Kinder: Statusspiele – Wer hat auf dem Schulhof das Sagen?

Lange Zeit glaubte man, der soziale Status der Eltern entscheide darüber, welches Kind auf dem Schulhof das Sagen hat. Doch Markenjeans und High-Tech-Spielzeug garantieren noch keine Beliebtheit. Ein Forscherteam der Uni Potsdam und des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung in Berlin betrachtet soziale Ungleichheit unter Kindern nun aus einem neuen Blickwinkel – als Merkmal der Kinderwelt selbst.

Lukas ist der „Bestimmer“, weil er die schlimmsten Schimpfwörter kennt. Frida hat jeder gern als Freundin, weil sie die teuerste Hose trägt. Und Hans? Mit dem spielt sowieso niemand. Kaum jemand glaubt noch an das Ideal, in Kindergruppen gebe es keine Rangordnungen.

Doch was den Rang bestimmt, darüber wissen Erwachsene noch nichts genaues. Die Diplom-Psychologinnen Judith Schrenk und Christine Gürtler führten unter der Leitung von Professor Dr. Lothar Krappmann (MPIB) und Professor Dr. Hans Oswald (Pädagogisches Institut, Universität Potsdam) von Mai bis Juli 2001 eine Untersuchung an Berliner Grundschulen durch. Ihr Ziel ist es, herauszufinden, welche Strukturen sozialer Ungleichheit in Schulklassen vorherrschen und was Kindern dazu verhilft, ihre Absichten auch gegen den Willen ihrer Mitschüler durchzusetzen.

Gibt es also neben dem Elternhaus weitere Faktoren, die die soziale Stellung eines Kindes beeinflussen? Um diesem Problem auf den Grund zu gehen, befragten die Wissenschaftler 234 Dritt- und Fünftklässler aus zehn Grundschulklassen. „Die Besonderheit war“, erklärt Schrenk, „dass wir die Befragung nach vier verschiedenen Perspektiven ausrichteten.“

Zuerst fragten sie jedes Kind, wie es sich verhalte, um seine Interessen gegen die anderer durchzusetzen. Die Kinder konnten beispielsweise „Ich halte mich an Spielregeln“ oder „Ich schubse andere weg“ ankreuzen (Ich-Perspektive). Dann ging es darum, welches Vorgehen und welche Merkmale es einem leichter bzw. schwerer machen, sich bei anderen durchzusetzen (Klassenperspektive) und darum, was die Schüler eigentlich für richtig halten (normative Perspektive).

Die vierte Perspektive erhoben Gürtler und Schrenk mit Hilfe des Klassenspiels, einer aus den USA stammenden Art der Befragung. Die Kinder mussten ihren Klassenkameraden bestimmte Rollen zuschreiben, wie „Tim spielt den, der immer nachgibt“. Dadurch wurden Aussagen der Kinder übereinander erfasst. Informationen zur wirtschaftlichen Lage und den Schulleistungen trugen die Psychologinnen über die Eltern und Lehrer zusammen.

Obwohl es noch eine Weile dauern wird, das umfangreiche Material komplett auszuwerten, stellten die Forscherinnen nun erste Ergebnisse vor. Judith Schrenk hat genauer untersucht, welche Mittel Kinder anwenden, um sich durchzusetzen. „Wenn Kinder, egal ob Junge oder Mädchen, bei anderen etwas erreichen wollen“, sagt sie, „sind sie freundlich.“ Anderen Schaden zufügen, Schlagen oder Auslachen, sei „out“.

Weiterhin ermittelte Schrenk, ob diese Methode auch wirklich Erfolg bringt. Sie fand heraus, dass Kinder, die laut Fragebogen „viele Ideen haben“ und „ihre Absichten erklären“, sich tatsächlich besser in der Klasse durchsetzen können. Kinder, die schlagen oder andere auslachen, haben weniger Einfluss. Erstaunlich ist, dass ihnen dabei persönliche Leistungen wie gute Schulnoten und Sportlichkeit zugute kommen, während gutes Aussehen oder die Höhe des Taschengeldes fast keinen Einfluss auf den Status in der Klasse haben.

Doch welchen Stand haben eigentlich aggressive Kinder bei ihren Mitschülern? Dieser Frage widmet sich Christine Gürtler. Denn die meisten dieser Jungen und Mädchen schaffen es trotz ihres negativen Auftretens, Freunde an sich zu binden. „Ich hatte mir vorgestellt, dass Freunde von aggressiven Kindern sich weniger als andere daran stören, dass diese andere ärgern oder schlagen. Sonst wären sie ja kaum befreundet“, so Gürtler.

Doch genau das Gegenteil sei der Fall: „Die Kinder sind nicht blind für das aggressive Verhalten ihrer Freunde. Sie nehmen es sogar viel stärker wahr als nichtbefreundete Klassenkameraden.“ Dafür erkennen diese Kinder andererseits auch deren positive Eigenschaften wie gute Laune oder Humor viel eher an. In Langzeitstudien fanden Krappmann und Oswald heraus, dass manche dieser Freundschaften nach einiger Zeit zerbrechen.

Andere halten sich jedoch und sind den aggressiven Kindern eine Brücke in eine Sozialwelt, in der man Konflikte aushandelt. Krappmann dazu: „Von Freundinnen und Freunden erwarten Kinder, dass sie ihre Probleme von gleich zu gleich und ohne Schlagen und Anschreien regeln. Aber das muss man erst miteinander lernen.“

Bei fachlichen Fragen wenden Sie sich bitte an:

Dipl. Psych. Christine Gürtler oder
Dipl. Psych. Judith Schrenk.
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Christine Gürtler, Judith Schrenk
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
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Philognosie Team