Bali: Wie man mit Kulturschocks und Gaumenkillern umgeht

Wissen Sie, was ein Kulturschock ist? Oder ein Gaumenkiller? Oder was man mit einem Hund – außer mit ihm Gassi zu gehen – sonst noch alles anstellen kann? Nicht? Dann lassen Sie sich von der Kreativität meiner balinesischen Freunde etwas auf die Sprünge helfen.

Bali: Essen oder und Ekeltraining?

Achterbahn, Geisterbahn oder die gefürchtete Spinne in Mutters Keller, alles mit mehr oder weniger Spaßfaktor, immer etwas Angstlust im Spiel. Aber so richtig widerliche Sachen wollen mir nicht wirklich in den Sinn, wenn ich an die eine Welt denke, bis auf die bekannte Hamburgerkette vielleicht, oder eine zermatschte Maus in der Mausefalle.

bali essen kulturSchon genug? Gemach, es kommt noch besser! Wollen wir uns nicht an so Kleinigkeiten wie Käfer im Reis, Ameisen im Zucker, Skorpione im Bad oder Geckoköttel auf Bettdecken stören, das ist Firlefanz, auch im sauberen Europa gibt es Lebensmittelmotten in den Haferflocken und Ratten in Abflüssen.

Da bekommen wir hier schon andere Kaliber vorgeführt.

Eingedenk meines geprägten Verhaltens die Gesundheitslehre betreffend, finde ich es ganz natürlich und nötig Taschentücher im Falle eines Schnupfens zu verwenden und diese nach Gebrauch diskret zu entsorgen.

Dezent die Hand vor den Mund bei Husten oder Niesen und wer krank ist, begibt sich bitte freiwillig in die Isolation. Und schon sehe ich mich hierzulande mit ebendieser schönen Prägung grundlegend konfrontiert.

In einem kleinen Dorf hatte ich einen kleinen Essensladen in Beschlag genommen, die meist entlang der Hauptstraßen alle naselang zu finden sind. Diese rundum halboffenen Einrichtungen haben in der verglasten Auslage diverse Zutaten auf Tellern ausgestellt, aus denen je nach Geschmack eine Portion zusammengestellt werden kann. Reis gehört immer dazu, klar, woran sonst würde man bemerken, dass man sich in Asien befindet.

Ich sitze also bei gutem Ausblick aufs Geschehen draußen vor meinem Teller und lasse es mir, derweil ich auf die Fleischspießchen warte, schmecken.

Eine uralte Oma schlurft aus ihrem Haus gegenüber, sieht mich neugierig und unverwandt an, und nimmt Anlauf auf den Laden. Auf halber Höhe (die Gabel befindet sich gerade auf dem Weg zum Mund) beginnt sie mit unüberhörbarem Röcheln, den anscheinend ganzen Schleim des Tages aus der Lunge heraufzugurgeln. Ich sehe es kommen, kann es mir schon allein der Akustik wegen bildlich vorstellen, was sich da alles auf dem Weg befindet. (Die Gabel stockt kurz vor dem Ziel, die Finger verkrampfen sich ganz von allein.) Noch nicht auf der diesseitigen Straßenseite angelangt, rollt sie lautstark alle gesammelten Werke im vorderen Rachenraum zu einem Ganzen, holt kurz Luft und – ich seh’ es wirklich kommen und kurz darauf auf dem Wege liegen.

(An dieser Stelle wandert die Gabel wie von selbst zurück auf den Teller.)

bali kulturschock essenVöllig unbedarft sieht mir das Weiblein noch immer in die ungläubigen Augen, vielleicht fragt sie sich, ob alle „Tourists“ so steif beim Essen sitzen. Doch sie hat noch ein paar Meter Weg vor sich, den sie nicht ungenutzt lässt! Den Zeigefinger an einen Nasenloch gelegt, leicht nach Vorne gebeugt, tief Luft geholt und mit allem Druck, den sie zur Verfügung hat, ausgeschnaubt. Flatsch! Derer Nasenlöcher zwei und auf Ausgleich bedacht – ah, es ist ein Graus!

Strahlend grüßt sie mich im Vorbeigehen. Ich entscheide mich mit dem Essen auf die Spieße zu warten, um die Fassung wieder zu finden.

