Philosophische Reflexion: Wie realistisch ist unser Weltbild?

Wäre unser Weltbild realistisch, dann hätten wir weniger Probleme – im Allgemeinen wie im Privaten. Will man die wahre Realität erkennen, dann sollte man bedenken, dass Gegenwärtiges ohne Vergangenes nicht wirklich zu verstehen ist. Und wenn es um die Menschheit und die Welt geht, dann sollte die historische Vergangenheit mit ihren guten und schlechten Seiten im Großen und Ganzen beachtet werden.

Es geht nicht darum, Einzelheiten bei momentan fälligen Entscheidungen parat zu haben, sondern darum, sich zur Orientierung vom Gesamtweg der Entwicklung belehren zu lassen. Das genügt aber nicht ganz, denn, solange man keinen Sinn in der Entwicklung sieht, wird man Begriffe wie „wahre Realität“ und „Ethik“ nicht klar definieren können.

In welcher Ära leben wir?

Mit dem Auftreten des Homo sapiens (homo „Mensch“ sapiens „weise“) vor 160 000 Jahren begann die Ära der Orientierung in der nun bewusst wahrnehmbar gewordenen Welt. Dieser kulturelle Entwicklungsstand unserer frühen Ahnen war über Jahrtausende hinweg nahezu konstant. Erst nach der Entstehung des modernen Menschen (in Vorderasien etwa vor 40.000 Jahren, in Mitteleuropa vor knapp 10.000 Jahren) beschleunigte sich die kulturelle Innovation.

Seit der letzten Eiszeit konnte der Mensch zudem – mit dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht – erstmals großräumig gestaltend in seine Umgebung eingreifen. Danach begann die Ära der Urbanisierung. Wenn man über epochemachenden Ereignisse, wie zum Beispiel das Aufkeimen der Philosophie, die Etablierung der Weltreligionen, das Entstehen der naturwissenschaftlich-technisch-industriellen Zivilisation hinwegsieht, kann man sagen: Wir leben heute noch in der Ära der Urbanisierung.

Jetzt wird die Welt zur Megastadt, das Land verschwindet; die Technik, die Wissenschaft, die Wirtschaft, das Geld, der Konsum etc. sind die neuen Götter. Welche Phase das im Entwicklungsweg der Menschheitsgeschichte ist, ist schwer zu sagen. Man kann sich auch fragen, ob die Menschheit überhaupt auf dem Weg zu einem Ziel ist. Die Wissenschaft jedenfalls findet keins.

Vielleicht hat die Natur bzw. die wahre Realität dennoch etwas mit uns vor.

In der frühen Geschichte war die biologische Entwicklung des Menschen an ihrem Höhepunkt angekommen, als seine Flexibilität mit einem größeren Gehirnvolumen nicht mehr gesteigert werden konnte. Das Gehirnvolumen des Neandertalers war mit 1400 ccm größer als das des modernen Menschen mit 1350 ccm beim Mann, bei der Frau etwas weniger. Aber nicht nur die Masse macht’s, wie es am Beispiel „Neandertaler“ ersichtlich wird.

Der Neandertaler konnte sich mit seinem größeren Gehirn den harten Bedingungen der Eiszeit sehr gut anpassen, er war darauf „spezialisiert“. Nach der Eiszeit konnte er sich mangels Flexibilität nicht gegen den weniger robusten und weniger spezialisierten modernen Menschen durchsetzen. Mit welchem Erfolg der moderne Mensch mit seiner geringeren Hirnmasse seinen Weg fortsetzte, sehen wir heute.

Das beweist: Biologisch kann der Mensch nicht mehr verbessert werden. Sogar die kognitive Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau erweist sich im geschichtlichen Kontext als Vorteil: sie erweitert eindeutig die Wahrnehmungs- und Aktionsfähigkeit des gesamten Menschengeschlechts.

Trotz des gewaltig angehäuften und stets weiterwachsenden Wissens und der gigantischen technischen Innovationen verfügen wir nicht über mehr Intelligenz, als die Menschen vor beispielsweise 30.000 Jahren, auch nicht über mehr Wissen vom allgemeinen Sein – wie alte Mythen aus den Anfängen der Schriftkultur und die frühe Philosophie beweisen. Unser neu erworbenes und das mit dem Geist der Neuzeit aus der Kulturgeschichte destillierte Wissen, beschränkt sich einseitig auf die physikalische Welt. Die wahre Realität aber ist weit mehr.

