Einführung in die Philosophie Friedrich von Schillers – Teil 2

Friedrich von Schiller ist – neben Goethe – einer der bekanntesten deutschen Dichter. Im zweiten Teil des Artikels bekommen Sie einen Überblick über Leben und Werk dieses Philosophen. Zudem setzt sich der Autor kritisch mit den Thesen Schillers auseinander.

Link zum Teil 1: Friedrich Schiller – Philosophie Einführung

7. Schriften zur Ästhetik

Schiller Einführung PhilosophieÜber
den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen.
Der
Aufsatz erschien 1791. Sein Inhalt ist in folgendem Satz kondensiert: "Übereinstimmung
im Reich der Freiheit ergötzt uns unendlich mehr, als alle
Widersprüche in der natürlichen Welt und zu betrüben
vermögen" (5/365). Beispiel: In Wielands
Versepos "Oberon" (1780/84)
verliebt sich die Königin Almansaris in Hüon, der
Sultan Almansor in Amanda. Doch
die beiden wollen lieber in den Flammen sterben, als daß sie
ihre Liebe verraten. Dadurch erfüllen sie die Voraussetzung
dafür, daß sich der Elfenkönig Oberon mit seiner
Gattin Titania versöhnt, die eine Ehebrecherin beschützt
hat, und werden gerettet.

Über
die tragische Kunst.
Diese
Abhandlung erschien 1792 in der Zeitschrift "Neue
Thalia". Schiller
definiert: "Diejenige
Kunst aber, welche sich das Vergnügen des Mitleids insbesondre
zum Zweck setzt, heißt die tragische Kunst im allgemeinen
Verstande" (5/377).
Ansonsten untersucht Schiller, wodurch das Mitleid verstärkt (Lebhaftigkeit,
Wahrheit, Vollständigkeit, anhaltende Einwirkung,
Empfindungswechsel) und beeinträchtigt wird (zu starke oder
schwache Affekte, Wahnsinn, Abscheu).

Dafür
am geeignetsten ist die Tragödie, da sie eine moralische
Handlung vollständig und unmittelbar darstellt. Schiller
definiert sie so: "Die
Tragödie wäre demnach dichterische Nachahmung einer
zusammenhängenden Reihe von Begebenheiten (einer vollständigen
Handlung), welche uns Menschen in einem Zustand des Leidens zeigt und
zur Absicht hat, unser Mitleid zu erregen" (5/388).

Kallias
oder Über die Schönheit (Briefe an Gottfried Körner).
Am 21.12.1792 schrieb
Schiller an Körner: "Den
objektiven Begriff des Schönen […] glaube ich gefunden zu
haben. Ich werde meine Gedanken darüber ordnen und in einem
Gespräch ‚Kallias oder Über die Schönheit‘ auf die
kommenden Ostern herausgeben" (Briefe
273). Daraus
wurde nichts. Am 10.12.1793 bat Schiller Körner um Rücksendung
seiner Briefe über die Schönheit, ohne anschließend
den "Kallias" zu
vollenden. Erst 1847 kam es zur Veröffentlichung im Rahmen des
Briefwechsels zwischen Schiller und Körner.

Schillers
Definition der Schönheit soll "sinnlich
objektiv" (5/394)
sein. Er macht verschiedene Versuche: "Die
Vollkommenheit ist die Form eines Stoffes, die Schönheit
hingegen ist die Form dieser Vollkommenheit" (5/395). "Schönheit
also ist nichts anders als Freiheit in der Erscheinung" (5/400). "Schön
[…] ist eine Form, die keine
Erklärung fodert
,
oder auch eine solche, die sich ohne
Begriff erklärt
" (5/403).
Eine moralische Handlung ist dann schön, "wenn
sie aussieht wie eine sich von selbst ergebende Wirkung der Natur" (5/407). "Schönheit
ist Natur in der Kunstmäßigkeit" (5/411). "Schönheit
ist durch sich selbst gebändigte Kraft" (5/422).

Über
Anmut und Würde.
Diese
Abhandlung erschien 1793 in
der Zeitschrift "Neue
Thalia" und
als Buch.

Von
der Anmut gibt Schiller folgende Definitionen: "Anmut
ist eine bewegliche Schönheit;
eine Schönheit nämlich, die an ihrem Subjekte zufällig
entstehen und ebenso aufhören kann. Dadurch unterscheidet sie
sich von der fixen Schönheit,
die mit dem Subjekte selbst notwendig gegeben ist" (5/434).
Etwas einfacher formuliert: "’Anmut
ist eine Schönheit, die nicht von der Natur gegeben, sondern von
dem Subjekte selbst hervorgebracht wird’" (5/437). "Anmut
ist die Schönheit der Gestalt unter dem Einfluß der
Freiheit; die Schönheit derjenigen Erscheinungen, die die Person
bestimmt" (5/446).

Die
Würde definiert er so: Sie ist der "Ausdruck
des herrschenden Geistes", im
Gegensatz zur Wollust, die der "Ausdruck
des herrschenden Triebes" ist.
Die Schönheit verlegt Schiller in die Mitte zwischen Würde
und Wollust (5/463).

"Eine
schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl
aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert
hat, daß es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu
überlassen darf und nie Gefahr läuft, mit den
Entscheidungen desselben im Widerspruch zu stehen" (5/468). "In
einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft,
Pflicht und Neigung harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der
Erscheinung" (5/468f).

Zurück
zur Würde: "So
wie die Anmut der Ausdruck einer schönen Seele ist, so ist Würde der
Ausdruck einer erhabenen Gesinnung" (5/470). "Beherrschung
der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit,
und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung" (5/475).

Ab
5/477 stellt Schiller Anmut und Würde einander gegenüber:

"Bei
der Würde also führt sich der Geist in dem Körper als Herrscher auf,
denn hier hat er seine Selbständigkeit gegen den gebieterischen
Trieb zu behaupten, der ohne ihn zu Handlungen schreitet und sich
seinem Joch gern entziehen möchte. Bei der Anmut hingegen
regiert er mit Liberalität,
weil er es hier ist, der die Natur in Handlung setzt und keinen Widerstand zu
besiegen findet. […] Anmut liegt also in der Freiheit
der willkürlichen Bewegungen
;
Würde in der Beherrschung
der unwillkürlichen
" (5/477).

