Netzwerke anstatt Hierarchien

Wenn Menschen zusammen arbeiten und sich organisieren müssen, gibt es mehrere Möglichkeiten dies zu tun. Im vorliegenden Artikel sollen die beiden Organisationsformen „Hierarchie“ und „Netzwerk“ miteinander verglichen werden.

Was sind Hierarchien?

Das Grundprinzip einer Hierarchie lautet: Die oben in der Hierarchie entscheiden und befehlen, die mittleren reichen die Befehle nach unten weiter und kontrollieren, ob die in der untersten Hierarchieebene die Befehle auch korrekt ausführen. Jene, die also in der Hierarchie ganz unten stehen, müssen von oben kontrolliert Befehle ausführen (sie sind also Befehlsempfänger anstatt Problemlöser). 

Netzwerke Hierarchien Organisation

Wenn es beim Ausführen der Befehle zu Problemen kommt, weil das theoretisch Erdachte in der Realität nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten durchführbar ist, wird die Kritik von denen, die unten in der Hierarchie mit der Praxis konfrontiert werden, nicht nach oben weitergereicht.

In den oberen Schichten der Hierarchien werden die Probleme, die sich im realen Leben ergeben und die Kritik derer, die in der Hierarchie ganz unten stehen, gar nicht wahrgenommen. Die fehlende Reaktion auf diese Probleme und Kritiken ist also der Grund für den geringen Kommunikationsbedarf innerhalb von Hierarchien – der immer wieder als entscheidender Vorteil angepriesen wird.

Was sind Netzwerke?

Unter Netzwerken werden hier ganz allgemein Zusammenschlüsse von Menschen verstanden, die sich auf den Weg gemacht haben, durch ihre konstruktive Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel zu erreichen.

soziale Netzwerke

Die konstruktive zwischenmenschliche Zusammenarbeit basiert dabei auf dem gemeinsamen Ziel und nicht darauf, dass sich die Netzwerkteilnehmer sympathisch finden.

Diese Netzwerke verfolgen das Ziel, die Ressourcen und Fähigkeiten von verschiedenen Personen und/oder Einzelgruppen, die am Netzwerk teilnehmen, zu bündeln, im besten Falle die Schwächen des einen durch die Stärken des anderen auszugleichen, um so gemeinsam mehr zu erreichen.

Im besten Falle deshalb, weil das nur gelingen kann, wenn die Netzwerkteilnehmer miteinander arbeiten und nicht gegeneinander, beispielsweise indem sie ihre Mitmenschen wegen ihrer Schwächen verurteilen oder noch schlimmer, aus niederen Beweggründen (Machterhalt, Neid, …) deren Stärken ausblenden.

Netzwerke und die Anonymität des Internets ermöglichen es, dass gemeinsam sinnvolle Lösungen erarbeitet werden können und die Entscheidung für die beste Lösung nicht mehr von Positionen, Sympathien oder vorteilhaften Beziehungen abhängt, sondern vom Glauben aller, durch einen entsprechenden Einsatz die bestmögliche Lösung zu finden und zu realisieren.

Darüber hinaus soll das Netzwerk das Wissen aller Teilnehmer dem Einzelnen zugänglich machen und umgekehrt. Der Leitgedanke dabei ist:

Eigenes Wissen zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig vom Know-how des anderen profitieren – gemeinsam wissen wir mehr.

Vorteile von Netzwerken

Ein sehr großes Hindernis auf dem Wege der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft sind die altbekannten Hierarchien, bei denen nicht fundierte Argumente zählen, sondern die Stellung innerhalb der Hierarchie und die Beziehungen. Dies ist der Nährboden, auf dem zahlreiche menschliche Schwächen gedeihen, allen voran das Machtstreben. 

Hierarchien eigenen sich gut, um eine große Menge unmündiger Menschen mit geringem Kommunikationsaufwand auf ein gemeinsames Ziel hinzulenken. Da dieses Machtsystem aber eben unmündige Menschen voraussetzt, verhindert es eine funktionierende Informationsgesellschaft, die ohne mündige Menschen, die für sich selbst Verantwortung übernehmen und im Rahmen von funktionierenden Netzwerken ihr Wirtschafts- und Regierungssystem gemeinsam gestalten, undenkbar ist.