Pathologischer Weltbildwandel

Als Mensch und Natur noch eins waren, waren die Weltbilder gesund. Was wir heute Naturgesetze nennen, waren dort Machtbereiche der Götter. Der Mensch, seine Welt und die Überwelt waren ein organisches Ganzes. Diese Welten des naturnahen Lebens und dunklen Glaubens waren zwar nicht ganz realitätskonform, aber immerhin waren sie Ganzheiten.

Die Weltkrankheit wurde spürbar, als Menschen anfingen, sich die konkrete Welt untereinander (oder gegeneinander) aufzuteilen und eigene Weltbilder, als Nachbildungen des universalen Seins mit einem gesellschaftlichen Machtzentrum zu schaffen. Aus einfachen sozialen Gruppen waren komplexe politische Gruppen mit einem Zentrum (man kann es Herz nennen) geworden.

Bei solchen Systemen konnte man noch mit etwas Nachsicht von gesunden Weltbildern reden. Sie hatten an ihrer Spitze eine sanktionierte Person als Mittler zwischen dem individuellen Dasein des Menschen im sozialen Gefüge, sowie der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. Solche Weltbilder entsprachen zwar nicht der wahren Realität, aber sie hatten das, was Organismen auch haben: eine annähernd naturkonforme Struktur.

Infektionen mit naturfremden Zivilisationselementen waren zu jener Zeit noch gering. Die Infizierung fing erst richtig an, als (nach langer Zeit) die Erdbevölkerung stark zunahm und aus Sippen und kleinen Volksgruppen mächtige politische Gruppen und Handel treibende Völker mit großen Verwaltungsapparaten und religiös verwalteten Dogmen geworden waren.

Noch schwieriger wurde es (wiederum nach langer Zeit), als der, mittels göttlicher Macht, sanktionierte Souverän allmählich durch ein weltlich orientiertes Parlament unter Berufung auf das Wohl des Volkes ersetzt wurde, das sich, um diesem Anspruch gerecht zu werden, aus verschiedenen Interessengruppen zusammensetzte, die sich durch Mehrheitsbeschluss über die Empfindungen von Minderheiten hinwegsetzen mussten, um überhaupt handlungsfähig zu sein.

Eine im Weltganzen fundierte ethische Leitlinie war hierbei kaum noch relevant. Sie war ohnehin seit der Säkularisierung verloren gegangen. Das wäre nicht schlimm gewesen, wenn man über eine plausible Alternative verfügt hätte. Da es nicht die Aufgabe des Parlaments war, eine allgemein verständliche Ethik zu finden und die Wissenschaft keine lieferte, musste man sozusagen im geistigen Dunkel um Lösungen der aktuellen Tagespolitik kämpfen – genauso wie heute (nach langer Zeit).

Wie soll es weitergehen?

Da bisher kein universales Ziel definiert werden konnte, kann die Ethikfrage nicht geklärt werden. Die prekär gewordene Weltlage erfordert aber dringend eine allgemein verständliche Klärung. Wenn wir mangels Beweisen bei der Annahme bleiben müssen, dass die Welt kein Ziel hat und sie sich nur im Spiel der Kräfte weiter bewegt, dann sieht sich jeder Mensch und jede Institution auch weiterhin gezwungen, für sich selber ein Ziel zu suchen.

Die Mahnung, dabei an das Wohl der Allgemeinheit zu denken, wird dann, wenn überhaupt, nur halbherzig beachtet. – Die zersplitterte Welt kann so nicht zusammenwachsen.

Ein weiteres Problem ist: Die exponentielle Wissensvermehrung kann vom Menschen nicht mehr erfasst, geschweige denn sinnvoll beherrscht werden, und die Erde kann die Technikinnovation nicht mehr tragen. Hat unter solchen Umständen eine langzeitige Zukunftsplanung auf dieser Erde noch Sinn? Oder muss die Menschheit ihre Zukunftsplanung in den Weltraum ausdehnen?

Und muss sich der einzelne Mensch nun endgültig mit dem deprimierenden Gedanken an seine Vergänglichkeit abfinden? Oder bleibt ihm die Hoffnung, dass irgendwann einmal sein Leichnam von der Wissenschaft erweckt wird? Derartige Zukunftsspekulationen sind Unwahrscheinlichkeiten. Für die lebensfeindlichen Bedingungen und riesigen Raumzeiten im All ist die menschliche Konstitution nicht geschaffen. Und eine materielle Lebenserweckung ohne beseelenden Geist geht auch nicht: Es ergäbe kein Leben. Ob diese Probleme mit dem Potenzial des etablierten Weltbildes jemals gelöst werden können, ist mehr als fraglich.