"Würde
wird daher mehr im Leiden (pathos),
Anmut mehr im Betragen (ethos)
gefordert und gezeigt; denn nur im Leiden kann sich die Freiheit des
Gemüts, und nur im Handeln die Freiheit des Körpers
offenbaren" (5/478). "So
wie wir Anmut von der Tugend fordern, so fordern wir Würde von
der Neigung. Der Neigung ist die Anmut so natürlich, als der
Tugend die Würde. […] Man fordert Anmut von dem, der
verpflichtet, und Würde von dem, der verpflichtet wird" (5/479).

"Man
muß einen Fehler mit Anmut rügen und mit Würde
bekennen. […] Will der Starke geliebt sein, so mag er seine
Überlegenheit durch Grazie mildern. Will der Schwache geachtet
sein, so mag er seiner Ohnmacht durch Würde aufhelfen" (5/480). "In
der Würde nämlich wird uns ein Beispiel der Unterordnung
des Sinnlichen unter das Sittliche vorgehalten […]. In der
Anmut hingegen, wie in der Schönheit überhaupt, sieht die
Vernunft ihre Forderung in der Sinnlichkeit erfüllt" (5/482). "Die
Würde hindert, daß die Liebe nicht zur Begierde wird. Die
Anmut verhütet, daß die Achtung nicht Furcht wird" (5/485).

Kurz:
Die Anmut ist eher Sache der Ästhetik, die Würde eher
Angelegenheit der Ethik.

In
seiner Abhandlung Vom Erhabenen (1793) bringt
Schiller seine Definition gleich zu Anfang: "Erhaben nennen
wir ein Objekt, bei dessen Vorstellung unsre sinnliche Natur ihre
Schranken, unsre vernünftige Natur aber ihre Überlegenheit,
ihre Freiheit von Schranken fühlt; gegen das wir also physisch den
kürzern ziehen, über welches wir uns aber moralisch,
d. i. durch Ideen erheben" (5/489).

Schiller
unterscheidet vier Arten des Erhabenen:

"Das
Praktischerhabene unterscheidet sich also darin von dem
Theoretischerhabenen, daß es den Bedingungen unsrer Existenz,
dieses nur den Bedingungen der Erkenntnis widerstreitet" (5/491). "Das
Theoretischerhabene widerspricht dem Vorstellungstrieb, das
Praktischerhabene dem Erhaltungstrieb" (5/492).

"Gegenstände,
welche uns weiter nichts als eine Macht der Natur zeigen, die der
unsrigen weit überlegen ist, im übrigen aber es uns selbst
anheimstellen, ob wir eine Anwendung davon auf unsern physischen
Zustand oder auf unsre moralische Person machen wollen sind bloß
kontemplativerhaben" (5/504). "Die
Vorstellung eines fremden Leidens, verbunden mit Affekt und mit dem
Bewußtsein unsrer innern moralischen Freiheit, ist pathetischerhaben" (5/509).

In
der Abhandlung Über das Pathetische (1793) bestimmt Schiller die "Darstellung
des Übersinnlichen" als
letzten Kunstzweck (5/512), die "Darstellung
der leidenden Natur" als
erstes, die "Darstellung
des moralischen Widerstandes gegen das Leiden" als
zweites "Gesetz
der tragischen Kunst" (5/515).

Wie
Übersinnliches und Pathos zusammenhängen, zeigt folgende
Anmerkung Schillers: "Eine
leidende Person, klagend und weinend vorgestellt, wird daher nur
schwach rühren, denn Klagen und Tränen lösen den
Schmerz schon im Gebiet der Tierheit auf. Weit stärker ergreift
uns der verbissene stumme Schmerz, wo wir bei der Natur keine
Hülfe finden, sondern zu etwas, das über alle Natur
hinausliegt, unsre Zuflucht nehmen müssen; und eben in dieser Hinweisung auf das
Übersinnliche
liegt
das Pathos und die tragische Kraft" (5/521,
Anm. 1).

Der
Aufsatz Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und
Niedrigen in der Kunst
entstand
wahrscheinlich ebenfalls 1793, wurde aber erst 1802 veröffentlicht.
Die zentralen Stellen: "Gemein ist
alles, was nicht zu dem Geiste spricht
und kein anderes als ein sinnliches Interesse erregt" (5/537). "Ein
Dichter behandelt seinen Stoff gemein, wenn er unwichtige Handlungen
ausführt und über wichtige flüchtig hinweggeht" (5/538).

"Noch
eine Stufe unter dem Gemeinen steht das Niedrige,
welches von jenem darin unterschieden ist, daß es nicht bloß
etwas Negatives,
nicht bloß Mangel des Geistreichen und Edeln, sondern etwas Positives,
nämlich Roheit des Gefühls, schlechte Sitten und
verächtliche Gesinnungen anzeigt"
(5/538). Im Hinblick auf den Dichter gilt: "Niedrig
behandelt
man
einen Gegenstand, wenn man entweder diejenige Seite an ihm, welche
der gute Anstand verbergen heißt, bemerklich macht, oder wenn
man ihm einen Ausdruck gibt, der auf niedrige Nebenvorstellungen
leitet."
Schiller gestattet das Niedrige in der Kunst nur ausnahmsweise: "da
nämlich, wo es Lachen erregen soll" (5/539), also in der
Komödie und Farce, und wenn es "ins Furchtbare"
übergeht, also in der Tragödie (5/540). In letzterer ist
ein Mord zwar moralisch verwerflicher als ein Diebstahl, doch wegen
der dahinterstehenden Kraftäußerung ästhetisch
vertretbarer.

