Buchempfehlung „Milliardär aus Zufall“““

Jeder kennt Bill Gates – aber wissen Sie auch, wer Paul Allen ist? Nun, bei letzterem handelt es sich um den Mitbegründer von Microsoft, der durch seinen Anteil am Unternehmen zu einem der reichsten Männer Amerikas wurde.

Im Gegensatz zu Gates, der bis heute voll bei dem Softwareriesen involviert ist, zog sich Allen (Jahrgang ´53), nachdem bei ihm die sog. „Hodgkin’sche Krankheit“ (eine verhältnismäßig „milde“ Form von Krebs, bei der die Heilungschancen rel. gut stehen) diagnostiziert wurde, 1983 (!) komplett aus der Firma zurück, um a.) durch eine ausgedehnte Auszeit, in welcher er u.a. um die Welt reiste und Tiefseetauchen lernte, die Krankheit zu besiegen und b.) nachdem ihm dies gelungen war, sein Leben voll zu genießen und sich anderen unternehmerischen Aktivitäten zu widmen.

Und mit diesem Mann beschäftigt sich das vorliegende Buch, Milliardär aus Zufall (im amerikanischen Original The Accidental Zillionaire) von einer gewissen Laura Rich.

Der Titel legt die Vermutung nahe, dass die Autorin kein besonders schmeichelhaftes Bild von Mr. Allen zeichnet – was nur zum Teil stimmt.

Denn: Allens Rolle als technologischer Visionär (anders Gates, der eher als passionierter Geschäftsmann beschrieben wird – die Besonderheit(en) dieses „ungleichen Paars“ wird/werden in dem Kapitel „Yin und Yang“ denn auch schön herausgearbeitet!) der frühen Jahre, der u.a. 1975 erkannte, dass der PC die Welt erobern würde, und dass dafür eine Programmiersprache notwendig wäre, wird durchaus gewürdigt – gleichzeitig informiert das Buch aber auch über sein umfassendes und geradezu beeindruckend konsequentes Scheitern als Unternehmer in den Jahren nach Microsofts Börsengang 1986.

Doch zunächst möchte ich eine Stelle zitieren, welche Allens Tätigkeit in den Anfangsjahren wohl recht anschaulich illustriert (S. 50):

„Eines Dezembertages, als er den Harvard Square in Boston überquerte, auf dem Weg zu Gates in’s Wohnheim, machte Allen an einem Zeitungsstand im Vorbeigehen Halt. Er nahm eine Ausgabe der Popular Electronics vom Januar 1975 in die Hand und wollte sie gerade durchblättern, als ihm die Schlagzeile entgegensprang: „Weltneuheit – erster Bausatz für Minicomputer in Konkurrenz zu kommerziellen Geräten; mit Altair 8800 SPAREN SIE ÜBER 1.000 DOLLAR.“ Die Worte klangen in Allens Ohren. Seit er das erste Mal über den Intel 4004 Chip gelesen hatte, hatte er geahnt, dass dies geschehen würde. „Ich kaufte eine Zeitung, las sie und rannte zu Bill in’s Wohnheim, um es ihm zu erzählen“, berichtete Allen dem Seattle Post-Intelligencer. (…) Der Artikel sagte auch, die Hersteller von Altair, Micro Instrumentation und Telemetry Systems (MITS) in Albuquerque, suchten nach einer Programmiersprache für das Gerät“.

1986, wie gesagt, Microsofts Börsengang, Allens 28-Prozent-Anteil ist um die 130 Millionen Dollar schwer und soll im Laufe der Jahres auf einen Wert im Bereich von 15 – 20 Milliarden Dollar anwachsen und ihm einen regelmässigen Spitzenplatz in den div. Listen der reichsten US-Amerikaner sichern (2004 z.B. laut US-Magazin Forbes Platz 5 mit geschätzten 21 Mrd. $) – intelligenterweise hat Allen seine diversen Investment weniger durch Aktienverkäufe sondern i.d.R. durch das Beleihen seiner Anteile finanziert – was wohl als gutes Argument gegen die von der Autorin unterstellte Zufälligkeit seines Reichtums taugt…

Trotzdem: Die Liste der von Allen nach 1986 realisierten geschäftlichen Flops, denen die Autorin ca. 150 der ca. 260 Seiten des Buches widmet – angefangen vom gescheiterten Windows-Konkurrenzprodukt ToolBook seiner Firma Asymetrix über das seltsam dilettantische Investment in den damals hoch innovativen Internet Service Provider America Online (Allen stieg 1992/93 mit namhaften Beträgen ein und verkaufte – u.a. weil das Management seinen Visionen nicht ausreichend Gehör schenkte – rel. bald wieder – kurz bevor die Aktie ihre spektakuläre Kursvervielfachung begann, die Anfang 2000 ihren Höhepunkt fand – wäre Allen investiert geblieben, hätte er Milliarden verdienen und die durch seinen Microsoft-Anteil realisierte wundersame Geldvermehrung beinahe wiederholen (!) können!)