Mündige Menschen schließen sich in Netzwerken zusammen, um über Themen, die ihnen am Herzen liegen, zu diskutieren oder gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Die Grundlage für die konstruktive Zusammenarbeit ist der innere Wunsch, gemeinsam mit anderen ernsthaft an der Lösung eines Problems zu arbeiten und nicht die Bereitstellung sicherer und bequemer Arbeitsplätze mit Aussicht auf lukrative und einflussreiche Posten.  

Arbeit in sozialen Netzwerken

Weil Netzwerke aus Teilnehmern bestehen, die sich freiwillig für ein gemeinsames Ziel zusammengeschlossen haben und die nicht von oben herab zur Zusammenarbeit gezwungen wurden, gelingt die konstruktive Zusammenarbeit im Rahmen von Netzwerken wesentlich häufiger als im Rahmen von Hierarchien.

Durch den Aufbau entsprechender Kompetenzen kann die konstruktive Zusammenarbeit innerhalb von Netzwerken weiter verbessert werden.

Durch funktionierende Netzwerke (Zusammenschlüsse von Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, durch konstruktive Zusammenarbeit ein gemeinsames Ziel zu erreichen) können Hierarchien, die man in unserer Gesellschaft in fast allen Institutionen und Organisationen vorfindet (Ministerien, Behörden, Krankenkassen, Schulen, mittelständische und große Unternehmen …), abgelöst werden.

Im Rahmen von funktionierenden Netzwerken zeigen wir als mündige Menschen mit einer entsprechenden Netzwerkkompetenz, dass wir nicht über Hierarchien geführt werden müssen, damit wir unsere Probleme erkennen, formulieren und lösen können. Wir können selbst am besten entscheiden, was gut und was schlecht für uns ist und brauchen dazu keine uneingeschränkten Herrscher, die die Möglichkeiten, die uns das Leben bietet, zu ihrem Vorteil einschränken.

  • Warum werden wichtige Beschlüsse, die das Schicksal ganzer Generationen betreffen, auf autoritäre Weise von einer Minderheit festgelegt und durchgesetzt?
  • Warum werden wir in der Schule nicht zu mündigen Menschen ausgebildet, die ihr Mitentscheidungsrecht ernsthaft einfordern und kompetent davon Gebrauch machen wollen und können?
  • Was spricht dagegen, wenn in den Krankenkassen die Hierarchien schrittweise durch funktionierende Netzwerke ersetzt werden, die sich das gemeinsame Ziel gesetzt haben, ihre Mitglieder mit angemessenen Beiträgen best möglichst zu versorgen?

Ein immer wieder ins Feld geführter Vorteil von Hierarchien ist, dass hier der Kommunikationsbedarf im Vergleich zu Netzwerken wesentlich geringer ist, weil die Kritik von unten von der mittleren Ebene der Hierarchien abgeblockt wird. 

Diese fehlende Rückkopplung verursacht im Alltag große Probleme. Die da unten wissen nicht, dass die da oben ihre Kritik und ihre Probleme gar nicht wahrnehmen und wundern sich nur darüber. Dieses Problem mit der fehlenden Rückkopplung bzw. den großen Unterschied zwischen Steuern und Regeln beschreibe ich übrigens in einem anderen Artikel etwas genauer.

In einem Netzwerk dagegen wird auf diese Probleme und Kritiken sofort reagiert und Lösungen im Rahmen von Diskussionen gemeinsam erarbeitet bzw. es wird gemeinsam entschieden, welche der möglichen Lösungen nun umgesetzt werden soll – dazu bedarf es eines gewaltigen Kommunikationsaufwands. Deshalb müssen wir lernen, klar und verständlich zu kommunizieren, und zwar vor allem auf schriftlichem Wege.