Die Skizzen zu Philosophie und Ästhetik (wahrscheinlich
1792-94) beginnen mit einer Bemerkung zur Diskrepanz zwischen der
Philosophie und ihrem Gegenstand: "Kommt
es nicht daher, weil der Philosoph immer von Gesetzen und rationalen
Prinzipien, die Natur aber immer von blinden Gewalten und von der Tat
ausgeht?" (5/1015)

Hinsichtlich
der Einstellung des Menschen zum Schönen vermißt Schiller
in der Geschichtsschreibung den Übergang von der "Neigung
zum Schmuck und Putz" bei
Naturvölkern "zu
einem freien Wohlgefallen an der schönen Gestalt" bei
den alten Griechen (5/1016).

Beim
Vergleich von Komödie und Tragödie stellt er fest, daß
uns die Komödie in den "Zustand
der Götter" versetzt,
während uns die Tragödie zu Heroen macht, "d.i.
zu göttlichen Menschen, oder, wenn man will, zu leidenden
Göttern, zu Titanen" (5/1018).

In Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische
Gegenstände
(1794) grenzt
Schiller das Erhabene "zunächst
kritisch gegen das Angenehme, Schöne und Gute ab" und
arbeitet dann, "in
vielfachem Anschluß an Kant, die Unterschiede zwischen dem
mathematisch-logischen und dem ästhetischen, an die Anschauung
gebundenen Begriff der Größe heraus" (Gerhard
Fricke/Herbert G. Göpfert, 5/1133).

Sein
Motiv dafür benennt Schiller so: "Soll
also das sinnliche Vorstellungsvermögen an einem Gegenstand
erliegen, so muß dieser Gegenstand durch seine Quantität
für die Einbildungskraft überzeugend sein. Das Erhabene der
Erkenntnis beruht demnach auf der Zahl oder der Größe und
kann darum auch das mathematische heißen" (5/551).

Über
die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von
Briefen.
Schillers
philosophisches Hauptwerk ist eine Überarbeitung und Erweiterung seiner Briefe an Herzog Friedrich Christian von Holstein-Augustenburg
(1793), in denen sich Schiller für dessen Stipendium bedankte,
für seine Zeitschrift "Die
Horen" (1795). Es handelt vom "Wesen
der Kunst und des Schönen" (Fricke/Göpfert,
5/1136) und enthält
Schillers "’politisches
Glaubensbekenntnis’" (Brief an den Prinzen von Augustenburg vom
20.1.1795, zit. n. KNLL 14/944).

Im 1. Brief beruft
sich Schiller für seine
Ausführungen auf Gefühle, "größtenteils
Kantische Grundsätze" und Ideen, wobei letztere "mehr
aus dem einförmigen Umgange mit mir selbst als aus einer reichen
Welterfahrung geschöpft oder durch Lektüre erworben" seien
(5/570). Er schreibe zuerst über Ästhetik und dann über Politik, "weil
es die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert" (5/573; 2. Brief).

Im 3.
Brief
bringt
Schiller die "Grundsätze […], durch welche sich die
Vernunft überhaupt bei einer politischen Gesetzgebung leitet"
(5/573). Es geht ihm um die Erzeugung eines Übergangscharakters
zwischen dem realen physischen und dem idealen sittlichen Menschen,
um die Existenz des Naturstaats durch die Gesetzgebung nicht zu
gefährden.

4. und 5. Brief. Der
Staat repräsentiert den idealen Menschen, doch "er soll
auch den subjektiven und spezifischen Charakter in den Individuen
ehren" (5/577), "Eigentümlichkeit und Persönlichkeit
schonen" (5/578), sofern sich die Bürger gegenüber dem
Staat nicht feindlich verhalten. Insbesondere kritisiert Schiller im
Hinblick auf die Französische Revolution zwei Gegenformen des
Menschseins: den Wilden, dessen "Gefühle über seine
Grundsätze herrschen", und den Barbaren, dessen "Grundsätze
seine Gefühle zerstören" (5/579), der "die
Verderbnis durch Maximen befestigt" und "die Natur auf
ihrem rechtmäßigen Felde" verleugnet, "um auf
dem moralischen ihre Tyrannei zu erfahren" (5/580).

Im 6. Brief deckt
Schiller "die
nachteilige Richtung des Zeitcharakters und ihre Quellen" auf
(5/586). Am schlimmsten findet er die "Ausbildung
der einzelnen Kräfte", worüber
der Mensch als Ganzes vernachlässigt wird. So fragt er
rhetorisch: "Kann
aber wohl der Mensch dazu bestimmt sein, über irgendeinem Zwecke
sich selbst zu versäumen?" (5/588)

Der
Staat hat "das
Übel veranlaßt", kann
es also nicht beheben, meint Schiller im 7. Brief. Die
Wahrheitssuche durch Vernunft und Philosophie reicht nicht aus: Herz
und Triebe müssen den Kampf für die Wahrheit unterstützen,
was die "Ausbildung
des Empfindungsvermögens" (5/592)
durch die "schöne
Kunst" (5/593)
notwendig macht (8. und 9. Brief).

Die
Schönheit soll "in
dem Wilden die Natur in Fesseln legen und in dem Barbaren dieselbe in
Freiheit setzen" (5/596).
Doch geht das überhaupt? Der Unkenrufe sind viele. Schiller faßt
zusammen: "Wohin
wir immer in der vergangenen Welt unsre Augen richten, da finden wir,
daß Geschmack und Freiheit einander fliehen und daß die
Schönheit nur auf den Untergang heroischer Tugenden ihre
Herrschaft gründet" (5/599).

Also
wechselt er die Methode: "Aber
vielleicht ist die Erfahrung der
Richterstuhl nicht, vor welchem sich eine Frage wie diese ausmachen
läßt".
Vielleicht braucht es einen anderen Schönheitsbegriff: "Dieser
reine Vernunftbegriff der
Schönheit […] müßte also […] auf dem
Wege der Abstraktion gesucht und schon aus der Möglichkeit der
sinnlich-vernünftigen Natur gefolgert werden können: mit
einem Wort: die Schönheit müßte sich als eine
notwendige Bedingung der Menschheit aufzeigen lassen" (5/600).

Damit
das wiederum möglich ist, muß zuerst ein reiner "Begriff
der Menschheit" (5/600)
gefunden werden (10. Brief).

