Bindungsangst: Was bedeutet „Angst vor Nähe“?

Beziehungsangst: Viele Menschen leiden darunter, wenn der Partner Verbindlichkeiten oder feste Bindungen ablehnt. Eine mögliche Ursache kann Beziehungsangst – oder Angst vor Nähe – sein. Was das ist und wie man sie erkennen kann, wollen wir uns hier näher ansehen.

Beziehungsproblem: Angst vor Nähe

Viele Menschen sehnen sich danach, ihr Glück in einer liebevollen und vertrauensvollen Beziehung zu finden. Man will dem geliebten Menschen nahe sein, Gemeinsamkeiten finden und leben – vielleicht sogar sein Leben mit ihm oder ihr verbringen.

Doch dieser Wunsch wird nicht immer vom Partner geteilt: Er will sich nicht festlegen, eine gewisse Distanz bewahren, „selbstständig“ bleiben, hat Befürchtungen zu stark vereinnahmt zu werden oder fühlt sich zusehends unwohler, je intimer die Beziehung wird.

Treffen die beiden Pole „Wunsch nach Intimität“ und „Bindungsangst“ (oder Angst vor Nähe) aufeinander, entsteht ein Konfliktpotenzial, das für eine Beziehung zu einer ernsten Belastungsprobe werden kann.

Was ist Bindungsangst oder Angst vor Nähe?

Denn je näher man seinem Partner kommen will, desto größer werden seine Anstrengungen sich zu entziehen. Je nach Intensität der Bindungsangst kann sie eine bestehende Beziehung lähmen, oder beginnende Beziehungen schon im Keim ersticken.

Doch, was ist „Bindungsangst“ überhaupt? Wie erkennt man „Angst vor Nähe“? Und wie entsteht dieses Phänomen? Im Folgenden werden wir uns ansehen, wie Bindungsangst entsteht und wie man sie erkennen kann.

Verhalten: Wie kann man Bindungsangst erkennen?

Wenn Sie jemand frisch kennenlernen, ist es schwer zu beurteilen, wie derjenige mit persönlichen Bindungen umgehen wird. Denn nicht selten wirkt das Verhalten von Menschen mit Bindungsangst anfangs souverän und selbstbewusst. Solange der Kontakt noch locker und unverbindlich ist, spielt diese Angst keine Rolle.

Solange sich so ein Mensch mit dem nötigen Abstand in seiner Komfortzone bewegt, kann er sich also durchaus herzlich, freundlich, empathisch oder sogar liebevoll zeigen. Die noch fehlende tiefere, emotionale Bindung gibt ihm die Sicherheit, Erwartungsenttäuschungen gut verkraften zu können. Ist er oder sie von einem Menschen enttäuscht, bricht er/sie die Beziehung einfach ab und wechselt zum Nächsten.

Dies geht oft mit der Fähigkeit einher, schnell neue Kontakte oder Bekanntschaften zu knüpfen. Nicht selten werden solche Menschen dafür bewundert, wie leicht es ihnen fällt, in einem neuen sozialen Umfeld Fuß zu fassen – neue Leute kennenzulernen. Je größer sein Bekanntenkreis ist, desto leichter ist es, Menschen auszutauschen.

Bindungsangst erkennen

Die ersten Anzeichen für Bindungsangst zeigen sich, wenn jemand damit beginnt, regelmäßigen Kontakt zu suchen. Je häufiger und intimer der Kontakt wird, desto mehr Anzeichen zeigen sich, dass er / sie sich entzieht. Vereinbarungen werden nur noch sporadisch eingehalten, Termine sind schwer zu finden – ihn oder sie zu treffen wird immer schwieriger.

Dieser plötzliche Wechsel von „Offenheit“ zu Distanz und Abständigkeit, verwirrt viele Menschen. Sie fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben – ihr gegenüber vielleicht unabsichtlich verletzt haben.

Dadurch entsteht oft die Absicht, mögliche Missverständnisse klären zu wollen. Doch aus der Sicht des Ängstlichen haben sie bereits die Grenze zwischen Unverbindlichkeit und beginnender Intimität überschritten. Je hartnäckiger man versucht ihm oder ihr nahezukommen, desto größer wird der Fluchtreflex bis hin zum völligen Kontaktentzug.

Erst wenn Sie ihr Interesse verlieren – und damit wieder in den Status der Unverbindlichkeit kommen – wird die Bindungsangst nicht mehr ausgelöst. Das Verhältnis kann sich entspannen und zu einem vorherigen Stand zurückkehren. Nicht selten ist damit aber auch der Wunsch, mit so jemanden eine Beziehung zu führen, beendet.