Wenn man hingegen von der Annahme ausgeht, dass die Menschheit einem irgendwie gearteten konkreten Ziel zustrebt, dann kann man davon ausgehen, dass ihr Weg ein Reifungsprozess ist, der sie (uns) über Höhen und Tiefen in eine andere Seinsform führen will. Die Tatsache, dass die Menschheit – wie das Leben auf der Erde, ja sogar das ganze Universum – durch Komplexitätssteigerungen entstanden ist, spricht für so einen Weg.

Wohin aber führt er? Lapidar kann man sagen: Alles Seiende will im Sein bleiben. Also drängt alles Seiende zum ewigen Sein. Diese einfache Tatsache fordert unsere Zeit geradezu auf, sich mit ihrem enormen historischen Fundus und den gewaltig anwachsenden Möglichkeiten, dieser Forderung mit ganzer Kraft zuzuwenden.

Todkranke Welt

Die Welt des rationalen Wissens, in der wir heute leben, schwört aufs Sachliche und meint: Wahrheit ist, was kausal erfasst werden kann. Das Ergebnis dieses Denkens ergibt summa summarum kein vollständiges Weltganzes, eher ein fragmentarisches Bild. Wir akzeptieren zwar in unserer Welt die Naturgesetze als physikalisch vereinigendes System, und wir bemühen uns, parallel dazu die Menschenrechte kausal in unser Weltbild zu integrieren.

Das reicht aber nicht, um die wahre Welt, in der es auch Leben und Geist gibt, zu verstehen. Wir sollten sie aber verstehen, weil wir heute so viel Macht haben, um unsere reale Lebenswelt zu zerstören.

Die Moderne benutzte die Naturgesetze und wir schufen uns durch diese eine technikdominierte Zivilisationswelt innerhalb der lebendigen Welt. Wir wissen aber nicht, was die Naturgesetze eigentlich sind und woher sie kommen, wir wissen auch nicht, wie die Menschenrechte im widersprüchlichen Zivilisationssystem eindeutig zu verankern sind.

Dass man das noch ergründen werde, daran glaubt die Wissenschaft, und viele Menschen hoffen es. Aber kann das ein Forschungsprogramm leisten? Es müsste die elementare Sehnsucht der Weltbevölkerung auf einen Nenner bringen, der sich dann auch noch mit dem universalen Sein decken müsste.

Heute, im nicht gerade lebensfreundlichen Hightech-Zeitalter (oder Hightech-Ära?) ist die aus vielen Völkern bestehende Weltbevölkerung in den Status eines in sich vernetzten Organismus gekommen. Aber nicht, wie in der Biologie, wenn Einzeller sich zu einem vielzelligen Lebewesen vereinen, eher als Wucherung im Körper.

Man kann sagen, jetzt leidet die Menschenwelt nicht nur an Infektionen und Herzschwäche, sie leidet auch noch an Krebs. Mit ihren Krankheitskeimen und Metastasen verseucht sie den ganzen Erdkreis.

Die Guten, das Übel und der Weltgeist

Da ist noch ein Problem, das uns plagt: Kämpfer fürs Gute gab es schon immer. Manches Übel wurde durch sie aus der Welt geschafft. Stets aber kam neues Übel nach oder brach anderswo aus. Inzwischen haben wir in unserer Welt, entgegen allem guten Willen, ein Maximum an Übel. Jetzt ist die Existenz der ganzen Menschheit und die globale Ökologie bedroht.

Waren und sind die Opfer der mutigen Guten vergebens? Sie bewahrten und bewahren noch immer die Würde des Menschen und der Natur. Ihnen ist zu verdanken, dass es bei allem Elend und allen Gräueln immer noch irgendwo Oasen des Friedens gibt, und dass die Hoffnung für ein Weiterbestehen der Menschheit, trotz der drohenden Gefahren nicht gestorben ist.

