Demokratie oder die Kunst sich gegenseitig zu blockieren

Wer die politischen Wirrnisse in Deutschland aufmerksam verfolgt, mag sich fragen, welchem Zweck die Politik heutzutage überhaupt noch dient. Wir haben uns als Nachkriegsgeneration schon lange daran gewöhnt in einer Demokratie zu leben, Politiker zu wählen – die unsere Interessen vertreten sollen – und selbst mündige Bürger zu sein, die verantwortlich die eigenen Zwecke unseres Landes mitgestalten.

Die Demokratie als Regierungsform ist für uns nicht nur eine völlige Selbstverständlichkeit geworden, sondern mehr noch, sie wird von vielen als „Krone der Schöpfung“ gepriesen – ist zu einen Synonym für das Gute, Wahre und Schöne geworden. Betrachtet man die Philosophie der Bush-Regierung – so fungiert sie gar als Allheilmittel für all diejenigen zurückgebliebenen Länder, die uns als Krisenregionen (ala Irak) bekannt sind.

Doch bleiben wir im eigenen Land und stellen uns die Frage, wozu Politik überhaupt dienen sollte, bevor wir die tatsächlichen Ereignisse bewerten. Die eigentliche Aufgabe der Politik ist es, die Zwecke einer Gesellschaft festzulegen und für deren Realisierung zu sorgen. Nach dem Soziologen Luhmann wird die Politik – als Subsystem der Gesellschaft – auch als „Machtsystem“ bezeichnet. Machtsystem deshalb, da es als Subsystem den gesellschaftlichen Auftrag hat, Gesetze zu erlassen bzw. deren Einhaltung über die Kontrolle der Exekutive zu überwachen.

Im positivsten Sinne wäre somit ein Politiker jemand, der im Auftrag des Volkes dessen Wohl und Werden als höchstes und eigenstes Ziel vertreten sollte. Soviel zu den edlen Visionen der Gründerväter der Demokratie. Leider sieht die Praxis doch erheblich anders aus, wobei man sich fragen kann, woher die Kluft zwischen Anspruch und Realität überhaupt zustande kommt. In der Realität erleben wir eher Politiker, die in die eigene Tasche wirtschaften, Wahlversprechen abgeben, die sie nicht einhalten können, ein Diskussionsniveau an den Tag legen, das jeden bayrischem Stammtisch erröten ließe und zudem mehr Probleme schaffen, als sie letztlich lösen.

Sehen wir uns dazu an, was Politikern primär als Entscheidungsgrundlage dient. Die Antwort ist einfach – ein Politiker will wiedergewählt werden, sich beliebt machen, eine Mehrheit der Wähler unter dem eigenen Banner vereinen.

Das mag auf den ersten Blick zur Hypothese verleiten, daß ein Politiker schon allein aus diesem Grunde gezwungen ist, zum Wohl des Volkes zu handeln und zu entscheiden. Aber dieser Anschein trügt, denn er berücksichtigt noch nicht die Notwendigkeiten denen sich Politiker in der Praxis gegenübersehen.

Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Situation von Rot-Grün kontra Schwarz-Gelb. Spätestens seit den 80er Jahren ist den Regierungsparteien bekannt, daß der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland vorbei ist, der Pillenknick die Alterspyramide zu kippen droht und tiefgreifende Reformen dringend gebraucht werden, um den Staatshaushalt zu retten.

In diesem Fall steht Rot-Grün in der unangenehmen Situation den desolaten Staatshaushalt reformieren zu müssen, was natürlich mit unangenehmen Sparmaßnahmen und Kürzungen verbunden ist, die plötzlich auch „den kleinen Mann“ betreffen. Eine Situation, die Deutschland nach dem Krieg bislang nicht mehr erleben mußte, denn jeder hat sich an die Wirkungen des „Wirtschaftswunders“ und die Wohlstandsgesellschaft gewöhnt.

Das Veränderungen notwendig sind, ist natürlich auch der schwarz-gelben-Opposition bewußt, aber anstatt zu Wohle des Volkes zusammenzuarbeiten, blockieren sich die Parteien in den notwendigen Entscheidungsprozessen gegenseitig. Reformen und Gesetzesentwürfe werden blockiert oder bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichen.

