Kindererziehung: Säulen der emotional-sozialen Intelligenz

Immer früher werden Kinder darauf getrimmt, sich unserer Leistungsgesellschaft anzupassen und dem Ideal eines zielorientierten "Machers" zu entsprechen. Dabei treten Werte wie Liebe, Zuneigung oder die Freude am Leben zusehends in den Hintergrund. Im Interview von Peter Schipek mit Dr. Armin Krenz soll ausgelotet werden, warum wir unsere Einstellung in der Erziehung neu überdenken sollten.

Kindererziehung - Fallen der PädagogikDr. phil. Armin Krenz ist seit 1985 Mitinhaber des außeruniversitären "Instituts für angewandte Psychologie und Pädagogik" (IFAP) in Kiel. Weiterhin ist er Mitglied in der deutschen Gesellschaft für Qualität – DGQ. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Arbeitsfeld der Elementarpädagogik.

Er ist Entwickler des "situationsorientierten Ansatzes in der Elementarpädagogik" und des "Kieler Instrumentariums für Elementarpädagogik und Leistungsqualität", K.I.E.L..

Im Rahmen dieser Tätigkeit werden Fortbildungen und Fachtagungen für elementarpädagogische Fachkräfte angeboten und durchgeführt. Zudem ist er Herausgeber des "Handbuchs für Erzieher in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort" und Buchautor.

Eine Auswahl seiner Bücher finden Sie unterhalb des Artikels bei den Amazon-Buchangeboten. In diesem Interview stellt Armin Krenz einen Auszug der "16 Säulen der Entwicklungsbegleitung" vor, die ein seelisch gesundes Aufwachsen von Kindern unterstützen. Diese Hintergrundinformationen sollen zeigen, wie Eltern, Erzieher und Lehrer die emotional-soziale Intelligenz ihrer Kinder fördern können.

Viel Spaß bei folgendem Interview!

Peter Schipek Viele Eltern sind heute überfordert. Fernsehen, Zeitschriften, Bücher – alle diese Medien erinnern sie täglich daran, wie ihre Kinder sein sollen, um im Leben bestehen zu können. Kinder müssen neugierig, wissensdurstig, leistungsbereit, sportlich, englisch sprechend, computerbegeistert – und natürlich erfolgreich sein. Jedes Bild vermittelt den Eltern einen Idealzustand.

Wie können Eltern aus dieser Falle entkommen?

Armin Krenz Zunächst einmal wäre es hilfreich, wenn Eltern und pädagogische Fachkräfte eine Bestandsaufnahme ihrer Ziele vornehmen, die sie für Kinder haben. Aus ihren Antworten können sie dann ableiten, ob diese Ziele beispielsweise der Entwicklung der Kinder dienlich sind oder nur ihren eigenen Zielvorstellungen entsprechen.

Zum zweiten geht es darum, dass die Erwachsenen keine Superlative als anvisiertes Ziel im Kopf haben. Superlative verleiten zu Idealvorstellungen und verstellen den Erwachsenen damit einen Blick, sich auch über kleine Erfolge bei Kindern zu freuen, die Stärken bei Kindern zu bemerken und gegenwärtiges Können zu registrieren.

Die Angst vieler Erwachsener, sogenannte „Bildungsfenster“ der Kinder nicht ausreichend zu nutzen, führt letztendlich dazu, dass Erwachsene auch den Blick für „das Kind“ aus dem Auge verlieren und sich damit in mögliche Beziehungsstörungen zu Kindern begeben.

Und schließlich sollte ein Vorsatz für alle Erwachsenen gültig sein: Zum Lernen aller Menschen gehört es, Fehler zu machen und aus diesen Fehlern zu lernen. Diese Fehlerfreundlichkeit muss ein fester Bestandteil der Pädagogik werden, um nicht aus einer dogmatischen Betrachtungsweise blind zu werden. Idealzustände und idealistische Vorstellungen führen zu Härte in der Erziehung und Verbissenheit – diese wären wiederum entwicklungshinderlich und bindungsstörend.

Peter Schipek Dass Kinder „es“ nicht schaffen könnten, ist in unserer heutigen Zeit nicht vorgesehen. Es gibt doch Verhaltenstherapien, Nachhilfeunterricht und Förderkurse. In Ihrem Buch beschreiben Sie eine „förderwütige“ Frühpädagogik – ein Zitat aus dem Buch:

„Viele Eltern haben schon in frühen Jahren damit begonnen, ihren Kindern ihre eigenständige Kindheitszeit vorzuenthalten, indem sie die Kinder in »Arrangements« untergebracht haben. Frühkindliche Förderprogramme, Kurse, Flöten- Klavierunterricht, Tennis, frühes Lesenlernen usw.“

Was können Eltern tun, um die Entwicklung ihrer Kinder zu fördern, den Kindern entwicklungsgerechte Erfahrungen zu ermöglichen und wo beginnt die Überforderung der Kinder?

