Buchempfehlung: J.P. Morgan – Bankier einer wachsenden Nation

„In der Kürze (bzw. Einfachheit) liegt die Würze“, und gemäß dieser Devise hat die Börsenmedien AG aus dem fränkischen Kulmbach – immer wieder für interessante Neuerscheinungen gut – letztes Jahr (2003) eine deutschsprachige Version von Jeremy Bymans J.P. Morgan. Banker to a growing nation (Morgan Reynolds Publishing) herausgebracht. Deutscher Titel: J.P. Morgan. Bankier einer wachsenden Nation.

Das englischsprachige Original entstammt einer Edition, die sich hauptsächlich an High-School-Schüler der Klassen 6 – 10 (9 – 12 J.) wendet, dementsprechend war der Autor auf Verständlich- und Lesbarkeit bedacht, auch Leser mit überschaubaren Kenntnissen der US-amerikanischen Wirtschaftsgeschichte, insbes. der „Gründerjahre“ von ca. 1850 – 1929, und einfacher strukturierter Semantik sollen mit dem Text etwas anfangen können.

Dies ist Mr. Byman auch gelungen. Leicht verständlich, nichtsdestotrotz stilistisch durchaus akzeptabel, wird (in der deutschsprachigen Ausgabe) auf 110 Seiten – in augenfreundlichem Großdruck! – das Leben und Wirken des Bankiers John Pierpont Morgan (1837 – 1913), des wohl mächtigsten Wirtschaftslenker seiner Zeit, beschrieben.

Einerseits handelt es sich bei vorliegendem Band um die (komprimierte) Biographie eines faszinierenden Unternehmers, andererseits natürlich auch um eine Abhandlung über ein hochinteressantes Kapitel der Wirtschaftsgeschichte – im Zuge dessen die Vereinigten Staaten England als führende Industrienation ablösten. Was aber nicht immer ohne Schwierigkeiten vor sich ging.

So erwies sich das amerikanische Finanzsystem in den Jahren nach dem Bürgerkrieg (auch „Sezessionskrieg“ genannt, 1861 – 1865) als unzureichend auf die rasche Industrialisierung vorbereitet. Die meisten Banken waren kapitalschwach, es gab keine staatliche Einlagensicherung, nicht einmal eine Notenbank, der Auf- und Ausbau des Eisenbahnnetzes lief zum Teil in Wildwestmanier ab, Anleger, die Kapital am Aktienmarkt investierten, waren Haien und Betrügern beinahe schutzlos ausgeliefert, Liquiditätsprobleme der Banken konnten schnell zu massiven Vertrauenskrisen und daraus resultierenden regelrechten Paniken führen.

J.P. Morgan (im Buch „Pierpont“ genannt), dessen Vater ein erfolgreicher und wohlhabender Investmentbanker war, und der u.a. 1856 an der Universität Göttingen (!) studiert hatte, begann seine Karriere 1857 als unbezahlter Lehrling in der Firma seines Vaters. Zwei Jahre später landete er mit Firmengeld einen Coup, als er in New Orleans eine Schiffsladung brasilianischen Kaffees, die noch keinen Abnehmer gefunden hatte, aufkaufte und sie kurze Zeit später mit großem Gewinn weiter veräußerte. Es folgten Geschäfte u.a. mit Baumwolle, Eisenbahnanleihen und Krediten, 1862 gründete Morgan dann sein eigenes Unternehmen, J.P. Morgan & Company.

Rasch stieg die Firma auf, Pierpont begann, im boomenden Eisenbahngeschäft mitzumischen bzw. in den zum Teil wilden Entwicklungen für Ordnung zu sorgen und schließlich sogar die Regierung bei Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu beraten.

Um die damaligen Verhältnisse und Morgans Wirken ein wenig zu illustrieren – und um Ihnen den, wie gesagt, einfachen, auf Verständlichkeit ausgelegten Stil des vorliegenden Buches näherzubringen – möchte ich an dieser Stelle aus dem Buch zitieren (S. 42 – 43):

„Pierpont begann, über die Geldmenge zu wachen. Je nachdem, wie er die Situation beurteilte, drängte er den Kongress, die umlaufende Geldmenge zu erhöhen oder zu verringern. Wieder einmal nahm ein Privatbankier Aufgaben wahr, die 1913, dem Gründungsjahr der Federal Reserve (US-Notenbank, Anm.) und Pierponts Todesjahr, unter staatlicher Kontrolle institutionalisiert werden sollten.

Als die Depression, die 1873 mit einer Panik begonnen hatte, im Jahre 1880 endete, schichtete die Finanzwelt ihr Geld von Staatsanleihen wieder um in Eisenbahnen. Dadurch wurden gewaltige Summen mobilisiert. Nach wie vor stammte ein großer Teil des Geldes aus Europa, und Pierpont gab seinen europäischen Klienten Ratschläge.