Es gibt in Europa eine von vielen neuen Gesundheitslehren, die da besagt, alle abgesonderten Flüssigkeiten, die unser Körper sammelt auch „zu verwerfen“, wie der Mediziner sagt. Das klingt schön, da ist bei einem Liter Spucke pro Tag viel zu tun und wenn’s gesund macht umso besser. Das wusste ich, aber dass es in dieser Welt so völlig schamlos und indiskret angewendet wird, trifft mich doch etwas unvorbereitet. Außerdem schnäuzen wir uns manierlich in ein sauberes Tüchlein und verteilen unser Inneres nicht so arglos in die Umwelt. Das wäre eklig, oder?

Da ist unser Taschentuch für die Menschen in dieser Welt. Steigerung unmöglich. Und ich habe immer einen Vorrat dabei!

Ich könnte zu dem Schluss kommen, dass, seitdem kürzlich alle Arten von Glücksspiel per Gesetz verboten wurden, diese „äußernde“ Erscheinung der neue Volkssport geworden ist, doch ich weiß es besser. Ständig, immer und überall, seit Jahren, egal ob ich im öffentlichen Schepperbus sitze (die glücklicherweise die Türen während der Fahrt geöffnet haben) oder der Nachbar gerade dann den Hof überquert, während ich gerade frühstücke, immer die gleichen Geräusche.

Und sie kriegen mich immer! Ich komm nicht dran vorbei! Äußerlich habe ich gelernt mein Pokerface zu bewahren, nur manchmal entgleiten mir die Züge, aber da muss ich echt schlecht drauf sein.

Innerlich dreht mein Magen Looping.

Wohlan, wir waren beim Essen! Das lass ich mir dann doch nicht entgehen, ich habe Bärenhunger und springe über mich selbst hinweg. Das Gemüse ist fein, Wasserspinat mit Chili, geröstete Erdnüsse, eine Schale scharfe Suppe und die Fleischspießchen sind über dem kleinen Holzkohlengrill fertig gegart. Handgewedelt, wohlgemerkt, nicht geföhnt!

Ich stürze mich auf Suppe und Gemüse, den ersten Spieß im Visier. (Kardinalfehler! Immer erst nachfragen, dreimal versichern, um welche Art Fleisch es sich handelt.) Es duftet schmackhaft, ich gehe zum Angriff über. Die Stücke sind mundgerechte Häppchen und es schmeckt sehr delikat. Das Erste, das Zweite ebenfalls. Ich mische Reis mit Suppe, mein Favorit. Ein weiteres Stück vom Spieß in den Mund, ich beiße zu – und habe schlagartig die gesamte Mundhöhle inklusive Gaumen mit einer penetrant schmeckenden Fettschicht überzogen, die sich so leicht nicht entfernen lässt, wie ich sehr schnell feststelle.

Wie schon gesagt, immer erst nachfragen!

Ziegenfleisch hat, ganz im Gegensatz zu Schwein oder Huhn, die Eigenschaft nach dem Erkalten etwas zäh zu werden. Das ist noch nicht alles. Die Fettstücke sind mit von der Partie, äußerlich ebenso braun gebrutzelt wie das Fleisch und kaum zu unterscheiden. Nur gerinnt das Fett sehr schnell, und ebendies ist sofort nach umfassender Verteilung auf inneres und äußeres Zahnfleisch, Zähne, Zunge und Gaumen geschehen.

Wieder kann die Bevölkerung einen etwas erstarrt beim Essen sitzenden Tourist sehen.

Keine Frage, die Schicht in meinem Mund ist so dick, dass ich einen Spachtel bräuchte, um sie abzukratzen. Und der Geschmack ist … Geschmacksache. Ich versuche alles, ziehe alle Register, um die Geschmacksknospen von der Folter zu befreien: Wasser (verschlimmert nur, denn es ist kalt und verstärkt die Schicht), Cola (das blubbert schön und die Kohlensäure könnte vielleicht helfen, tuts aber nicht), warme Suppe (lindert zumindest die dicksten Stellen), Serviette (um den Finger gewickelt und über Zahnfleisch und Zähne gerubbelt) und selbst pures Chili lasse ich nicht aus, welches mich aber nur zu Tränen rührt – trauriges Essen.