In einer Hierarchie ist alles geregelt, in einem Netzwerk nicht – und das ist, bezogen auf unsere persönliche Freiheit, das zu tun, was wir für richtig halten, gut so. Denken, Lernen und Kreativsein bzw. das Problemlösen an sich sind Tätigkeiten, die nicht formalisierbar sind. Wer kann schon voraussagen, wie lange es dauern wird, bis ein bestimmtes Problem gelöst ist? 

In Hierarchien kann zwar jeder seine Meinung frei äußern, konkrete Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten aber haben nur die Personen, die in der Hierarchie oben stehen und entsprechende Beziehungen haben.

In einem Netzwerk dagegen ist jeder konstruktive Beitrag von Bedeutung, egal von wem der Beitrag stammt.

Netzwerke entstehen in der Regel zufällig und nicht von einer Zentrale gelenkt (zum Beispiel von einer bestimmten Einzelperson oder einer bestimmten Gruppe), dies hat einen weiteren sehr wichtigen Vorteil:

Netzwerke können nur mit enormem Aufwand und dann auch nur eingeschränkt kontrolliert werden.

Mit den vorhandenen Technologien könnten bereits jetzt problemlos funktionierende Netzwerke geschaffen werden, aber …

Es müssen sich nicht nur die Technologien fortentwickeln, sondern auch die Menschen, die sie nutzen und das dauert in der Regel wesentlich länger.

Es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis die Bedeutung funktionierender Netzwerke von den Menschen tatsächlich verstanden wird und sie deshalb kompetent und aktiv an Netzwerken teilnehmen.

Netzwerke setzen mündige Menschen voraus, die die innere Bereitschaft und die Kompetenz haben, konstruktiv an Netzwerken teilzunehmen. So müssen sich die Teilnehmer von Netzwerken beispielsweise selbst organisieren, dies setzt einen  selbstgesteuerten (aus eigenem Antrieb heraus) und selbstbestimmten Menschen voraus, der von sich aus beispielsweise Fragen stellt und selbst oder im Rahmen einer Diskussion gemeinsam mit anderen nach den Antworten sucht.

Diese Fähigkeit hat der Mensch von Natur aus, wenn sie ihm nicht mit viel Mühe (durch die Erziehung im Elternhaus und im Laufe der Schul- und Berufsausbildung) abgewöhnt wird – siehe hierzu auch mein Vergleich zwischen dem alten und dem neuen Bildungssystem.

Viele unserer aktuellen Probleme können gelöst werden, wenn man die zahlreichen Möglichkeiten nutzt, die Netzwerke bieten. 

Dann wäre beispielsweise Folgendes möglich:

  • eine freie Marktwirtschaft, die durch mündige Menschen kontrolliert wird, die ihre Erfahrungen, die sie mit den jeweiligen Produkten und Diensten gemacht haben, offen austauschen, auf interessante Informationsquellen hinweisen usw. und sich so gegenseitig beraten
  • die direkte Teilnahme an wichtigen Bürger- und Volksentscheidungen im Rahmen einer direkten Demokratie
  • der Kontakt mit Menschen aufgrund gemeinsamer Überzeugungen, Erfahrungen und Werte und nicht wegen der geografischen Nähe
  • nicht die Stellung innerhalb einer Hierarchie oder einflussreiche Beziehungen bestimmen, ob wir wertvoll sind, sondern einzig und allein unsere konstruktiven Beiträge (Ideen, Lösungen, Antworten,…) 
  • die orts- und zeitunabhängige Teilnahme an Lehrgängen, Studiengängen und Diskussionen zu beliebigen Themen-/Fachbereichen
  • die Möglichkeit, gute Ideen einer breiten Öffentlichkeit schnell und kostengünstig mitzuteilen
  • die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittelständischen Unternehmen

Der Artikel ist ein Teil aus meinem Buch „Netzwerkkompetenz – warum? – Der Bauplan für eine Gesellschaft, in der wir uns alle weitestgehend wohlfühlen können“.

Martin Glogger