Im 11.
Brief
unterscheidet
Schiller beim Menschen zweierlei: Person (das, was bleibt) und
Zustand (das, was sich verändert), anders ausgedrückt: "das
Selbst und seine Bestimmungen". Da
diese beiden "verschieden
sind", kann
sich nicht das eine auf das andere gründen. "Die
Person also muß ihr eigener Grund sein, denn das Bleibende kann
nicht aus der Veränderung fließen; und so hätten wir
denn fürs erste die Idee des absoluten, in sich selbst
gegründeten Seins, d. i. die Freiheit" (5/601).

Zur
Erinnerung: Das ist keine empirische
Untersuchung. Schiller kreiert Begriffe und operiert mit ihnen. Ob
und inwiefern das irgendeinen Sinn macht, werden wir noch sehen.

Zunächst
baut er seinen Menschenentwurf noch weiter aus: In der Persönlichkeit
liege die "Anlage
zu der Gottheit" (5/603), der
Weg zu ihr führe über die Sinne. Der
Mensch habe die Pflicht, seine Anlagen zu verwirklichen und die Welt
zu gestalten.

Zu
Beginn des 12.
Briefs
formuliert
Schiller diese doppelte Aufgabe etwas um: Es geht darum, "das
Notwendige in
uns
zur
Wirklichkeit zu bringen und das Wirkliche außer uns dem
Gesetz der Notwendigkeit zu unterwerfen" (5/604).
Zwei nur scheinbar antagonistische Triebe treiben uns dazu an: der
sinnliche oder
Stofftrieb
(will Veränderung der Zustände) und der Formtrieb (will den
Erhalt der Person, allgemein etwas Ewiges, Notwendiges,
Unveränderliches, konkreter: "Wahrheit
und Recht"; 5/605).

13.
Brief.
Die
Kultur bewacht und begrenzt diese Triebe. "Ihr
Geschäft ist also doppelt: erstlich: die
Sinnlichkeit gegen die Eingriffe der Freiheit zu verwahren: zweitens: die
Persönlichkeit gegen die Macht der Empfindungen sicherzustellen.
Jenes erreicht sie durch Ausbildung des Gefühlvermögens,
dieses durch Ausbildung des Vernunftvermögens" (5/608).

14.
Brief.
Im
Spieltrieb wirken Stoff- und Formtrieb "verbunden" (5/612). "Zur
Hervorhebung der Entsprechung von Schönheitsidee und
Humanitätsidee ersetzt Schiller in den Briefen die Begriffe
Vernunft und Sinnlichkeit durch die Bezeichnungen Formtrieb und
Stofftrieb und versteht unter dem […] Begriff Spieltrieb eben
jene Kraft, die im ästhetischen Zustand wirksam wird und den
Widerstreit zwischen Vernunft und Sinnlichkeit bzw. Formtrieb und
Stofftrieb aufhebt" (Jutta
Linder, in: LPHW 744). Der
Spieltrieb befreit "den
Menschen sowohl physisch als moralisch", während
uns "der
sinnliche Trieb physisch und der Formtrieb moralisch nötigt" (5/613).

15.
Brief.
Die
Aufstellung des Spieltriebs ist eine Forderung der Vernunft "aus
transzendentalen Gründen", die
Schiller so präzisiert: "weil
nur die Einheit der Realität mit der Form, der Zufälligkeit
mit der Notwendigkeit, des Leidens mit der Freiheit den Begriff der
Menschheit vollendet" (5/615).

Nochmals: Schiller
entwickelt sein Menschenbild aus Begriffen, nicht aus Anschauungen.
Aus diesem Menschenbild meint er den Begriff der Schönheit
ableiten zu können, was ja sein ursprüngliches Ziel war.
Dieses Unternehmen geht leider schief bzw. überzeugt nicht. Die Vernunft
postuliert den Spieltrieb, weil sie vollenden und Grenzen beseitigen
will, weil Stoff- und Formtrieb den Menschen unvollendet lassen und
ihn begrenzen.

Soweit
ist noch alles nachvollziehbar, doch jetzt kommt ein Sprung: "Sobald
sie [die Vernunft] demnach den Ausspruch tut: es soll eine Menschheit
existieren, so hat sie eben dadurch das Gesetz aufgestellt: es soll
eine Schönheit sein" (5/615).
Das begreife, wer da kann: Soll der Spieltrieb irgendwie etwas mit
Schönheit zu tun haben? Doch Schiller entwickelt den Begriff
Spieltrieb ja, um von dort irgendwie zur Schönheit zu kommen!
Aber wie?

Schillers
Brief an
Körner vom 25.10.1794, in
dem er seine "Resultate
über die Schönheit" zusammenfaßt,
widerlegt jede Art von Schlußfolgerung oder Deduktion der
Schönheit aus dem Menschenbild: "Das
Schöne ist kein Erfahrungsbegriff, sondern vielmehr ein
Imperativ" (Briefe
316). Vor
dem Hintergrund dieses Briefes müßte der oben zitierte
Satz also so lauten: es soll eine Menschheit existieren und es
soll eine Schönheit sein. Zwei
einfache Forderungen also, ohne irgendwelchen Zusammenhang.

Tatsächlich
zeigt der
weitere Text, daß Schiller schummelt: "Die
Erfahrung kann uns beantworten, ob eine

Schönheit ist, und wir werden es wissen, sobald sie uns belehrt
hat, ob eine Menschheit ist. Wie aber
eine Schönheit sein kann, und wie eine Menschheit möglich
ist, kann uns weder Vernunft noch Erfahrung lehren" (5/615).

