteln Wissen oftmals auf eine Art und Weise, die diese Ablehnung erst produziert. So verstanden ist Philognosie eine Umkehrung – wir suchen nach Wegen die Freude am Lernen wieder zu erwecken. Deshalb bieten wir viele unterschiedliche „Einstiegsmöglichkeiten“ an, die das Thema Lernen interessant machen sollen. Unsere Webseite ist eine Community für Menschen, die sich über ihre Lieblingsthemen austauschen oder sich in anderen Gebieten weiterbilden wollen. Hier hat jeder die Möglichkeit, seine Themen zu präsentieren oder sein persönliches „Steckenpferd“ anderen, in einer interaktiven Form (Kurse, Tests, Artikel, Tips und Fun-Teile) verfügbar zu machen. Unser Motto lautet „Wissen gestaltet die Welt“. Wir wollen eine Community, die Wissen aus vielen Bereichen des Lebens sammelt und zum Austausch anregt. Wir wollen helfen Wissen und kreative Ideen wieder interessant, die Welt und unser Er-Leben vielseitig und bunt zu machen.
sagmal.de:
Was brachte dich dazu, eine solche Seite zu machen?
Tony Kühn:
Wir haben uns die Frage gestellt, was Mensch dazu motiviert, lernen zu wollen. Über diese Frage sind wir darauf gekommen, daß es sehr viele verschiedene Ansätze gibt, die ein Interesse am Lernen anregen können. Unsere Antwort auf diese Frage spiegelt sich in unseren Hauptkategorien wieder. Im „Fun-Bereich“ haben wir beispielsweise Denkspiele und Rätsel gesammelt. Er repräsentiert die „spielerische Art“ denkend zu lernen. In den Tips findet man eher kleine praktische Anregungen, die im Alltag weiterhelfen sollen. Sie regen den „praktischen Verstand“ an und weisen auf kreative Möglichkeiten hin, etwas Neues auszuprobieren. Wer tiefer gehen will, findet in unserem „Know-How-Bereich“ ausführlichere Artikel zu einem Thema. Wer Spaß daran hat sein Wissen zu testen, kann in unserem Testbereich auf eine große Bandbreite von allgemeinbildenden Themen zugreifen. Unser Kursbereich ist für Menschen entworfen, die sich intensiver in ein Thema einarbeiten wollen. Dieser Aufbau veranschaulicht schon die Vielfalt der verschiedenen Einstiegsmöglichkeiten zu einem Thema. Vom Spiel – über „Wissenshäppchen“ – bis hin zu einer fundierten Ausbildung, kann jeder die Art und Intensität des Einstiegs selbst wählen. Unsere Kategorien sind alle quervernetzt, d.h. unser Skript sucht automatisch nach ähnlichen Themen in allen Bereichen und bietet sie dem User als Links an. Wer sich beispielsweise für das Thema Logik interessiert findet bei uns: Logikrätsel, Konzentrationstips, Artikel über Logik, Logiktests etc. – dadurch wollen wir anregen, vorhandene Interessen zu vertiefen. So gestalten wir zusammen mit unseren Usern Schritt für Schritt eine Knowledgebase, die über viele verschiedene „Türen“ genutzt werden kann.
sagmal.de:
Auf eurer Seite gibt es Kurse, Tests, Know How, Tipps und Fun für die User. Woher kommt das alles?
Tony Kühn:
Von Usern, die uns ihre Publikationen schicken – von bereits publizierenden Autoren, die wir anschreiben und vom Philognosie-Team selbst.
sagmal.de:
Und wie wird man Autor?
Tony Kühn:
Bei uns kann jeder Autor werden, der sich in unserer Community registriert. Wir haben für jeden Bereich spezielle Eingabemasken entwickelt, die man ohne Vorkenntnisse nutzen kann. Im Grunde braucht man nur eine gute Idee bzw. einen ansprechenden Text, den man veröffentlichen will. Diesen kopiert man in das Eingabefeld und klickt auf abschicken – fertig. Er landet anschließend in der Redaktion, in der wir die Vorschläge begutachten. Wir bieten Autoren einen Autorenservice an, d.h. wir wandeln den Text in HTML um, übernehmen Satz und Bebilderung bzw. fügen Bilder ein, prüfen die Rechtschreibung, werben für den Artikel usw. – um einige Eckpunkte zu nennen. Auf Philognosie ist unser Autorenservice detailliert beschrieben.
sagmal.de:
Ich habe gelesen, deine Leitidee sei Lernen mit Spaß. Wie genau soll das funktionieren? Wo ist der Spaßfaktor dabei?
