Buchempfehlung „God in the Pits. Confessions of a Commodities Trader“““


Lassen sich „Spiritualität“ und eine Tätigkeit an der Börse verbinden, oder ist die Huldigung des schnöden Mammon eine mit jeglicher Religiosität gänzlich unvereinbare Angelegenheit?

Börse und Religion, mithin: Börse und EthikHeuschreckendebatte“ & Co. – böse, zumeist angelsächsische, Hedge-Fonds, die die deutsche Wirtschaft auszuplündern versuchen, und was man dagegen unternehmen kann – als interessant und angebracht bezeichnet werden können.

Und da das Thema eben topaktuell ist, möchte ich Ihnen an dieser Stelle das 1989 erschienene Buch God in the Pits. Confessions of a Commodities Trader von einem gewissen Mark Andrew Ritchie vorstellen…

Zur Erklärung: Unter „Pits“ (wörtlich: „Gruben“) werden schlicht (im Börsensaal befindliche) „Zellen“ verstanden, aus denen heraus physisch gehandelt wird. Hauptsächlich wird der Begriff in Zusammenhang mit Terminbörsen verwendet. In solchen werden i.d.R. keine Aktien, sondern Terminkontrakte (Fachbegriff: „Futures“) z.B. auf landwirtschaftliche Produkte, Währungen oder auch Edelmetalle gehandelt. Bekannte Namen sind hier das Chicago Board of Trade (CBoT) oder die Chicago Mercantile Exchange (CME), an beiden Börsen findet (noch!) physischer Handel statt – während beispielsweise an der weltgrößten Terminbörse Eurex mit Sitz in Frankfurt/Main der Handel rein elektronisch abläuft. An der Eurex findet allerdings auch der Handel von bzw. mit Derivaten (Hebel- und Terminprodukten) auf Aktien statt, aber das nur am Rande.

Unter „Commodities“ versteht man Rohstoffe wie eben Agrarprodukte oder Edel- und Buntmetalle.

Soweit zur Erklärung des Buchtitels!

In dem hoch interessanten und exzellent geschriebenen Werk schildert uns Mr. Ritchie, wie er über seine Suche nach Gott und den Versuch, ein wahrhaft „spirituelles“ Leben zu führen…letztenendes im Sojabohnen-Pit des CBoT landete. Dort brachte er es zusammen mit seinem Bruder Joe zu großem Reichtum, ihre Firma CRT (Chicago Research and Trading) war zeitweise einer der größten Marktteilnehmer am Finanzplatz Chicago.

Wobei Ritchie aber auch und gerade als erfolgreicher Commodities-Trader auf ethische Prinzipien und „gottgefälliges“ Handeln achtet und entsprechende „Verstöße“ seiner Kollegen aufmerksam registriert…

Wobei: In vorliegendem Werk spricht nicht nur ein zeitweise an einen christlichen Mystiker des Mittelalters erinnernder Suchender zu uns, sondern auch ein mit allen Wassern gewaschener Vollprofi der Terminmärkte. Sollten Sie also „nur“ an aufschlussreichen Anekdoten aus der Börsenwelt interessiert sein – auch dann kommen Sie mit God in the Pits voll auf Ihre Kosten!…

Doch der Reihe nach.

Quasi zur Einleitung schildert Ritchie das Silber-Debakel, das die texanischen Brüder Hunt, Erben eines Ölkonzerns, Ende der 70er-Jahre erlitten. Die Hunts versuchten, den Silberpreis über gewagte Spekulationen am Terminmarkt nach oben zu treiben und nachgerade zu kontrollieren, um ihre Bestände an physischem Silber mit exorbitantem Gewinn veräußern zu können. Ein Plan, der gründlich schiefging. Warum? Ganz einfach: Weil das Management der Terminbörse COMEX am Höhepunkt dieser Geschichte…schlicht die Regeln änderte!

Plötzlich war es praktisch nur noch erlaubt, Kontrakte zu verkaufen, Käufe durften nur getätigt werden, um bestehende Shortpositionen auszugleichen! (Zur Erklärung: Unter einer Shortposition versteht man den Verkauf eines Terminkontraktes, welchen man nicht besitzt, verbunden mit der Verpflichtung, diesen entweder zu einem späteren Zeitpunkt zurückzukaufen oder die zugrunde liegende Ware (z.B. xy Tonnen Mais) physisch zu liefern.)

Dazu in Auszügen (Übersetzung von mir). S. 11: „3. Oktober 1979: Silber notiert bei 17 $ die Unze – letzten Monat 6 $ nach oben; ein Preis, der auf mysteriöse Art inkonsistent ist mit dem allgemeinen Wissen, dass es für weniger als die Hälfte gefördert und geliefert werden kann.“

Ein Kollege prognostiziert den weiteren Verlauf der Dinge relativ akkurat (S. 17): „Glaubst du wirklich, sie (die bedeutenden Marktteilnehmer an der COMEX, Anm.) werden ihr gesamtes Vermögen einem Öl-Erben aus Texas übergeben, nur weil er den Markt gecornert hat?“ „Welche Möglichkeiten haben sie?“ „Keine Sorge, angesichts der Möglichkeit von realem Bankrott wird ihnen etwas einfallen.“