Die
Erfahrung wollte Schiller doch bei der Entwicklung seines
Schönheitsbegriffs ausschließen! Nun holt er sie durch die
Hintertüre wieder herein. Doch wie soll die Erfahrung die
Existenz von Schönheit erweisen, wenn Schiller gar nicht weiß,
was Schönheit ist? Wenn uns weder Vernunft noch Erfahrung lehren
können, wie Schönheit und Menschheit möglich sind, wer
soll es uns dann lehren? Hat er nicht die ganze Zeit versucht, das zu
tun, was er jetzt abstreitet, nämlich mit dem Mittel der
Vernunft einen Begriff der Menschheit zu entwickeln? Oder sollte er
hier einen Unterschied zwischen "der
Mensch" und "Menschheit" machen
wollen? Will Schiller sich durch die Einführung des Worts "möglich" aus
der Affäre ziehen? Was er bisher als Menschenbild entworfen hat,
ist auch möglich. Ob es etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat,
müßten wir anhand der Erfahrung überprüfen. Wie die Schönheit sein kann, stand bisher überhaupt noch nicht
zur Debatte. Das will Schiller ja erst anhand seines Menschenbilds
entwickeln!

Die
Herausgeber Fricke und Göpfert erklären die Stelle mit den
"transzendentalen Gründen". Das seien Gründe,
"die ihm selber [also Schiller] und unabhängig und
(logisch:) ‚vor‘ jeder Beziehung auf die Erfahrung entspringen"
(5/1150). Doch das ist eine falsche Auslegung des Worts
"transzendental". Es bedeutet bei Kant nicht dasselbe wie
"apriorisch", sondern meint "Bedingungen, die erfüllt
sein müssen, damit Erkenntnis von Seiendem – welcher Art
auch immer – möglich ist (KrV A
11-12/B 25)" (Michael Esfeld, in: MPHL 601).

Hier
ist die Stelle von Kant aus der "Kritik
der reinen Vernunft": "Ich
nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht
so wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer
Erkenntnisart
von
Gegenständen, so
fern diese
a
priori möglich
sein soll
,
überhaupt beschäftigt" (III
63).

Verdolmetscht:
Transzendentale Erkenntnisse beziehen sich nicht auf Gegenstände
(dazu gehören auch Gründe), sondern auf die Art der
Erkenntnisgewinnung. Sie sind Antworten auf die Frage: Inwiefern ist
es möglich, Gegenstände ohne den Rückgriff auf die
Erfahrung zu erkennen? Diese Erkenntnisart entbindet nicht von der
Logik. Außerdem hat Schiller seine "transzendentalen
Gründe" ja mit dem Wörtchen "weil" und
dem, was ihm folgt, näher
bestimmt. Abschließend
stellen Fricke und Göpfert fest: "Mit
den vorangehenden Feststellungen erscheint Schillers Absicht, eine
transzendentale (kritische) Begründung der Schönheit als
aus dem Begriff des Menschen als solchem a priori hervorgehend zu
geben, ausgeführt" (5/1151).

Dieser
Satz enthält zwei Fehler: Erstens hat Schiller seine Absicht
nicht verwirklicht (vgl. den oben deutlich gemachten Sprung). Zweitens scheinen Fricke
und Göpfert ihre obige (falsche) Definition von "transzendental" vergessen
zu haben, um sie nun durch eine richtige zu ersetzen.

Tatsächlich
gibt Kant mehrere Definitionen. Beispiele:

  • "Die
    Transzendental-Philosophie ist die Idee einer
    Wissenschaft
    ,
    wozu die Kritik der reinen Vernunft den ganzen Plan architektonisch,
    d. i. aus Prinzipien, entwerfen soll […]. Sie
    ist das System aller Prinzipien der reinen Vernunft
    "
    (III
    64).
  • "Daher
    ist die Transzendental-Philosophie eine Weltweisheit der reinen bloß
    spekulativen Vernunft"
    (III
    65).
  • "Ich
    verstehe unter der Analytik der Begriffe […] die noch wenig
    versuchte Zergliederung des Verstandesvermögens selbst, um die Möglichkeit der Begriffe a
    priori dadurch zu erforschen, daß wir sie im Verstande allein,
    als ihrem Geburtsorte, aufsuchen und dessen reinen Gebrauch überhaupt
    analysieren; denn dieses ist das eigentümliche Geschäfte
    einer Transzendental-Philosophie" (III
    108).
  • "Die
    Transzendentalphilosophie hat den Vorteil, aber auch die
    Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Prinzip aufzusuchen; weil
    sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit, rein und unvermischt
    entspringen, und daher selbst nach einem Begriffe, oder Idee, unter
    sich zusammenhängen müssen" (III
    109; bei
    Schiller fehlt dieser Zusammenhang).
  • "Der
    höchste Begriff, von dem man eine Transzendentalphilosophie
    anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die Einteilung in das Mögliche
    und Unmögliche" (III
    306).
  • Mit
    Hilfe der Transzendentalphilosophie kann man jede Frage beantworten, "welche
    einen der reinen Vernunft gegebenen Gegenstand betrifft",
    "weil
    eben derselbe Begriff, der uns in den Stand setzt zu fragen, durchaus
    uns auch tüchtig machen muß, auf diese Frage zu antworten,
    indem der Gegenstand außer dem Begriffe gar nicht angetroffen
    wird" (IV
    451).
  • Die Transzendentalphilosophie "betrachtet
    nur den V e r s t a n d , und Vernunft selbst in einem System aller
    Begriffe und Grundsätze, die sich auf Gegenstände überhaupt
    beziehen, ohne Objekte anzunehmen, die g e g e b e n w ä r e n
    (ontologia)" (IV
    705).

Was man ergänzen
muß:

  • Kant kritisiert die
    reine Vernunft im Hinblick auf die Frage, ob man mit ihrer Hilfe
    etwas erkennen kann, was nicht schon in den Begriffen vorgegeben ist, von denen man ausgeht.
  • Kant bestimmt "Anschauung
    und Begriffe"
    als
    Erkenntniselemente (III 97). "Ohne
    Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne
    Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer,
    Anschauungen ohne Begriffe sind blind"
    (III
    98).

Weiter
unten im 15.
Brief
stellt
dann Schiller die vermißte Verbindung von
Spieltrieb und Schönheit scheinbar her: "Da
sich das Gemüt bei Anschauung des Schönen in einer
glücklichen Mitte zwischen dem Gesetz und Bedürfnis
befindet, so ist es eben darum, weil es sich zwischen beiden teilt,
dem Zwange sowohl des einen als des andern entzogen" (5/616).