Symptome für die „Angst vor Nähe“

Angst vor Nähe verspüren viele Menschen erst dann, wenn sie durch ein konkretes Erlebnis ausgelöst wird. Erst wenn eine emotionale Nähe (z. B. verlieben) ins Spiel kommt, tritt die Angst in Erscheinung. Denn beim Gefühl des Verliebtseins können sich Freunde und Angst mischen. Man freut sich den anderen zu treffen und hat gleichzeitig die Angst abgelehnt zu werden.

Die körperlichen Symptome des Verliebtseins und der Angst ähneln sich:

  • Herzklopfen,
  • Unsicherheit – Befürchtungen etwas falsch zu machen und zurückgewiesen zu werden,
  • leichte Übelkeit,
  • Schwierigkeiten, klare Gedanken zu fassen,
  • Beklemmungsgefühle,
  • flache oder verkrampfte Atmung.

Wer sich ernsthaft verlieben will, braucht die Fähigkeit, mit diesem Mix an Gefühlen umzugehen. Man muss die Spannung – angenommen oder abgelehnt zu werden – aushalten. Bei Bindungsängsten beginnt in diesem Stadium die Angst zu überwiegen, da man der „Freude“ nicht recht über den Weg traut.

Angst vor Nähe Symptome

Keiner von uns wird gerne enttäuscht. Je häufiger man früher von Menschen enttäuscht wurde, desto weniger glaubt man, dass „Glück“ oder „Freude“ in Beziehungen Bestand haben.

Da wir Menschen jedoch auch soziale Wesen sind und Kontakte brauchen, werden diese auf oberflächliche und unverbindliche Verbindungen reduziert. Damit ist die Gefahr – wiederholt emotional verletzt zu werden – scheinbar gebannt.

Sobald andere Menschen versuchen, diesen Sicherheitsabstand zu unterschreiten, setzen die Abwehrreaktionen ein. Sie werden als aufdringlich empfunden. Man will selbst „frei“ und „unabhängig“ bleiben. Die so gewonnene „Unabhängigkeit“ stellt einen wichtigen Wert dar, den man nicht verlieren möchte.

Die Angst vor einer intimeren Beziehung wird nicht bewusst wahrgenommen. Im Gegenteil halten solche Menschen ihr Vermeidungsverhalten eher für eine Stärke.

Bindungsangst: Was steckt dahinter?

In vielen Fällen stecken konkrete Erlebnisse aus der Vergangenheit dahinter. Wer von einem lieben Menschen selbst schon einmal tief enttäuscht wurde, weiß, dass solche Erlebnisse nachhaltige, emotionale Verletzungen hinterlassen. Je „wehrloser“ wir waren und je existentieller die Angst erlebt wurde, desto stärker brennt sich diese Erfahrung ins Gedächtnis.

Auch eine fehlende Wertschätzung sich selbst gegenüber (Selbstwertgefühl) kann dazu führen, dass es zu Bindungsängsten kommt. Wer sich selbst nicht annimmt, kann dies auch nicht mit einem Partner tun.

Solche Ängste künftig nicht mehr erleben zu wollen, wirkt auf den ersten Blick verständlich. Die Lösung – wer sich nicht bindet, verliert auch nichts – scheint auf der Hand zu liegen.

Diese Einstellung wird auch durch spätere Erwartungsenttäuschungen – von sich und anderen Menschen – bestärkt. Damit häufen sich die Indizien, dass glückliche Beziehungen nur ein frommer Hollywood-Wunsch sind und der „Realität“ nicht entsprechen. Es wird befürchtet, dass der Partner einen zu sehr einengt – die Beziehung einem Gefängnis gleicht.

Bindungsangst Ursachen

Menschen scheinen nur solange „liebenswürdig“, solange man sie nicht näher kennt. Um das Problem zu lösen, muss man Menschen künftig nur auf Abstand halten. So bleibt man „frei“ und „unabhängig“ und hat damit die Möglichkeit, das eigene Erleben ohne lästige Einschränkungen zu gestalten.

Die so gewonnene Sicherheit hat jedoch einen hohen Preis. Sie lässt sich nur erhalten, wenn wir Intimbeziehungen meiden. Während andere sich an der Nähe echter Freunde oder Beziehungspartner erfreuen, bleibt man selbst allein.

Diese Einsamkeit kann Fluch und Segen zugleich sein. Denn einerseits kann Einsamkeit als sehr bedrückend wirken, aber andererseits auch zum Motiv werden, die eigene Einstellung nochmals zu überdenken. Sind wir wirklich bereit, Einsamkeit als Preis für unsere Unabhängigkeit zu zahlen?