Bis zu den völlig verkorksten Entwicklungen rund um das Kabelnetzunternehmen Charter Communications – die Liste von Allens unternehmerischen Sackgassen und Fehlentscheidungen ist lang und kann, neben der ansatzweisen Behandlung eines Privatlebens, das Fragen aufwirft (Allen und die Frauen, seine starke Bindung an die Mutter, ein Kult um Basketball (Allen ist bzw. war u.a. „Besitzer“ (so etwas gibt es in den USA) mehrerer namhafter Mannschaften) und den verstorbenen Musiker Jimi Hendrix (keine Frage, dass Allen für geschätzte 60 Mio. Dollar ein Jimi-Hendrix-Museum, für dessen Errichtung niemand geringerer als Stararchitekt Frank O. Gehry engagiert wurde, aus dem Boden stampfte und für eine Keramikscherbe (!) einer vom Meister zertrümmerten Stratocaster-Gitarre schon einmal einen hohen fünfstelligen Dollarbetrag hinblättert) , der so manchen Leser wohl eher an einen kleinen Buben mit zuviel Taschengeld in der Hosentasche als an einen gestandenen Entrepreneur erinnert…) beim Leser durchaus zu einer Mischung aus Ärger, Mitleid, Erstaunen und Amusement führen…

Zu oben angeschnittenen Themen noch zwei Zitate – zunächst zur geschäftlichen Seite (S. 241):

„Die ganze Zeit über kämpfte Kent (ein Gründer von Charter Communications, Anm.)gegen einige von Allens Ansichten an, von denen er glaubte, sie würden das Kabelsystem verstümmeln, das er vor fast 10 Jahren aus dem Nichts zusammengesetzt hatte. RCN war der letzte Strohhalm. Im September 2001 verließ Kent plötzlich Charter. Kent, der immer gerade heraus seine Meinung sagte, tat wenig, um seine problematische Beziehung zu Allen zu verbergen. Er äußerte gegenüber Cable World, seine Differenzen mit Allen hätten „alle Bereiche betroffen. Seien es strategisch, betrieblich, personell – über die ganze Bandbreite. Ohne Ausnahme. Es gab einige Vorfälle in den letzten Wochen, die sicherlich ihre Auswirkungen hatten, aber das alles hat sich eigentlich seit 18 bis 24 Monaten aufgestaut, und es ist einfach nicht möglich, weiterzumachen“.

Es stellte sich heraus, nachdem Charter ein Favorit der Wall Street war und sich gut hielt, während andere Kabelaktien fielen, dass es nicht die Firma oder selbst Allen war, die oder den die Anleger schätzten, sondern Kent selbst. Die Charter-Aktie fiel um 20 Prozent, als Kent die Firma verließ.“

…und zum Privatleben (S. 176):

„Paul Allen, wie seine Mutter sagt, „ist kein Mama-Kind“, aber die Schürzenbänder scheinen fest gebunden zu sein. Seine Mutter Faye lebt auf seinem Anwesen in einem separaten Gebäude, das ihre 60 Quadratmeter große Bibliothek beinhaltet (Faye, eine frühere Leherin und Witwe eines Bibliothekars, ist eine Verfechterin von Leseprogrammen). Sie ist fester Bestandteil von Allens Geschäfts- und Freizeitreisen. Und gemeinsame Ferien der Familie sind auch heute noch die Regel in Allens Familie.

Einmal hat er darauf angespielt, er würde sich gerne niederlassen und heiraten – er suche nur noch „nach der richtigen Frau“, laut einem Vermerk in der Los Angeles Times. Mit 49, im Jahr 2002, hatte er sie immer noch nicht gefunden, aber Ruhm und Geld, so bemerkte er, ermöglichten es ihm, einige sehr bekannte und aufregende Frauen zu seinen Begleiterinnen zu machen.“

„Na ja“, sage ich da nur… Aber: Machen Sie sich selbst ein Bild – über den…„Milliardär aus Zufall“!?….

Was ich kritisch anmerken möchte: Die Übersetzung ist – freundlich formuliert – über weite Strecken ausgesprochen dürftig (wobei weniger mangelnde Englischkenntnisse sondern wohl eher das recht simpel gestrickte Deutsch der Übersetzerin das Problem darstellt…) – sollten Sie einigermaßen des Englischen mächtig sein, rate ich deswegen dringend zum Original (American English)!

Pluspunkt: die gelungene Covergestaltung – die ich deutlich besser finde als die des amerikanischen Originals (meistens verhält es sich umgekehrt).

G.H.