Tony Kühn:
Bei Spielen und Rätseln liegt der Spaß beim Knobeln und Tüfteln – erfolgreich ein Rätsel zu knacken. Bei Artikeln, Tips oder Tests liegt der Spaß im Austausch mit anderen. Im Testbereich habe ich es beispielsweise schon oft erlebt, daß ganze Foren einen Wettbewerb daraus machten, wer bei einem unserer Wissenstests die höchste Punktzahl bekommt. Außerdem kann man alle Veröffentlichungen kommentieren oder im Forum diskutieren. Man liest nicht nur einen Sachtext anonym im „stillen Kämmerlein“, sondern kann sich mit den Autoren oder Usern im Forum unterhalten. Interaktivität und Begegnung ist unser Zauberwort – wer schreibt, will gelesen werden – wer Fragen hat, will Antworten – wer Gleichgesinnte kennenlernen will, braucht einen Ort der Begegnung. All diese Interaktionsmöglichkeiten haben wir von Anfang an mit eingebaut. Außerdem bekommt jeder Autor bei uns eine eigene Autorenseite, auf der er sich selbst, seine Ideen, seine Interessen und eigene Projekte präsentieren kann. Mit einem Thema gut anzukommen – sich eine positive Reputation in einem Fachbereich zu erwerben – wirkt ebenfalls motivierend. Die Autoren bringen ihr Know-How ein – wir sorgen für eine gute Präsentation und die Leser.
sagmal.de:
Worauf habt Ihr bei der Erstellung eurer Seite besonderen Wert gelegt?
Tony Kühn:
Klares Design, wenig Schnickschnack, übersichtliche Navigation und möglichst wenig Werbung. Unser Design ist im Vergleich zu anderen Seiten recht schlicht gehalten – wir haben auf viele Spielereien verzichtet, um die Struktur klar und übersichtlich zu halten. Bei der Bedienung war uns wichtig, daß sie für jeden User intuitiv einleuchtend ist. Inhalte sollen leicht gefunden werden können. Deshalb haben wir eine Menge „Forschungsarbeit“ in den Aufbau der Ober- und Unterkategorien gesteckt und eine Suchfunktion eingebaut, die unsere Community detailliert und schnell auf Schlagwörter hin durchsucht. Für den Testbereich haben wir ein spezielles Testmodul entwickelt, mithilfe dessen jeder ohne großen Aufwand Tests selbst entwerfen kann. Unsere neueste Entwicklung ist ein Kursmodul mit dem Autoren komplette Online-Kurse bequem von Zuhause aus gestalten können. Ein weiterer wichtiger Punkt war die bereits erwähnte „Quervernetzung der Themen“. Das Skript sucht auf jeder Seite automatisch nach ähnlichen Themen in jedem Hauptbereich und bietet diese dem User über dynamische Links als zusätzliche Navigationsmöglichkeit an.
sagmal.de:
Wie wird es mit Philognosie weiter gehen? Was wird die Zukunft bringen?
Tony Kühn:
Hoffentlich viele neue Autoren, die ihr Wissen in unserer Community zur Verfügung stellen. Kursautoren sind besonders gefragt, da unser Angebot in diesem Bereich noch verstärkt aufgefüllt werden muß. Kursautoren bieten wir eine Autorenprovision, die etwa doppelt so hoch ist, als die üblichen Printverlagskonditionen. Außerdem fehlen uns noch weitere wichtige Hauptbereiche, die unsere Vielfalt an Einstiegsmöglichkeiten zum Lernen komplettieren sollen. Ich denke zum einen an den Bereich von Lernvideos und Lernkassetten und zum anderen an den Seminarbereich bzw. Live-Workshops. Wir sind gerade dabei die technischen Voraussetzungen für diese neuen Medien in unserer Community zu schaffen. Unser Team schreibt an einem Drehbuch für einen ersten Lehrfilm, der im Laufe der nächsten Monate als DVD bei uns veröffentlicht wird. Es ist also noch einiges in Arbeit. Wir haben noch viele Ideen im Schatzkästchen und unsere User können auf weitere Features gespannt sein. Da wir alle neuen Entwicklungen aus eigener Tasche vorfinanzieren müssen, geht es aber leider nicht immer so schnell voran, wie ich mir das wünsche.
sagmal.de:
Und mit dem Internet generell? Wagst du eine Prognose darüber, wie das Web in einigen Jahren aussieht?