Die Ursache der Übel in der Welt, davon kann man ausgehen, lag schon immer tief unter der Oberfläche in einem elementaren Bereich. – Etwa in einem Weltgesetz, das wir nicht kennen? Oder im ambivalenten Weltgeist, den sich die Menschheit auf ihrem langen Weg immer wieder selber schuf? Was aber ist Weltgeist? Ist er ein unkörperliches Ganzes, das mehr oder weniger organisch strukturiert über den Kulturen und heute auch über der modernisierten Welt liegt? Dann müsste er ein irgendwie fassbares Zentrum haben.

Herzlose Welt?

Wie bereits erwähnt, früher gab es machtvolle Systeme mit einem geistigen und weltlichen Zentrum. Wenn man hingegen die heutige Welt betrachtet, deutet nichts auf ein System hin, das stark genug wäre, um alles zur Ganzheit zu verbinden (wie es im Zeitalter der Globalisierung eigentlich sein müsste).

Statt dessen sieht man, dass die „Zellen“ und „Organe" der modernen Welt gleichsam mechatronisch vom Geldkreislauf und von Waren- und Informationsströmen versorgt werden. Nirgends sieht man ein natürliches Zentralorgan, von dem die Zivilisationswelt nicht nur mit materiellen Werten, sondern auch mit ideellen Werten und gesunder Lebenskraft versorgt wird.

Dennoch stehen hinter dem System, das die moderne Welt bewegt, Menschen mit einem Herzen in der Brust. Sie würden nicht leben, wenn sie nicht mit dem universalen Sein verbunden wären. Dieses imaginäre Sein ist nicht in verschiedener Weise an verschiedenen Orten zu finden. Es ist die absolute, überall gegenwärtige wahre Realität und die zentrale Stelle des Lebens, sozusagen das imaginäre Herz des Weltganzen.

Folglich müsste das allgemeine Weltbild eine zentrale Verbindung mit diesem Herz haben. So ein Weltherz müsste dann auch als Zentrum eines allgemeinen Denkens, Fühlens und Wollens geortet werden können. Nichts dergleichen ist zu finden. Statt dessen finden wir nur zahllose Weltauffassungen, mit jeweils eigenen Gesetzen und eigenem Verhaltenskodex.

Selbstheilungskraft

Der Zustand unserer Welt ist zwar dramatisch, aber nicht hoffnungslos. Hoffnung auf Heilung kann aus der Tatsache geschöpft werden, dass die Menschheit von Anfang an durch eine elementare Gemeinsamkeit verbunden ist, nämlich durch die Tatsache, dass sie als einzige Gattung der Erde mit freiem Geist begabt ist. Geist ist unteilbar und universal. Darin liegt die Potenz zum Aufspüren des universalen Zentrums – dem Weltherz.

Die Denkweisen sind aber verschieden, und die Prioritäten im persönlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben auch. Heute dominieren Skepsis und Irritationen. Vor allem, weil die Sinnsuche über das konventionelle Weltbild hinaus weist. Irritierend ist, dass die moderne Physik ihre größten Erfolge auf unkonventionellen Wegen gefunden hat (prominentes Beispiel: die Relativitätstheorie.)

Wenn die Menschheit wieder gesund werden möchte, sollte sie sich von konservierenden Denkmustern lösen. Vor allem sollte sie sich ihres Privilegs bewusst werden und ihren Geist geistvoll nutzen. Gelänge ihr das, dann würden sich viele Probleme von selber lösen.

Der Skeptiker, die Moral und die Weltlage

„Das ist Geschwätz!“ würde der Skeptiker sagen. „Jeder Mensch benutzt seinen Geist, um irgendwie durchs Leben zu kommen. Je mehr Geist er hat, desto besser schafft er das. Beispiel: Manager, Abfindungen und Boni. Auch auf kriminelle Bereiche trifft das zu.“

Scheinbar kann man dem nicht widersprechen. Doch bei genauem Hinsehen sieht man, dass bei dieser Denkweise ein Missverständnis vorliegt. Denn Intelligenz sollte nicht mit Geist verwechselt werden. Intelligenz beruht auf rationalen Prozessen, die keine systembedingte Kausalität überschreiten. Das heißt, ihr Aktionsraum ist im weitesten Sinne die physikalische Welt. Diesen Raum hat die Wissenschaft abgesteckt.

Er umfasst die gesamte Materie und die damit verbundene Raumzeit. Hier endet der Aktionsraum des Verstandes. Dieser Raum ist aber nicht die ganze Welt. Zur ganzen Welt gehören auch das Leben und das Phänomen Geist, sowie die mit dem Geist untrennbar verbundene Vernunft. Intelligenz hingegen bedarf nicht unbedingt des Geistes, sie beruht auf komplexen neuronalen oder elektronischen Verknüpfungen und ist somit physischer – also eher mechanischer Natur.