Davon hab ich genug! Warum in aller Welt kann nicht irgendwo geschrieben stehen, was einem hier vorgesetzt wird?

Kultur Einkauf in BaliSelbst beim Dönerstand steht dran, was drin ist! Aber nein, nicht hier. Hier muss der Gast erahnen oder am Duft erkennen, um was es sich handelt, Pantomime sein oder Vegetarier. (Oder ganz einfach der Sprache mächtig, wenn nicht einmal Englisch weiterhilft? )

An dieser Stelle erkläre ich das Essen definitiv für beendet und flüchte mich nach Hause zu meiner Zahnbürste, mit der ich nicht nur Zähne behandle, sondern auch den Großraum darum. Die Bürste – ein Fall für den Müll, die Fettschicht entfernt, nur der Geschmack an sich bleibt mir den ganzen Tag erhalten – orales Ziegentattoo sozusagen.

Und ich hatte noch Glück! Unbeschreibliches Glück!!

Ein Laden weiter hätten sie Hund gehabt. Dafür hätte ich keine Worte mehr gefunden. Bei aller Liebe.

Eins hab ich noch! Oder ist die Lust schon gegangen? War doch alles halb so schlimm, keine bleibenden Schäden, nur eine kleine Wahrnehmungsverschiebung, dann ist alles wieder beim Alten. Doch halt, nicht so schnell! Fasten your seatbelt, wir setzen an zum Finale!

Hatte ich in der anderen Welt doch schon gemeint gewisse Pferde gesehen zu haben die sich vor vermeintlichen Apotheken übergeben, wurde ich hier doch eines Besseren belehrt. Auch hier gibt es Apotheken, doch dass ich fast selbst zum Pferd wurde, liegt am Leidensweg einer mittlerweile getrockneten, weil verstorbenen, ca. 2 cm großen, auf Watte gebetteten, allerliebsten kleinen Grille.

Dies niedliche kleine Tier, welches sich des Tages noch seiner Lebenslust lautstark äußerte und zur tropischen Geräuschkulisse erster Besetzung zählen durfte, geriet am Abend in schlechte Gesellschaft. In eine für Grillen schlechte Gesellschaft, wohlgemerkt, mit letalen Folgen – aber das wissen wir schon.

(Sollte mir im weiteren Verlauf der wahren Begebenheit ein Name aufs Papier schlüpfen, so ist dieser mit Sicherheit von der Redaktion geändert. Ich möchte keinen meiner Bekannten in Misskredit bringen. Sonst kommt noch der Tierschutz, Schadensersatzleistungen an die Familie der Verstorbenen, negative Publicity und der ganze Rattenschwanz, nicht auszudenken!)

Unsere kleine Grille befindet sich nun, erschöpft von der harten Arbeit des Tages, auf der Suche nach einem geeigneten Plätzchen, um dort die Nacht zu verbringen. Sie findet also ein kleines gemütliches Häuschen, wird freundlich eingelassen und als alle Lichter gelöscht sind, hat auch sie einen kleinen Unterschlupf gefunden.

Kurz vor dem Einschlafen denkt sie sich noch, dass nicht alle Menschen so schlecht sind, wie immer erzählt wird.

Dennoch scheint sie nicht ganz ruhig schlafen zu können, sie dreht sich im Traum etliche Male hin und her, es ist vielleicht etwas eng und die Luft ist auch nicht so gut.

Am Morgen erwacht sie unvermeidlich mit ihrem Gastgeber. Und das ist ein böses Erwachen. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Mit Gewalt versucht der Wirt das harmlose, schlaftrunkene Insekt aus der Räumlichkeit zu entfernen. Vielleicht hat es ihm im Traum doch etwas zu stark an den Wänden gekratzt, vielleicht hat es aber auch zu laut geschnarcht, denn der Wirt beginnt nun seinerseits laut zu schreien und ruft sogar seine Frau um Hilfe an.

Diese eilt herbei und versucht nun mit Waffengewalt dem stark verängstigten Gesangskünstler regelrecht auf den Leib zu rücken.