Armin Krenz Leider hat sich in den letzten Jahren immer stärker die Tendenz ausgebaut, dass Kinder mit Verhaltensirritationen oder anscheinend fehlenden Begabungen beziehungsweise Leistungsbereitschaften in außerhäusigen „Kaderschmieden auf die Spur gebraucht werden sollen“.

Gleichzeitig vergessen Erwachsene dabei, dass eine unterstützende Entwicklungsbegleitung der Kinder zu Hause beginnt und gepflegt werden will. Dazu gehört es, dass Erwachsene viel mit Kindern spielen, dem Spiel der Kinder eine außergewöhnlich große Bedeutung beimessen, die vielen „Lernmöglichkeiten“ für Kinder im Alltag entdecken, mit Kindern gemeinsam lebendige Freizeitaktivitäten unternehmen, den Kindern eine gute Gesprächskultur ermöglichen und daran interessiert sind, wie es Kindern geht!

Diese alltagstauglichen, gemeinsamen Beziehungs- und Bindungserlebnisse geraten in ihrer Wertigkeit immer mehr in den Hintergrund und werden in die Bedeutungslosigkeit gedrängt – unberechtigterweise und mit entwicklungshinderlichen Auswirkungen auf Kinder!

Erwachsene dürfen ihre ureigenen Aufgaben nicht im Sinne eines Trainings von Fertigkeiten an „externe Förderer“ delegieren. Eine Überforderung der Kinder beginnt dort, wo ihnen die Kindheit geraubt wird und die Kinder den Eindruck gewinnen, dass ihre seelischen Grundbedürfnisse nur noch von einem guten Leistungsverhalten oder lobenswerten Ergebnissen abhängen. Kinder brauchen Abenteuer für eine echte Kindheit – diese sind auch heute noch zu entdecken und zu erleben.

Peter Schipek Unsere Leistungsgesellschaft schafft Risiken für unsere Kinder, die sich mit Medikamenten nicht beheben lassen: Erwartungsdruck, Versagensängste bis hin zur Verzweiflung.

Die Folgen machen sich schon in früher Kindheit bemerkbar: Paul ist unkonzentriert, Patrick ist aggressiv, Lisa hat keine Ausdauer, Dominik ist hyperaktiv und Thomas alles zusammen – zumindest aus Sicht der Erwachsenen. Dazu einige Sätze aus Ihrem Buch – dem Kapitel „Was Eltern über Entwicklungsschritte wissen sollten“:

„Wer Kinder verändern möchte, muss sich zunächst selbst verändern. Wer Kindern bei ihrer Entwicklung helfen will, muss zunächst die eigene Entwicklung ins Augenmerk nehmen.“

Wie können Eltern an ihrer eigenen Veränderung und Entwicklung arbeiten und über welche wesentlichen Entwicklungsschritte sollten die Eltern Bescheid wissen?

Armin Krenz Zunächst einmal sollten Eltern sich nicht auf eine Pädagogik einlassen, die aus einem – wie auch immer gearteten – Lehrbuch stammt. Vielmehr sollten sie auf ihre eigene Biografie schauen und sich fragen, durch was sie selbst eine glückliche Kindheit erlebt haben, an welche Ereignisse, Erfahrungen und Eindrücke sie selbst gerne zurück denken und was genau ihr Leben so reichhaltig gemacht hat.

Zum zweiten ist es unumgänglich, dass Erwachsene sich der Tatsache bewusst werden, dass es keine „angeborenen Verhaltensdefizite“ gibt und sich daraus die Aufgabe ableitet, zunächst selbst für Lebensglück, Zufriedenheit, Entspannung und Optimismus zu sorgen.

Diese Begriffe dürfen dabei kein Idealbild höchster Güte sein – vielmehr geht es um eine Verbesserung der eigenen Lebensqualität im Rahmen der eigenen Möglichkeiten, um aus einer eigenen, positiv geprägten Perspektivorientierung eine entsprechend gelassene Erziehungshaltung zu entwickeln.

Erst im dritten Schritt könnten Eltern Interesse für entwicklungspsychologische Gesetzmäßigkeiten aufbringen und sich darüber beispielsweise in Erziehungskursen oder über Literatur „klug“ zu machen. Außergewöhnlich wichtige Entwicklungsschritte ergeben sich aus der Tatsache, dass Kinder Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufbauen sollten, ein positives Selbstkonzept entwickeln können und ihr eigenes Leben als wertvoll und bedeutsam einschätzen.

Nur ein seelisch glückliches Kind ist in der Lage, aus der eigenen Zufriedenheit heraus seine Entwicklungsmöglichkeiten auf- und ausbauen zu wollen: dies als Grundlage einer stabilen Ich-Identität und Selbstkompetenz.