Wie gesagt, der Verstand ist an die Rationalität gebunden, die Vernunft hingegen ist außerdem noch dem allgemeinen Leben und der wahren Realität verpflichtet. Sie knüpft ihre Fäden über die empirische Welt hinaus. Auf diesem Weg entstanden revolutionäre Theorien, wie auch die Relativitätstheorie, die uns das Tor für eine erweiterte Weltsicht und neue technische Innovationen geöffnet hat.

Die Relativitätstheorie konnte allerdings noch mit rationaler Technik bestätigt werden. Inzwischen ist es bei gewagten Theorien mit solchen Bestätigungen schwieriger geworden. Heute sind die Grenzen der materiellen Welt erreicht, und damit auch die Grenze der Leistungsfähigkeit physikalischer Instrumente.

Greift jetzt die Natur selber ein, um uns auf die Sprünge zu helfen? Eindrucksvoll und erschreckend zugleich führt sie uns unsere Hybris, wie auch unsere Ohnmacht vor Augen.

Intelligenz allein hilft uns offenbar nicht weiter, sie scheitert bereits an menschlichen Unzulänglichkeiten und bleibt letztendlich im Rationalen stecken. Die Reichweite des reinen Geistes hingegen ist endlos. Im endlosen Sein – der wahren Realität – ist die Welt mit ihren Gegensätzen und das Leben mit all seinen Facetten vereint. Wir sollten also den Geist, der uns gegeben ist, nutzen, damit er sich und wir uns selber im universalen Geist wiederfinden. Das wäre heilsam für uns, wie auch für die todkranke Welt. – Fazit, flapsig gesagt: Wenn die Moral im Eimer ist, geht gar nichts mehr.

Den Geist nutzen?

Hier meldet sich wieder der Skeptiker. „Den Geist nutzen, das ist leicht gesagt. Wie bitteschön, soll das gehen? Geist kann man nicht einfach einschalten, wie ein Computerprogramm. Was überhaupt ist Geist und was Moral?“

Lapidar ausgedrückt: Geist ist die ordnende Kraft schlechthin. Sein Gegensatz, der Ungeist, ist dort, wo alles zu nichts eine Beziehung hat. Und wo das Chaos herrscht, ist keine Moral.

Jedes ordnungsbildende System ist zielgerichtet. Ein Ziel kann allerdings auch schlecht sein, das heißt, Geist kann vom Willen missbraucht werden. Gut ist Geist nur, wenn der Wille die wahre Realität will. Der Sinn eines jeden Teilchens liegt im Ziel, im Guten oder im Schlechten. Wir unterliegen leicht der Gefahr, unsere Ziele fern der wahren Realität in den eigenen begrenzten Lebensradius zu bringen.

Das Ziel der physikalischen, wie biologischen Welt hingegen ist, wie die Erfahrung lehrt, die Realisierung eines auf höchster Ebene organisierten Systems. Unser triebhaftes Ziel ist im Grunde auch so, wir wollen ein gutes Leben. Das Ziel der ganzen Menschheit ist auf gutes Leben ausgerichtet und auch auf Wissen und Macht. Nichts davon geht ohne Geist und Bewusstsein.

Dem Skeptiker genügt das nicht. „Auf Menschen trifft das allerdings zu. Wo aber soll bei der Welt das Bewusstsein sein? Die Welt müsste ein Hirn haben.“

Ja. Aber zu bedenken ist, dass das Universum, das ja unsere wirkliche Welt ist, viel zu groß ist für unsere Vorstellungskraft. Darum können wir mit nackter Rationalität die Welt nicht verstehen. Wenn wir übergroße Dimensionen verstehen wollen, müssen wir abstrahieren. Das heißt, unsere Erfahrungen, die wir mit der differenzierten Welt machen, sollten wir zu möglichst einfachen Beispielen komprimieren und Schlüsse daraus ziehen.

Dieses Verfahren sagt uns, dass die Welt ein geistiges Zentrum haben muss. Und dass sie aus dem „Nichts“ des beziehungslosen Chaos kam („Nichts“, weil es vor dem Urknall keine strukturierte Substanz gab.) Es sagt uns auch, dass daraus das hochkomplexe Universum geworden ist. Und es führt uns in der Schöpfungs- und Kulturgeschichte vor, dass trotz der erfolgten Katastrophen und den vielfach herrschenden chaotischen Zuständen Komplexitätssteigerungen stattfanden, die schließlich die Erde und auch uns hervorgebracht haben.