Die Reaktion ist eine reflexartige: Flucht durch die Hintertür, fatal nur, dass der menschliche Gehörgang als Sackgasse angelegt ist, doch woher sollte das eine Grille wissen?

Sie lässt jedenfalls nichts unversucht ihr Leben zu retten, bis auch sie merkt, dass an den Bestien dort draußen wohl kein Weg vorbeiführt.

Diese ihrerseits, als auch alles Pusten und Stochern nichts hilft, greifen zum Letzten aller Mittel: Salatöl.

Und das ist nun wirklich nicht fair, denn das setzt sogar die schönen, scharfen, kleinen Widerhaken des Krabblers außer Kraft und lässt sie an den Wänden abgleiten. Die Luftzufuhr wird dadurch auch abgeschnitten und somit muss von diesem Tag an das Dschungelorchester mit der zweiten Reserve besetzt werden.

Bis auf weiteres.

Die gemeinen Mörder rotten sich derweil mit einem Arzt zusammen, der den gemeuchelten, entstellten Körper aus dem Menschenohr entfernt.

Und keine Nachricht an die Hinterbliebenen. Im Gegenteil, ein Lamento hebt an `Oh wie Schrecklich, ich kann nichts hören, nur ein Summen! Ich habe Kopfschmerzen, mein armes Trommelfell ist zerkratzt …`

An die kleine Grille denkt niemand. Todesursache: Akutes Versterben. Auf Watte gelegt, eingetütet, fertig.

Ich finde das eine absolute Horrorvorstellung. Ganz ehrlich!

Bali und Zeitreisen

Es steht Urlaub an. Dringend. Ist auch mal wieder Zeit nach einem halben Jahr in dieser Welt, mich dürstet nach Laubgeraschel und Pilzesuchen im Herbst, Kälte, auf dass es mir die Nase kraus zieht, vielleicht auch auf etwas Schnee – sollte mir das Wetter geneigt sein. Nebenbei ist es schon lange her, so exquisite Köstlichkeiten wie fließenden Camembert, fette Bratwürste, feiste Schweinebraten mit Knödeln und trockenen Wein genossen zu haben. Kein trauriges Essen mehr, bei dem es mir vor Chili den gesamten Tränenapparat trocken legt. Und keinesfalls Reis. Der kommt mir zu den Ohren raus.

Alte, liebe Freunde zu besuchen, mich Weltpolitisch auf den neuesten Stand zu bringen, ein Ohr für die neuesten Charts und die dringenden Updates für den Computer stehen an.

Geordnete Verhältnisse im Straßenverkehr, so richtig mit Ampeln, Schildern und Tempolimit. Keine überraschenden Überholungen von beiden Seiten, keine mit 5 Personen bestückten Mopeds oder auf Eisen schleifende, völlig überladene Großtransporter. Und endlich wieder Rechtsverkehr! (Nur peinlich, dass ich dann rein aus Gewohnheit den Scheibenwischer anwerfe, wenn ich abbiegen will …)

Ich werde meinen Urlaub genießen. Ganz bewusst und mit allen Konsequenzen. Ein paar Kilo zunehmen, alle Kinofilme durcheinanderbringen, weil ich so viele ansehe, ein klein wenig in Kaufrausch verfallen, nicht genug bekommen von Büchern, Musik, Ausschlafen und Brausebonbons.

Und ich seh’s kommen: Nach ein paar kurzen Wochen ist’s schon genug. Ich fühle mich zu fett, mir fehlt die Ruhe des Meeres, die Straßen sind langweilig so ohne Schlaglöcher, ich vermisse die Sonne, die Farben der immer blühenden Sträucher und Bäume und vor allem – das Lachen und die Freundlichkeit der Menschen.

Sofort, aber wirklich sofort möchte ich mein Moskitonetz um mich haben, mich über Krabbeltiere in meinen Kleidern aufregen, beim Essen weinen und mich so wenig wie möglich bewegen, weil es so warm ist.

Siehe, auch im Urlaub gehe ich wandern.

Und jetzt ganz cool bleiben!

Bald ist’s wieder so weit. Kein ICE und jeden Tag ein Abenteuer.

Ende der Fahnenstange.

Susanne Guckenberger