Die
Eselsbrücke ist also folgende: Der Spieltrieb hält die
Mitte zwischen Formtrieb (Gesetz) und Stofftrieb (Bedürfnis).
Derselbe Sachverhalt ist bei der Anschauung des Schönen gegeben. Befriedigend
ist das nicht. Von "Beweis" ohnehin
keine Spur.

Der
nachfolgende Text zeigt, daß es Schiller selbst unwohl war: "Wird
aber […] nicht das Schöne dadurch, daß man es zum
bloßen Spiel macht, erniedrigt und den frivolen Gegenständen
gleichgestellt […]? Widerspricht
es nicht dem Vernunftbegriff und der Würde der Schönheit,
[…] sie auf ein bloßes
Spiel
einzuschränken,
und widerspricht es nicht dem Erfahrungsbegriffe des Spiels, das mit
Ausschließung alles Geschmackes zusammen bestehen kann, es bloß
auf Schönheit einzuschränken?" Schillers
Antwort: Nichts gegen das Spiel, da es den Menschen "vollständig
macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet" (5/616f).

Das
Unwohlsein bleibt: "Freilich
dürfen wir uns hier nicht an die Spiele erinnern, die in dem
wirklichen Leben im Gange sind und die sich gewöhnlich nur auf
sehr materielle Gegenstände richten; aber in dem wirklichen
Leben würden wir auch die Schönheit vergebens suchen, von
der hier die Rede ist" (5/617).
Deshalb folgt gleich noch eine Vorschrift der Vernunft hinterher: "der
Mensch soll mit der Schönheit nur spielen,
und er soll nur
mit der Schönheit
spielen" (5/617f).

Der
Trick liegt auf der Hand: Was das Erkennen nicht hergibt, wird durch
Forderungen ergänzt. Damit man’s nicht merkt, folgt gleich eine
Begründung hinterher: "Denn
[…] der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts
Mensch ist, und er
ist nur da ganz Mensch, wo er spielt
" (5/618). Wo
ist in dieser Begründung ("denn
…"!)
der Bezug zur Schönheit? Fehlanzeige!

Schiller
bemerkt es und benützt eine neue Finte, nämlich
das Vertrösten auf später: "Dieser
Satz, der in diesem Augenblicke vielleicht paradox erscheint, wird
eine große und tiefe Bedeutung erhalten, wenn wir erst dahin
gekommen sein werden, ihn auf den doppelten Ernst der Pflicht und des
Schicksals anzuwenden; er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze
Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigern
Lebenskunst tragen" (5/618).

Wieder
scheint Schiller ein schlechtes Gewissen zu haben – und zieht
den nächsten Trick aus seiner rhetorischen Kiste: die Berufung
auf Autoritäten. Der Satz, der die Grundlage seiner Ästhetik
und Moral werden soll, "ist
auch nur in der Wissenschaft unerwartet; längst schon lebte und
wirkte er in der Kunst und in dem Gefühle der Griechen, ihrer
vornehmsten Meister; nur daß sie in den Olympus versetzten, was
auf der Erde sollte ausgeführt werden" (5/618).

Man kann es auch
anders darstellen: Laut sumerischer Mythologie schufen die Götter
die Menschen als Sklaven, die ihnen in den Bergwerken die Arbeit
abnehmen sollten. Das machten die Menschen nach: Während die
einen als Sklaven arbeiteten, konnten die andern der Muße
frönen. Man kann Schiller also dafür kritisieren, daß
er die Sklaverei zur Voraussetzung des wahren Menschseins macht.

Aber
was
tut er?
Er gerät beim Anblick der Juno Ludovisi ins Schwärmen. Sie
versetzt ihn "in
den Zustand der höchsten Ruhe und der höchsten Bewegung,
und es entsteht jene wunderbare Rührung, für welche der
Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat" (5/619).

Darauf,
zu Beginn des 16.
Briefs
,
resümiert er, was er tatsächlich gar nicht geleistet hat: "Aus
der Wechselwirkung zwei entgegengesetzter Triebe und aus der
Verbindung zwei entgegengesetzter Prinzipien haben wir das Schöne
hervorgehen sehen" (5/619).
Ich habe es jedenfalls nicht hervorgehen sehen. Es war plötzlich da.

Schillers
weiteres Programm: Er will das Ideal-Schöne aus der schmelzenden
und energischen Schönheit gewinnen, die er beide anhand ihrer
Wirkungen auf angespannte (entspannend) bzw.
abgespannte Menschen (energetisierend) festmacht.

Zu
Beginn des 17.
Briefs
resümiert Schiller erneut,
was er tatsächlich nicht geleistet hat: Er habe "die
allgemeine Idee der Schönheit aus dem Begriffe der menschlichen
Natur überhaupt" abgeleitet.
Er habe den Begriff der Schönheit "unmittelbar
aus der Vernunft, als der Quelle aller Notwendigkeit" geschöpft.
Erst mit dem dritten Anlauf trifft er ins Schwarze: "und
mit dem Ideale der Menschheit war zugleich auch das Ideal der
Schönheit gegeben" (5/622).
Genau so war es. Der Begriff der Schönheit war plötzlich
da.

Welchen
Segen die Schönheit bringt, schreibt Schiller im ersten Satz des 18.
Briefs:
"Durch
die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken
geleitet; durch die Schönheit wird der geistige Mensch zur
Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wiedergegeben" (5/624).

Insgesamt
sind es 27 Briefe, doch das Wesentliche, nämlich daß die
Schönheit aus Wilden und Barbaren wieder Menschen im
eigentlichen Sinne des Wortes machen kann,
ist hier bereits
gesagt. Wie
das im einzelnen vonstatten gehen soll, vollziehe
ich nicht mehr nach. Schiller operiert
hier u.a. mit den Begriffen Raum und Zeit, Notwendigkeit und Freiheit.