Tony Kühn:
Da gibt es sicher viel zu spekulieren. Die große Chance des Internets ist, multimediale Informationen weltweit von Zuhause aus zugänglich zu machen. Idealerweise könnte dann jeder auf den gesamten Wissenspool der Menschheit zugreifen. Aber diese „große Chance“ des Internets ist gleichzeitig auch sein größter Fluch. Schon jetzt ist die Tendenz einer „Informationsinflation“ ein echtes Problem. Die Fähigkeit sich in diesem riesigen Netz gezielt zurechtzufinden, ist schon zu einer eigenen Wissenschaft geworden. Man findet Unmengen an inhaltsleeren Seiten oder Textgräbern und nur wenig liebevoll gestaltete Seiten. Außerdem sind die Probleme der Datenspionage, Betrug durch Dialer und Spam noch lange nicht gelöst. Meine Hoffnung besteht darin, daß sich langfristig selbstregulierende Tendenzen im Internet ausbilden, die die Spreu vom Weizen trennen. Wie das genau aussieht, kann man heute noch nicht sagen. Wir setzen darauf unsere User fair zu behandeln und Vertrauen in unsere Arbeit aufzubauen. Außerdem setzten wir auf Aufklärung, d.h. wir wollen unseren Usern helfen, sich gegen die „schwarzen Schafe“ im Internet zu schützen. Das ist unser Beitrag der „großen Chance“ ein wenig unter die Arme zu greifen.
sagmal.de:
Gibt es eine Seite, außer deiner eigenen, die dir besonders am Herzen liegt, und wenn ja, warum?
Tony Kühn:
Ich bin viel im Internet unterwegs und habe eigentlich keinen speziellen Favoriten. Als Beispiel für ein interessantes Projekt könnte ich die NewAeon Community nennen. Diese Community beschäftigt sich hauptsächlich mit esoterischen Themen. Hier treffen sich Leute aus den verschiedensten Glaubensrichtungen mit unterschiedlichen Weltanschauungen, um gemeinsam über den „Sinn des Lebens“ zu diskutieren. Mich fasziniert dabei weniger das Thema Esoterik, als vielmehr der Versuch, über das offene Gespräch neue Ansätze im eigenen Weltverständnis finden zu wollen. Natürlich findet man dort auch jede Menge Unsinn, aber auf der anderen Seite auch immer wieder philosophische Perlen, bei denen das Mitdenken Spaß macht. Die Idee – durch Begegnung und Austausch – weltanschauliche Vorurteile zu klären, finde ich faszinierend. Es ist ein schöner Versuch durch den lebendigen Dialog Grenzen aufzuheben und gemeinsam nach neuen Horizonten zu forschen.
sagmal.de:
Hast du bei meinen Fragen eine Frage vermisst?
Tony Kühn:
Erwähnen möchte ich noch, welche Kriterien wir an Veröffentlichungen anlegen bzw. weshalb wir eine Redaktion haben und worin unsere redaktionelle Arbeit besteht. Um das Vertrauen unserer User zu gewinnen legen wir großen Wert auf die Qualität der angebotenen Informationen. Wir prüfen jede Veröffentlichung einzeln, damit wir die Brauchbarkeit der Information gewährleisten können. Beispielsweise veröffentlichen wir keine Tips, die nur einen Link zu einer anderen Seite enthalten (Eigenwerbung) und bei Tests legen wir Wert auf Auswertungstexte, aus denen ersichtlich wird, warum eine Antwort falsch/richtig ist. Wir unterstützen jeden ernsthaft eingesandten Artikelvorschlag geben Feedback, bringen Verbesserungsvorschläge ein und versuchen gemeinsam mit den Autoren das Beste aus dem eingeschickten Content zu machen. So entsteht eine partnerschaftliche Arbeitsatmosphäre, bei der beide Seiten lernen besser zu werden
sagmal.de:
Noch einen Schlusssatz?
Tony Kühn:
Vielleicht sollte ich mich an dieser Stelle beim Philognosie-Team, den Autoren und unseren Usern bedanken. Wir haben einen langen und steinigen Weg hinter uns, bis wir diese Community in dieser Form aufgebaut hatten. Anfangs mußten wir viel Zeit und Eigenkapital in diese Idee investieren, ohne genau zu wissen, ob wir damit Erfolg haben werden. Wir haben allein für die Planungsphase und das Skript über ein Jahr gebraucht, nur mit der festen Überzeugung im Hinterkopf, daß wir damit eine Vision verwirklichen. Wir hatten wenig finanziellen Spielraum, dafür aber viele gute Ideen und eine Menge Know-How. Ich hoffe ich kann mit diesen Worten auch andere „Macher“ dazu ermutigen, eigene Projekte zum Erfolg zu führen. Mit einer guten Idee und einen eingespielten Team kann man auch mit einem „Low-Budget“ einiges erreichen. Außerdem wollte ich mich bei dir und deinem Interesse an diesem Projekt bedanken.
Das Interview wurde am 9.6.2004 per Mail geführt. Die Fragen stellte Robert Herbig von sagmal.de.

Tony Kühn