Anti-Reisebuch: „1000 Orte, die man knicken kann““ Rezension“

Die Zeiten werden nicht einfacher, und da ist es gut, dass es Dietmar Bittrich gibt. Per ausgesprochen originellen, im Abstand von ca. ein bis zwei Jahren auf den Markt kommenden, Titeln (siehe auch: „Rezi „Böse Sterne“: Eine witzige Einführung in Astrologie„) packt der in Hamburg lebende Autor bevorzugt zeitlose Themen in extrem unterhaltsamer und gleichzeitig scharfsinniger Art und Weise an – entsprechender Erkenntnisgewinn (für den Leser) inklusive.

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Stand: 20.03.2024 15:19 Uhr Uhr
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Nun hat Bittrich in näherer Vergangenheit wieder zugeschlagen, und zwar mit dem Band „1000 Orte, die man knicken kann“. Konzipiert ist das Buch, darin dem Ansatz von „Böse Sterne“ sehr ähnlich, als so eine Art negativer Reiseführer. Ausführlich, detailliert, gut strukturiert und verständlich wird ausgebreitet, warum die touristischen Destinationen dieser Welt … eben keine Reise wert sind.

Diese Vorgehensweise ist meiner Einschätzung nach doppeldeutig zu interpretieren. Einerseits muss sie natürlich als ironisch verstanden werden, andererseits habe jedoch zumindest ich den Eindruck, dass der Autor manche Aussagen gar nicht einmal so unernst meint!

In Kombination mit dem Umstand, dass das Buch vor handfesten Informationen zu den Reisezielen dieser Erde – von Frankreich über Südafrika und den Vereinigten Staaten bis nach Peru und China – beinahe platzt, ergibt sich somit ein hochinteressantes Spannungsfeld. Aus dem heraus sieht der Leser die Welt, vielleicht, plötzlich auch aus einem anderen Blickwinkel – und es kann sehr gut sein, dass ihn die ganz reale Reiselust packt!

Ein paar Leseproben will ich Ihnen nicht vorenthalten:

Über Paris (S. 16): Champs-Élysées: Frittenbuden, Planet Hollywood, Mc Donald’s, Löwenbräukeller, grottige Straßencafes und Filialen der abgenudeltsten Modeketten säumen das, was Uneingeweihte für eine Prachtstraße halten“.

Wunderbar auch diese Passage:

Prag (S. 45): Jüdischer Friedhof: (…) Deutsche Besucher schließen sich gern der jüdischen Tradition an und legen ein Steinchen auf einen Grabstein etwa des Rabbis Löw, um ihm nachträglich ihre Solidarität zu signalisieren“.

Das seit Geraumem in aller Munde befindliche Griechenland bleibt natürlich nicht unerwähnt:

Athen (S. 88): „Direkt im Stadtzentrum befinden sich zahlreiche Industriebetriebe, die authentisch und im traditionellen Sinne produzieren, also ohne Russfilter und Entgiftungsanlagen“. Und: „Was die Bauten da oben betrifft, die sogenannten Propyläen, das Erechtheion, den Nike- und den Parthenon-Tempel, so befinden sich ihre sehenswertesten Teile nicht hier, sondern im British Museum, also in London“.

Auch der Südwesten der USA wird in subtiler Ironie nicht verschont (S. 154; Arizona):

„Einer der Latest Hits ist der Grand Canyon Skywalk, der aus folkloristischen Gründen von Nachfahren eines Indianerstammes (den Yuma-Apachen oder Hualapai) verwaltet wird. Das Betreten der über die Schlucht gebauten U-Plattform kostet etwas weniger als 100 Dollar. Dafür darf man nicht nur über die gläserne Brüstung starren, sondern kann das Rinnsal des Colorado sogar durch den gläsernen Boden erkennen“.

Und mithin lässt sich Bittrich auch in Hinblick auf das viel besungene San Francisco kein X für ein U vormachen (S. 149):

„Lombard ist die krummste Straße und die meistgefilmte. Hier will jeder mal am Steuer gesessen haben. Deshalb winden sich zu jeder Tageszeit Schlangen von Leihwagen im Stop and Go durch die steilen Serpentinen. Wenn es zu Unfällen kommt – was verblüffend häufig der Fall ist, weil wieder jemand versuchte, eine Filmszene nachzuahmen –, dann ist für einen Tag Schluss“.

Fazit: Es handelt sich um ein in seiner Dialektik fast schon philosophisches Werk, das ganz allgemein über die Welt informiert, zu Reisen inspiriert bzw. diesbezüglich schlicht auch als klassischer Guide einsetzbar ist – und schließlich auch die Laune aller Daheimgebliebenen hebt.

Viel Spaß beim Lesen!

G.H.