Im 24.
Brief
unterscheidet
Schiller für diesen Sanierungsprozeß drei
Entwicklungsstufen: "Der
Mensch in seinem physischen Zustand
erleidet bloß die Macht der Natur; er entledigt sich dieser
Macht in dem ästhetischen Zustand,
und er beherrscht sie in dem moralischen" (5/646).

Der
ästhetische Zustand von "Gleichmütigkeit
und Freiheit des Geistes, mit Kraft und Rüstigkeit verbunden" (5/638; 22.
Brief
) ist
nicht der höchste, sondern lediglich die Voraussetzung dafür,
daß dem Menschen "die
Freiheit, zu sein, was er sein soll, vollkommen zurückgegeben
ist." Je
nachdem, was er nun aus sich macht, erlangt er persönlichen Wert
oder Würde (5/635; 21.
Brief
).

Zu
Beginn des 23. Briefs ist
der ästhetische Zustand ein Zwischenstadium: "Der
Übergang von dem leidenden Zustande des Empfindens zu dem
tätigen des Denkens und Wollens geschieht […] nicht anders als
durch einen mittleren Zustand ästhetischer Freiheit […].
Mit einem Wort: es gibt keinen andern Weg, den sinnlichen Menschen
vernünftig zu machen, als daß man denselben zuvor
ästhetisch macht" (5/641).

Weiter
unten ist der ästhetische
Zustand eine
Voraussetzung für den logischen (Entwicklung des Verstandes, um
die Wahrheit hervorzubringen) und den moralischen
Zustand (Entwicklung des Willens zur Pflicht). Im 24. Brief gibt
sich die Vernunft "durch
die Foderung des Absoluten (auf sich selbst Gegründeten und
Notwendigen) zu erkennen" (5/647). Das
ist also eine zweite Bestimmung des logischen Zustands. Das
eigentliche Menschsein beginnt mit der Freiheit. Das
ist eine weitere Bestimmung des moralischen Zustands.

All
das steht nicht
im Widerspruch
zu Schillers Auffassung im 14.
Brief
,
der Spieltrieb verbinde Stoff- und Formtrieb, denn der Formtrieb
nötigt moralisch, während der Mensch im moralischen Zustand
seine Pflicht aus freiem Willen tut.

Insgesamt
haben wir also fünf Zustände und zwei Gegenformen:

1. physischer Zustand
mit Stofftrieb (Gegenform:
der Wilde als
vernunftloses Tier);
2. niederer
geistiger Zustand
mit Formtrieb (Gegenform:
der Barbar als
vernünftiges Tier);
3.
ästhetischer Zustand mit
Spieltrieb: Beginn
des freien Menschseins und Eintritt
in die Ideenwelt;
4.
logischer Zustand mit Veredelung
des Formtriebs zum
vernünftigen Menschen;
5.
moralischer Zustand mit Veredelung
des Formtriebs zum
moralischen Menschen.

Den Zuständen des
einzelnen Menschen stellt
Schiller im 27.
Brief
drei
Staatsformen gegenüber, die
allerdings nicht ganz eindeutig
zuzuordnen sind: "Wenn
in dem dynamischen Staat
der Rechte der Mensch dem Menschen als Kraft begegnet und sein Wirken
beschränkt – wenn er sich ihm in dem ethischen Staat
der Pflichten mit der Majestät des Gesetzes entgegenstellt und
sein Wollen fesselt, so darf er ihm im Kreise den schönen
Umgangs, in dem ästhetischen Staat,
nur als Gestalt erscheinen, nur als Objekt des freien Spiels
gegenüberstehen. Freiheit
zu geben durch Freiheit
ist
das Grundgesetz dieses Reichs" (5/667).

Der
physische Zustand (Stoff- und
Formtrieb) entspricht
zum Teil dem dynamischen (Kraft),
zum Teil dem ethischen Staat (aufgezwungene Rechte),
der ästhetische Zustand (Spieltrieb) entspricht dem
ästhetischen Staat, der
moralische Zustand (freie Pflichterfüllung) hat kein Pendant in
einer Staatsform, der
logische Zustand (Hervorbringung
der Wahrheit)
auch nicht. Die
Bezeichnung "ethischer
Staat" paßt
nicht zu der
Charakterisierung, er fessele das Wollen des dynamischen Staats,
könnte aber allein von der Bezeichnung her mit dem moralischen
Zustand in
Zusammenhang gebracht
werden.

Sein Versprechen,
der Satz, der Mensch sei nur beim Spiel ganz Mensch, werde noch eine
tiefe Bedeutung erhalten und sein System der Ästhetik und
Lebenskunst tragen, löst Schiller nicht ein. Stattdessen kommt
er zu folgendem Ergebnis: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er
sich in Freiheit um Wahrheit und Pflicht kümmert.

Über
die notwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen.
Die
Abhandlung, zum Teil eine Frucht der Auseinandersetzung mit Fichte,
ist die Zusammenlegung und Überarbeitung zweier Aufsätze,
die 1795 in der Zeitschrift "Die Horen" erschienen.

Schiller
behandelt hier die "Fälle,
wo wir […] von jedem sinnlichen Einfluß frei und als
reine Vernunftwesen handeln müssen". In
diesen Fällen "hat
der Geschmack seine Grenzen, die er nicht überschreiten darf,
ohne entweder einen Zweck zu vereiteln oder uns von unserer Pflicht
zu entfernen" (5/670).

Ein
konkretes Beispiel ist die Wissenschaft: Wo
es um die Wahrheitssuche geht, hat der Geschmack bzw. das Schöne
nichts verloren. Anders steht es bei der Vermittlung von
Erkenntnissen: Bei populärwissenschaftlichen Darstellungen oder
beim Unterrichten kann eine ansprechende Form die Aufnahme beim
ungebildeten Publikum oder bei Schülern erleichtern. Doch
der Geschmack darf in diesem Fall "nur
die äußere Gestalt" bestimmen,
nicht "das
innere Wesen", für
das "Vernunft
und Erfahrung" zuständig
sind (5/686).