Seine Beurteilung einer Anlage entschied über den Erfolg einer Eisenbahngesellschaft. Außerdem übte er auf das ineinander verzahnte System von Vorständen und Großaktionären Einfluss aus, indem er bankrotte Gesellschaften rettete, Manager entließ und einstellte, neue Vorstandsmitglieder ernannte, feindliche Übernahmeversuche abwendete und versuchte, die Konkurrenz zu dämpfen.

Den Gipfel der amerikanischen Finanzwelt erreichte Pierpont 1880, als er William Vanderbildt, der ein gewaltiges Vermögen in Form von Anteilen der New York Central Railroad geerbt hatte, dabei half, den Großteil seiner Aktien zu verkaufen, um einem Gesetz des Staates New York zu entgehen (welchem, bleibt leider offen; wahrscheinlich handelte es sich um steuerliche Fragen, Anm.). Pierpont schaffte es, 250.000 Aktien zu verkaufen, ohne dass der Kurs fiel – was sonst immer geschieht, wenn ein großer Aktienblock auf den Markt kommt. Die Gebühren, die J.P. Morgan dafür erhielt, beliefen sich auf drei Millionen Dollar. Außerdem beanspruchte Pierpont einen Sitz im Vorstand, damit er seine Anleger bei der notorische schlecht geführten Gesellschaft vertreten konnte“.

Auch über das Privatleben dieser faszinierenden und facettenreichen Persönlichkeit – so hatte der mächtigste Wirtschaftsboss seiner Zeit u.a. Minderwertigkeitskomplexe wegen des chronischen Ausschlags auf seiner Nase (!) und nahm sich gerne monatelange „Auszeiten“, welche er für ausgedehnte Reisen nutzte – erfahren wir einiges (S. 43 – 44): „Im Jahre 1882 flüchtete Pierpont für ein halbes Jahr nach Europa. Einen Teil der Zeit verbrachte er auch in seinem geliebten Ägypten. Er besichtigte Pyramiden, Tempel und inspizierte die Mumie Ramses’ des Großen, des Pharao aus dem zweiten Buch Mose. „Ich legte meine Hand auf Ramses’ Schädel“, schrieb er seiner Frau. „Die Haare sind immer noch daran“. Was ihn unter anderem nach Ägypten zog, war die Faszination, die heilige Orte und Gegenstände auf ihn ausübten. Ihn faszinierten die Rituale und Feste des zeitgenössischen Islam und die Überbleibsel des frühen Christentums, die alttestamentlichen Landschaften und die uralte religiöse Kultur der Pharaonen. Die Reisegesellschaft, zu der auch Junius gehörte (Pierponts Vater, Anm.), besuchte auch Jerusalem, und Pierpont besichtigte die Kirche zum heiligen Grab, die angeblich an der Stelle erbaut wurde, an der Jesu Leichnam für das Begräbnis vorbereitet wurde.“

Dass J.P. Morgan nicht nur ein Finanzgenie seiner Zeit war, sondern auch ein Gespür für technische Neuerungen und Entwicklungen hatte, bewies seine (finanzielle) Unterstützung der Forschungen von Thomas Edison, die schließlich dazu führte, dass er sich stolzer Eigner der ersten mit elektrischem Licht versorgten Wohnung New Yorks nennen konnte!

Ich zitiere wieder (S. 44 – 45): „Als Pierpont zurück in New York war, in seiner neuen Wohnung in der Madison Avenue, Ecke 36. Straße, hielt er in seiner Bibliothek Hof, die so dunkel war, dass seine Bediensteten sie als „schwarze Bibliothek“ bezeichneten. Diese Heimstatt sollte die erste Privatwohnung New Yorks mit elektrischem Licht werden. Pierpont hatte Thomas Edisons Versuche mit elektrischem Licht mitfinanziert, und Edison revanchierte sich durch die Verkabelung der Morganschen Wohnung, als er Downtown Manhattan 1882 elektrifizierte. Auch die Büros wurden verkabelt. Am 4. September 1882 spazierte Edison vom gerade fertig gestellten Hauptkraftwerk in die Hausnummer 23 der Wall Street, die mit 106 Glühbirnen ausgestattet war. Genau um drei Uhr nachmittags legte er einen Schalter um, und die Morgan-Bank war das erste elektrisch beleuchtete Bürogebäude der Welt“.

FAZIT: Mit diesem empfehlenswerten Band kann sich der Leser auch und gerade mit den grundsätzlichen Strukturen und Entwicklungen in einer aufstrebenden Volkswirtschaft und den Mechanismen einer industriellen Revolution – damals eben Eisenbahn und elektrischer Strom, heute z.B. Internet und drahtlose Telekommunikation – vertraut machen. Lesenswert!

G.H.