Wo aber ist der Sinn?

Wir wollen zurecht ein gutes Leben, oft aber suchen wir es auf falschen, sprich realitätsfernen Wegen. Die wahre Realität umfasst alles, das Gute wie das Schlechte – sie ist, das sollte man bedenken, letztlich die Essenz des Lebens. Also müssen wir, wenn wir ein realitätskonformes Ziel anstreben wollen, nicht nur das Gute, sondern auch die Realitätsferne beziehungsweise das unabänderliche Schlechte akzeptieren, allerdings unter der Voraussetzung, dieses Schlechte verstehen zu wollen und sich dann auch um den besten Kompromiss zu bemühen.

„Dann“ sagt der Skeptiker „müsste ich so manche Schlechtigkeiten und Scheußlichkeiten in der Welt akzeptieren. Und ich müsste Feinde, sogar Peiniger lieben, nur weil sie, wie ich auch, zur Ganzheit des Seins gehören!“

Ja, schon. Aber mit der Einschränkung, dass es darum geht zu lernen, das Chaos, sprich das Realitätsferne, mit Geist zu beherrschen. Draußen in der Welt ist damit wenig bis gar nichts auszurichten; wir können die Welt nicht wirklich verbessern. In uns drinnen aber sind wir autonom, allerdings nur so lange wir nicht in die Gewalt des eigenen Chaos geraten.

„Gut.“ sagt der Skeptiker „Wenn es so ist, dann bleibt aber immer noch die Frage: Wo ist der Sinn dieser schwierigen Welt?“

Darauf passt eine lapidare Antwort: Auf jeden Fall ist er in ihrem Sein. Aber, wenn das alles wäre, dann wäre das für sie und auch für uns zu wenig. Denn ihr Sein kann nicht das ganze Sein sein. Weil die Welt gegenständlich ist, ist sie ein begrenztes unter anderen begrenzten Dingen. Folglich kann sie nur Welt sein, weil sie eine Welt unter vielen Welten ist. Mit einer Welt verhält es sich ebenso, wie mit den Dingen in ihr: Jedes Ding wäre für sich allein sinnlos. Indem aber alle Dinge (auch die schlechtesten) für etwas gut sind, ergeben sie gemeinsam ein funktionierendes Ganzes.

„Es fällt mir nicht leicht, diesem Gedankengang zu folgen“ sagt der Skeptiker. „Aber, wenn es wirklich so wäre, worin sollte dann der Sinn aller Welten liegen? Und wo ist der eigentliche Sinn unseres Lebens?“

Er kann nur darin liegen, indem progressiv ihre und unsere inneren Gegensätzlichkeiten ins positive Gleichgewicht gebracht werden – positiv, insofern der Geist über den Ungeist herrscht. Dieser Zustand kann als finale, elementare, wahre oder universale Realität bezeichnet werden oder auch schlicht als das Leben an sich.

Der notorische Zweifler ist damit nicht zufrieden. Er fragt. „Was dann, wenn ein Mensch überzeugt ist, in diesem Ziel seinen Sinn gefunden zu haben? Wenn er stirbt, ist trotzdem alles hin. Es stirbt ja auch sein Geist.“

Das ist nur scheinbar richtig. Denn nach dem Tod des Körpers gibt es ja weiterhin das Sein. Allerdings mit veränderten Konstellationen. Das Sein an sich ist ewig, und der Geist, als potenzielle Kraft, natürlich auch.

Der Mensch hat die Gabe, in seinem Erdenleben nach dem Geist zu greifen und ihn festzuhalten. Wenn sein Körper vergeht, bleibt immer noch sein geistiges Lebenssystem, es ist ja als Realität unauslöschbar in der wahren Realität – dem universalen Sein – gespeichert. Diese ideelle Elementarsubstanz kann als Basis für einen Körper aus anderen (vielleicht subtileren) Substanzen dienen.

Leben ist permanente Veränderung. Heute kann man – ohne zur Metaphysik greifen zu müssen – davon ausgehen, dass die Welt, die wir kennen, längst nicht alles ist, was es gibt; und dass unser irdisches Leben niemals ausreicht, um alle unsere Potenziale zu realisieren.

Heinz Altmann