Was ist passiert? Merkel und Stoiber wollen Wählerstimmen gewinnen – wobei die Taktik darin besteht, auf die Unzufriedenheit des Volkes zu setzen. Je weniger Rot-Grün auf die Reihe bekommt, desto höher steigt die Wahrscheinlichkeit, selbst wieder in die Regierungsverantwortung zu kommen.

Konkret heißt das: Eine Blockadepolitik zu betreiben, die dem Zweck dient, den Karren weiter in den Dreck zu fahren, so daß es am Ende den Bürgern schlechter geht als zuvor. Unzufriedene Wähler sind schließlich das Kapital eines jeden Politikers.

Das Fazit für eine erfolgreiche Opposition könnte also lauten: Je weniger funktioniert, desto höher ist die Chance die nächste Wahl zu gewinnen.

Doch auch im Regierungslager selbst, sieht die Situation nicht viel besser aus. Man will Stimmen halten bzw. neue hinzu gewinnen. Dies erreicht man dadurch, daß man Entscheidungen trifft, die populär sind, die Leute zufriedenstellen – je mehr Wohlstand desto besser. Doch der viel gerühmte Wohlstand ist für ein Land nicht unbedingt ein Segen, denn jeder Wohlstand will finanziert sein.

Nehmen wir ein Beispiel: Als das heutige Rentensystem beschlossen wurde, war den damaligen Politikern (sofern sie nur rudimentär wirtschaftlich denken konnten) klar, daß es nur für relativ kurze Zeit finanziert werden kann. Der Pillenknick und die Überalterung der Gesellschaft sind schon seit Jahrzehnten bekannt und damit natürlich auch, die daraus resultierenden Folgen. Immer weniger Arbeiter müssen für immer mehr Rentner aufkommen, was ab einem bestimmten Punkt zum Kollaps der Finanzierung führen muß.

Doch dieser Kollaps wird sich erst Jahre später auswirken – kurzfristig sind die Menschen natürlich erst einmal zufrieden – und die voranschreitende Staatsverschuldung wird irgendwann die Opposition zu tragen haben. Schließlich wird man nur für vier Jahre gewählt und was danach passiert ist egal – ganz nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut!“

Diese opportunistische Haltung zielt nur auf kurzfristige Erfolge und verliert längerfristige Auswirkungen oder Entwicklungen völlig aus dem Blick. Das gewünschte Resultat ist erreicht – die Wähler sind aktuell zufrieden. Das dieser Wohlstand nur durch eine weitere Verschuldung des Staatshaushalts finanziert werden kann, wird verschwiegen.

Jeder Hausfrau würde es bei dieser Haushaltsplanung die Haare aufstellen. Das Problem dabei ist schlicht, daß notwendige oder nachhaltige politische Entscheidungen nicht mit kurzfristigen Opportunismus kompatibel sind.

Wer langfristig planen will, muß Entscheidungen langfristig bedenken – sich primär an den wünschenswerten Wirkungen einer Entscheidung orientieren und nicht daran, ob sie populär ist oder nicht. Genau daran krankt unsere Politik – es geht weder darum, für das eigene Handeln Verantwortung zu übernehmen, noch um langfristiges Denken, was die Basis jeder gesunden Entwicklung wäre.

Stattdessen bleibt das System in seinen eigenen Notwendigkeiten gefangen – der Notwendigkeit nach Wählern jagen zu müssen, die nur ihre momentanen Bedürfnisse im Kopf haben. Letztlich ist es in diesem System egal, wer regiert und wer die Opposition führt, da man aus dem Mechanismus selbst nicht auszubrechen vermag, der kurzfristiges und opportunes Denken vorprogrammiert.

Hier wird weder ein „Marsch durch die Institutionen helfen“ noch die Gründung einer neuen heilsversprechenden Partei. Das Problem ist das derzeitige demokratische System selbst, daß in seiner selbstgebauten Abwärtsspirale gefangen bleibt. Falls sich daran etwas ändern soll, braucht es einen grundlegenden Bewußtseinswandel – eine Einsicht, daß dieses Possenspiel Demokratie letztlich unser Untergang werden wird, sofern wir uns nicht besinnen über grundlegend andere Alternativen nachzudenken.

Aris Rommel