Insgesamt
gilt für Erziehung und Unterricht: "Überhaupt
ist es bedenklich, dem Geschmack seine völlige Ausbildung zu
geben, ehe man den Verstand als reine Denkkraft geübt und den
Kopf mit Begriffen bereichert hat" (5/684f). "Wer
etwas Großes leisten will, muß tief eindringen, scharf
unterscheiden, vielseitig verbinden und standhaft beharren" (5/686).

Ein
weiteres Beispiel ist die Moral: Hier kann "der
übertriebene Hang für das Schöne" den
Charakter verderben, was Pflichtverletzungen zur Folge hat (5/687). "Die
moralische Bestimmung des Menschen fordert völlige
Unabhängigkeit des Willens von allem Einfluß sinnlicher
Antriebe" (5/688).

Über
naive und sentimentalische Dichtung.
Der
ursprünglich geplante Titel der in den "Horen" 1795/96,
als Ganzes 1800 erschienenen
Abhandlung lautete "Aufsatz
über Natur und Naivheit".

Der
naive Dichter ist Natur,
der sentimentale Dichter sucht die verlorene Natur (5/712 und 716).
Der naive Dichter folgt "bloß
der einfachen Natur und Empfindung" und
beschränkt sich "bloß
auf Nachahmung der Wirklichkeit". Der
sentimentalische Dichter dagegen "reflektiert über
den Eindruck, den die Gegenstände auf ihn machen" (5/720). "Die
sentimentalische Dichtung nämlich unterscheidet sich dadurch von
der naiven, daß sie den wirklichen Zustand, bei dem die
letztere stehenbleibt, auf Ideen bezieht und Ideen auf die
Wirklichkeit anwendet" (5/745).

Beispiele
für naive Dichter bzw. Werke: Properz‘ Elegien, Molière,
Diderot, Gellert.
Beispiele für sentimentale Dichter bzw. Werke: Miltons Paradise
Lost
,
Haller, Klopstock, Goethes "Leiden
des jungen Werthers", Kleist.

Über
den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten.
Dieser
Aufsatz erschien 1796 in den "Horen".
Schiller faßt ihn in folgendem Satz zusammen: "Aber auf
das moralische Leben hat ein reges und reines Gefühl für
Schönheit offenbar den glücklichsten Einfluß"
(5/781). Später schränkt er ein: "Nun regiert aber der
ästhetische Sinn den Willen bloß durch Gefühle, nicht
durch Gesetze. […] Das ganze Geschäft wird also schon im
Forum der Empfindung verhandelt, und das Betragen dieses Menschen, so
legal es ist, ist moralisch indifferent; eine bloße schöne
Wirkung der Natur" (5/786).

Über
epische und dramatische Dichtung.
Diesen
Aufsatz hat Goethe 1797 auf der Basis seines Briefwechsels mit
Schiller geschrieben. Der wesentliche Unterschied "beruht
aber darin, daß der Epiker die Begebenheit als vollkommen
vergangen
vorträgt,
und der Dramatiker sie als vollkommen
gegenwärtig
darstellt" (5/790).

Über
das Erhabene.
Diese Schrift
wurde 1801 veröffentlicht. Schiller bestimmt das Erhabene als "ein
gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammensetzung von Wehsein,
das sich in seinem höchsten Grad als ein Schauer äußert,
und von Frohsein,
das bis zum Entzücken steigen kann und, ob es gleich nicht
eigentlich Lust ist, von feinen Seelen aller Lust doch weit
vorgezogen wird" (5/796). "Ohne
das Erhabene würde uns die Schönheit unsrer Würde
vergessen machen" (5/807).

©
Gunthard Rudolf Heller, 2015

Literaturverzeichnis

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Freiherr von (Hg.): Schillers Gespräche, München o.J.


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Friedrich: Friedrich Schiller mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten
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HEIBER,
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HOFMANNSTHAL,
Hugo von (Hg.): Schillers Selbstcharakteristik – Aus seinen
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Frankfurt am Main 1959


KANT,
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hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main 11974


KELLER,
Werner: Und wurden zerstreut unter alle Völker – Die
nachbiblische Geschichte des jüdischen Volkes, München/Zürich
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KINDLERS
NEUES LITERATURLEXIKON, hg. v. Walter Jens, 21 Bände, München
1996 (KNLL)


LAHNSTEIN,
Peter: Schillers Leben, Frankfurt am Main 1984


METZLER-PHILOSOPHIE-LEXIKON
– Begriffe und Definitionen, hg. v. Peter Prechtl und
Franz-Peter Burkard, Stuttgart/Weimar 21999 (MPHL)


MEYERS
ENZYKLOPÄDISCHES LEXIKON, 25 Bände, Mannheim/Wien/Zürich 91980/81 (MEL)


SCHILLER,
Friedrich: Dramen I / II, textkritisch herausgegeben von Herbert
Kraft, Frankfurt am Main 1966

  • Sämtliche Gedichte, 2 Bände, München 1965
  • Sämtliche Werke. Fünfter Band – Erzählungen /
    Theoretische Schriften, hg. v. Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert,
    München 81989
  • Sämtliche Werke in zwölf Bänden, Stuttgart o.J. – 7.
    Band: Übersetzungen; 8. Band: Geschichte des Abfalls der
    vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung; 9. Band:
    Geschichte des Dreißigjährigen Krieges; 10. Band:
    Prosaische Schriften (erste und zweite Periode); 11. Band: Kleine
    Schriften vermischten Inhalts I; 12. Band: Kleine Schriften
    vermischten Inhalts II – Rezensionen – Nachlaß
  • Briefe, hg. v. Gerhard Fricke, München 1955
  • http://de.wikisource.org/wiki/Thalia

LEXIKON
DER PHILOSOPHISCHEN WERKE, hg. v. Franco Volpi und Julian
Nida-Rümelin, Stuttgart 1988 (LPHW)

(Abkürzungen
in Zitaten aus Lexika und Sekundärliteratur habe ich
ausgeschrieben, die dort zuweilen in Kursivdruck wiedergegebenen
Zitate von Schiller in Normaldruck zurückverwandelt. Griechische
Wörter habe ich in lateinischer Umschrift wiedergegeben.)

Gunthard Heller