Semantische Umwelt-Verschmutzung oder die Geschichte der deutschen Fremdwörter

„Das seind aber teutsche galanterien, frembde sprachen einzumischen“, stellt Liselotte von der Pfalz 1710 fest (Briefe der Liselotte von der Pfalz, insel Taschenbuch 428) und trifft den Nagel auf den Kopf, wenn auch nicht ohne selbst ein französisches Wort in ihren Text einzumischen. „Galanterien“ sind wohl in diesem Zusammenhang als Modetorheiten zu verstehen. Denn „warumb hat herzog Christian das Französch mit dem Teutschen gemischt? ein teutscher herzog sollte alle seine devisen auf teutsch haben, und es kost nicht mehr, zu sagen »Alles mit Gott« als »tout avec Dieu«.“

FremdwörterUnd schon wieder geht es auch bei dieser Tadlerin nicht ohne Fremdwort ab. Nun, die Ärmste war mit 19 Jahren 1671 von ihrem Vater Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz ihrer Heimat entrissen und nach Frankreich ausgeliefert worden, um dort am Hofe Ludwigs XIV. mit dessen Bruder verheiratet zu werden und zu bleiben. Trotz ihrer Sehnsucht nach ihrer deutschen Heimat hat sie diese in den folgenden 51 Jahren ihres Lebens nicht wiedergesehen und statt dessen das Leben eines entmündigten „weibsmenschen“ führen müssen, gefangen in französischer Umgebung, ohne Möglichkeit, sich ins Alleinsein zurückzuziehen, und doch einsam unter vielen Hofschranzen:

„Daß große wie kleine ihre last in dieser welt haben, ist kein wunder; denn sie seind ja nur menschen wie andere auch, also alles unterworfen, was den menschen in der welt begegenen kann. Aber was sie [die „Großen“] am ärgsten haben, ist, daß sie allezeit mit so viel leute umbringt sein, daß ihre unglücke nie heimblich, noch verborgen sein können, und müssen denen, so weniger seind, als sie, zum spectacle dienen.“ „… denn wir seind in der tat nichts anderst als gekrönte sklaven“.

Da ist es nicht leicht, den Lebensmut zu behalten und sich auch noch seine Muttersprache zu bewahren. Was aber zwingt die in der Heimat gebliebenen Deutschen, ihre eigene Sprache immer wieder, in wellenartigen Anfällen, mit Fremdwörtern zu überladen? Mit Verwunderung muß auch die im Elend lebende Liselotte 1715 erfahren, daß „man nun ganz anderst in Teutschland [spricht], als zu meiner zeit; man spricht nicht mehr so natürlich, alles ist gezwungen und gedrungen; das war zu meiner zeit gar nicht.“

Diese Sprachverhunzung war ja auch der Grund, warum Friedrich der Große die deutsche Sprache für sich ablehnte und das klare Französisch bevorzugte. „Zu meiner zeit“, schreibt Liselotte ein andermal, „fand man wohl geschrieben, wenn die phrasen in kurzem begriff und man viel in wenig worten sagte, nun aber find man schön, wenn man viel wörter daher setzt, so nichts bedeuten.“ Und sie bezeichnet das mit Recht als „widerliche mode“.

Doch schon bald erfuhr unsere deutsche Sprache ihre Heilung durch Gottsched, Klopstock, Goethe, Herder, Lessing, Schiller, die Brüder Grimm, die es verstanden, schöpferisch mit der deutschen Sprache umzugehen, sie zu reinigen und zu bereichern. Aber es sollten noch viele Jahrzehnte vergehen, bis auch Bahn und Post in Deutschland die französischen Wörter durch deutsche ersetzt hatten und damit zum sprachlichen Vorbild wurden.

Nach einer Zeit übertriebener, ja hartfordernder Deutschtümelei sind wir heutzutage ins Gegenteil verfallen und plagen uns selbst mit den vielen englischen Einsprengseln in unserer Sprache. Das Schlimmste und Beschämenste sind ins Englische übertragene deutsche Redewendungen, die es so im Englischen gar nicht gibt (Denglisch).

Genau so hat Liselotte es vor 300 Jahren erlebt: „Ich habe französche briefe von Teutschen gesehen, so nichts, als ein Teutsch, übersetzt, waren, welches wunderlich auf Französch laut, insonderheit wenn man titel drin setzt, welches gar nicht bräuchlich ist.“

FremdwörterSo hat sich auch Friedrich der Große in Frankreich mit seinen Dichtungen bloßgestellt, die einen Deutschen in französischen Sprach-Kleidern vorführten, wohingegen seine französischsprachigen Schriftstücke in ungebundener Sprache in Frankreich als hochwertig galten. Zu dichterischer Sprachkraft aber reichten seine am preußischen Hof erworbenen Französisch-Kenntnisse nicht, die zwar seine „Muttersprache“ waren, aber von einer Mutter gesprochen wurden, die ebenfalls nicht in Frankreich ihr Französisch aufgelesen hatte.

Doch wie zu Friedrichs Zeiten, in denen der König noch der fremden Sprache frönte, die Dichter und Denker neben ihm aber deutsch-sprachlich bereits weit voraus waren, so geht es uns heutigen Deutschen. Professor Kremer und viele andere Muttersprachler riefen den „Verein deutsche Sprache“ ins Leben und ließen sich manches einfallen, was die deutsche Öffentlichkeit auf die neudeutsche Sprachverhunzung aufmerksam machte.

Bei Wettbewerben um den besten deutschen Ausdruck für einen mode-englischen oder gar denglischen stellen die Preisrichter hocherfreut einen reichhaltigen Sprachwitz bei den Tausenden Beteiligten fest. (Das für mich schönste Beispiel ist das witzige „Hatzfraß“ für „Fast Food“, das man m. E. wegen seiner krankmachenden Eigenschaften gar nicht zu scharf kennzeichnen kann.)

Inzwischen kann dpa (Elbe-Jeetzel-Zeitung v. 2.10.06) melden , daß bei „einer Umfrage des Instituts TNS Infratest vom 1. bis 3. August im Auftrag des »Spiegel«“- „66 Prozent der 1000 Befragten ab 18 Jahre der Ansicht waren, modische Anglizismen seien »im Großen und Ganzen überflüssig«.“ Nur „27 Prozent fanden, die neuen Ausdrücke »bereichern die deutsche Sprache«. Auf noch deutlichere Ablehnung stießen deutsch-englische Mischwörter wie »brainstormen« oder »Automaten-Guide«. 74 Prozent der Befragten waren laut »Spiegel« der Meinung, die Deutschen sollten diese Wortbildungen vermeiden.“

Schön, wenn solche Umfragen zeigen, wie gesund selbstbewußt „die“ Deutschen in Wirklichkeit noch immer denken, auch wenn ihr Bild in der Medienlandschaft meist ganz anders aussieht!

Heidrun Beißwenger