Meist sind Menschen mit Beziehungsängsten erst dann bereit etwas zu ändern, wenn sie durch eigene Erfahrungen ihre Beziehungsangst erkennen und als Problem sehen.

Wie drücken sich Bindungsängste aus?

Manche Menschen haben Schwierigkeiten im sexuellen Bereich vor körperlichen Berührungen. Auch ist bei ihnen Offenheit und Ehrlichkeit nur schwer zu verwirklichen, wenn sie sich ihre konkreten Befürchtungen nicht bewusst machen.

Offenheit setzt Transparenz sich selbst gegenüber voraus, nämlich seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche klar zu erkennen. Eine allgemein misstrauische Einstellung anderen Menschen gegenüber fördert und bestätigt ihr Misstrauen.

Dies kann zu einer zwanghaften Kontrollsucht werden. Vielleicht wird man sich kalt und abweisend dem anderen gegenüber verhalten. Das kann sich darin äußern, dass unsinnige Streits provoziert oder der Partner im Extremfall sogar in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen wird.

Weitere Indikatoren, die mit Bindungsängsten zu tun haben können:

  • Es werden Partner gewählt, die schon vergeben sind.
  • Man spricht nicht über die eigenen Gefühle (Unnahbarkeit).
  • Man will sich nicht festlegen und trifft ungern Entscheidungen.
  • Der Partner wird oft gewechselt.
  • Ein enger Freundeskreis ist nicht vorhanden.
  • Unerwarteter Rückzug, tagelanges Schweigen.
  • Erwartungen an den Partner sind (unrealistisch) hoch.
  • Ein überzogenes Sicherheitsbedürfnis herrscht (Anklammern bzw. Kontrolle).
  • Kommt es zur emotionalen Nähe, folgt sofort ein Rückzug.

Wie äußert sich Bindungsangst beim Betroffenen?

Bindungsängste und die damit zusammenhängenden konkreten Befürchtungen sind meist unbewusst. Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit werden verdrängt – die Abwehrmechanismen funktionieren „automatisch“ und werden nicht reflektiert.

Verhalten bei Bindungsangst

Der Auslöser – z. B. eine frühere herbe Enttäuschung – wird unterdrückt und durch automatisierte Schutzmechanismen und Rationalisierungen ersetzt. Der Betroffene erlebt somit gar keine „Angst“ im Sinne eines Gefühls – sondern eher eine emotionale Distanziertheit, Leere oder „Unbetroffenheit“.

Der Abwehrmechanismus erzeugt eine Illusion der Sicherheit, der Selbstständigkeit und des Selbstvertrauens. Denn, wenn man niemanden mehr zu nah an sich heranlässt, wird man auch kaum oder gar nicht mehr emotional enttäuscht.

Oft wird die Bindungsangst vom Betroffenen sogar in einen wichtigen Wert (oder Charakterzug) verwandelt, denn die fehlende Intimität ist ein effektiver Schutz vor Enttäuschungen. Man hat gelernt sich nicht mehr „verletzbar“ zu machen und fühlt sich in seiner „Rüstung“ sicher.

Deshalb ist es sehr schwer, Bindungsängste beim Partner anzusprechen, denn er / sie will ja gerade nicht, dass jemand den Schutzpanzer durchdringt. Wenn man das Thema also direkt anspricht, braucht man sich nicht zu wundern, wenn man die volle Wucht der Schutzmechanismen zu spüren bekommt.

Da der Betroffene es oft als „Stärke“ sieht „selbstständig zu sein“ („mich kann nichts so leicht umwerfen“ – „ich bin ein echtes „Stehaufmännchen“), fühlt er sich unverstanden und verteidigt seinen „Wert“ als wichtigen Charakterzug.

Erst wenn die Person selbst Zweifel an der eigenen Einstellung zulässt, ist sie auch bereit ihr Weltbild zu hinterfragen und zu ändern. Der Zweifel kann durch Selbstreflexion, Leidensdruck oder durch eine vertrauenswürdige Person bewusst gemacht werden.

Erst wenn derjenige keine Angst mehr davor hat, „verletzt zu werden“, braucht er / sie auch keinen Abwehrmechanismus (Rüstung) mehr, da die „Bedrohung“ wegfällt.

Diesem Thema wurde ein separater Artikel gewidmet: „Angst vor Nähe: Wie gehe ich mit Bindungsangst um?“ Dort erhalten Sie ein paar Tipps und Ansätze, wie Sie mit Bindungsängsten praktisch umgehen können.

Ich wünsche Ihnen eine glückliche Beziehung!

Cassandra B. und Andrea Munich