Peter Schipek „Proviant für die Kinderseele“ – Die 16 Säulen der emotional-sozialen Intelligenz“ – Ein besonders wichtiges Kapitel aus Ihrem Buch. Über dieses Kapitel möchte ich gerne noch etwas ausführlicher mit ihnen sprechen.

Es ist das Kapitel: „Kinder brauchen Liebe“. Liebe, Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, Zuwendung, Respekt – jeder könnte die Liste noch weiter fortsetzen. Heute lauten die neuen Schlagzeilen in der Erziehungsdebatte jedoch oft Disziplin und Ordnung.

Warum erhalten denn solche Bücher wie „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“ oder „Lob der Disziplin“ so große Aufmerksamkeit und Zustimmung? Sind Liebe, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen bei vielen Eltern nur mehr Worte und keine Werte?

Armin Krenz Es ist ein Zeichen der Zeit, dass sich sowohl viele Eltern als auch pädagogische Fachkräfte mit der Veränderung von Kindern beschäftigen und ihre ganze Aufmerksamkeit darauf richten, dass Kinder „passend“ gemacht werden und dabei alte normative Vorstellungen wieder die Oberhand gewinnen.

Ein solches Vorgehen im Sinne einer „Hemdsärmelpädagogik“ ist beliebt, weil es den Erwachsenen ermöglicht, Hintergründe für auffällige Verhaltensweisen außer Acht zu lassen und Problemkerne zu verdrängen. Die Konzentration auf Kinder und ihre störenden Verhaltensmerkmale erlaubt es den Erwachsenen, eigene Kommunikationsmuster und Interaktionsstrukturen beizubehalten und Kinder damit immer stärker als „veränderungswürdige Mittelpunkte“ zu klassifizieren.

Wie sollen Kindern denn Werte vermittelt werden, wenn diese selbst nicht in die eigene Persönlichkeit integriert wurden?

Peter Schipek „Kinder brauchen Zeit“ – Der Druck und die Anforderungen unserer Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren immer mehr gesteigert. Auch unsere Kinder bleiben davon nicht unberührt. Viele Kinder verbringen oft einen ganzen Tag in der Schule, mit Förder- und Nachhilfeprogrammen – die restliche Zeit sitzen sie vor dem Fernseher oder Computer.

Oft fehlt den Eltern Zeit für Zuwendung und Anteilnahme am Leben ihrer Kinder. Was raten Sie betroffenen Eltern?

Armin Krenz Zeit und Zuwendung sind keine von sich aus eingeschränkte Größen. Vielmehr geht es darum, die den Eltern zur Verfügung stehende Zeit den Kindern auch wirklich zu widmen, eigene „Zeitfresser“ beiseite zu stellen und ein Interesse daran zu haben, die „wenig zur Verfügung stehende Zeit“ intensiv zu nutzen.

Bei dem Phänomen Zeit geht es daher weniger um die quantitative Dimension als vielmehr um eine qualitätsgeprägte Tiefe! Wenn Erwachsene selbst Gespräche schätzen, zuhören wollen, in einen gedanklichen Austausch – auch mit ihren Freunden – treten möchten und die gesamte Kommunikation mit einer hohen Wertschätzung belegen, wird es Eltern nicht schwer fallen, eine beziehungsorientierte Umgangskultur zum festen Bestandteil ihres Alltags mit Kindern zu machen.

Peter Schipek Stichwort – „Kinder brauchen Vertrauen“. Vertrauen fällt ja nicht vom Himmel und ist auch kein Dauerzustand.

Wie können Eltern und Kinder immer wieder von Neuem Vertrauen erarbeiten?

Armin Krenz Vertrauen ergibt sich aus der Sichtweise auf das Gute im Menschen. Eine positive Sicht der Dinge, Hoffnung, Verständnis für den anderen, Fehlerfreundlichkeit und ein innovatives Denken eröffnen gedankliche und emotionale Horizonte, die dem anderen zeigen: Du bist wer, du kannst was, dir trau ich etwas zu.

Erwachsene müssen von dem Bild eines perfekten Kindes Abschied nehmen und eine kommunikationsfreundliche Atmosphäre in der Beziehungsgestaltung Wirklichkeit werden lassen. Das gelingt Erwachsenen umso leichter, wenn sie sich dem Weg der Entwicklung von Kindern mehr zuwenden als den vorausgedachten Ergebnissen, die das Denken vieler Erwachsenen beherrschen.

Und schließlich sollten Erwachsene wieder mehr Humor und spontane Lebendigkeit in sich aufbauen und auch einmal lernen, über sich selbst, die eigene Dummheit in manchen Dingen und das eigene Unvermögen gnädig zu lächeln.

Peter Schipek Herr Dr. Krenz – herzlichen Dank für das interessante und ausführliche Gespräch.

Anmerkung: Unterhalb des Artikels finden Sie einige Bücher von Dr. phil. Armin Krenz zu diesem Thema in der Amazon-Werbung.

Peter Schipek