Die Hunts scheiterten schließlich, mit immensen Verlusten. Ritchies Konklusion: Teile mit anderen, handle fair und nicht egoistisch. S. 24: „Wenn das Gerücht war ist, dass die Hunts konservative Christen sind, wissen sie sicher, dass ihr Hirte predigt, gerissen wie eine Schlange und gleichzeitig friedfertig wie eine Taube zu sein. Sie haben in beidem versagt.“

Nach diesem einleitenden Kapitel erzählt der Autor aus seinem Leben. Ritchie wächst als eines von drei Kindern christlicher Fundamentalisten in einer Kleinstadt in Oregon (Westküste der USA) auf, seine Eltern arbeiten u.a. als Entwicklungshelfer in Afghanistan, wo die Familie auch einige Jahre verbringt.

Als er 13 ist, wird sein jüngerer Bruder Danny von einem Auto überfahren – und stirbt. Ritchie ist zum ersten mal mit dem Thema „Tod“ konfrontiert und stellt sich und seinem vermeintlichen Schöpfer Fragen. Fragen, die sich durch das ganze Buch ziehen, die aber im Besonderen in dem Kapitel mit dem gut gewählten Titel „God Murders Everybody Once“ („Gott tötet dereinst jeden“) abgehandelt werden.

S. 52: „Tragödie ändert eines Gedanken, sogar die eines 13-jährigen, hin in Richtung der schwerwiegenderen Fragen des Lebens: Wohing ging Danny wirklich? Und wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Ich weiss, dass ich mich grundlegend von anderen Werken der Natur, die ich bisher erlebt habe, unterscheide – Bäumen und Tieren zum Beispiel. Ich habe so eine reale Bewusstheit meiner selbst. Ich weiss, dass Danny mehr als nur der Körper, der getötet wurde, war. Da war eine reale Person, und eine Person kann nicht einfach verschwinden.“

Ritchie fragt seine Mutter, ob Danny in den Himmel kommt. S. 53: „“Ja, Danny war Christ“, sagte sie mir. „Er hat Christus als seinen persönlichen Erretter akzeptiert. Wir werden ihn eines Tages wieder sehen.“ Da war sie wieder, diese problematische Theologie. Wie der alte Prediger sagte: „Derjenige, welcher Jesus Christus als seinen persönlichen Erretter kennt, wird in den Himmel auffahren, der, welcher nicht, der nicht.“ Wohin gehen die anderen dann? Nun, zu diesem anderen Platz, weit unten, weinend, klagend, zähneklappernd. So habe ich als Junge darüber gedacht. Keine Frage, dass das Konzept half, mit dem Schmerz umzugehen. Keine Frage. Aber ist es wirklich war, fragte ich mich.“

Als junger Mann schreibt sich der Autor in so eine Art Theologie-Seminar ein, um antworten zu finden. Streitgespräche zwischen dem nachdenklichen, hinterfragenden Ritchie und „gefestigteren“ Studienkollegen sind unvermeidlich. S. 89: „Ein Typ meinte schließlich: „Wenn du vor ein paar Jahrhunderten gelebt hättest, hättest du wegen deiner Ansichten in den Flammen gebrutzelt.“ Es bestand kein Zweifel über die Enttäuschung in seiner Stimme. Eines ist sicher, sagte ich mir, wenn es einen Schöpfer dieses Universums gibt, der seine Geschöpfe zur Hölle schickt, weil deren Freunde sie nicht über die feineren Aspekte der Theologie informieren, habe ich kein Interesse, mit so einer Art von Gottheit zu tun zu haben. Wenn Gott unfair ist, beissen wir ohnehin alle in’s Gras. Wenn er fair ist, kann er kaum für die Verdammung der Unwissenden eintreten.“

„Wenn wir schon von Gott reden, dann richtig“ war möglicherweise der Gedanke des Autors, als er sich dazu entschlossen hat, sich an nichts Geringerem als dem Versuch des Beweises der Auferstehung Jesu (als reale historische Tatsache!) zu versuchen. Und ich muss sagen: Ritchies Logik und Argumentation ist durchaus nicht unschlüssig, im Gegenteil, sie haben sogar einiges für sich, wobei ich sie aber nicht als „beweiskräftig“ bezeichnen möchte…

Doch zu bierernst soll es in diesem Buch auch wieder nicht zugehen. Auf zeitweilig ausgesprochen unterhaltsame Art und Weise beschreibt Ritchie seine Jahre als mittelloser Bibelstudent. Um es sich um seine Tätigkeit Truck Driver oder Nachtwächter in einem Gefängnis (!), sein Leben in Bruchbuden oder den reichlich komischen Verkauf seines Wagens handelt – Mr. Ritchie scheint dabei nie seinen gut entwickelten Sinn für Humor verloren zu haben.

Auch Themen wie Liebe und Beziehungen sollen nicht zu kurz kommen, Ritchie heiratet schließlich, wird Vater und schafft es, erfolgreiches Trading in Sojabohnen-Futures aufzuziehen.

Wenn Sie unkonventionelle und originelle Sommerlektüre suchen – dann könnte God in the Pits genau das Richtige für Sie sein!

G.H.